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KZ Kauen

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Das Konzentrationslager (KZ) Kauen entstand aus dem Ghetto Kauen. Dieses wurde im Sommer 1941 von den Nationalsozialisten in der litauischen Stadt Kaunas (deutsch Kauen bzw. polnisch Kowno, auch Kovne oder Kovno) errichtet, nachdem deutsche Truppen das damals sowjetisch kontrollierte Litauen besetzt hatten. Das Konzentrationslager existierte vom 15. September 1943 bis zum 14. Juli 1944 und hatte acht Außenlager.

Etwa 95 Prozent der litauischen Juden wurden in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet, eine ähnliche Zahl dürfte auch für die jüdische Bevölkerung Kauens und die dorthin deportierten Personen zutreffen.

Besetzung

Kaunas ist heute die zweitgrößte Stadt Litauens. Zwischen den Weltkriegen war sie provisorische Hauptstadt, da damals das Gebiet um die traditionelle Hauptstadt Vilnius polnisch war. Vom 24. Juni 1941 bis 1944 war Kaunas von der Wehrmacht besetzt und wurde unter der Bezeichnung "Generalbezirk Litauen, Reichskommissariat Ostland" als eine Verwaltungseinheit des Großdeutschen Reiches geführt, die die früheren baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland sowie den größten Teil des westlichen Weißrusslands umfasste. Als "Reichskommissar" mit Sitz in Kaunas, und später Riga, fungierte Gauleiter Hinrich Lohse.

Es wird geschätzt, dass bereits anlässlich der Besetzung im Juni und Juli 1941 rund 10.000 Juden und "Nicht-Arier" ermordet wurden. Nach dem so genannten Jäger-Bericht, benannt nach dem SS-Standartenführer Karl Jäger, der eine akribische Aufstellung aller von Juli bis November 1941 ermordeten Juden, Kommunisten und politischen Kommissare in Litauen und Weißrussland erstellte, wurden in dieser Zeit allein aus dem Ghetto Kauen weitere 15.000 Menschen ermordet. Jäger endet seinen Bericht vom 1. Dezember 1941 mit dem Vermerk:

„Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem für Litauen zu lösen, vom EK. 3 erreicht worden ist. In Litauen gibt es keine Juden mehr, außer den Arbeitsjuden incl. ihrer Familien... Nur durch geschickte Ausnutzung der Zeit ist es gelungen, bis zu 5 Aktionen in einer Woche durchzuführen und dabei doch die in Kauen anfallende Arbeit so zu bewältigen, dass keine Stockung im Dienstbetrieb eingetreten ist. Die Aktionen in Kauen selbst, wo genügend einigermassen ausgebildete Partisanen zur Verfügung stehen, kann als Paradeschiessen betrachtet werden, gegenüber den oft ungeheuerlichen Schwierigkeiten die außerhalb zu bewältigen waren.“

Er beschwerte sich gleichzeitig:

„Diese Arbeitsjuden incl. ihrer Familien wollte ich ebenfalls umlegen, was mir jedoch scharfe Kampfansage der Zivilverwaltung (dem Reichskommissar) und der Wehrmacht eintrug und das Verbot auslöste: Diese Juden und ihre Familien dürfen nicht erschossen werden!“

Ghetto

Als Deutschland 1941 eine Zivilverwaltung mit SA-Brigadeführer Hans Krämer als Stadtverwalter in Kauen eingesetzt hatte, wurde den rund 30.000 Juden der Stadt ein Monat Zeit gegeben, in das neu errichtete Ghetto zu ziehen.

Das Ghetto bestand aus zwei Teilen, dem "kleinen" und dem "großen" Ghetto, beide im Stadtteil Slobodka gelegen und von einer Durchgangsstraße geteilt. Es war von einem Stacheldrahtzahn und litauischen Wachposten umgeben, die Tore wurden zusätzlich von deutschen Polizisten bewacht.

Als das Ghetto im August 1941 abgeriegelt wurde, lebten dort 29.760 Juden; im März 1944 waren 17.412 Bewohner verblieben, und dies, obwohl es in der Zeit zahlreiche Deportationen in das Ghetto, vor allem aus Österreich, gegeben hatte.
Die meisten Einwohner waren mittlerweile Erwachsene, die zur Zwangsarbeit, in der Regel in Militäreinrichtungen außerhalb des Ghettos, herangezogen wurden. Statt Bezahlung erhielten sie Lebensmittelrationen, die ein Überleben aller Einwohner aber nicht sichern konnte, so dass sie gezwungen waren, den ihnen noch verbliebenen Besitz zu veräußern und das Risiko des Lebensmittelschmuggels einzugehen.

Datei:Konzentrazionslager.png
Konzentrationslager des Deutschen Reichs

Im Februar 1942 wurden die Ghetto-Bewohner aufgefordert, sämtliches geschriebene und gedruckte Material, alle Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Manuskripte, persönliche Aufzeichnungen abzugeben. Im August des gleichen Jahres wurden die Synagogen geschlossen und öffentliche Gottesdienste verboten. Die Schulen, mit Ausnahme der Berufsschulen, wurden geschlossen und die Maßnahmen, die den Besitz von Bargeld und das Einbringen von Lebensmitteln in das Ghetto verhindern sollten, drastisch verstärkt. Immer wieder wurden hunderte von Einwohnern nach Riga oder andere Arbeitslager in Litauen deportiert.

Das Leben innerhalb des Ghettos wurde durch den Ältestenrat der Jüdischen Ghetto-Gemeinde Kauen organisiert, dem Elkhanan Elkes vorstand mit Leib Garfunkel als Stellvertreter. Dieser Ältestenrat war einer der wenigen von den in den Sammelllagern gefangenen Juden selbst gewählten und nicht der von der deutschen Besatzungsmacht eingesetzte Mitbürger (L. Garfunkel und siehe auch Judenrat). Er war allerdings in allem von den deutschen Behörden abhängig.

Nachdem der Unterricht für Kinder verboten und die Schulen geschlossen worden war, sorgte der Ältestenrat unter dem Deckmantel des Berufsschulunterrichts für die weitere Ausbildung der wenigen Kinder und Jugendlichen, die das Ghetto bis dahin überlebt hatten.

KZ-Stammlager

Im Herbst 1943 lösten SS-Einheiten auf Befehl Himmlers alle Ghettos im "Reichskommissariat Ostland" auf, so auch das Ghetto von Kauen und erklärten es zu einem Konzentrationslager, fortan KL Kauen genannt. Die meisten überlebenden Gefangenen des Ghettos wurden in das KZ Riga-Kaiserwald eingewiesen. Alte Menschen, Kranke, Kinder und als nicht arbeitsfähig Eingestufte wurden direkt im KZ Kauen ermordet. Der Lagerkommandant war ab September 1943 Wilhelm Göcke.

Das Stammlager wurde am 14. Juli 1944 aufgelöst, die noch verbliebenen Gefangenen wurden über das KZ Stutthof in das Konzentrationslager Dachau verbracht.

Bei der Lagerräumung brannte die SS die Gebäude nieder, um Gefangene aus Verstecken zu treiben. Es sind keine Gebäudereste erhalten. Eine Gedenkstätte befindet sich an der A. Kriščiukaitis gatvė in Kaunas.

Literatur

Bibliographische Übersicht

  • "Hidden History of the Rovno Ghetto": An Annotated Bibliography. In: Holocaust and Genocide Studies 12,1 (1998), S. 119-138

Augenzeugenberichte, Memoiren

  • Trudi Birger (zusammen mit Jeffrey M. Green): Im Angesicht des Feuers: wie ich der Hölle des Konzentrationslagers entkam. Übs. von Christian Spiel, Piper-Verl., München/Zürich 1990, ISBN 3-492-03391-1
  • Zev Birger: Keine Zeit für Geduld. Mein Weg von Kaunas nach Jerusalem. Luchterhand, München 1997, ISBN 3-630-87990-x (Lebensweg des Zev Birger, der das Ghetto Kaunas als einziger seiner Familie überlebte)
  • Joel Elkes: Dr. Elkhanan Elkes of the Kovno Ghetto: A Son's Holocaust Memoirs. Paraclete Press, Brewster (Mass.) 1999, ISBN 1557252319
  • Solly Ganor: Kindheit im Holocaust. Übs. von Sabine Zaplin, Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-596-13549-4
  • Aba Gefen: Ein Funke Hoffnung: ein Holocaust-Tagebuch. Bleicher-Verlag, Gerlingen 1987, ISBN 3-88350-656-7
  • Sara Ginaitė-Rubinsonienė (Ginaite-Rubinson): Resistance and Survival: The Jewish Community in Kaunas, Lituania, 1941-1944. Mosaic Press, Oakville (Ontario) 2005 (= The Esther and Maurice Boyman series of Holocaust memoirs, 1), ISBN 0-88962-816-5
  • Helene Holzman: "Dies Kind soll leben": die Aufzeichnungen der Helene Holzman 1941 - 1944, hrsg. von Reinhard Kaiser, Ullstein-Taschenbuchverlag, 2001, ISBN 3-548-60137-5
  • Leo Lewinson: Der unvergängliche Schmerz: zum Leben und Leiden der litauischen Juden, ein persönlicher Bericht 1920 - 1945. Hrsg. von Erhard Roy Wiehn, übs. von Zwi G. Smoliakov und Rosemarie Wiedmann, Hartung-Gorre-Verlag, Konstanz 2001, ISBN 3-89649-673-5
  • William W. Mishell: Kaddish for Kovno: Life and Death in a Lithuanian Ghetto, 1941-1945. Chicago Review Press, Chicago (Ill.) 1988, ISBN 1-556-52033-6
  • Avraham Tory: Surviving the Holocaust: The Kovno Ghetto Diary. Hrsg. von Martin Gilbert, übers. von Jerzy Michalowitz, mit Anmerkungen von Dina Porat, Harvard University Press, Cambridge (Mass.) 1990, ISBN 0-674-85810-7
  • Alex Faitelson: "Heroism & Bravery in Lithuania 1941-1945", Gefen Publishing House, June 1996, ISBN-13: 9789652291554

Historische Arbeiten, Dokumentationen

  • Vincas Bartusevičius (Hrsg.): Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941. Böhlau Verlag, Köln [u.a.] 2003, ISBN 3-412-13902-5
  • Dennis B. Klein (Hrsg.), für das United States Holocaust Memorial Museum: Hidden History of the Kovno Ghetto. Little, Brown & Co., Boston [u.a.] 1997, ISBN 0-8212-2457-3
  • Christoph Dieckmann: Das Ghetto und das Konzentrationslager in Kaunas, 1941-1944. In: Ulrich Herbert / Karin Orth / Christoph Dieckmann (Hrsg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager - Entwicklung und Struktur, Band I, Wallstein-Verlag, Göttingen 1998, S. 439-471 [ISBN 3-89244-289-4]
  • Klaus-Michael Mallmann (Hsg.): Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, 1), ISBN 3-534-16023-1
  • Jürgen Matthäus: Das Ghetto Kaunas und die "Endlösung" in Litauen. In: Wolfgang Benz / Marion Neiss (Hrsg.), Judenmord in Litauen, Metropol-Verlag, Berlin 1999 (= Zentrum für Antismemitismusforschung der TU Berlin, Reihe Dokumente - Texte - Materialien, 33; ISBN 3-932482-23-9), S. 97-112

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