Türkische Verfassung von 1961
Die Türkische Verfassung von 1961 (1961 Anayasası) war vom 20. Juli 1961 bis zum 7. November 1982 die Verfassung der Republik Türkei.
Sie bestand aus 157 Artikeln und gilt heute als demokratischste Verfassung der Türkei. So bestand ca. ein Drittel dieser Verfassung aus Grundrechten und -pflichten (Art. 10-62).
Außerdem wurden unter anderem die Gewaltenteilung eingeführt, ein Zweikammernparlament (Große Nationalversammlung) - bestehend aus dem Senat der Republik (Cumhuriyet Senatosu) und der Nationalversammlung (Millet Meclisi) - erschaffen und ein Verfassungsgericht eingerichtet.
Entstehungsgeschichte
Militärputsch
In den fünfziger Jahren kam es zwischen den politischen Lagern, insbesondere der Regierungspartei (DP) und der Opposition (CHP) zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen. Die Regierung unter dem Ministerpräsidenten Adnan Menderes nahm zunehmend autoritäre und repressive Züge an, brach mit dem Laizismus, unterdrückte die Opposition und die wirtschaftliche Lage im Land verschlechterte sich.
Am 27. Mai 1960 putschte schließlich das türkische Militär und das Komitee der Nationalen Einheit übernahm die Regierung.
Ausfertigung und In-Kraft-Treten
Noch am Tag des Putsches wurden die Juristen Sıddık Sami Onar, Hıfzı Veldet Velidedeoğlu, Naci Şensoy, Ragıp Sarıca, Tarık Zafer Tunaya, Hüseyin Nail Kubalı und İsmet Giritli nach Ankara gebracht, um die Grundprinzipien einer neuen Verfassung auszuarbeiten. Am 28. Mai 1960 schlossen sich die Juristen Muammer Aksoy, İlhan Arsel und Bahri Savcı den Arbeiten an.
Am 13. Dezember 1960 wurde eine Verfassunggebende Versammlung einberufen. In der Folgezeit wurden sowohl von der juristischen Fakultät der Universität Ankara, als auch von der Universität Istanbul der sogenannte Ankara- bzw. Istanbul-Entwurf angefertigt.
Am 9. Januar 1961 entschied sich die Verfassunggebende Versammlung, dass der Istanbul-Entwurf als Studientext und der Ankara-Entwurf als Hilfstext dienen sollten. Am 9. März 1961 wurde der von der Verfassunggebenden Versammlung fertiggestellte Entwurf dem Repräsentantenhaus und später dem Komitee der Nationalen Einheit vorgelegt. Schließlich stimmte die Verfassunggebende Versammlung am 27. Mai 1961 mit 260 Pro-Stimmen und zwei Enthaltungen für den Entwurf, welcher am 9. Juli 1961 durch 61,5% der Stimmen in einem Volksentscheid bestätigt wurde[1] und am 20. Juli 1961 in Kraft trat.
Erneute Militärintervention
Ende der sechziger Jahre kam es zu Ausschreitungen zwischen rechten und linken Lagern und die Wirtschaftslage verschlechterte sich erneut. So intervenierte das Militär am 12. März 1971 zum wiederholten Mal und forderte die Politik zur Verfassungsänderung auf. Durch diese Änderungen (1971-1973) wurden unter anderem die Kompetenzen der Exekutive gestärkt, die Grundrechte beschränkt und die Militärgerichtsbarkeit ausgebaut.
Aufbau
Allgemeine Grundsätze
- I. Staatsform
- II. Wesenszüge der Republik
- III. Unteilbarkeit des Staates; seine Amtssprache; sein Regierungssitz
- IV. Souveränität
- V. Gesetzgebende Gewalt
- VI. Vollziehende Gewalt
- VII. Richterliche Gewalt
- VIII. Vorrang und Verbindlichkeit der Verfassung
- IX .Unabänderlichkeit der Staatsform
Grundrechte und -Pflichten
- Abschnitt I - Allgemeine Vorschriften
- I. Das Wesen und der Schutz der Grundrechte
- II. Der Wesenskern der Grundrechte
- III. Gleichheit
- IV. Stellung der Ausländer
- Abschnitt II - Die Rechte und Pflichten der Einzelperson
- I. Unantastbarkeit der Person
- II. Schutz des Privatlebens
- III. Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit
- IV. Gedanken- und Glaubensfreiheit
- V. Freiheit von Kunst und Wissenschaft
- VI. Vorschriften über Presse und Veröffentlichungen
- VII. Versammlungsrecht und -freiheiten
- VIII. Vorschriften über den Rechtsschutz
- Abschnitt III - Soziale und wirtschaftliche Rechte und Pflichten
- I. Schutz der Familie
- II. Eigentumsrechte
- III. Arbeits- und Vertragsfreiheit
- IV. Die Regelung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens
- V. Vorschriften über die Arbeit
- VI. Soziale Sicherheit
- VII. Das Recht auf ärztliche Betreuung
- VIII. Erziehung
- IX. Förderung des Genossenschaftswesens
- X. Schutz der Landwirtschaft und der Bauern
- XI. Der Umfang der wirtschaftlichen und sozialen Pflichten des Staates
- Abschnitt IV - Politische Rechte und Pflichten
- I. Staatsbürgerschaft
- II. Aktives und passives Wahlrecht
- III. Vorschriften über politische Parteien
- IV. Das Recht auf Aufnahme in den öffentlichen Dienst
- V. Das Recht und die Pflicht, zu der Verteidigung des Vaterlandes beizutragen
- VI. Steuerpflicht
- VII. Das Petitionsrecht
Die Grundstruktur der Republik
- Abschnitt I - Die gesetzgebende Gewalt
- A. Die Große Nationalversammlung
- B. Gemeinsame Vorschriften für beide Gesetzgebungskörperschaften
- C. Gesetzgebung
- Abschnitt II - Die vollziehende Gewalt
- A. Der Präsident der Republik
- B. Der Ministerrat
- C. Die Verwaltung
- D. Wirtschaftliche und fiskalische Vorschriften
- Abschnitt III Die Rechtsprechung
- A. Allgemeine Vorschriften
- B. Die höheren Gerichte
- C. Der Hohe Richterausschuß
- D. Der Verfassungsgerichtshof
Vermischte Vorschriften
- I. Schutz der Reformgesetze
- II. Das Amt für religiöse Angelegenheiten
Übergangsvorschriften
- I. Wahl und Zusammentritt der Türkischen Großen Nationalversammlung
- II. Ende der rechtlichen Existenz der Verfassunggebenden Versammlung, des Komitees der Nationalen Einheit und der Repräsentantenversammlung; Revolutionsmaßnahmen
- III. Die Wahl des Präsidenten der Republik
- IV. Die Bildung des Ministerrates
- V. Die von der Verfassung vorgeschriebenen Organe, Einrichtungen und beratenden Ausschüsse
- VI. Auslosung im ersten Senat der Republik
- VII. Wählbarkeit der Amnestierten
Schlussbestimmungen
- I. Die Verfassungsänderung
- II. Präambel und Rahmentitel
- III. Inkrafttreten der Verfassung
Einzelnachweise
- ↑ Hakkı Keskin: Die Türkei: Vom osmanischen Reich zum Nationalstaat: Werdegang einer Unterentwicklung. 1981, ISBN 9783883957081, S. 151.
Literatur
- Kemal Gözler: Türk Anayasa Hukukuna Giriş. Ekin Basım Yayın Dağıtım, Bursa 2008, ISBN 978-9944-141-37-6.