Sexueller Missbrauch von Kindern
Sexueller Missbrauch von Kindern bezeichnet die Einbeziehung von Kindern in sexuelle Handlungen. Die Definition einer "sexuellen Handlung" wird dabei unterschiedlich umfassend gehandhabt. Grob gesprochen kann man von weit gefassten Definitionen sprechen, die jedwedes Einbeziehen eines Kindes in jedwede sexuelle Handlungen als Missbrauch einstufen, und von eng gefassten Definitionen, die nur physische sexuelle Handlungen gegen den Willen des Kindes als "Missbrauch" bezeichnen. Als Kinder werden im allgemeinen Personen vor oder zu Beginn der Pubertät verstanden.
Definitionen
Alter der Beteiligten
Im biologischen, psychologischen und soziologischen Sinn gelten Kinder als Personen vor dem Einsetzen der Pubertät. Diese beginnt bei Jungen etwa im Alter von 11-12 und bei Mädchen im Alter von 10-11 Jahren und unterliegt bei beiden Geschlechtern einer großen Varianzbreite. Das Eintrittsalter in die Pubertät zur Eingrenzung des Kindesalters beim sexuellen Missbrauch findet nur selten und bei eng gefassten Definitionen Anwendung. Häufiger ist eine arbiträr festgelegte Altersgrenze anzutreffen. Diese richtet sich nach juristischen Kriterien (Strafmündigkeit, bedingte Geschäftsfähigkeit) und weniger nach dem individuellen Entwicklungsstand. In Europa liegt diese Altersgrenze zwischen 12 (Niederlande, Vatikan) und 17 (Nordirland), in Deutschland bei 14 Jahren.
Das Alter des Sexualpartners des Kindes wird in manchen, jedoch nicht allen Definitionen, in unterschiedlicher Weise als Kriterium für sexuellen Missbrauch von Kindern herangezogen. Hierbei kommt sowohl ein relativer Altersunterschied als auch eine absolute Altersobergrenze des Sexualpartners vor. Der relative Altersunterschied wird dabei häufig durch einen Mindestaltersunterschied von drei oder fünf Jahren festgesetzt, als absolute Altersobergrenze wird meist die Volljährigkeit (18 oder 21 Jahre) des älteren Partners festgelegt. Je nach Definition tritt das Alter des Beteiligten als notwendiges oder als hinreichendes Kriterium auf.
Einwilligung
Allen Definitionen gemein ist, dass sexuelle Handlungen entgegen dem Willen eines Kindes ein hinreichendes Kriterium für sexuellen Missbrauch ist. Dies steht weitgehend in Einklang mit allgemeinen Definitionen von sexuellem Missbrauch.
In weit gefassten Definitionen werden zum Teil auch sexuelle Handlungen, die mit Einwilligung des Kindes erfolgten, als sexueller Missbrauch von Kindern verstanden. Dies ist auf die in der Mitte der 1980er Jahre in den USA entstandene Debatte um den sogenannten informed consent entstanden. Demnach können Kinder zwar willentlich (simple consent), nicht aber wissentlich (informed consent) in sexuelle Handlungen einwilligen (siehe informed consent). Eine Differenzierung zwischen Verstößen gegen den simple consent (Vergewaltigung) und gegen den informed consent (Verhandlungsmoral) findet häufig nicht statt.
Das Kriterium eine fehlenden wissentlichen Zustimmung zu sexuellen Handlungen des Kindes in Verbindung mit einer Alterseinschränkung des Sexualpartners tritt bei manchen Definitionen auf, verfügt jedoch über keine Validität, da die Fähigkeit zur wissentlichen Zustimmung zu sexuellen Handlungen nicht vom absoluten Alter des Partners bzw. nicht vom relativen Altersunterschied zum Partner abhängig ist.
Sexuelle Handlung
Allen Definitionen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemein ist, dass eine sexuelle Handlung als notwendiges oder als hinreichendes Kriterium vorhanden sein muss. Es ergeben sich Unterschiede, welche Handlungen als sexuell definiert werden.
Als nicht objektivierbares Kriterium gilt, dass eine Handlung dann und nur dann sexuell ist, sobald sie der Befriedigung sexueller Bedürfnisse einer der beteiligten Personen dient. Dies umfasst einerseits Handlungen mit und ohne Körperkontakt, wenn diese der sexuellen Bedürfnisbefriedigung dienen, schließt aber andererseits Handlungen mit Körperkontakt, die nicht der Befriedigung sexueller, sondern anderer Bedürfnisse (medizinische oder sadistische Motivation) dienen, aus.
Daneben finden sich objektivierbare Kriterien, die sich i.d.R. über die Intensität der sexuellen Handlung definieren. Weitgehend werden folgende Handlungen als sexuell definiert:
- Einwirken durch Reden oder pornografische Abbildungen (siehe Pornografie)
- Exhibitionismus
- Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale
- Berührung erogener Zonen wie Beine oder Gesäß
- Masturbation
- Handlungen, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind (Zungenküsse, Petting, Oralverkehr, Analverkehr, Geschlechtsverkehr)
Hiervon unabhängig ist, ob die sexuelle Handlung vor einem Kind, an einem Kind oder ob sie von einem Kind auf Veranlassung an sich selbst vorgenommen wird.
Als Sonderfall ist bei der juristischen Definition (Bundesrepublik Deutschland) die Einschränkung vorhanden, dass die sexuelle Handlung als solche vom deklarierten Opfer auch wahrgenommen werden muss. Dies ergibt sich aus der notwendigerweise vorliegenden Rechtsgutsverletzung einer Person (siehe § 184c StGB).
Eng gefasste Definitionen sexuellen Missbrauchs von Kindern legen oftmals Körperkontakt (Berührungen an Geschlechtsmerkmalen oder Penetration) und fehlende Einwilligung als notwendiges Kriterium zu Grunde. Weite gefasste Definitionen zielen auf das Vorliegen umfangreich definierter sexueller Handlungen als hinreichendes Kriterium ohne Berücksichtigung der Einwilligung oder des Vorhandenseins eines Körperkontakts ab (Exhibitionismus, Einwirkungen durch pornografische Abbildungen).
Sonstige Begrifflichkeiten
Synonym zu sexuellem Missbrauch von Kindern werden vornehmlich in der politischen - nicht in der wissenschaftlichen - Debatte die Begriffe sexuelle Gewalt an Kindern oder sexuelle Ausbeutung von Kindern verwendet. Der Begriff sexuelle Gewalt zielt auf das bisweilen verwendete Kriterium der psychischen oder physischen Gewalt ab, wird aber bei dieser Definition auch auf nicht gewalttätige sexuelle Handlungen mit Kindern angewandt. Der Begriff sexuelle Ausbeutung beschreibt die einseitige Ausbeutung eines Kindes zur sexuellen Bedürfnisbefriedigung unter Ausnutzen der Zwangslage eines Kindes oder unter Anwendung von Gewalt. Dieser Begriff wird ebenfalls auf nicht gewalttätige und ausbeuterische sexuelle Handlungen mit Kindern angewandt. Der Begriff sexueller Missbrauch an Kindern findet sich nahezu ausschließlich im feministisch-parteilichen Umfeld, aufgrund der inkorrekten Grammatik, fehlenden Neutralität und der durch Definition deklarierten Verdinglichung von Kindern jedoch nicht in der wissenschaftlich fundierten Missbrauchsforschung.
Die Bezeichnung "sexueller Missbrauch" wird kritisiert, weil sie einen korrekten "sexuellen Gebrauch" von Kindern impliziert, ähnlich dem Unterschied zwischen Alkohol-Missbrauch und Alkohol-Gebrauch. Andererseits ergibt sich Kritik an dem Begriff, da - bei weiten Definitionen - auch altersübliche sexuelle Handlungen unter Kindern als Missbrauch bezeichnet werden.
Sexueller Missbrauch von Kindern wird in Verbindung mit Qualifikatoren wertneutral auch als sexuelle Handlung mit Kindern bezeichnet.
Juristische Definition
Die juristischen Definitionen von sexuellem Missbrauch von Kindern unterscheiden sich international beträchtlich. Ursache sind unterschiedlich zu Grunde liegende Rechtsgüter.
Bundesrepublik Deutschland
In der Bundesrepublik Deutschland gelten jegliche sexuelle Handlungen an, mit oder vor Kindern als sexueller Missbrauch. Als Kinder gelten Personen vor dem vollendeten 14. Lebensjahr. Geschützt ist die "ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes" (Schönke) bzw. "von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen ungestörte Gesamtentwicklung des Kindes" (Tröndle). Somit liegt sexueller Missbrauch von Kindern unabhängig von der Anwendung von Gewalt sowie vom Alter des Täters vor. Bestraft wird überwiegend nach § 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern). In Konkurrenz zu § 176 StGB stehen auch § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten), § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen), § 177 StGB (Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung), § 179 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen), § 182 StGB (Sexueller Missbrauch von Jugendlichen, §183 StGB (Exhibitionistische Handlungen) und §184 StGB Abs. 3, Nr. 3 (Herstellung kinderpornografischer Schriften). Weiterführende Informationen: § 176 StGB
Schweiz
In der Schweiz werden nach Artikel 187 StGB sexuelle Handlungen von und mit Personen unter 16 Jahren (Kind) mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft. Die Handlungen bleiben straffrei, wenn der Altersunterschied weniger als drei Jahre beträgt. Liegt eine Nötigung, Vergewaltigung oder Schändung vor, greifen in erster Linie die Artikel 189, 190 oder 191, die eine Höchststrafe von 10 Jahren Zuchthaus vorsehen.
Sonstige
Als geschütztes Rechtsgut in den USA gilt die fehlende Einwilligungsfähigkeit von Kindern in sexuelle Handlungen (siehe: informed consent). Als Kinder gelten dabei im Wesentlichen Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Sexuelle Handlungen unter und mit Jugendlichen (Kinder) werden als sogenannter statutory rape ("Vergewaltigung per Statut") bestraft.
Häufigkeit
Zur Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs von Kindern liegen eine Vielzahl von Studien vor, die sich jedoch aufgrund unterschiedlich verwendeter Missbrauchsdefinitionen nur schwer vergleichen lassen. Übereinstimmend festhalten lässt sich, dass sexuelle Handlungen mit Kindern häufig vorkommen.
Grundsätzlich ist zwischen Inzidenz- und Prävalenzstudien zu unterscheiden. Inzidenzstudien geben Auskunft über bekannt gewordene Fälle, während Prävalenzstudien auf Stichproben aus der Allgemeinheit oder solche, die auf die Allgemeinheit übertragbar sind, zurückgreifen.
Inzidenzstudien
In der Bundesrepublik Deutschland kommen jährlich etwa 15.000 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176 StGB) zur Anzeige (Polizeiliche Kriminalstatistik) bei etwa gleichbleibender Tendenz sowie gestiegener Anzeigebereitschaft in den letzten Jahren (Stand 2002). Insgesamt gesehen sind die Fälle leicht rückläufig. Den angezeigten Fällen stehen jedoch nur etwa 2.200 Verurteilungen gegenüber (Strafverfolgungsstatistik). Hauptursache hierfür ist der hohe Anteil exhibitionistischer Handlungen vor Kindern, zu denen nur relativ wenige Tatverdächtige ermittelt werden können. Eine weitere Ursache ist die hohe Zahl an Falschanschuldigungen, insbesondere bei familienrechtlichen Auseinandersetzungen (Schönke). Berücksichtigt werden muss, dass diese Zahlen nicht die tatsächliche Häufigkeit widerspiegeln: Hinzu kommt ein Dunkelfeld durch diejenigen Fälle, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Aufgrund der höheren Anzeigebereitschaft zeigen Inzidenzstudien eine höhere Gewichtung von Taten, bei denen entweder keine Vorbeziehung zum Tatverdächtigen bestand oder bei denen Gewalt angewendet wurde und eine geringere Gewichtung von Taten, die ohne Gewalt durchgeführt wurden bzw. bei denen keine Vorbeziehung zum Tatverdächtigen bestand. Nach einer Untersuchung des Bundeskriminalamtes fanden in 85 % der angezeigten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs keine Drohung oder Nötigung statt (Baurmann 1985).
Prävalenzstudien
Die Ergebnisse von Prävalenzstudien zeigen auf, dass etwa 2 bis 30 Prozent der weiblichen Bevölkerung in ihrer Kindheit bzw. frühen Jugend sexuelle Handlungen erlebt haben. Die Prävalenzen variieren sehr stark und hängen im Wesentlichen von den verwendeten Missbrauchsdefinitionen (Anwendung von Gewalt, Körperkontakt, Alter des Opfers, Alterunterschied zum Täter, Selbsteinschätzung) ab. Dabei zielen Prävalenzstudien vornehmlich auf nicht gewollte sexuelle Handlungen ab. Erhebungen über gewollte sexuelle Handlungen sind nahezu nicht anzutreffen; dies ist weiteren Forschungsaktivitäten vorbehalten.
Hohe Prävalenzraten sexueller Handlungen im Kindes- bzw. frühen Jugendalter sind vornehmlich bei Studien mit weit gefassten Missbrauchsdefinitionen zu finden. Die methodisch exakteste Studie in der Bundesrepublik (Wetzels) geht davon aus, dass etwa 8 Prozent der Mädchen und 3 Prozent der Jungen sexuelle Handlungen gegen ihren Willen erlebt haben. Als Definition gilt hier eine obere Altersgrenze von 16 Jahren, ausgenommen waren exhibitionistische Handlungen.
Dies deckt sich in etwa mit den Ergebnissen der Studie von Coxell et al. (British Medical Journal, 1997). Die Forscher befragten 2.500 Männer zu sexuellen Aktivitäten vor ihrem sechzehnten Lebensjahr, bei denen der Sexualpartner mindestens fünf Jahre älter war. Von den Befragten berichteten 7,7 % über freiwillige und 5,3 % über unfreiwillige Sexualkontakte mit einem Mann, der beträchtlich älter war. Demzufolge hätten 13 % der Knaben sexuelle Kontakte mit einem Mann gehabt, die in einer weiter gefassten Definition als Missbrauch einzustufen sind. (Vgl. A. Coxell, M. King, G. Mezey, G. Gordon, "Lifetime prevalence, characteristics, and associated problems of non-consensual sex in men: cross sectional survey". British Medical Journal 318: 850, 27 March 1999.)
Generell scheint es bei Mädchen häufiger als bei Jungen zu sexuellen Kontakten mit (meist männlichen) Erwachsenen zu kommen. (Vgl. auch P. Cox, S. Kershaw, T. Trotter, ed., Child Sexual Assault: Feminist Perspectives, Palgrave, London, 2001.)
Umgang mit Häufigkeitsangaben
Häufigkeitsangaben über sexuellen Kindesmissbrauch werden häufig verzerrt oder falsch dargestellt.
Zahlreiche Organisationen veröffentlichten unter Berufung auf das Bundeskriminalamt (BKA) Zahlen von 200 bis 300 Tausend missbrauchter Kinder pro Jahr in Deutschland. Diese Angaben wurden vom Bundeskriminalamt zurückgewiesen, finden sich aber dennoch in der Sekundärliteratur (Levold 1997) wieder. Häufig werden im Zusammenhang mit der Polizeilichen Kriminalstatistik unzulässigerweise angezeigte und versuchte Fälle mit begangenen Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs dargestellt. Ebenso werden diese Fälle mit sexueller Gewalt bzw. als Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts dargestellt sowie der Anteil kindlicher oder jugendlicher Tatverdächtiger außen vor gelassen (siehe Juristische Definition bzw. § 176 StGB).
Dem gegenüber steht, dass eine hohe Zahl von Kindern - zumeist Mädchen - Verletzungen ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts erfahren.
Missbrauchshandlungen
Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes gibt Auskunft über die Missbrauchshandlungen der angezeigten Fälle sexuellen Missbrauchs (Hellfeld). Es ist davon auszugehen, dass aufgrund erhöhter bzw. verminderter Anzeigebereitschaft Taten von fremden Tatverdächtigen (z.B. Exhibitionismus) über- und Taten aus dem Nahfeld des Kindes unterrepräsentiert sind.
Etwa zwei Drittel der Missbrauchshandlungen der angezeigten Fälle fanden mit Körperkontakt und etwa ein Drittel ohne Körperkontakt statt. Bei den Fällen mit Körperkontakt entfallen etwa drei Viertel der auf einfache sexuelle Handlungen mit einem Kind während ein Viertel der Handlungen mit Eindringen in den Körper des mutmaßlichen Täters oder Opfers (Beischlaf, intensives Petting, Zungenküsse) verbunden verbunden sind. Bei den angezeigten Fällen ohne Körperkontakt entfallen etwa zwei Drittel auf Exhibitionismus vor Kindern, das restliche Drittel bestand aus dem Vornehmen sexueller Handlungen von Kindern an sich selbst bzw. dem Vorzeigen pornografischer Darstellungen.
Der Anteil des sexuellen Missbrauchs zur Herstellung kinderpornografischer Schriften nimmt etwa 1,2 Prozent ein. Der sexuelle Missbrauch mit Todesfolge beträgt etwa 0,012 Prozent (2 Fälle) an der Gesamtzahl der Fälle sexuellen Missbrauchs.
Täter
Klassifizierungen
Tätertypen
Bei Betrachtungen von Tätern sexuellen Missbrauchs werden üblicherweise Exhibitionisten ausgeklammert, da es sich bei Exhibitionismus um ein gesondert zu betrachtendes Phänomen handelt. Täter sexuellen Missbrauchs zeichnen sich nicht durch gemeinsame Attribute aus. Sie sind in allen Bevölkerungsschichten vertreten.
Die Täter werden nach folgenden Typen klassifiziert:
Regressiver Typ
- seine primäre sexuelle Orientierung ist auf Erwachsene gerichtet, er ist durch Kinder jedoch sexuell erregbar. Aufgrund der leichten Verfügbarkeit von Kindern, von nichtsexuellen Problemen sowie wegen Problemen mit erwachsenen Sexualpartnern greift er zur sexuellen Befriedigung auf Kinder zurück. Man spricht deshalb auch von einem Ersatzobjekttäter.
Fixierter Typ
- er zeichnet sich durch seine primäre sexuelle Orientierung auf Kinder aus. Er ist durch Erwachsene sexuell nicht oder kaum erregbar. Es handelt sich um den klassischen Pädophilen.
Soziopathischer Typ
- er zeichnet sich durch mangelnde Empathie für Opfer und bisweilen durch sadistische Neigungen aus. Die Sexualität dient ihm nicht primär zur sexuellen Befriedigung, sondern als Mittel zur Unterdrückung. In diesem Zusammenhang wird auch von einem sadistischen Typ gesprochen.
Nach vorsichtigen Schätzungen sind die regressiven Täter mit etwa 90 Prozent am häufigsten anzutreffen. Der fixierte Typ folgt mit etwa zwei bis zehn Prozent an zweiter Stelle. Der soziopathische Typ tritt nur in wenigen Einzelfällen auf.
Geschlecht
Nach derzeitiger Sachlage bilden Männer etwa 85 bis 90 Prozent der Täter. Der Anteil weiblicher Täter ist erst in jüngerer Zeit in das Blickfeld wissenschaftlicher Untersuchungen gelangt.
Alter
Häufigste Altersgruppe der mutmaßlichen Täter sexuellen Missbrauchs sind die 14-16jährigen, gefolgt von den 16-17jährigen. Mit zunehmenden Alter sinken die Belastungszahlen. Dabei zu beachten ist, dass der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs (§ 176 StGB) sowohl freiwillige wie unfreiwillige sexuelle Handlungen mit Kindern unter Strafe stellt.
Tatverdächtigen-Belastungszahlen (TVBZ) beim sexuellen Missbrauch von Kindern (Tatverdächtige pro 100.000 der Bevölkerung der gleichen Altersgruppe). Grundlage: PKS 1996
Rückfallwahrscheinlichkeit
Studien über die Rückfallwahrscheinlichkeit von Sexualstraftätern im allgemeinen und Kindesmissbrauchern im besonderen sind empirisch weitgehend abgesichert. Internationale Studien kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. Etwa 20 Prozent der Kindesmissbraucher wurden in den beobachteten Zeiträumen (4 bis 10 Jahre) erneut einschlägig rückfällig, leicht geringer als der Durchschnitt von Sexualstraftätern (22 Prozent). Dabei zeigte sich bei fixierten Tätern (Pädophile; etwa 10 Prozent der Täter) eine deutlich höhere Rückfallwahrscheinlichkeit von bis zu 50 Prozent als bei regressiven Tätern (etwa 90 Prozent der Täter). Allgemein gilt, dass Sexualstraftäter eine deutlich geringere Rückfallwahrscheinlichkeit haben als andere Straftäter (je nach Delikt, im Bereich von 50-80 Prozent variierend).
Folgen sexuellen Missbrauchs
Zu Beginn der 1980er Jahre konzentrierten sich Studien über die Folgen sexueller Handlungen vornehmlich auf Probanden aus dem klinischen und psychiatrischen Umfeld, die wegen psychischer Probleme (Posttraumatische Belastungsstörung, Borderline-Syndrom, Dissoziative Identitätsstörung etc.) in Behandlung waren. Es wurde festgestellt, dass viele, jedoch nicht alle, dieser Probanden in ihrer Kindheit Erfahrung mit sexuellen Handlungen hatten. Sexueller Missbrauch kennt keine spezifische Symptomatik; ein "Missbrauchs-Syndrom" existiert nicht. Zunächst wurde dennoch gefolgert, dass Missbrauchserfahrungen grundsätzlich nachteilige Folgen bewirken. Hingegen postulierte Finkelhor bereits 1985, dass es keinen schlüssigen Beweis darauf gebe, dass sexueller Missbrauch von Kindern grundsätzlich schädlich sei und begründete eine Ablehnung solcher Handlungen mit der fehlenden Fähigkeit von Kindern, diesen zustimmen zu können.
Genauere Studien anhand nicht-selektiver Stichproben, die aus der Allgemeinbevölkerung bzw. vergleichbaren Bevölkerungsgruppen stammten, zeigten auf, dass lediglich die Hälfte der Probanden mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit negative Symptome aufzeigten die andere Hälfte jedoch beschwerdefrei blieb (z.B. Baurmann 1983). Eine grundsätzliche Schädigung durch sexuellen Missbrauch war demnach auszuschließen. Dennoch bestand eine hohe Korrelation zwischen sexuellem Missbrauch und späteren psychischen Problemen. Es wurde weiterhin eine Ursachen-Wirkung Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch und negativen Folgen angenommen.
Eine Kausalitätsbeziehung zwischen sexuellem Missbrauch und negativen Folgen gilt empirisch als weitgehend widerlegt. Methodisch korrekte Studien wandten sich einer Ursachen-Wirkung Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch und den Folgen zu (Rind et al. 1998, Kilpatrick 1987). Es wurden repräsentative Stichroben verwendet und dabei nicht isoliert sexuelle Handlungen, sondern auch andere Lebensumstände wie nicht-sexuelle physische und psychische Gewalt sowie emotionale und physische Vernachlässigung miteinbezogen. Es bestätigte sich übereinstimmend mit früheren Ergebnissen, dass nur etwa die Hälfte der Probanden mit Missbrauchserfahrungen über negative Symptome berichteten. Bei den Probanden mit psychischen Problemen zeigte sich, dass diese Probleme eher auf psychische/physische Vernachlässigung/Misshandlung als durch sexuellen Missbrauch erklärbar waren. So zeigten sich in der Meta-Analyse von Rind et al. (1998) um bis 9-fach höhere Effektgrößen für Vernachlässigung/Misshandlung als für sexuellen Missbrauch. Auffällig war, dass Dauer und Intensität sexueller Handlungen mit Kindern keinen großen Einfluss auf möglicherweise vorhandene Schädigungen zeigten, die Anwendung von Gewalt hingegen die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung deutlich erhöhten. Mögliche Schäden waren bei Jungen deutlich weniger anzutreffen als bei Mädchen. Etwa ein Drittel der Jungen schätzten die Erlebnisse sogar positiv ein. Insgesamt waren schwere und langanhaltende Schäden nur in Ausnahmefällen anzutreffen. Dies deckte sich mit den Ergebnissen anderer methodisch korrekter Studien.
Gegenwärtig zeigt sich auf, dass Erklärungsmodelle für negative Folgen sexuellen Missbrauchs ohne Gewalteinwirkung fehlen und die Ergebnisse empirischer Forschung deutlich darauf hinweisen, dass keine Ursachen-Wirkung Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch einerseits und negativen Folgen andererseits besteht. Dementsprechend werden nicht gewaltbehaftete sexuelle Handlungen mit Kindern von der Sexualwissenschaft aus moralischen und nicht aus Gründen der Schadensvermutung weitgehend abgelehnt (siehe: informed consent). Es wurde davor gewarnt, in Psychotherapien monokausal sexuellen Missbrauch als Ursache persönlicher Probleme diagnostizieren zu wollen und Therapien hierauf einseitig zu fixieren. Im Kontext einer monokausalen Schadenserwartung sowie der monokausalen Rückführung vieler psychischer Probleme kam es in vielen Fällen zur unbewussten Induktion falscher Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch Therapeuten (siehe False Memory Syndrom). Eine Trennung von moralischem Fehlverhalten und widerlegter Schadensvermutung hat sich überwiegend in der Sexualwissenschaft, nicht jedoch in der öffentlichen Diskussion etabliert.
Verwandte Begriffe und Phänomene
- Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung beschreiben Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von Personen
- Pädophilie und Päderastie sind auf Kinder ausgerichtete sexuelle Orientierungen und existieren als solche im Spannungsfeld sexueller Missbrauch
- Inzest, insbesondere Eltern/Kind-Inzest, wird häufig als sexueller Missbrauch gewertet, ist jedoch primär durch den Verwandschaftsgrad und vom Alter der Beteilgiten oder Gewaltanwendung abhängig
- Kinderprostitution gilt als eine Form sexuellen Missbrauchs
- Die Herstellung von Kinderpornografie geht bisweilen mit sexuellem Missbrauch einher
- Doktorspiele werden manchmal als "Missbrauch unter Kindern" bezeichnet, insbesondere in den USA
- False-Memory-Syndrom bezeichnet die Suggestion "falscher Erinnerungen" an sexuellen Missbrauch oder andere Traumata
Literatur
- Archives of Sexual Behavior, Vol. 31, No. 6, December 2002, p. 465 ff.
- Beier, Bosinski, Hartmann, Loewit: Sexualmedizin, Urban & Fischer 2001, ISBN 3-437-51086-X
- Allie C. Kilpatrick: Long-Range Effects of Child and Adolescent Sexual Experiences, Laurence Erlbaum Associates 1992, ISBN 0-8058-0913-9
- Volkmar Sigusch: Sexuelle Störungen und ihre Behandlung, Thieme 2001, ISBN 3131039434
- Helmut Graupner: Sexual Consent, The Criminal Law in Europe and Overseas, Keynote-Lecture at the 7th International Conference of the International Association for the Treatment of Sexual Offenders (IATSO)
- Katharina Rutschky, Reihart Wolff: Handbuch Sexueller Missbrauch, Rowohlt 1999, ISBN 3499605988
- Tom Levold: Problemsystem und Problembesitz: die Diskurse der sexuellen Gewalt und die institutionelle Praxis des Kinderschutzes, System Familie, Springer-Verlag 1997
- Michael C. Baurmann: Sexualität, Gewalt und psychische Folgen, Bd.15 der BKA-Forschungsreihe, 1983, 1996