Atomsemiotik
„Warnung vor radioaktiven Stoffen oder ionisierenden Strahlen“ – Wird das Zeichen in 10.000 Jahren noch verstanden werden?
Atomsemiotik ist die Bezeichnung für eine Richtung der Semiotik, die sich mit der Warnung der Nachwelt vor den Gefahren des Atommülls beschäftigt.
Diese Forschungsrichtung entstand im Jahr 1981, als eine dreizehnköpfige Arbeitsgruppe („Human Interference Task Force“) aus Ingenieuren, Anthropologen, Kernphysikern, Verhaltensforschern und anderen im Auftrag der US-Regierung und des Bechtel-Konzerns Untersuchungen über menschliches Eindringen in Endlager anstellten.
Aufgabenstellung des Forscherteams war es, herauszufinden, wie man verhindern könnte, dass Menschen in das atomare Endlager des Yucca Mountain in Nevada eindringen könnten.
Probleme
Der Zeitraum von 10.000 Jahren ist willkürlich gewählt und angesichts der Halbwertszeit beispielsweise von Plutonium-239 mit 24.000 Jahren sehr kurz. Andere Substanzen haben Halbwertszeiten, die sich nur in Millionen von Jahren berechnen lassen.
Andererseits hat die schriftlich tradierte Geschichte der Menschheit bis jetzt gerade eine Dauer von 5.000 Jahren und Warnungen in Keilschrift oder in der Indus-Schrift werden nur von Experten oder im Fall der Indus-Schrift von niemanden verstanden.
Lösungsansätze
Drei Dinge müssten der Nachwelt mitgeteilt werden:
- dass es sich überhaupt um eine Mitteilung handelt,
- dass an einer bestimmten Stelle gefährliche Stoffe lagern,
- Informationen über die Art der gefährlichen Substanzen
Die Tübinger Zeitschrift für Semiotik gab die Fragestellung, wie man die Nachwelt vor den Gefahren des Atommülls warnen könnte, an verschiedene Personen weiter und kam dabei zu interessanten Ergebnissen:
Thomas Sebeok
Der Linguist Thomas Sebeok war Mitarbeiter der Bechtel-Arbeitsgruppe. Er schlägt die Schaffung einer Atompriesterschaft mit Ritualen und Mythen vor. Sie würden darauf hinweisen, welche Gebiete zu meiden seien und welche Vergeltung bei Nichtbeachtung drohen.
Stanislaw Lem

Der polnische Science-Fiction-Schriftsteller Stanislaw Lem schlägt Satelliten in der Erdumlaufbahn vor, die Jahrtausende lang Informationen zur Erde senden. Außerdem schlägt er eine biologische Kodierung in der DNA vor. Informationspflanzen, die nur in der Nähe von Endlagern wachsen, sollten über die Gefährlichkeit informieren.
Francois Bastide und Paolo Fabbri
Die französischen Autoren Francois Bastide und Paolo Fabbri schlagen die Züchtung von so genannten Strahlenkatzen vor. Diese Katzen sollten auf Radioaktivität als lebendes Warnzeichen mit Verfärbung reagieren. Um dies zu gewährleisten müsste sie über Märchen und Mythen im kollektiven Bewusstsein der Menschen verankert werden. Dies könne über Dichtung, Malerei und Musik geschehen.
Vilmos Voigt
Vilmos Voigt von der Universität Budapest schlägt die Aufstellung von konzentrisch angeordneten Warntafeln vor, die in den wichtigsten Weltsprachen die Warnung enthalten sollten. Nach einer gewissen Zeit sollen neue Tafeln mit einer aktuellen Übersetzung aufgestellt werden. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass die Warnung immer verstanden werden kann.
Literatur
- Roland Posner (Hg.): Warnungen an die ferne Zukunft – Atommüll als Kommunikationsproblem. Raben-Verlag, München, ISBN 3922696651
- Und in alle Ewigkeit. Kommunikation über 10.000 Jahre. Zeitschrift für Semiotik, Band 6, Heft 3, 1984
- J. Kreusch und H. Hirsch: Sicherheitsprobleme der Endlagerung radioaktiver Abfälle in Salz. Gruppe Ökologie, Hannover 1984