Rudi Dutschke
Rudi Dutschke, geboren als Alfred Willi Rudi Dutschke, (* 7. März 1940 in Luckenwalde, † 24. Dezember 1979 in Aarhus/ Dänemark), war ein deutscher Soziologe und Studentenführer während der Studentenbewegung.
Leben
Jugend
Rudi Dutschke war der vierte Sohn einer ostdeutschen Familie, sein Vater war Postbeamter. Er genoss eine christlich geprägte, aber auch, da er nicht das ersehnte Mädchen war, eine praktisch orientierte Erziehung. So musste er als einziger der Jungen auch die als typisch weiblich geltenden Dinge wie Waschen, Bügeln und Stopfen lernen. Als Schüler war er Mitglied der evangelischen "Jungen Gemeinde". In seiner Jugend begann er mit der Leichtathletik und wurde Zehnkämpfer. Aus seiner Sportleidenschaft erwuchs der Wunsch, später Sportjournalist zu werden. Dazu übte er vor dem Spiegel die Rede und schulte sich selbst zu einem ausgezeichneten Rhetoriker. Der Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953, vor allem aber der Ungarn-Aufstand lenkten seine Blicke auf die Politik im allgemeinen und den Marxismus, Kommunismus und Sozialismus im speziellen.
Studentenzeit
1958 machte er sein Abitur. Von den zwei Möglichkeiten zur Zulassung zum Studium wählte er, weil er als Pazifist das Militär ablehnte, den Weg über eine Ausbildung und machte eine kaufmännische Lehre. Während dieser 18 monatigen Ausbildung musste er auch in einem VEB (Volkseigenen Betrieb) arbeiten und bekam zum ersten und einzigen Male direkten Einblick in die Welt der Arbeiter. Dennoch wurde ihm der Zugang zur Universität verweigert, vor allem, weil er nach seinem Abitur auch andere durch seine Weigerung zum Militärdienst aufgestachelt habe.
1960/61 pendelte er zwischen Luckenwalde und West-Berlin um dort sein West-Abitur nachzuholen und so den Zugang zur Westberliner Universität zu erhalten. Wenige Tage vor dem Mauerbau (1961) kam er nach West-Berlin, aber nicht mehr zurück.
Rudi schrieb sich an der Freien Universität (FU) für Soziologie ein, nachdem er den Journalismus als brotlos erkannt zu haben meinte. Schon bald kam er mit politisch interessierten Studenten zusammen und wurde an den einschlägigen Orten bekannt, wo diskutiert wurde. Eine der ersten Aktionen, an denen er teilnahm, war die Absetzung des damaligen AStA-Vorsitzenden Eberhard Diepgen, der einer schlagenden Burschenschaft angehörte, die jedoch an der FU verboten waren.
Durch Studenten aus München kam er 1962/63 mit der Subversiven Aktion in Verbindung. Daraufhin gründete er einen Berliner Zweig dieser Gruppierung. Schon bald machte die Gruppe von sich Reden durch Flugblatt-Aktionen vor allem im Universitätsbereich. Diese politische Gruppe schloss sich 1964 dem SDS an, um eine größere Plattform zu erreichen. Im selben Jahr lernte er die Amerikanerin Gretchen Klotz kennen.
Rudi war ein Leser. Begierig nahm er alles auf, was er über Marx, Marcuse, Bloch und andere osteuropäische Marxisten zu lesen bekam. Langsam formte sich sein Konzept zur Revolution in Deutschland. Zudem wollte er über Georg Lukács dissertieren, einen ungarischen Marxisten.
Mehr und mehr wurde Rudi zu einem anerkannten Sprecher der Studenten. 1965 wurde er in den Beirat des West-Berliner SDS gewählt und kam als Delegierter auch zu Bundesversammlungen. Dort erkannte er schnell, dass er sich nicht in der tradierten Verbandsarbeit aufreiben wollte. Jedoch scheute er den persönlichen Kontakt mit Gegnern nie. Er organisierte Sit-Ins an der FU, Demonstrationen und Plakataktionen, redete an öffentlichen Plätzen oder auf Veranstaltungen und agierte gegen vieles, was die Studenten ablehnten und für das, was sie forderten:
- Gegen Amerika und seinen Vietnam-Krieg
- Gegen die deutsche Politik, die der großen Koalition entgegensteuerte, um dann, 1968, die Notstandsgesetzte durchzubringen
- Gegen die Presse, vor allem den Springer Verlag, die sich als Werkzeug der Etablierten entpuppte
- Gegen die Universitätsverwaltung, die die demokratischen Rechte der Studenten einengen, teilweise auch abschaffen wollte, ob ihrer politischen Agitationen
- Für die APO, die außerparlamentarische Opposition während der großen Koalition
- Für die Drittelsparität in den universitären Hochschulgremien
- Für das Recht der freien politischen Betätigung der Studenten
Im gleichen Maße, wie seine Popularität wuchs, wuchs auch die Anzahl seiner Kritiker, auch aus den eigenen Reihen.
1966 heiratete er Gretchen. Damit hatte er sich ebenfalls Kritiker geschaffen, die der Meinung waren, ein Revolutionär wäre mit eben der Revolution verheiratet, oder er wähle durch die Heirat die Tradition der Eltern. Gretchen, eine US-Amerikanerin, die Theologie studierte, wollte am politischen Umfeld ihres Mannes teilnehmen. Doch viele Freunde um Rudi nahmen Frauen als politische Wesen nicht Ernst. Zwar wurde ein Referat Gretchens, das die weibliche Rolle beschrieb, auf-, aber nicht ernstgenommen.
Auf Initiative Gretchens nahmen Rudi und sie die Idee einer Kommunengemeinschaft auf, um das Leben nach der Revolution zu proben. Dazu trafen sie sich mit Anderen, um darüber zu diskutieren. Ergebnis war die Kommune 1 ohne die Dutschkes, die kein Interesse an Psycho- und Sexual-Spielchen hatten, wie die Kommune 1 es vor allem propagierte. 1967 wurde ein noch turbulenteres Jahr als zuvor. Die Springer Kampagne begann, der Besuch des Schahs von Persien, Reza Pahlevi, stand bevor und eine Menge Vorträge musste gehalten werden. Zudem bekam Gretchen ihr erstes Kind. Der Schah-Besuch endete in einer Tragödie: der Student Benno Ohnesorg wurde von einem Polizisten getötet.
Obwohl Rudi an diesem Abend (2. Juni) gar nicht in Berlin war, sondern in Hamburg, der nächsten Station des Schahs, um sich dort für Aktionen gegen diesen stark zu machen, wurde er in den folgenden Tagen vor allem von der Springerpresse als Anstoß allen Übels gesehen. Der Tod Ohnesorgs sollte kurz darauf landesweite Demonstrationen entfachen. Die Ereignisse nach Ohnesorgs Tod können als ein Beginn der Radikalisierung der Bewegung gesehen werden, denn die Rufe nach Aktionen, auch unter Anwendung von Gewalt, wurden immer lauter. Und auch Rudi wurde, durch Anwendung des Begriffes "Kampfmaßnahmen", eben in die Ecke der Gewaltbereiten gestellt.
Attentat und danach
Am 11. April 1968 gab Josef Bachmann drei Schüsse auf Rudi ab, mit dem Vorsatz diesen zu töten. Massivste Unruhen waren die Folge, vor allem gegen Springer und seine Bild-Zeitung. Es wurde nie bewiesen, ob Bachmann, der angeblich eine Bild-Zeitung mit der Schlagzeile Stoppt Rudi Dutschke! bei sich hatte, durch diese zu dem Attentat aufgehetzt wurde, wie es die meisten der Studentenbewegung glaubten. Jedoch war es der Beginn der 68er-Bewegung und ihrer Folgen.
Rudi überlebt das Attentat nur knapp mit schwersten Gehirnverletzungen und musste mühsam vieles wieder erlernen, zu allererst das Sprechen selbst. Zur Genesung verweilte er ab 1969 in der Schweiz, in Italien und in Großbritannien. Viele Freunde halfen den Dutschkes und kamen für die Kosten auf, unter ihnen auch Heinrich Albertz, ehemaliger Bürgermeister von Berlin und Ernst Bloch, zu dem er mit der Zeit einen intensiven persönlichen Kontakt aufgebaut hatte. In England ließ er sich dann auch nieder, wurde aber während eines Irland-Urlaubes vorübergehend ausgewiesen. Er konnte jedoch zurückkehren und begann mit der Fortsetzung seines Studiums in Cambridge. In diesem Jahr wurde sein zweites Kind geboren. Ende 1970 jedoch wurde er, wegen angeblicher subversiver Tätigkeiten, endgültig ausgewiesen. Daraufhin reisten die Dutschkes nach Dänemark, wo sie zunächst bei Freunden unterkamen. Rudi erhielt in diesem Jahr eine Anstellung als Dozent an der Universität Aarhus.
1973 hielt Rudi seine erste öffentliche Rede nach dem Attentat auf einer Anti-Vietnam-Demonstration in Bonn. 1974 veröffentlichte er seine Dissertation über Lukács. Darin beschrieb er auch ausführlich seine Vision des Weges Deutschlands zu einem freien, also nicht von Ost-Berlin, Moskau oder Peking bevormundeten Sozialismus. Des Weiteren distanzierte er sich deutlich von den Taten der RAF, die sich aus dem Umfeld der Studentenbewegung herauskristallisiert hatte und von deren erster Generation Rudi viele kannte.
1975 war Rudi Projektmitarbeiter einer Forschungsgruppe und reiste zum ersten Mal offiziell in die DDR, wo er in Kontakt zu Wolf Biermann und Robert Havemann trat. Im Jahr darauf verstärkte er seine Bereitschaft zu Vorträgen und hielt solche zu Themen der Menschenrechte, zum Berufsverbot und zu Osteuropa in Norwegen, Italien und Deutschland. Es folgten Fernsehauftritte und sein politisches Engagement wurde wieder geweckt. Ab 1977 war er freier Mitarbeiter verschiedener linker Zeitungen und hatte eine Gastprofessur in Groningen/Niederlande. Er beteiligte sich auch aktiv in der Anti-Atomkraft-Bewegung, so zum Beispiel an den Demonstrationen in Brokdorf. 1978 und 79 war er Teilnehmer an den Russel-Tribunalen über die Menschenrechte. Zeitgleich engagierte er sich sehr für die Anfänge der grünen Bewegung, in der einen Hoffnungsschimmer für seine Überzeugungen sah.
Am Heiligabend des Jahres 1979 bereitete Gretchen, die zum dritten mal schwanger war, das Essen vor. Rudi, der gerade in einem Buchprojekt steckte, hatte am Telefon mit seinem Co-Autor gesprochen. Zu Gretchen gewandt meinte er, er würde das Buch jetzt nicht schreiben, vielleicht später. Dann sagte er zu ihr, dass er ein Bad nehmen würde. Als Gretchen mit den Vorbereitungen fertig war, bemerkte sie, dass Rudi noch nicht aus dem Badezimmer gekommen war. Sie ging hinein und fand ihn leblos in der Badewanne. Er war an den Spätfolgen des Attentates elf Jahre zuvor gestorben.
Am 3. Januar fand unter großer Anteilnahme die Beerdigung in Berlin statt. Im Audimax der FU kamen mehrere tausende Trauernde zusammen. Kurz nach der Beerdigung kam Rudis drittes Kind auf die Welt.
Literatur
- Jürgen Miermeister: Rudi Dutschke, eine Biographie mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, rororo bildmonographien, rm 349, Rowohlt Taschenbuchverlag, 1986
- Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben - Rudi Dutschke - Eine Biographie von Gretchen Dutschke, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996
- Rudi Dutschke: Jeder hat sein Leben ganz zu leben. Die Tagebücher 1963-1979, hrg. von Gretchen Dutschke, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003
- Rudi Dutschke: Mein langer Marsch. Reden, Schriften und Tagebücher aus zwanzig Jahren, Hrsg. von Gretchen Dutschke-Klotz, Helmut Gollwitzer und Jürgen Miermeister, Rowohlt 1980, ISBN 3-499-14718-1
- Karola Bloch, Welf Schröter (Hg.), "Lieber Genosse Bloch ...", Briefwechsel zwischen Rudi Dutschke, Gretchen Dutschke, Karola Bloch und Ernst Bloch. 1968 bis 1979, Talheimer Verlag 1988, ISBN 3-89376-001-6.