Systemtheorie
Der Begriff Systemtheorie bezeichnet eine universelle Theorie, die Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten unterschiedlicher Systeme mit Hilfe einheitlicher Begriffe und Werkzeuge verstehbar und bearbeitbar zu machen versucht. Der Begriff Systemtheorie ("General Systems Theory") stammt von Ludwig Bertalanffy. Oft synonym verwendete Bezeichnungen sind Kybernetik, Theorie der Selbstorganisation oder Konstruktivismus. Unter dem Begriff Systemtheorie lässt sich eher ein Forschungsprogramm verstehen, als eine konsolidierte Gesamtheit von Grundbegriffen, Axiomen und abgeleiteten Aussagen. Systemtheorie ist somit auch keine eigene Disziplin, sondern eher ein interdisziplinärer Diskurs.
Bertalanffys Systemtheorie bildete mit der Informationstheorie von Claude Shannon und Warren Weaver sowie der Kybernetik Norbert Wieners ein Wissenschaftsmodell, das in den verschiedensten wissenschaftlichen Bereichung Anwendung fand. Das Modell liefert eine einheitliche, formalisierte Darstellung von Verhaltensweisen komplexer Systeme, die sich mathematische modellieren lässt.
Heute bezeichnet man als Systemtheorie - genauer Allgemeine Systemtheorie - einen interdisziplinären, universellen Forschungsansatz, der neben physikalischen und biologischen auch psychische und soziale Phänomene erklären will. Der Ansatz gründet auf unterschiedlichen Wissenschaftszweigen, etwa Kybernetik und Informatik, Physik, Biologie, Logik und Mathematik, Psychologie, Neurophysiologie, Ethnologie, Sozilogie, Semiotik und Philosophie. Unter dem Rubrum Systemtheorie fanden Themen, die in den Bereichen Kybernetik (Heinz von Foerster), mathematische Informationstheorie und Ingenieurswissenschaften ("Systems Engineering") betrachtet wurden, auch Eintritt in andere Wissenschaftsgebiete, etwa die Biologie (Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela), die Psychologie (Günter Schiepek), die Wirtschaftswissenschaften (Dirk Baecker), die Rechtswissenschaften (Niklas Luhmann) oder die Soziologie (Niklas Luhmann).
Begriffe der Systemtheorie
Grundbegriff der Systemtheorie ist das "System" (nach gr. to systeme = Zusammenstellung), dessen Vorhandensein quasi als Grundaxiom betrachtet werden kann. ein System ist wie folgt definiert:
1. Ein System ist begrenzt und abgrenzbar (System/Umwelt-Differenz). Es besteht aus einer Systemgrenze ("Boundary"), einem Systemkern, Systemelementen, dem Zusammenwirken dieser Elemente sowie aus Energie oder Signalen, die entweder in das System oder aus dem System hinaus portiert werden. Alles außerhalb der Systemgrenze Liegende ist nicht Teil des Systems, sondern dessen Umwelt.
2. Ein System ist eine Menge von Elementen, die in einem abgrenzbaren Bereich so zusammenwirken, das dabei ein vollständiges, sinnvolles, zweck- und zielgerichtetes Zusammenwirken in funktionellem Sinne erzielbar wird.
Weitere Begriffe:
- Rückkopllungsschleifen, Kontingenzreduktion, Autopoiesis, Information, Codierung, Selbstorganisation, doppelte Kontingenz
Fachdisziplinen
- Artifizielles Leben
- Biokybernetik und Systeomik
- Bionik
- Chaostheorie
- Dialektische Systemtheorie
- Informationstheorie
- Künstliche Intelligenz (KI)
- Management (Gründung, Entwicklung, Stabilisierung und Veränderung von Organisationen und Unternehmen zum Zwecke der Erringung von Vorteilen)
- Medizinische Kybernetik
- Operations Research
- Organisationslehre
- Soziologische Systemtheorie
- Soziales System
- Systemdenken
- Systemfehler
- Systemregeln
- Systemtheorie in der Elektrotechnik
- Regelungstechnik (Regelung komplexer technischer Vorgänge)
- Schaltungstheorie (Systeme aus elektronischen Bauelementen)
- Systemtheorie der Evolution
- Systemtheorie der Viergliederung
- Systemische Psychologie
- Viable Systems Theory
Gebiete, die Systemtheorie nutzen
- Biologie, insbesondere Systeomik
- Elektrotechnik
- Futurologie
- Geowissenschaften
- Informatik
- Medizin
- Ökologie
- Philosophie
- Planung
- Politikwissenschaft
- Raumfahrt
- Rüstungsindustrie
- Soziologie
Beispiele
Im folgenden einige Beispiele für systemtheoretisches Denken aus der Ingieneurswissenschaft. Diesen Beispielen ist gemein, dass sie sich mit derselben Art von Differentialgleichungen lösen lassen. Diese Verwendung eines universellen Werkzeugs zur Lösung verschiedener, zunächst nicht verwandt erscheinender Problemen ist Teil des "systemtheoretischen" Denkens.
- Beschreibung von Schwingungen (und deren Fortpflanzung), z.B.
- Luft (Akustik),
- Wärme (Thermodynamik),
- Elektronen (Elektrotechnik),
- elektromagnetische Wellen,
- Geräten (z.B. mechanischen Federn),
- Beschreibung des Verhaltens elektrischer Schaltkreise,
- Beschreibung mechanischer Vorgänge (z.B. Verteilung von Kräften).
Siehe auch Systemtheorie (Elektrotechnik).
Literatur
- Dirk Baecker (2005) Schlüsselwerke der Systemtheorie Wiesbaden. VS Verlag
- Kybernetik: Norbert Wiener (1894-1964) Cybernetics (1948) (Mitbegründer sowie Erfinder des Wortes Kybernetik)
- Theorie der Nachrichtenübertragung: Claude Shannon (1916-2001) A mathematical theory of communication (1948) und Warren Weaver
- Theorie der Automaten: John von Neumann (1903-1957)
- Theorie der formalen Sprachen: Noam Chomsky (*1928)
- Theorie der dissipativen Systeme: Ilya Prigogine (*1917)
- Theorie der Synergetik: Hermann Haken (*1927)
- Chaostheorie
- Theorie der Autopoiese: Humberto Maturana und Niklas Luhmann (1927-1998) Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie (1984)
- Buckminster Fuller (1895-1983) Architekt
- Heinz von Foerster Mitbegründer der Kybernetik
- Talcott Parsons Begründer der handlungstheoretischen Variante der soziologischen Systemtheorie
- Niklas Luhmann Begründer der kommunikationstheoretischen Variante der soziologischen Systemtheorie
- Johannes Heinrichs Logik des Sozialen, Woraus Gesellschaft entsteht, Aktualisierte Neuauflage von: Reflexion als soziales System, Varna u.a.O. 2005
- Frederic Vester Theorie des 'vernetzten Denkens'
- Daniel Durand (1979) La systémique, Presses Universitaires de France
- Ludwig von Bertalanffy (1968). General System Theory: Foundations, Development, Applications New York: George Braziller
- Gerald M. Weinberg (1975) An Introduction to General Systems Thinking (1975 ed., Wiley-Interscience) (2001 ed. Dorset House).
- Christoph Trautwein Hierarchische Simulation in Systemen, erste Papers 1985.
- Norbert Bischof: Struktur und Bedeutung, 1998, ISBN 3456830807 (Systemtheorie für Psychologen, mit einer sehr leicht verständlichen Einführungen in die Operatorenrechnung, Z-Transformation usw.)
- Dieter M. Imboden, Sabine Koch: Systemanalyse, 2003, ISBN 3540439358 (Mathematik mit Witz)
Weblinks
- Crashkurs konstruktive Systemtheorie
- Systemtheorie Hausarbeit
- Netzwerk Systemische Beratung
- Systemtheorie in Annettes Philosophenstübchen
- Glossar zentraler Begriffe der Systemtheorie
- http://www.sozialarbeit.ch
- http://www.johannesheinrichs.de
Studium
- Systemwissenschaft an der Universität Osnabrück studieren
- zum Selbststudium: http://www.tu-harburg.de/et8/lehre/Systemtheorie_I.html
- Übungsaufgaben: http://www.tu-harburg.de/et8/lehre/uebungsunterlagen_sys.html (hierzu gibt es auch Musterlösungen, aber noch nicht online - Mail an Benutzer:JensBenecke!)
- zum Selbststudium: http://www.et2.tu-harburg.de/lehre/SystemtheorieII/