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Alfred Rosenberg

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Alfred Rosenberg (rechts), Hans Frank (mitte) und Alfred Jodl (links) bei den Nürnberger Prozessen

Alfred Ernst Rosenberg (* 12. Januar 1893 in Reval, Estland, damals Bestandteil von Russland, heute Tallinn, Estland; † 16. Oktober 1946 in Nürnberg) war NSDAP-Politiker und einer der wichtigsten Ideologen des Nationalsozialismus.

Rosenberg wurde am 1. Oktober 1946 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in allen vier Anklagepunkten schuldig gesprochen, zum Tod durch Erhängen verurteilt und hingerichtet.

Herkunft und Familie

Alfred Rosenberg wurde in eine deutschbaltische[1] Familie am 12. Januar 1893 in Reval (heute Tallinn) geboren, das damals zum russischen Reich gehörte. Sein Vater Woldemar Wilhelm Rosenberg war ein wohlhabender lettischer Kaufmann, seine Mutter Elfriede Caroline Siré war Estin aus einer hugenottischen Familie. Rosenberg studierte am Technischen Institut Riga, dort wurde er Mitglied des Corps Rubonia, sowie an der Moskauer Universität Architektur, allerdings ohne anschließend jemals in seinem Beruf tätig zu werden.

Anfang 1918 legte Rosenberg in Moskau mit gutem Erfolg eine Abschlussprüfung der Architektur ab und konnte zugleich einen Eindruck vom revolutionären Russland gewinnen.[2] Im selben Jahr siedelte er nach München um. Hier bewegte er sich in den radikal antibolschewistischen Zirkeln der russischen Emigranten, wo er rasch eine Erklärung für die von ihm als Katastrophe empfundene bolschewistische Oktoberrevolution fand: Sie schien ihm das Werk einer Verschwörung der Juden zu sein. Alsbald war Rosenberg Gast bei der Thule-Gesellschaft, einem völkisch-okkultistischen Geheimbund. Im Herbst 1919 lernte er über den völkischen Schriftsteller Dietrich Eckart, für dessen Zeitschrift Auf gut Deutsch er schrieb, Adolf Hitler kennen. Kurz darauf trat Rosenberg der NSDAP bei.

Rosenberg heiratete 1915 Hilda Leesmann, die Ehe wurde1923 geschieden. 1925 heiratete er ein zweites Mal; die Ehe mit Hedwig Kramer hielt bis zu seinem Tod. 1930 wurde die Tochter Irene geboren, ein Sohn starb kurz nach der Geburt.

Weimarer Republik

Politischer Schriftsteller

Mit Beginn der Weimrarer Republik veröffentlichte Rosenberg erste Schriften wie „Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten“ (1919), „Das Verbrechen der Freimaurerei. Judentum, Jesuitismus, Deutsches Christentum“ (1921) oder „Börse und Marxismus oder der Herr und der Knecht“ (1922), in denen er die Theorie einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung verbreitete, die es darauf abgesehen habe, „die Existenz anderer Völker zu unterminieren“. Zu diesem Zweck hätten die Freimaurer den Weltkrieg und die Juden die Russische Revolution herbeigeführt. Daher seien Kapitalismus und Kommunismus nur scheinbare Gegensätze, in Wahrheit handele es sich um ein und dieselbe Zangenbewegung, mit der das „internationale Judentum“ nach der Weltherrschaft strebe („Die Hochfinanz als Herrin der Arbeiterbewegung in allen Ländern“, 1924). Das Aufkommen dieser Gedanken muss im Zusammenhang mit dem krisenhaft-aufgeregten Klima des Deutschlands der frühen 1920er Jahre gesehen werden. Hier fanden sie zahlreiche Anhänger und trugen zum Wahnbild einer „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ bei, die den Kern von Hitlers Denken, seiner Propaganda und seiner Politik bilden sollte. Rosenbergs Biograph Ernst Piper schrieb sogar, dass Rosenberg entscheidend dazu beigetragen habe, Hitler das Bild vom vermeintlich jüdischen Charakter der russischen Revolution zu vermitteln.

1923 gab Rosenberg einen Kommentar zur Hetzschrift Protokolle der Weisen von Zion heraus, für deren Verbreitung er sich schon seit seiner Ankunft in Deutschland eingesetzt hatte und die zwei Jahre später in Mein Kampf mehrfach zustimmend zitiert wurde. Darin heißt es:

Es beginnt heute mitten im Zusammenbruch einer ganzen Welt eine neue Epoche ... Als eines der Vorzeichen dieses kommenden Kampfes um eine neue Weltgestaltung steht die Erkenntnis des Wesens des Dämons unseres heutigen Verfalls.[3]

Bereits 1921 war er mit Eckart zum Völkischen Beobachter gewechselt, dessen Chefredaktion er nach Eckarts Tod im Februar 1923 übernahm; dies zeigt die starke Stellung, die sich Rosenberg mit seinen Verschwörungstheorien innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung aufgebaut hatte. Ab 1937 war er schließlich Herausgeber des Blattes.

Umbruchphase in der NSDAP

Rosenberg nahm 1923 am „Marsch auf die Feldherrnhalle“ teil, wurde aber im Gegensatz zu anderen Teilnehmern des Putsches nicht angeklagt. Während Hitler seine Haftstrafe absaß, betraute er Rosenberg mit der Führung der NSDAP, einer Aufgabe, der sich Rosenberg jedoch kaum gewachsen zeigte.

Kampfbund für deutsche Kultur

1927 wurde Rosenberg von Hitler mit der Gründung eines nationalsozialistischen Kulturverbandes beauftragt. Obwohl ursprünglich offenbar als Kulturverband der Partei gedacht, trat der Verband erst 1929 als vorgeblich überparteilicher Kampfbund für deutsche Kultur an die Öffentlichkeit. Hier wurden verschiedene Erscheinungsformen der Klassischen Moderne wie die Architektur des Bauhaus, der Expressionismus und die Abstraktion in der Malerei oder die Zwölftonmusik pauschal als „Kulturbolschewismus“ diffamiert und bekämpft.

„Der Mythus des 20. Jahrhunderts“

Das 1930 erschienene Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ war als Fortsetzung von Houston Stewart Chamberlains Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ gedacht, eine neue „Religion des Blutes“ sollte laut Rosenberg das Christentum ersetzen, indem eine neue „Metaphysik“ der „Rasse“ und des ihr innewohnenden „kollektiven Willens“ dieses abzulösen in der Lage sei.

„Rasse“ stellte Rosenberg als eigenständigen Organismus mit einer kollektiven Seele, der „Rassenseele“, dar; alles Individuelle wollte er unterdrückt sehen.

Die einzige Rasse, die in der Lage sei, kulturelle Leistungen hervorzubringen, ist nach Rosenberg die arische Rasse. Im „Mythus des 20. Jahrhunderts“ postulierte Rosenberg den politischen Mythos des untergegangenen Atlantis alls eine Urheimat einer „arischen Rasse“. Im Gegensatz zur jüdischen Religion, die Rosenberg als teuflisch ansah, wohne den Ariern etwas Göttliches inne. Jesus Christus wurde in Rosenbergs Buch zu einer verklärten „Verkörperung der nordischen Rassenseele“. Nach ihm könne dementsprechend Jesus kein Jude gewesen sein. Die Ehe sowie Geschlechtsverkehr zwischen „Ariern“ und Juden seien zudem unter Todesstrafe zu stellen.

In Anlehnung an die Naturphilosophie von Arthur Schopenhauer sah Rosenberg den „Willen keiner Moral untergeordnet; wenn ein starker Führer entsprechende Befehle gebe, könnten diese ausgeführt werden. Damit ebnete er den Weg zum nationalsozialistischen Weltbild und einem Handeln, in dem andere Völker unterdrückt und eine „reine“ Rasse gezüchtet werden sollten.

Abgeordneter im Reichstag

1930 zog er als Abgeordneter der NSDAP für Darmstadt in den Reichstag ein, wo er sich vor allem im Auswärtigen Ausschuss engagierte.

Nationalsozialismus

Außenpolitisches Amt

1933 wurde Rosenberg zum Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP ernannt. Zugleich hatte Hitler Joachim von Ribbentrop zu seinem außenpolitischen Berater gemacht, der nun mit dem Auswärtigen Amt, Hermann Göring und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht um Mitsprache und Einfluss in der Außenpolitik rivalisierte. In diesem NS-typischen Kompetenzenstreit hatte Rosenberg weder in der Konzeptionierung noch in der praktischen Umsetzung der NS-Außenpolitik zunächst eine Rolle gespielt. Dementsprechend unzufrieden war Hitler. Am 28. Juli 1933 notierte Joseph Goebbels: „Er [Anm.: Hitler] spricht scharf gegen Rosenberg. Weil er alles und nichts macht. V. B. ist saumäßig. Er sitzt in seinem ‚Außenpolitischen Amt‘, wo er auch nur Murks macht.“

Ideologischer Beauftragter von Hitler

Im Juni 1933 ernannte Hitler neben 16 weiteren NSDAP-Funktionären Rosenberg zum Reichsleiter – ein Titel, der ihn in die NS-Führungselite und in den gleichen Rang mit Ministern erhob. Im Januar 1934 wurde er auf Vorschlag von Robert Ley von Hitler zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“. In dieser Position baute er eine erste weltanschauliche politische Institution auf, die in der Literatur als „Amt Rosenberg“ bezeichnet wird. Nach der von Reinhard Bollmus Ende der 1960er Jahre formulierten, in der jüngeren Rosenberg-Forschung allerdings umstrittenen These, blieb Rosenbergs „Einfluss“ gering. Als Beispiel zog Bollmus beispielsweise Rosenbergs Idee einer nationalsozialistischen Universität, der Hohen Schule der NSDAP, die als Zentrum der nationalsozialistischen ideologischen und pädagogischen Forschung gedacht war und durch Hermann Giesler gebaut werden sollte, wurde ab Kriegsbeginn nicht mehr umgesetzt. Neuere Forschungen, die vor allem Rosenbergs Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete oder seinen Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg ins Blickfeld nehmen, kommen indessen zu anderen Ergebnissen.

Als bedeutsam für die weltanschauliche Schulung und Erziehung im NS-Staat gelten heute neben Rosenbergs „Amt Rosenberg“ vor allem das bestehende Schul- und Hochschulwesen, dann Baldur von Schirach und seine Hitlerjugend, Robert Ley als Chef der Deutschen Arbeitsfront und des Kulturwerks „Kraft durch Freude“ sowie nicht zuletzt Joseph Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Vor diesem Hintergrund erklärte Bollmus einst, dass der „frustrierte Rosenberg“ sich darauf konzentrierte, Theaterbesucher organisatorisch zu erfassen, und dazu überging, in „kindisch anmutender Weise“ seine Konkurrenten anzuschwärzen: Am 23. Oktober 1939 zum Beispiel beschwerte er sich bei Göring so ausführlich wie folgenlos über eine stilistisch missglückte Goebbels-Rede: „Auch der Hinweis darauf, dass der Zahn der Zeit auf eine Wunde kein Gras wachsen lassen würde, ist in dem Zusammenhang nicht als eine Ironie auf eine Sprachform von Churchill gemeint, sondern nur eine weitere blumenreiche Ausdrucksweise des Ministers für Volksaufklärung und Propaganda, die schlimmer ist als die seit Jahren belachten Kathederblüten zerstreuter deutscher Professoren.“

1937 wurde Rosenberg mit dem Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.

Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

Eine bedeutsame politische Rolle spielte Rosenberg vor allem während des Zweiten Weltkriegs mit seinem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), ab 1941 dann mit dem Reichsministerium für die besetzten Ostegbeite (RMfdbO), das unter seiner Führung stand. Mit seinem ERR verantwortete er bereits ab 1939 die Plünderung jüdischer Archive und Bibliotheken für das „Institut zur Erforschung der Judenfrage“. Ab Oktober 1940 leitete er dann auch offiziell seinen Einsatzstab. Hitler hatte Rosenberg per Führerbefehl zu umfangreichen Beschlagnahmungen von Kunstschätzen in den besetzten Gebieten ermächtigt. Insgesamt wurden 1,5 Millionen Eisenbahnwaggons mit Raubgut nach Deutschland transportiert. Darunter befand sich auch das Bernsteinzimmer aus dem Katharinenpalast bei Sankt Petersburg.

Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete

Nach dem Angriff auf die Sowjetunion wurde Rosenberg 1941 zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete (Baltikum, Weißrussland und Ukraine) ernannt. Das Ostministerium für die zentrale Verwaltungsbehörde für die besetzten Ostgebiete im Reichskommissariat Ostland sowie Reichskommissariat Ukraine. Die dortigen Reichskommissare Hinrich Lohse und Erich Koch waren dem RMfdbO direkt untergordnet.

Rosenberg war in seiner Position als „Ostminister“ nicht nur mitverantwortlich für die Ghettoisierung von Juden, sondern auch auch für deren systematische Ermordung. Bei der Wannseekonferenz war das RMfdbO als einzige NS-Behörde gleich mit zwei Vertretern von Rosenberg vertreten: mit Staatssekretär Alfred Meyer und dem Leiter der Politischen Abteilung des RMfdbO, Georg Leibbrandt.

Nachkriegszeit

Nürnberger Prozess

Rosenberg wurde von den Alliierten bei Kriegsende in Flensburg gefangen genommen, kam vor das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, wo er wegen Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Planung, Eröffnung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, für schuldig befunden und zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil stützte sich bezüglich der Verschwörung auf Rosenbergs Funktion als „anerkannte[r] Parteiphilosoph“ und bezüglich der Verbrechen gegen den Frieden auf Rosenbergs Tätigkeit als Leiter des Außenpolitischen Amtes. Er hatte insbesondere die Angriffe auf Dänemark und Norwegen mitzuverantworten. Bezüglich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezog sich das Gericht auf Rosenbergs Funktion im Einsatzstab Reichsleiter und im Ostministerium. Zudem wurde ihm Mittäterschaft bei der Beschaffung von Zwangsarbeitern nachgewiesen.

Der Leichnam Alfred Rosenbergs nach der Hinrichtung

Rosenberg ließ niemals ein Schuldeingeständnis verlauten, sondern versuchte vielmehr, wie die meisten anderen Mitangeklagten, die Schuld auf das bis dahin bereits verstorbene Trio Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Martin Bormann abzuschieben und sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen. Rosenberg blieb bis zum Schluss dem Wahn seiner eigenen NS-[Rassenideologie]] verhaftet. Noch im Gefängnis schrieb er:

„Der Nationalsozialismus war eine europäische Antwort auf die Frage eines Jahrhunderts. Er war die edelste Idee, für die ein Deutscher die ihm gegebenen Kräfte einzusetzen vermochte. Er war eine echte soziale Weltanschauung und ein Ideal blutbedingter kultureller Sauberkeit.“

Am 1. Oktober 1946 wurde Alfred Rosenberg zum Tode verurteilt und mit neun weiteren Verurteilten am 16. Oktober durch Erhängen in Nürnberg hingerichtet.

Wirkungsgeschichte

Das Bild Rosenbergs war lange Zeit starken Schwankungen unterworfen. Bei seinen Zeitgenossen und während der unmittelbaren Nachkriegszeit galt der Verfasser des „Mythus“ als dämonischer Meisterdenker, als mörderisch-kühler Intellektueller der Partei und ihr Chefideologe. In einer 1934 in Paris erschienenen antifaschistischen Porträtsammlung wurde gar vermutet: „Hitler befiehlt, was Rosenberg will“.

Dieses Bild blieb bis in die 1960er Jahre unwidersprochen. Dann formulierte Joachim Fest sein auf den Erinnerungen Albert Speers basierendes Urteil. Dieser zitierte zum Beispiel, dass Rosenberg von Hitler nur als „engstirniger Balte, der furchtbar kompliziert denke“ abgetan worden sei – seine Bedeutung schien also nicht so groß gewesen zu sein, wie bis dato vermutet worden war. Im selben Jahr wie Fests „Gesicht des Dritten Reiches“ war auch Ernst Noltes „Der Faschismus in seiner Epoche“ erschienen, in dem konstatiert wurde, dass der Nationalsozialismus in seinem Wesenskern eine Reaktion auf den als Bedrohung wahrgenommenen Kommunismus und daher gar keine Ideologie aus eigenem Recht sei. Für einen „Chefideologen“ blieb da kein Platz mehr.

In eine ähnliche Richtung zielten institutionen- und strukturgeschichtlich orientierte jüngere deutsche Historiker der späten 1960er Jahre (die angelsächsische Geschichtswissenschaft legte weiterhin den Forschungsschwerpunkt auf das Problemfeld Ideologie, wurde aber in Deutschland zunächst kaum rezipiert). Reinhard Bollmus und Hans-Adolf Jacobsen arbeiteten anhand der von Rosenberg geleiteten Ämter und Dienststellen heraus, dass der Nationalsozialismus keinen monolithischen Führerstaat errichtet hätte, sondern eine Polykratie ohne klare Hierarchie, in der sich Personen, Ämter und Behörden gegenseitig bekämpften. Reinhard Bollmus, der 1970 noch dazu geneigt hat, Rosenbergs Bedeutung in der Zeit des Nationalsozialismus in den Schatten des historischen Interesses zu stellen, schrieb allerdings:

„Rosenberg setze vielmehr alle seine Befugnisse, so wie sie sich nach seiner Ansicht aus dem Führer-Auftrag ergaben, selbst fest und bestimmte auch seine Tätigkeitsgebiete ohne Anweisung von höherer Stelle. Hitler und Heß sprachen keine Billigung aus, bestritten aber auch nicht die Richtigkeit des Vorgehens. Sie erteilten keine Ratschläge, stellten keine bestimmten Aufgaben, verhängten keine Verbote und äußersten sich nicht zu der Frage, ob Rosenbergs Interpretation der Weltanschauung allein, zum Teil oder auch nur überhaupt maßgeblich sei.“[4]

Das änderte sich erst 2005. In der quellengesättigten Biographie Rosenbergs von Ernst Piper wurde der Schwerpunkt nicht mehr, wie in den fünfziger Jahren, auf den leicht greifbaren, aber wenig einflussreichen „Mythus“ gelegt, sondern auf die große Rolle, die Rosenberg als Produzent von antisemitischer Ideologie und Propaganda, etwa dem „Völkischen Beobachter“ und anderen Publikationsorganen hatte. Seine weit verbreiteten Verschwörungstheorien, seine täglich nachzulesende Hetze gegen alles Jüdische, seine paranoide, aber wirkungsvolle Gleichsetzung von Judentum und Sowjetregime rechtfertigten für Piper den lange Zeit verfemten Begriff des „Chefideologen“, den sein Buch nun sogar im Untertitel führt.

Schriften

  • Der Mythus des 20. Jahrhunderts Hoheneichen, München 1930. (Zahlreiche Neuaufl.) Online verfügbar: Scribd
  • Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik Dt. Volksverlag Böpple, München 1922 & 1924; Neubearb. von A. Philipp, 20. Tausend, ebd. 1933. Wieder Eher, München 1938. Wieder Hoheneichen, München ca. 1940. Auch enthalten in A. R.: "Schriften & Reden". Auszug in [1]
  • An die Dunkelmänner unserer Zeit. Eine Antwort auf die Angriffe gegen den „Mythus des 20. Jahrhunderts“ (Aufl. 620.000) 1937
  • Dietrich Eckhart. Ein Vermächtnis (2. Auflage) München 1935
  • Protestantische Rompilger. Der Verrat an Luther und der „Mythus des 20. Jahrhunderts“ Hoheneichen (1. Aufl.) München 1937
  • Letzte Aufzeichnungen. Nürnberg 1945/46. Ideale und Idole der Nationalsozialistischen Revolution Jomsburg, Uelzen 1996 ISBN 3-931637-01-8 (2. Auflage)
  • Heinrich Härtle (Hg.): Großdeutschland. Traum und Tragödie. Rosenbergs Kritik am Hitlerismus Selbstverlag, München 1970 (2. Auflage) (enthält die letzten Aufzeichnungen Rosenbergs aus dem Nürnberger Gefängnis 1946)
  • Arthur Ruppert (Hg): Waffenbruder Finnland. Ein Buch für die deutschen Soldaten in Finnland Geleitwort von Alfred Rosenberg; bearb. Heinz Hünger & Anitra Karsten, Lühe, Leipzig & Berlin 1942 (DNB am Standort Leipzig gelistet; Rosenberg nicht angeführt)

Literatur

Historische Hintergründe
  • Joachim C. Fest: Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft. Serie Piper, München 1963. DNB (3. Aufl. 1996, ISBN 3-492-21842-3.)
  • Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963, DNB.
  • Hans-Adolf Jacobsen: Nationalsozialistische Außenpolitik 1933 – 1938. Metzner, Frankfurt 1968.
  • Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1970-1918, München 1988, ISBN 3-406-33-119-X.
  • Klaus Vondung: Die Apokalypse in Deutschland. München 1988, ISBN 3-423-04488-8.
  • Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, Nördlingen 1995, ISBN 3-423-04668-6.
  • Reinhard W. Sonnenschmidt: Politische Gnosis. Entfremdungsglaube und Unsterblichkeitsillusion in spätantiker Religion und politischer Philosophie, München 2001, ISBN 3-7705-3626-6. (Ideengeschichtliche Hintergründe.)
  • Wolfram Meyer zu Uptrup: Kampf gegen die „jüdische Weltverschwörung“. Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919 bis 1945. Metropol, Berlin 2003, ISBN 3-932482-83-2.
Biografische Ansätze und Gesamtdarstellungen
  • Franz Th. Hart: Alfred Rosenberg. Der Mann und sein Werk. Lehmann, München 1933. (NS-Quelle; allerdings unkritisch, da von einem Mitarbeiter Rosenbergs herausgegeben.)
  • Serge Lang / Ernst von Schenck: Portrait eines Menschheitsverbrechers nach den hinterlassenen Memoiren des ehemaligen Reichsministers Alfred Rosenberg, St. Gallen 1947, DNB. (Kommentierte Original-Auszüge aus Rosenbergs Aufzeichnungen während des Nürnberger Prozesses; im Ggs. zu den „Letzten Aufzeichnungen“ Zitate ohne Streichungen.)
  • Herbert P. Rothfeder: A Study of Alfred Rosenberg’s Organization for National Socialist Ideology. Michigan, Phil. Diss. 1963 [University Microfilms, Ann Arbor]
  • Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Stuttgart 1970, DNB (2. Aufl., München / Oldenbourg 2006, ISBN 3-486-54501-9.) (Umfangreiche Auswertung von Quellenmaterial; Ergebnisse entsprechen z.T. nicht mehr der jüngeren Rosenberg-Forschung.)
  • Herbert P. Rothfeder: Amt Schrifttumspflege: A Study in Literary Control. In: German Studies Review. Vol. IV, Nr. 1, Febr. 1981, S. 63–78.
  • Reinhard Bollmus: Alfred Rosenberg. Chefideologe des Nationalsozialismus? In: Ronald Smelser (Hrsg): Die braune Elite. 22 biographische Skizzen. Band 1 WBG 1989, S. 223 ff.
  • Ernst Piper: Alfred Rosenberg – der Prophet des Seelenkrieges. Der gläubige Nazi in der Führungselite des nationalsozialistischen Staates, in: Michael Ley / Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Nationalsozialismus als politische Religion. Bodenheim bei Mainz 1997, ISBN 3-8257-0032-1.
  • Frank-Lothar Kroll: Alfred Rosenberg. Der Ideologe als Politiker. In: Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich Hg. Michael Garleff. Böhlau, Köln 2001, S. 147–166, ISBN 3-412-12199-1.
  • Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005, ISBN 3-89667-148-0. (TB-Ausgabe 2007, ISBN 3-570-55021-4.) (Umfangreiche Gesamtdarstellung.)
Ideologiekritische Ansätze
  • Raimund Baumgärtner: Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg. Mainz 1977, ISBN 3-7867-0654-9.
  • Harald Iber: Christlicher Glaube oder rassischer Mythus. Die Auseinandersetzung der Bekennenden Kirche mit Alfred Rosenbergs „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“. Frankfurt a.M. / Bern / New York / Paris 1987, ISBN 3-8204-8622-4.
  • Birgit Jerke: Wie wurde das Neue Testament zu einem sogenannten Volkstestament „entjudet“? Aus der Arbeit des Eisenacher „Instituts zur Erforschung und Beseitung des jüdischen Einflusses auf das deutsch kirchliche Leben“. In: Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.): Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen. Haag + Herchen Verlag, Frankfurt/M. 1994, S. 201–234.
  • Claus-Ekkehard Bärsch: Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ als politische Religion. In: Hans Maier / Michael Schäfer (Hrsg.): „Totalitarismus“ und politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, Bd. 2, Paderborn 1997. (Rezension in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 47. Jg [1999], Heft 4.)
  • Claus-Ekkehard Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus. Fink-Verlag, München 1998, ISBN 3-7705-3172-8. (2., vollst. überarb. Aufl., Fink, München 2002, ISBN 3-7705-3172-8.) (Umfangreiche Analyse.)
Spezielle Monografien

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Robert Wistrich: Wer war wer im Dritten Reich. Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft. Harnack Verlag, München 1983, S. 229.
  2. Ernst Piper: Alfred Rosenberg, Hitlers Chefsideologe. Pantheon, München 2007, S. 26, ISBN:978-3-570-55021-2.
  3. Alfred Rosenberg, Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik, München, Ausg. 1933 S. 133 zit. nach Norman Cohn, Das Ringen um das tausendjährige Reich Francke, Bern 1961, S. 272
  4. Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, München 1970, S. 69.
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