Brachyurie
Als Brachyurie (griech. ourá = der Schwanz; nicht zu verwechseln mit ouron = der Harn) wird eine angeborene Verkürzung des Schwanzes bei Tieren bezeichnet. Die vollständige Abwesenheit des Schwanzes wird als Schwanzlosigkeit oder Anurie bezeichnet.
Vorkommen
Brachy- und Anurie kommt bei Hunden (dort als Stummelrute bezeichnet), Katzen, Schweinen, Rindern, Schafen und Hühnern vor. Häufigkeit, Erbgang und klinische Bedeutung sind dabei je nach Spezies und Rasse unterschiedlich.
Hund
Brachyurie beim Hund wird als Stummelrute bezeichnet. Ausprägungen reichen von einer leichten Verkürzung bis hin zu völliger Anurie, mit oder ohne Verkrüppelung des Schwanzes (Knickrute, "Korkenzieherschwanz).
Brachyurie und/oder Anurie wird bei verschiedenen Rassen als Bestandteil des Standards angesehen (z.B. Entlebucher Sennenhund, Englische Bulldogge, Mops, Old English Sheepdog, English Cocker Spaniel, Welsh Corgi Pembroke und Schipperke. Knickruten und Korkenzieherschwänze treten bei gewissen Rassen ebenfalls gehäuft auf, z.B. Dackel.
Krankheitswert
Brachy- und Anurie wird polygen autosomal rezessiv vererbt und ist mit verschiedenen Fehlbildungen der Wirbelsäule vergesellschaftet. Es können Blockwirbel, Keilwirbel oder Schmetterlingswirbel auftreten; desgleichen Spina bifida. Dadurch kann die Entwicklung des Rückenmarks gestört sein, so dass es zu neuologischen Störungen der hinteren Körperhälfte kommt (Paraparese, Paraplegie, Harn- und/oder Kotinkontinenz).
Von einem Zuchteinsatz betroffener Hunde ist aus genetischer und tierschützerischer Sicht abzuraten. In Rassen, bei denen Brachy- und Anurie im Standard gefordert werden, ist pragmatischerweise eine Röntgenuntersuchung der Wirbelsäule durchzuführen, um das Vorliegen von assoziierten Fehlbildungen auszuschliessen.
Katze
Brachy- und Anurie treten sporadisch bei allen Katzenrassen auf. Im Standard gefordert werden sie unter anderem bei Manxkatze, Japanese Bobtail und Kurilen Bobtail.
Krankheitswert
Der Schwanz dient bei Katzen sowohl zur Balance beim Laufen und Klettern als auch als Kommunikationsmittel. Kurzschwänzige und schwanzlose Katzen sind in ihren Kommunikationsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Es treten auch Störungen der normalen Bewegungsabläufe auf. Bei der Manxkatze sind Brachy- und Anurie daneben häufig mit Fehlbildungen des Beckens und der Wirbelsäule vergesellschaftet, wobei das Ausmass der Defekte an die Schwanzlänge gekoppelt zu sein scheint. Ausserdem kann es zu Fehlbildungen des Gehirns (Anenzephalie) und zu einem ausgeprägten Exophthalmus kommen.
Genetisch liegt bei Bobtailkatzen ein einfach autosomal dominanter Erbgang mit unvollständiger Penetranz und variabler Expressivität vor, der homozygot letal wirkt. Der Erbgang bei anderen Rassen ist nicht geklärt. Das bewusste Züchten von schwanzlosen und stummelschwänzigen Katzen erfüllt den Tatbestand der Qualzucht.
Literatur
- Herzog, A. (2001): Pareys Lexikon der Syndrome - Erb- und Zuchtkrankheiten der Haus- und Nutztiere. Parey Buchverlag, Berlin, ISBN 3-8263-3237-7 s. 67 f.