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Die Brück’ am Tay

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Historische Abbildung der ersten Firth-of-Tay-Brücke

Die Brück' am Tay ist eine 1880 geschriebene Ballade von Theodor Fontane, die eine Eisenbahnkatastrophe zum Thema hat und als Mahnung vor technikgläubiger Selbstüberhebung gilt.

Hintergrund

Brücke am Tay

Fontane, der auch Schottland bereist hatte, bezog neben sehr realistischen Einzelzügen zum Kontrast auch literarische schottische Motive ein, so die Verabredung der Hexen aus Shakespeares Macbeth. Sein Fazit legt er einer von ihnen in den Mund:

„Tand, Tand, Ist das Gebilde von Menschenhand.“

Theodor Fontane

Tand steht hier für ein hübsches Ding, das keinen Wert hat, womit in diesem Fall die Brücke gemeint ist, die der Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts entsprach.

Der deutsche Ingenieur und Schriftsteller Max Eyth behandelte die technischen Probleme des Brückenunglücks am Tay in seinem Buch „Hinter Pflug und Schraubstock" in dem Kapitel „Die Brücke über die Ennobucht":

„Das Schlimmste war nicht die einfache Tragfähigkeit. ... Aber in völligem Dunkel war man mit der Berechnung des Luftdrucks gegen die ganze Struktur. Bruce, der Konstrukteur der Brücke, wollte hiervon überhaupt nichts wissen. ,Wind! Wind!' rief er, wenn ich auf das Kapitel zu sprechen kam; ,was sechs schwere Lokomotiven freischwebend trägt, wirft kein Wind um!'“

Max Eyth: „Hinter Pflug und Schraubstock"[1]

Die Brücke am Tay war ein relativ hohes Bauwerk, das dem Wind eine große Angriffsfläche bot und darum bei den ersten Winterstürmen einstürzte. Max Eyth lässt den verantwortlichen Ingenieur Stoß einräumen, dass man beim Bau viel zu wenig über den Luftdruck eines Sturms wusste und dass er seinem künftigen Schwiegervater, dem Konstrukteur der Brücke, nicht widersprechen wollte:

„In den letzten Tagen, in denen die Berechnungen zum Abschluß kamen, auf denen das ganze Brückenprojekt aufgebaut ist, hatte ich noch einen lebhaften Kampf mit mir selbst. Welchem Sicherheitskoeffizienten darf ich trauen? Nicht bloß das Brückenprojekt, auch was ich damals für mein höchstes Erdenglück hielt und was es geworden ist, hing an der Antwort. Wenn ich so rechnete, daß Bruce die Sache annehmbar fand, konnte ich seine Tochter zur Frau erbitten. Ich entschied mich für einen niederen Koeffizienten. Am folgenden Tag waren Ellen und ich ein Brautpaar.“

Max Eyth: „Hinter Pflug und Schraubstock"[2]
die eingestürzte Brücke

Als das Unglück am 28. Dezember 1879 bekannt wurde schrieb Fontane innerhalb weniger Tage die Ballade von der Brück’ am Tay und verknüpfte sie mit mythologischen Aspekten in Shakespeares Macbeth. Fontane zeigte dabei deutlich seine skeptische Einstellung gegenüber dem technischen Fortschritt. Am 15. Januar 1880 schrieb Fontane in einem Brief an seine vertraute Briefpartnerin Mathilde von Rohr:

„Letzte Woche hab ich in No. 2 der ‚Gegenwart‘ ein Gedicht publicirt: ‚Die Brück' am Tay‘, in dem ich den furchtbaren Eisenbahnunfall bei Dundee balladesk behandelt habe. [...] Es hat hier eine Art Sensation gemacht, vielleicht mehr als irgend was, was ich geschrieben habe. Sonntag über 14 Tage wird es Kahle in einem Singakademie-Concert vortragen.“

Theodor Fontane am 15. Januar 1880 an Mathilde von Rohr: [3]

Fontanes Quelle über das Unglück waren zwei Berichte der „Zürcherischen Freitagszeitung" im Januar 1880. Sie lauteten folgendermaßen:

„Während eines furchtbaren Windsturmes brach am 28. Dezember 1879 nachts die große Eisenbahnbrücke über den Taystrom in Schottland zusammen, im Moment, als der Zug darüberfuhr. 90 Personen, nach anderen Angaben 300, kamen dabei ums Leben; der verunglückte Zug hatte sieben Wagen, die fast alle besetzt waren, und er stürzte über 100 Fuß tief ins Wasser hinunter. Alle 13 Brückenspannungen sind samt den Säulen, worauf sie standen, verschwunden. Die Offnung der Brücke ist eine halbe englische Meile lang. Der Bau der Brücke hat seinerzeit 350 000 Pfund Sterling gekostet, und sie wurde im Frühjahr 1878 auf ihre Festigkeit hin geprüft. Bis jetzt waren alle Versuche zur Auffindung der Leichen vergeblich.
Die Brücke von Dundee in Schottland über die Mündung des Tay war eines der gewagtesten und großartigsten Projekte. Für senkrechten Druck vollständig richtig berechnet, zog sie sich, in ihrer Länge fast wie ein Drahtseil anzusehen, in schwindelnder Höhe über den Wasserspiegel. In der Silvesternacht herrschte ein so furchtbarer Sturm, daß die Anwohner es für eine Vermessenheit hielten, wenn der Edinburger Zug die Brücke überqueren würde. Er wagte es; aber nach kurzer Zeit sah man einen Kometenschweif ins Meer versinken. Die Brücke war gebrochen, und der ganze Zug verschwand spurlos in der Tiefe; auch nicht eine Seele erreichte das jenseitige Ufer. Selbst später fand man in den Wagentrümmern nur noch eine Leiche, alle anderen waren ins Meer weggespült worden. Offenbar hat der Seitendruck, welchen der Orkan ausübte, die Brücke gebrochen und den Zug ins Wasser geworfen.“

Zürcherische Freitagszeitung vom 2. und 9. Januar 1880: Max Eyth: „Hinter Pflug und Schraubstock"[4]

Max Eyth beging zusammen mit dem Brückenwärter Knox, dessen Sohn Georg (in Fontanes Ballade heißt er Johnie) Lokomotivführer des Unglückszuges war, die Brücke, nachdem Knox festgestellt hatte, dass von der anderen Seite der Bucht keine telegrafische Meldung mehr ankam. Da er wusste, dass die Telegrafendrähte in die Brückenbalken eingelassen waren, vermutete er, dass die Brücke gebrochen sei. Und dann beschreibt Max Eyth wie sie das Unglück entdeckten:

„Knox berührte jetzt mich, wie ich ihn vor wenigen Minuten berührt hatte. ,Sehen Sie etwas?' fragte er, nach der bleigrauen, weißgefleckten Wasserfläche deutend. ,Da drunten liegt alles: die Gitterbalken, der Zug, die hundert Reisenden, die Lokomotive, mein Georg! Dreißig Fuß unter Wasser. Es ist alles vorüber. Und wie es sich so ruhig ansieht!'“

Max Eyth: „Hinter Pflug und Schraubstock"[5]
Datei:Tay Rail Bridge 2005-06-14 (full length).jpg: Bitte eine Gesamtbreite ohne Einheit angeben.Vorlage:Panorama/Wartung/Breite mit Einheit

Gleichzeitig hören sie einen lauten Schlag von unten. Es waren Eisenstangen des letzten stehenden Pfeilers, die der Wind hin und her schlug. Knox macht sich nun Gedanken über das Geschehen:

„,Er führte die Lokomotive, mein Georg', begann Knox aufs neue und lehnte sich neben mir auf das Geländer, wie wenn er zu einem gemütlichen Gespräch aufgelegt wäre. ,Ich fürchte, er ist etwas zu schnell gefahren. Ich weiß, es ist gegen die Vorschriften; die Herren trauten der Brücke selbst nicht ganz. Aber gestraft wird er nicht mehr, das hat ein Ende. Und dann die losen Keile in den Zugstangen, und der Höllensturm! Man kann sich denken, wie es kam, jetzt, seit es zu spät ist. — Er war ein guter Sohn, mein Georg; ich hoffe, er hat nicht lange leiden müssen.' Er schwieg und sah starr ins Wasser hinab. ,Wenn man denkt, was jetzt alles drunten liegt!' fuhr er fort. ‚Gelitten hat er nicht lange, das ist ein Trost. 's ist Flutzeit. Die Lokomotive mit dem ganzen Zug in den Gitterbalken gut fünfzig Fuß unter Wasser: fünf Wagen, vielleicht hundert Passagiere, und alle so still – wie Mäuse, die man in ihrer Falle ersäuft. – Auch ein Wagen erster Klasse. Ich sah Herrn Stoß am Fenster, als er an meinem Posten vorbeifuhr. – Ja, ja, auch erster Klasse! Es ist alles eine Klasse, wenn der allmächtige Gott Brücken umbläst. Aber ich fürchte, man wird sie wieder aufbauen.'“

Max Eyth: „Hinter Pflug und Schraubstock"[6]

Vor diesem Hintergrund wird das Zitat „Tand, Tand, / Ist das Gebilde von Menschenhand“ noch verständlicher, das Fontane an den Anfang und das Ende seiner Ballade stellte.

Inhalt

die drei Hexen aus Macbeth

Es geht um den Zug, der am 28. Dezember 1879 von Burntisland nach Dundee fahren sollte. Die über drei Kilometer lange Eisenbahnbrücke über den Firth of Tay (Mündungsfjord des Flusses Tay bei Dundee, Ostschottland), erbaut 1878, stürzte ein Jahr später am 28. Dezember 1879 während eines schweren Wintersturms ein. Der Zug versank im Tay und riss alle Zuginsassen in den Tod.

Die Ballade beginnt mit den drei Hexen aus Shakespeares Macbeth:

„Wann treffen wir drei wieder zusamm?“

„Um die siebente Stund‘, am Brückendamm.“
„Am Mittelpfeiler.“
„Ich lösche die Flamm.“
„Ich mit“
„Ich komme vom Norden her.“
„Und ich vom Süden.“
„Und ich vom Meer.“

„Hei, das gibt einen Ringelreihn,
Und die Brücke muß in den Grund hinein.“

Die Brückenwärter erwarten sorgenvoll den Zug aus Edinburgh, denn es tobt gerade ein starker Sturm. Sie erwarten sehnsüchtig ihren Sohn Johnnie, den Lokführer, der sie heute, drei Tage nach Weihnachten, besuchen will.

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu,
Sehen und Warten, ob nicht ein Licht,
Übers Wasser hin Ich komme spricht
"Ich komme trotz Nacht und Sturmesflug,

Ich der Edinburgher Zug."

Johnnie hingegen glaubt, dass die Technik wohl standhalten werde, und denkt an die Zeit, als die Brücke noch nicht stand:

Und unser Stolz ist unsre Brück’;
Ich lache, denk’ ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;
Wie manche liebe Christfestnacht
Hab’ ich im Fährhaus zugebracht

Doch Johnnies Eltern müssen mit ansehen, wie der Zug ins Meer stürzt:

Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel’,
Erglüht es in niederschießender Pracht
Überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

Kommentar

Fontane kleidet den Bericht über das Unglück in einen Dialog der Hexen, die sich verabreden, um die Brücke einstürzen zu lassen. Dann lässt er mit den Augen der Brücknersleute das Herankommen des Zuges erleben. Die Hexen treffen sich wieder und sind mit ihrem Vernichtungswerk zufrieden. Fontane stellt als Motto die Hexenfrage aus Shakespeares „Macbeth" voran: „When shall we three meet again?" Der erste Satz der Ballade wiederholt diese Frage auf deutsch. Die Hexen sollen wie in Shakespeares Drama als personifizierte Naturgewalten verstanden werden. Die Bauten des Menschen halten der Gewalt der Natur nicht stand. Die Worte des Edinburger Zugs „Ich komme, ich komme trotz Nacht und Sturmesflug, ich, der Edinburger Zug" wirken wie Hohn angesichts der Katastrophe.

Die Ballade lebt aus der Spannung zwischen einem historischen Ereignis und dem Irrationalen. Real schildert das Mittelstück die Ankunft des Zuges, die Gedanken der Brücknersleute und den Feuerblitz, den sie wahrnehmen. Anfang und Ende der Ballade aber bilden die Gespräche der Hexen. Deshalb besteht nur der Mittelteil aus gleichmäßigen Strophen zu je acht Zeilen mit vorwiegend daktylischem Versschema.

Die hellen I- und Ei-Laute der Hexengespräche sind kreischend. Schadenfreude drückt am Schluss das dreifache A in „Zahl, Namen und Qual" der Hexen aus. Wortwiederholungen und Alliteration verstärken die Wirkung: „Ich – Ich mit – Und ich". Alliterationen finden sich hauptsächlich im Mittelteil: „Sehen nach Süden", „Ohne Rast und Ruh" und „wütender wurde der Winde Spiel".

Die Hexengespräche am Anfang und am Ende enden jeweils mit der gleichen triumphierenden Feststellung: „Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand."

Literatur

  • Karl Hotz (Hrsg.): Gedichte aus sieben Jahrhunderten - Interpretationen. 1. Auflage. Buchner, Bamberg 1987, ISBN 3-7661-4311-5.
  • Edgar Neis: (Hrsg.): Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons. Analysen und Kommentare. 1. Auflage. Bange, Hollfeld 1978, ISBN 3-8044-0590-8.

CD

  • Ritter und Raben (Balladen); Otto Sander und das Oakmusic Ensemble, 2007, Patmos Verlag

Einzelnachweis

  1. Edgar Neis: „Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons“
  2. Edgar Neis: „Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons“
  3. Karl Hotz (Hrsg.): Gedichte aus sieben Jahrhunderten - Interpretationen. (siehe Literatur)
  4. Edgar Neis: „Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons“
  5. Edgar Neis: „Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons“
  6. Edgar Neis: „Interpretationen von 66 Balladen, Moritaten und Chansons“

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