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Lagrange-Punkte

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Position der fünf Lagrange-Punkte

Die Librations- oder Lagrange-Punkte sind die nach Joseph-Louis Lagrange benannten Gleichgewichtspunkte des eingeschränkten Dreikörperproblems der Himmelsmechanik. Er konnte beweisen, dass das im Allgemeinen analytisch (durch exakte vollständige Lösung von Gleichungen) nicht lösbare Dreikörperproblem für einige Spezialfälle des eingeschränkten Dreikörperproblems doch analytisch lösbar ist: Für zwei umeinander kreisende Körper gibt es 5 Gleichgewichtspunkte - die Lagrangepunkte - in denen sich ihre Gravitationskraft und die Zentrifugalkraft auf einen dritten Körper mit im Verhältnis zu den anderen beiden verschwindend kleiner Masse aufheben, so dass er in diesen Punkten in Bezug auf die anderen beiden Körper immer denselben Ort einnimmt. Der Allgemeinfall des Dreikörperproblems ist nur genähert lösbar. Man löst das Dreikörperproblem dann iterativ mit numerischen Methoden, heutzutage auf Computern.

Lage der Lagrange-Punkte

Die Lagrangepunkte sind im mitbewegten Bezugssystem, welches sich mit der Bahnbewegung des Planeten um das Zentralgestirn mitdreht (so dass in ihm der Planet still zu stehen scheint), feste Punkte in denen sich die Gravitationskräfte der beiden Körper auf den dritten und seine Zentrifugalkraft (aufgrund der Kreisbewegung im ruhenden Bezugssystem) aufheben, so dass er in diesen Punkten ruht und nicht in Richtung des einen der beiden anderen Himmelskörper ausgelenkt wird. Im ruhenden Bezugsystem führt ein Körper in einem der Lagrangepunkte also eine zur Umlaufdauer des Planeten synchrone Bewegung um das Zentralgestirn aus.

Drei der Lagrangepunkte liegen auf der Verbindungslinie der anderen beiden Körper, der vierte und fünfte bilden mit diesen beiden Körpern jeweils die Eckpunkte eines gleichseitiges Dreiecks. Die Punkte nennt man Lagrange-Punkte 1 bis 5 oder kurz L1 bis L5. Nur bei den Punkten L4 und L5 handelt es sich um ein stabiles Gleichgewicht, bei L1 bis L3 dagegen um ein instabiles. Daher können sich in der Umgebung von L1 bis L3 keine natürlichen Himmelskörper auf Dauer halten.

L1

Der innere Lagrangepunkt L1 befindet sich zwischen den beiden großen Körpern auf ihrer Verbindungslinie.

Beispiel: Ein Körper, der die Sonne in einem engeren Abstand als die Erde umkreist, würde normalerweise eine kürzere Umlaufdauer haben als die Erde. Durch die Anziehungskraft der Erde wird jedoch die Anziehungskraft der Sonne auf den Körper geschwächt (die beiden Kräfte sind entgegengesetzt), weswegen sich dadurch seine Umlaufdauer erhöht und im L1 des Systems Erde-Sonne schließlich synchron zu der der Erde verläuft. Dieser Punkt befindet sich 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt in Richtung Sonne.

Der innere Lagrange-Punkt L1 im System Erde-Sonne dient seit 1995 als "Basis" zur Sonnenbeobachtung. In seiner Nähe ist der Sonnenbeobachtungssatellit SOHO mit einem Bündel von 12 Messinstrumenten stationiert. Der L1 wird von SOHO langsam im Abstand von rund 600.000 km umrundet (aus der Sicht des mit der Erdbewegung mitbewegten Bezugssystems). Dort wurde auch die Raumsonde Genesis mit Instrumenten zur Erforschung des Sonnenwinds positioniert.

L2

L2 befindet sich hinter dem kleineren der beiden großen Körper auf ihrer Verbindungslinie.

Beispiel: Ein ähnlicher Effekt wie im Fall des L1 ist weiter weg von der Sonne auf der anderen Seite der Erde zu beobachten. Normalerweise wäre außerhalb der Erdbahn die Umlaufdauer länger als die der Erde. Die zusätzliche Anziehung der Erde (Kräfte von Sonne und Erde auf den Körper sind gleichgerichtet) bewirkt jedoch eine kürzere Umlaufdauer, welche im L2 wiederum gleich der Umlaufdauer der Erde ist. Dieser Punkt befindet sich 1,5 Millionen Kilometer außerhalb der Erdbahn.

Der L2-Punkt des Systems Erde-Sonne wird gerne für Weltraumteleskope verwendet. Da ein Körper im L2 dieselbe Orientierung in Bezug auf Sonne und Erde beibehält ist dort die Abschirmung (vor Sonnenstrahlung) und Kalibrierung des Satelliten wesentlich einfacher.

Der WMAP-Satellit (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe), welcher die kosmische 3-Kelvin-Hintergrundstrahlung des Urknalls untersucht, befindet sich in einer Umlaufbahn um den L2-Punkt des Systems Erde-Sonne. Die ESA plant, den Satelliten Eddington zur Suche nach extrasolaren Planeten in einigen Jahren am Lagrange-Punkt L2 zu platzieren. Die NASA plant ebenfalls den L2 für ihr James Webb Space Telescope zu benutzen.

L3

L3 befindet sich hinter dem größeren der beiden großen Körper auf ihrer Verbindungslinie etwas außerhalb der Umlaufbahn des kleineren der beiden großen Körper.

Beispiel: Ein dritter Lagrangepunkt, L3, existiert auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne, etwas weiter weg von der Sonne als die Erde. In diesem Punkt bewirken die (gleichgerichteten) kombinierten Anziehungskräfte von Erde und Sonne wieder eine Umlaufdauer welche gleich der der Erde ist. Der L3-Punkt war in Science-Fiction-Büchern und Comics ein beliebter Platz für eine hypothetische (für uns aufgrund der Sonne nicht sichtbare) "Gegenerde".

L4 und L5

Diese beiden Lagrangepunkte befinden sich jeweils am dritten Punkt eines gleichseitigen Dreiecks, dessen Grundlinie die Verbindungslinie der beiden großen Körper ist. L4 befindet sich in Umlaufrichtung des kleineren der beiden großen Körper vor ihm, L5 hinter ihm. Der L4- und L5-Punkt liegen also 60° vor beziehungsweise 60° hinter dem um den Zentralkörper umlaufenden Körper in seiner Umlaufbahn. Asteroiden, die sich in diesen Punkten befinden, werden von Astronomen auch Trojaner genannt.

Beispiele:

Jupitertrojaner

In der Umgebung der Punkte L4 und L5 des Jupiter halten sich die (erstmalig bei Jupiter so genannten) Trojaner auf, eine Gruppe von Asteroiden. Sie haben dieselbe Umlaufperiode wie Jupiter, eilen ihm aber im Mittel 60° vor bzw. nach und umkreisen dabei die Punkte L4 und L5 periodisch in weiten Bögen. Bislang sind in L4 und L5 rund 900 beziehungsweise 600 Trojaner bekannt, die Gesamtzahl wird auf einige Tausend geschätzt. Der erste Trojaner, (588) Achilles, wurde 1906 von Max Wolf entdeckt. Der weitaus größte Trojaner dürfte der 1907 entdeckte (624) Hektor sein, ein unregelmäßig geformter Asteroid von 370 &times 195 km Ausdehnung.

Trojaner anderer Planeten

1990 wurde auch im Librationspunkt L5 des Mars ein Mars-Trojaner entdeckt, der Eureka getauft wurde. Mittlerweile hat man vier weitere Mars-Trojaner entdeckt, davon einen im L4-Punkt. Ende 2001 fand man auch 60° hinter Neptun einen Trojaner. Mit dem 4 m-Spiegelteleskop am Cerro Tololo aufgenommen, erhielt der 230 km-Körper die Asteroiden-Nummer 2001 QR322, war aber erst nach einem Jahr "gesichert". Er umrundet die Sonne - genau wie Neptun - in 166 Erdjahren. Weitere Trojaner gibt es im Saturn-Sonne-System und in den Mondsystemen von Jupiter und Saturn. So hat der Saturnmond Tethys die kleinen Monde Telesto in seinem L4- und Calypso in seinem L5-Punkt und der Saturnmond Dione hat die Monde Helene in seinem L4- und Polydeuces in seinem L5-Punkt.

Erdbegleiter

Von der Erde ist bis jetzt noch kein Trojaner bekannt. Es wurden bislang in den L4- und L5-Punkten des Erde-Sonne-Systems in den 1950ern Staubwolken gefunden. In den L4- und L5-Punkten des Systems Erde-Mond wurden ebenfalls sehr schwache Staubwolken gefunden, die noch schwächer als der schwache Gegenschein ausgeprägt sind. Jedoch gibt es einige Asteroiden, welche sich auf einer sogenannten Hufeisenumlaufbahn zusammen mit der Erde (also einer mittleren Umlaufdauer von einem Jahr) um die Sonne bewegen. Der Übergang von einem Trojaner zu einer Hufeisenbahn ist fließend: Wenn der Abstand eines Trojaners zum L4- oder L5-Punkt zu groß ist, dann wird er einmal auf der Erdbahn den der Erde entgegengesetzten Punkt überschreiten und dann in Richtung des anderen Lagrange-Punktes wandern. Insbesondere die Bahn des am 9. Januar 2002 mit Hilfe der automatischen Himmelsüberwachung LINEAR (Lincoln Near Earth Asteroid Research) entdeckte Asteroiden 2002 AA29 (ein Objekt mit nicht mal 100 m Durchmesser) ist bemerkenswert. Er umkreist die Sonne auf einer der Erdbahn sehr ähnlichen Umlaufbahn, wobei er vom mit der Erdbewegung mitbewegten Bezugssystem aus gesehen entlang der Erdbahn im Lauf von 95 Jahren einen Bogen von fast 360° beschreibt, den er in weiteren 95 Jahren wieder zurück schwingt. Die Form des Bogens erinnert an ein Hufeisen, daher der Name Hufeisenbahn.

Stabilität der Lagrange-Punkte

Die ersten drei Lagrangepunkte sind nur in der Ebene senkrecht auf der Verbindungslinie zwischen den beiden großen Körpern stabil. Am einfachsten kann man dies anhand des L1-Punkts sehen. Eine Testmasse, die vom L1 aus senkrecht von der Verbindungslinie entfernt wird spürt eine Kraft zurück in den Gleichgewichtspunkt. Dies liegt daran, dass die waagerechten Kraftkomponenten der beiden großen Körper sich gegenseitig aufheben, während sich ihre senkrechten Kraftkomponenten addieren. Wird hingegen ein Objekt aus dem L1-Punkt heraus etwas näher an einen der beiden anderen Körper bewegt, so ist die Gravitationskraft des Körpers an dem er näher ist größer und somit heben sich die Kräfte nicht mehr vollständig gegenseitig auf und die Testmasse wird weiter in Richtung des näheren Körpers beschleunigt. Die Punkte L1 und L2 sind dennoch von Nutzen, da geringe Korrekturmanöver eines Satelliten ausreichen um ihn dort zu halten.

Im Gegensatz dazu sind L4 und L5 Gleichgewichtszustände (CF-Attraktor), sofern das Massenverhältnis der beiden großen Körper größer als 24,96 ist. Wird ein Körper in einem dieser Punkte gestört, so entfernt er sich von ihm, aber die Corioliskraft zwingt ihn in eine nierenförmige Umlaufbahn um diesen Punkt (die Nierenform der Umlaufbahn erhält man in der Sicht des mitbewegten Bezugssystems in dem die Lagrangepunkte ruhen).

weiterführende Artikel

siehe auch

Trojaner (Astronomie), Gravitation, Keplersche Gesetze

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