Wikipedia:Neutraler Standpunkt
Der Neutrale Standpunkt (Neutraler Gesichtspunkt/Neutrale Sichtweise, engl. Neutral Point Of View kurz NPOV) ist eines der vier unveränderlichen Grundprinzipien für das Schreiben von Artikeln in der Wikipedia. Der Neutrale Standpunkt dient dazu, Themen sachlich darzustellen und den persönlichen Standpunkt des Autors zum Thema in den Hintergrund treten zu lassen. Er umfasst somit die Kriterien Quellenbasierung, Ausgewogenheit der Standpunkte und Objektivität der Darstellung. In der Wikipedia ist die Einhaltung des Neutralen Standpunkts Voraussetzung eines guten Artikels.
Grundsätze
Quellenbasierung
- Alle Artikel in Wikipedia sind quellenbasiert. Maßgeblich für die Auswahl der Quellen ist die Reputation ihres Publikationsortes. Die Frage der Reputation lässt sich in der Regel objektivieren indem Meta-Literatur (z.B. in Form von Überblicksdarstellungen, Rezensionen oder Citation Indices) herangezogen wird.
- Klar zugeordnete Argumente für die eine oder andere Position dürfen angegeben werden. Unbelegte Standpunkte, die weder einer Person noch einer Gruppe zugeordnet werden können, sind möglicherweise unerwünschte Theoriefindung. Siehe hierzu auch Wikipedia:Belege.
- In der Regel ist es unproblematisch, Theorien darzustellen, die im heutigen wissenschaftlichen „Mainstream“ als widerlegt und überholt gelten (wie z.B. die Phrenologie). Problematisch wird es nur, wenn sich eine solche Lehre noch bis in die Gegenwart als Minderheitenmeinung erhalten hat oder wegen ihrer historischen und gesellschaftlichen Bedeutung immer noch relevant ist, wie z.B. die Astrologie. Hier sollen neben den Quellen über den „Ist-Zustand“ (die „Binnensicht“ dieser Lehren) auch wissenschaftshistorische Quellen konsultiert werden. Beispielsweise sollte in den Artikeln zur Chemie und Alchemie auf die gemeinsamen Wurzeln dieser Lehren, aber auch ihre heutigen Unterschiede, hingewiesen werden.
- Noch schwieriger ist die Behandlung von Außenseiterlehren, die entweder einen wissenschaftlichen Anspruch erheben oder wissenschaftliche Fragestellungen tangieren, die jedoch selbst noch keinen Eingang in den etablierten Wissenschaftsbetrieb gefunden haben. Zwar sind diese Lehren oft selbst Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen, ihr Anspruch auf Wissenschaftlichkeit wurde aber noch nicht geprüft oder vom Mainstream bereits verworfen. Bei Artikeln zu solchen Lehren besteht die Gefahr, dass sie fast vollständig aus „Innensicht“ bestehen und dass eine Einordnung in den wissenschaftlichen Mainstream fehlt. Hier dürfen Hinweise auf die gängige Erklärung der von den Außenseiterlehren behandelten Themen nicht fehlen.
- Ein seriöser Artikel darf nicht durch bloße Aneinanderreihung verschiedener Meinungen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse relativieren. Tatsachenbehauptungen, die diesen widersprechen oder in den Quellen selbst unbelegt sind, müssen deutlich als solche gekennzeichnet werden.
- Erfahrungsgemäß ist die Frage, welche die besten Quellen zur Darstellung eines bestimmten Themas sind, besonders dort umstritten, wo verschiedene Weltanschauungen miteinander konkurrieren.
Ausgewogenheit der Standpunkte
- Ein ausgewogener Artikel beschreibt den Gegenstand des Lemmas und nachfolgend die damit verbundenen unterschiedlichen Standpunkte.
- Bei umstrittenen Themen kann es sinnvoll sein, neben den eher befürwortenden Positionen auch entgegengesetzte Standpunkte darzustellen. Der Grundsatz der kritischen Quellenauswertung ist dabei immer einzuhalten.
- Mehrere verschiedene beziehungsweise sich widersprechende Standpunkte können in einem Artikel beschrieben werden. Faktische und interpretatorische Darstellungen sind dabei bestenfalls klar als solche zu kennzeichnen und voneinander abzugrenzen.
- Die adäquate Darstellung des Lemmas und von Argumenten hat Vorrang vor dem Bestreben, konkurrierende Sichtweisen möglichst im gleichen Umfang wiederzugeben.
- Im besten Fall sind alle bekannten Standpunkte zu erwähnen, die von beträchtlichen Teilen der Bevölkerung oder von den maßgeblichen Wissenschaftlern eines Fachgebiets aktuell vertreten werden.
Sachlichkeit der Darstellung
- Ein enzyklopädischer Artikel ist in einem durchgehend sachlich-neutralen, d. h. nicht in emotiven Ton gefasst.
- Ein enzyklopädischer Artikel enthält sich, für oder gegen Standpunkte Stellung zu beziehen. Vielmehr wird darin erwähnt, welche relevanten Personen, (weltanschaulichen) Gruppen, Religions- und Wissenschaftsvertreter etc. welche Standpunkte vertreten.
- Standpunkte dürfen weder ungebührlich akzentuiert noch apodiktisch noch mit ausweichenden Formulierungen, wie etwa „Es wird allgemein angenommen, X gelte...“ dargestellt werden. Um eine schwerlich zu beweisende Absolutsetzung zu vermeiden, empfiehlt es sich, beispielsweise statt „X gilt“ einleitend „Für X spricht, ...“ zu schreiben.
- Um eine möglichst „neutrale“ Darstellung eines Lemmas nicht zu beeinträchtigen, werden Wikipedia-Autoren, die eine deutlich emotionalisierte Haltung zu bestimmten Themen zeigen, gebeten, diesbezüglich auf eine Mitarbeit zu verzichten.
Vorgehen
Inhaltliche Fragen
- Was ist Faktum, was ist Wertung?
- Als Fakten kann man Aussagen formulieren, die in der Fachwelt akzeptiert sind: beispielsweise etablierte naturwissenschaftliche Erkenntnisse oder mathematische Aussagen (Satz des Pythagoras, Elemente, Gravitation) sowie statistische Daten, etwa über die Einwohnerzahl eines Landes oder den Geschäftsverlauf eines börsennotierten Unternehmens.
- Werturteile sind Aussagen, die nicht beschreibend (deskriptiv), sondern vorschreibend (präskriptiv oder normativ) sind. Da kein Schluss vom Sein auf das Sollen möglich ist (naturalistischer Fehlschluss, Humes Gesetz), sind diese Urteile immer subjektiv. Man kann nur empirische Aussagen überprüfen, nicht aber normative. Für ein Lexikon sind Urteile daher per se problematisch. Abhängig von der Bedeutung der urteilenden Instanz können sie aber als Information (Faktum) selbst wieder zum Artikelgegenstand werden. In jedem Fall müssen Urteile von Fakten getrennt und als solche ausgewiesen werden.
- Wie schildere ich Standpunkte?
- Werturteile müssen zwingend maßgeblichen Instanzen zugeordnet werden (der Autor urteilt niemals selbst). Besonders bei umstrittenen Themen ist es wichtig, Standpunkte zuzuordnen. Bei einem Thema der deutschen Politik will der Leser vielleicht wissen, welche Position die CDU und welche die SPD vertritt. Hier können auch besonders prägnante Meinungen wörtlich zitiert werden.
- Wichtig ist, Meinungen konkret wiederzugeben und sie in den Zusammenhang einzuordnen. Beispiel: Der Satz: Softwarepatente werden von vielen Menschen abgelehnt ist zu unkonkret. – Wer sind denn die vielen?, wird sich der Leser fragen. Besser, weil konkret und in den Kontext eingeordnet: Softwarepatente werden von vielen Programmierern – vor allem aus den Reihen der Open-Source-Bewegung – abgelehnt, während große Konzerne wie Microsoft ihre Verankerung in einer EU-Richtlinie fordern.
- Was ist unparteiische Darstellung?
- Um den neutralen Standpunkt zu wahren, müssen Wertungen ausgewogen sein und alle maßgeblichen Standpunkte repräsentieren (es darf kein verstecktes Werturteil durch die Auswahl oder Gewichtung einzelner Sichtweisen erfolgen). Zur unparteiischen Darstellung gehört also in erster Linie, die Sichtweisen und Argumente aller Seiten angemessen zu schildern, das heißt, sowohl vom Umfang her eine Ausgewogenheit zu wahren, als auch in der Wortwahl keine (implizite) Wertung vorzunehmen. Es ist der Neutralität auch nicht förderlich, Pro- und Kontralisten in den Artikel einzubauen, um eine scheinbare Unparteilichkeit zu erzeugen, da gerade in politischen Fragen viele Argumente unter Berücksichtigung verschiedener Nebenaspekte von beiden Seiten verwendet werden. Die Kunst besteht hier in der Konzentration auf das Wesentliche.
- Insbesondere ist die lediglich auf Außenwirkung bedachte Selbstdarstellung von Behörden, Institutionen, Parteien, Unternehmen, Vereinen, Personen etc. in der Wikipedia ausdrücklich unerwünscht. Gleiches gilt für Darstellungen, die die Rufschädigung Dritter durch falsche Tatsachenbehauptungen, Verbreiten von Gerüchten und Spekulationen, sinnentstellende Zitatwahl u.ä. zum Ziel haben. Dieses Verhalten wird in schweren Fällen als Vandalismus gewertet und dementsprechend verfolgt.
- Inwieweit empfiehlt es sich, Minderheitenmeinungen zu erwähnen?
- Wenn z. B. eine wissenschaftliche Theorie in der Fachwelt nur von einem Professor und dessen drei Assistenten anerkannt wird, darf die Darstellung dieser abweichenden Haltung nicht in gleichem Umfang geschildert werden, wie die etablierten Positionen. Dies gilt natürlich nur für Mindermeinungen, nicht für so begrenzte Themen, bei denen die Ansicht des Autors die einzig existierende wissenschaftliche Meinung ist.
- Wenn Minderheitenmeinungen bereits historisches Gewicht haben, dadurch dass sie öffentlich entsprechend häufig diskutiert werden, ist es angebracht, die betreffenden Standpunkte und ihre Diskussion sowie die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen usw. Auswirkungen in angemessenem Umfang zu erwähnen.
- Beispiel: Die theoretische und praktische Forschung über die Möglichkeiten extraterrestrischen Lebens gegenüber den Berichten von UFO-Sichtungen und Kontakten mit Außerirdischen; die beiden letzteren nehmen einen gewissen Minderheitenstatus ein.
Wortwahl und Formulierung
Die Wahl der Worte ist wichtig. Bereits ein einzelnes Wort in einem Satz kann die Sachlichkeit zerstören und den Satz zu einer tendenziösen Aussage machen. Ein Beispiel: Im Satz Er hat es versäumt, die Öffentlichkeit zu informieren ist es das Wort versäumt. Es impliziert und unterstellt eine nachlässige Haltung, die zu diesem angeblichen Versäumnis führte. Der Satz kann auch ohne das Wort versäumt geschrieben werden. Die Formulierung Er hat die Öffentlichkeit nicht informiert ist neutraler, da aus ihr nicht hervorgeht, weshalb er sie nicht informiert hat. Ein weiteres Beispiel: Sie informieren immer noch nicht impliziert, dass sie es längst hätten tun müssen, womöglich aufgrund eines Gesetzes o. Ä. Sie informieren nicht ist neutraler. Es geht um Nuancen.
Mit der Wortwahl kann der Autor den Leser manipulieren. Es gibt Autoren, die sich dessen nicht bewusst sind, und Autoren, die diese Möglichkeit bewusst und gezielt einsetzen. Es gibt Leser, die zu wenig Sprachgefühl haben, um diese Nuancen zu spüren, Leser, die sich deutlich manipuliert fühlen, aber auch Leser, die manipuliert werden, ohne sich dessen bewusst zu werden.
Wörter wie oft, selten, viele, wenige sind ungenau, und was wenig ist, hängt oft vom Standpunkt ab. Beispiel: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Neutraler sind numerische Quantifizierungen, also Zahlenangaben: Das Glas hat ein Fassungsvermögen von 2 dl und ist mit 1 dl Flüssigkeit gefüllt. Ebenso Statistiken: Das Glas hat ein Fassungsvermögen von 2 dl und die Messungen im 10-Minuten-Abstand ergaben: 1,4 dl, 1,3 dl, 1,1 dl, 1,0 dl, 0,9 dl, 0,7 dl, 1,7 dl. Der Leser kann sich somit dann selber sein Bild von der Realität machen.
Strukturierung
In vielen Fällen gibt es den Kern eines Phänomens, der von (fast) allen Akteuren unbestritten gesehen wird, während es darüberhinaus kontroverse Aspekte oder Bewertungen des Phänomens gibt. In diesen Fällen empfiehlt es sich zunächst die unumstrittenen Aspekte darzustellen und im folgenden dann in einem separaten Abschnitt die Rezeption des Phänomens aus der Sicht der verschiedenen relevanten Akteure darzustellen. Dieser Abschnitt sollte ausdrücklich nicht nur negative Beurteilungen umfassen, sondern alle relevanten Stimmen umfassen, die in Extremfällen (zum Beispiel Ōmu Shinrikyō) natürlich durchweg negativ ausfallen können.
Statistiken und Zahlenangaben
Statistiken drücken Sachverhalte in Zahlen aus, sie sind deswegen aber nicht grundsätzlich sachlich. Die Probleme beginnen einerseits dort, wo man festlegt, was überhaupt gemessen werden soll, und hören dort auf, wo die Messwerte ausgewertet, zusammengefasst und mit Sätzen kommentiert werden.
Generell gilt: Wer eine Statistik bringt, sollte immer eine Quellenangabe beifügen.
Was tun bei nichtneutralen Texten?
Hier gibt es mehrere Möglichkeiten:
- Wer das Thema ausreichend kennt, kann den Artikel entsprechend umschreiben/erweitern.
- Eine andere, höflichere Möglichkeit ist, die nicht neutral erscheinenden Teile auf die Diskussionsseite auszulagern mit einer – bestenfalls argumentativ schlüssigen – Bitte an den Autor, sie umzuformulieren.
- Die Ultima ratio bei Artikeln, die als nicht „neutralisierbar“ erscheinen, ist, einen Löschantrag zu stellen. In diesem Fall ist auf den Löschkandidaten zu begründen, warum eine Überarbeitung nicht möglich oder sinnvoll ist, damit andere Personen den Grund des Löschantrags nachvollziehen können.
Auf keinen Fall dürfen Passagen kommentarlos gelöscht bzw. revertiert werden.
Artikel, in denen ein oder mehrere Standpunkte nur ungenügend erklärt werden, lassen sich nicht dadurch neutraler gestalten, indem man den Gegenstandpunkt kürzt. Stattdessen sollte darauf hingewirkt werden, dass der nur ungenau erklärte Standpunkt besser begründet und ausformuliert wird.
Es empfiehlt sich, besonders gefährdete und umstrittene Artikel, in die wiederholt nichtneutrale Passagen eingefügt werden, auf Beobachtungskandidaten zu verlinken, von wo aus sie von mehr Benutzern längerfristig beobachtet werden.
Artikel, die einige als nicht neutral betrachten und die sich nicht ohne Weiteres umschreiben lassen, kann man mit dem Baustein "{{Neutralität}}" kennzeichnen, der auf diese Seite linkt. Das Ganze sieht dann so aus:
![]() |
Die Neutralität dieses Artikels oder Absatzes ist umstritten. Die Gründe stehen auf der Diskussionsseite. Entferne diesen Baustein bitte erst, wenn er nicht mehr nötig ist! |