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Treuhandanstalt

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Haus der Elektroindustrie, der Hauptsitz der Treuhandanstalt am Berliner Alexanderplatz

Die Treuhandanstalt, kurz auch nur als „Treuhand“ bezeichnet, war eine Anstalt in der Bundesrepublik Deutschland, deren Aufgabe es war, die Volkseigenen Betriebe der DDR nach den Grundsätzen der Marktwirtschaft zu privatisieren oder, wenn das nicht möglich war, stillzulegen und die „Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern“ (§ 8 Treuhandgesetz). Aufgrund unterschiedlicher Probleme wurden jedoch viele Betriebe geschlossen und im Umfeld der Privatisierung kam es zu einigen Fällen von Fördermittelmissbrauch und Wirtschaftskriminalität, was das Ansehen der Bundesanstalt beschädigte.

Gründung

Im Rahmen der Wende in der DDR stellte sich für die neuen Verantwortlichen die Frage, wie mit den Volkseigenen Betrieben (VEB) verfahren werden sollte. Neben der Möglichkeit, sie in eine im Westen übliche Unternehmens-Rechtsform zu überführen, wurde auch die Gründung einer Dachgesellschaft - gleichsam einer „Staats-Holding“ - für das gesamte volkseigene Vermögen der DDR diskutiert.

Am 12. Februar 1990 legte die Oppositionsgruppe Demokratie Jetzt (DJ) eine Vorlage für die Sitzung des Runden Tisches mit dem Vorschlag zur umgehenden Bildung einer „Treuhandgesellschaft“ (Holding) zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR vor. Erarbeitet worden war diese Vorlage von einer Gruppe mit dem Namen Freies Forschungskollegium Selbstorganisation für Wissenskatalyse an Knotenpunkten um den Theologen Wolfgang Ullmann, den Ingenieur Matthias Arzt und den Physiker Gerd Gebhard.

Am 1. März 1990 beschloss der Ministerrat der DDR (Modrow-Regierung) die Gründung der „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“. Sie sollte das Volkseigentum wahren und im Interesse der Allgemeinheit verwalten. Die Haupttätigkeit dieser ersten „Treuhand“ bestand in der Entflechtung von Kombinaten und der Umwandlung der Nachfolgeunternehmen in Kapitalgesellschaften. Ihr erster Präsident war kurzzeitig der frühere stellvertretende Ministerpräsident in der Modrow-Regierung Peter Moreth (LDPD).

Die Arbeit der Treuhandanstalt über die Wiedervereinigung hinaus basiert auf dem noch von der Volkskammer der DDR am 17. Juni 1990 beschlossenen Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) in Verbindung mit dem Einigungsvertrag und dem Staatsvertrag vom 18. Mai 1990. Am 1. Juli 1990 waren der Treuhand etwa 8.500 Betriebe unterstellt, in denen mehr als 4 Millionen Menschen arbeiteten. Mit der Wiedervereinigung wurde sie eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts unter der Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums.

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 war die Personal- und Sachmittelausstattung der THA eher unzureichend, so dass die Behörde nur eingeschränkt arbeitsfähig war. Die Bundesregierung erreichte, die Führungsspitze im Juli 1990 mit marktwirtschaftlich erfahrenen (westdeutschen) Persönlichkeiten zu besetzen. Detlev Karsten Rohwedder, bis dahin Vorstandsvorsitzender der Hoesch AG, wurde Vorsitzender des Verwaltungsrates. Präsident wurde Reiner Maria Gohlke, vorher Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bundesbahn. Gohlke trat aber nach wenigen Monaten im Kompetenzstreit mit dem Verwaltungsrat zurück, so dass Rohwedder das Amt des Präsidenten der THA übernahm. Verwaltungsratsvorsitzender wurde dann der bisherige Vorstandsvorsitzende der Kaufhof-AG, Jens Odewald.

Nachdem der Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder von der RAF am 1. April 1991 ermordet worden war, wurde die CDU-Politikerin Birgit Breuel am 13. April 1991 zur neuen Präsidentin der Treuhandanstalt gewählt. Für die Treuhandanstalt waren diverse Manager und Politiker als Berater tätig, unter anderem Klaus von Dohnanyi und Klaus Schucht.

Tätigkeit

Der Hauptsitz der Treuhandanstalt war Berlin, anfangs im früheren „Haus der Ministerien“ (heute Detlev-Rohwedder-Haus, zur Zeit des Nationalsozialismus Sitz des Reichsluftfahrtministeriums), danach im ehemaligen Haus der Elektroindustrie am Alexanderplatz. Daneben bestanden 15 Niederlassungen in jeder ehemaligen Bezirksstadt.

Die Treuhand übernahm im Sommer 1990 alle noch nicht umgewandelten volkseigenen Unternehmen - insgesamt 8500 Gesellschaften mit etwa vier Millionen Beschäftigten in rund 45 000 Betriebsstätten. Das Gesamtportfolio belief sich später auf 14.600 Gesellschaften.

Die Treuhandanstalt übernahm ferner rund 2,4 Millionen ha land- und forstwirtschaftliche Flächen, das Vermögen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, wesentliche Teile der Liegenschaften der ehemaligen Nationalen Volksarmee, umfangreichen Wohnungsbesitz sowie das Vermögen der staatlichen Apotheken. Mit dem 3. Oktober 1990 ging weiterhin das Vermögen der Parteien und Massenorganisationen auf die Treuhandanstalt über.[1]

Ihrem Auftrag aus dem Treuhandgesetz entsprechend, handelte sie dabei nach den Grundsätzen: „Schnell privatisieren, weil wir der Auffassung sind, dass Privatisieren die beste Form der Sanierung ist. Das zweite Motto heißt: Entschlossen sanieren. Da, wo Zukunft möglich ist, soll Sanierung durchgeführt werden, um auch hier den Menschen mehr Mut und Hoffnung zu machen. Und das dritte Motto heißt: Behutsam stilllegen.“ (Zitat Birgit Breuel)

Die Arbeit wurde dadurch erschwert, dass die DDR am Tag der Währungsunion praktisch bankrott war und selbst Vorzeigekombinate nicht auf dem Stand der Technik waren (polemisch wurde von „Industriemuseen“ gesprochen). So ging damals ein großer Teil der Investitionen in die Reparatur dieser veralteten Anlagen. Die Produktivität der DDR-Industrie war auf einem sehr niedrigen Stand, so lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner bei 27,1 % des westdeutschen Wertes. Aus ideologischen Gründen herrschte in den Volkseigenen Betrieben ein Personalüberhang von ca. 15 %, und nach Aufhebung der staatlich kontrollierten Planwirtschaft standen viele Betriebe vor dem Kollaps. Dazu kam ein Einbrechen der Nachfrage nach DDR-Produkten.

Im Zuge von Privatisierung, Sanierung und Stilllegung sank die Zahl der Beschäftigten von über vier Millionen auf etwa 1,5 Millionen - was die Wut in den neuen Bundesländern auf die Treuhand erklärt. In der Wahrnehmung der ehemaligen DDR-Bürger erschien die Treuhand oft als Betriebsschließer, der die ostdeutsche Wirtschaft abwickelt. Bundesweite Bekanntheit in diesem Zusammenhang erlangten die Proteste der Kalikumpel im thüringischen Bischofferode, die sich im Sommer 1993 vergeblich mit Betriebsbesetzung und Hungerstreiks gegen die Schließung ihrer Grube gewehrt haben.

Der Chef der Treuhandanstalt Rohwedder meinte zu dieser Sichtweise: „Die Treuhand-Anstalt ihrerseits ist hilflos gegenüber diesem Tornado an Kritik und der Vielzahl von Vorwürfen, die überwiegend berechtigt waren. Es wird mit dieser Institution verbunden alles das, was wir hier in der früheren DDR sehen an Not, an Aussichtslosigkeit, an Verbitterung und auch an existentieller Bedrohung der einzelnen Mitarbeiter.“ (Auf einem Treffen mit Betriebsräten im März 1991)

Dennoch konnten die „Filetstücke“ gut privatisiert werden, wie zum Beispiel Jenoptik in Jena, das größte ostdeutsche Stahlwerk EKO oder auch die meisten der Ostsee-Werften. Sie sind bis heute erfolgreiche Unternehmen.

Präsidenten und Vorsitzende der Treuhandanstalt

Auflösung

Am 31. Dezember 1994 wurde die Treuhandanstalt aufgelöst und die verbliebenen Aufgaben auf mehrere Folgegesellschaften verteilt (etwa Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), Treuhandliegenschaftsgesellschaft (heute TLG Immobilien GmbH), Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG). Die anfängliche Vorstellung, aus der Privatisierung kostendeckende Erlöse zu erzielen, erwies sich rasch als Trugschluss. Die Erlöse aus Privatisierungen betrugen bis Ende 1994 einschließlich der noch nicht gezahlten, aber vertraglich vereinbarten Beträge rund 60 Mrd. DM. Ihnen standen Ausgaben von weit über 300 Mrd. DM gegenüber. Die Gesamtverschuldung der Treuhandanstalt schätzte man Ende 1994 auf über 200 Mrd. DM.

Die Schulden der Treuhand wurden am 1. Januar 1995 in den Erblastentilgungsfonds eingebracht.

Am Tage der Auflösung zog die damalige Chefin Birgit Breuel eine positive Bilanz: „Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass hier in viereinhalb Jahren eine ganze Wirtschaft transformiert worden ist und sich heute in weiten Teilen im Wettbewerb behauptet, ist in einer unglaublich kurzen Zeit hier Marktwirtschaft eingeführt worden.“

Die "5 Wirtschaftsweisen" kamen in ihrem Jahresgutachten von 1994 zu folgendem Schluss: „Der Treuhandanstalt ist es in erster Linie zu verdanken, daß das Bild der Wirtschaft in den neuen Bundesländern heute nicht von notleidenden und nur durch ständige Finanzspritzen am Leben gehaltenen Staatsbetrieben geprägt wird, sondern von selbständigen Unternehmen, die beharrlich und zunehmend auch mit Erfolg auf die Festigung ihrer Marktposition hinarbeiten" Auch andere Wirtschaftswissenschaftler sahen trotz der Probleme der Treuhand keine Alternative zur raschen Privatisierung, wolle man auf Dauer von Subventionen abhängige Betriebe vermeiden.

Für viele Ostdeutsche, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten, fiel die persönliche Bilanz eher negativ aus. Auch die im folgenden beschriebenen Probleme und Fehlentscheidungen, die oft finanzielle Einbußen für den Staat bedeuteten, trugen nicht gerade zu einem positiven Image der Bundesanstalt bei. Dazu kamen einige Betrugsfälle im Umfeld der Privatisierungen, die das Ansehen der Treuhand in der Öffentlichkeit beschädigten.

Probleme bei der Privatisierung

Die Privatisierungsaufgabe der Treuhandanstalt war im Hinblick auf ihren Umfang und ihre Komplexität einmalig. So waren weltweit zwischen 1980 und 1987 nicht einmal 1000 Privatisierungen durchgeführt worden, alle in einem marktwirtschaftlich stabilen Umfeld. Nun sollten unter erschwerten Rahmenbedingungen im Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft tausende Unternehmen auf einmal privatisiert werden. Da sowohl die Organisationsstruktur als auch die personelle und materielle Ausstattung am Anfang dieser Aufgabe nicht gewachsen waren, kam es recht schnell zu Problemen, wie zum Beispiel zu Verkäufen an dubiose Geschäftemacher, Betrugsfällen aufgrund mangelnder Kontrolle oder wirtschaftlich eher nicht sinnvollen Aufteilungen der Firmen.

Als ein großes Problem wird der Umrechnungskurs von DDR-Mark in D-Mark von 1:1 gesehen, was einer Aufwertung der Währung um ca. 400 % entspricht. Was eine intakte Volkswirtschaft schon kaum vertragen hätte, musste bei der maroden DDR-Wirtschaft dramatische Folgen haben. Aber ein realistischerer, am Unterschied der Arbeitsproduktivität zwischen Ost und West orientierter Umrechnungskurs hätte die Nominallöhne in Ostdeutschland und damit den Lebensstandard erheblich reduziert.

Eine Senkung des Lebensstandards wäre aber zur politischen Stabilisierung der DDR kontraproduktiv gewesen und deshalb politisch nicht gewollt. Tatsächlich machte der Umrechnungskurs von 1:1 die Unternehmen in der DDR unprofitabel und Millionen von Arbeitsplätzen obsolet. Damit wurde von einem Tag auf den anderen das von der Treuhand gehaltene Volksvermögen entwertet. [2]

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Ostdeutschland fanden trotz intensiver Bemühungen viele Unternehmen keinen Käufer. Nur mit erheblichen Zuschüssen konnte die Treuhand die großen Kombinate verkaufen. Zahlreiche kleine und mittlere Firmen fielen in die Hände von dubiosen Geschäftemachern.

Auch die geringe Beteiligung Ostdeutscher an den Unternehmenskäufen fällt auf, denn im Verhältnis zu der Zahl der privatisierten Arbeitsplätze beträgt ihr Anteil lediglich sechs Prozent.

Es war ein erklärter Grundsatz der Treuhand, beim Unternehmensverkauf nach klaren Regelmechanismen zu entscheiden. In so manchem Fall lief die Privatisierung mit einer gewissen Zufälligkeit ab. Das bekamen vor allem die ostdeutschen Geschäftsführer, die ihre eigenen Unternehmen im Rahmen eines Management-Buy-out (MBO) übernehmen wollten, zu spüren. In der Folge kämpfen viele der durchweg kapitalschwachen MBO-Betriebe trotz passabler Auftragslage ums Überleben. [3]

Der politische Wille zur Zerschlagung der überladenen und ineffizienten Großunternehmen und Kombinate war groß, so dass man ohne gründliche Strukturanalysen die Großbetriebe in kleinere Einheiten aufspaltete. Dabei lauteten die Vorgaben gar nicht auf Aufspaltung. Durch die Zerschlagung der Kombinate wurde vielen Firmen die wirtschaftliche Basis entzogen, so dass die Reste oft nicht überlebensfähig waren. So wurden die kleinen Betriebe dann desöfteren mit ungenügender Kapitaldecke und unzureichender Marktausrichtung verkauft.

Die damalige Bundesregierung schätzte außerdem die vorhandenen und kommenden Wirtschaftsmöglichkeiten falsch ein. Vor allem die große wirtschaftliche Bindung an den nun zusammenbrechenden Ostblock wurde zu wenig berücksichtigt. Auch orientierte man sich in manchen Fällen fälschlicherweise an westdeutschen Verhältnissen. Die politischen Forderungen an die Treuhand (Erhalt der Firmen und Arbeitsplätze, weltmarkttaugliche Sanierung, schneller Erfolg und gewinnbringender Verkauf) stellten sich als kaum erfüllbar heraus.

Eine effizient arbeitende Privatisierungsagentur, in der nach transparenten Kriterien entschieden wird, war die Treuhand nie. Angesichts des Zeitdrucks, unter dem sie agierte, konnte sie dies auch nicht sein. Die weitreichenden Entscheidungsspielräume, die ihr die Bundesregierung konzedierte, gab sie an ihre Mitarbeiter weiter. Nur so ließ sich innerhalb von vier Jahren eine ganze Volkswirtschaft privatisieren.

Betrugsfälle

Insbesondere in den Anfangsjahren sorgten fehlende Organisationsstrukturen und damit einhergehend fehlende effektive Kontrollmechanismen und -maßnahmen der Treuhandanstalt dafür, die „Arbeit“ der Täter erheblich zu erleichtern. Häufig kamen vor allem Fälle von Bilanzfälschung und Unterwertverkauf vor, insbesondere bei nicht betriebsnotwendigen Grundstücken. In vielen Fällen wurde auch durch Insider-Wissen ein persönlicher Vorteil erzielt. Ausschreibungsbetrug in Verbindung mit Bestechung (z.B. die „Ganoven GmbH Halle“ [4]) kam ebenfalls vor. Hierzu gehören auch Fälle von Preisabsprachen im Zusammenhang mit Auftragsvergaben durch die Treuhandanstalt.

Manche „Investoren“ betrieben aber auch eine von vornherein geplante systematischen Aushöhlung der übernommenen Unternehmen (z.B. VEB Wärmeanlagenbau, s.u.).

Im Jahr 1998 schätzte der Untersuchungsausschuss des Bundestages DDR-Vermögen den Schaden, der durch Veruntreuung, Betrug und andere kriminelle Handlungen im Zusammenhang mit der Privatisierung der DDR-Volkswirtschaft verursacht wurde, auf eine Summe zwischen drei bis zehn Milliarden DM.

Auf Unverständnis trafen die Fälle mangelnder Überprüfung der Handelspartner der Treuhand, insbesondere in Bezug auf deren Bonität, wären sie doch einfach vermeidbar gewesen. Dies führte oft zu einem „bösen Erwachen“. Der Treuhandanstalt mangelte es sowohl an personeller Kapazität wie Kompetenz, um eine wirksame Kontrolle auszuüben. Sie war bei ihrer Kontrolle auf Wirtschaftsprüfungsfirmen angewiesen.

Nach Meinung des Bundesrechnungshofes war die Controlling-Praxis der der Treunhandanstalt und ihrer Nachfolgeinstitution BvS mangelhaft. In ihrem Bericht an den Bundestag beanstandet die Behörde, dass die Investitionszusagen nicht angemessen überwacht werden. Überhaupt sei das gesamte Berichtswesen der BvS (und der Treuhandanstalt) „mit erheblichen Mängeln behaftet“. Anhand von Stichproben - die Rechnungsprüfer nahmen sich 100 Privatisierungsverträge aus den Jahren 1993 und 1994 vor - stellt der Rechnungshof fest:

„Erhebliche Investitionszusagen wurden bereits als eingehalten und überprüft angesehen, wenn die schriftlichen oder telefonischen Meldungen der Vertragspartner den vertraglichen Abreden entsprachen.“ Und weiter: „Sogar vertraglich vereinbarte Wirtschaftsprüfertestate über durchgeführte Investitionen wurden nicht immer verlangt“, heißt es in dem Bericht. [5][1]

Im Verhältnis zum Umfang der durchgeführten Privatisierungen hielt sich die Treuhandkriminalität in einem überschaubaren Rahmen. Angesichts der Krassheit mancher Einzelfälle wird und wurde dies oft übersehen. Sie war entgegen des weitverbreiteten Vorurteils kein Massenphänomen.

Auch liegt eine Ursache manchen Betruges gegenüber der THA sicher in dem Umstand begründet, dass sich die Treuhandanstalt im Regelfall am Ertrags- und nicht am Substanzwert der von ihr zu privatisierenden Unternehmen orientierte. Dieser wiederum war oftmals sehr gering, weil die Unternehmen keine Chance hatten, im Wettbewerb zu bestehen, wenn nicht ein Investor erhebliche (kostenintensive) Umstrukturierungen vornehmen würde.

VEB Wärmeanlagenbau

Einer der krassesten Fälle von Treuhandkriminalität ist der Fall des einstigen DDR-Monopolisten für Heizkraftwerke und Fernwärmeleitungen, bei dem Gerissenheit und kriminelle Energie auf der einen Seite gepaart mit fehlenden Kontrollmechanismen auf der anderen Seite zu einem Desaster führten. Der 1.200 Mitarbeiter starke Betrieb VEB Wärmeanlagenbau wurde in Wärmeanlagen Berlin GmbH (WBB) umbenannt, für den sich Anfang 1991 die Deutsche Babcock AG interessierte. Sie schickte daher ihren damaligen Prokuristen, Michael Rottmann, nach Berlin, um die Situation der WBB zu analysieren. Rottmann verbündete sich dort aber mit den beiden WBB-Geschäftsführern sowie zwei Schweizer Staatsbürgern und malte die wirtschaftliche Situation der WBB so schwarz, dass Babcock das Interesse verlor. Gleichzeitig präsentierte er der Treuhandanstalt einen angeblich solventen Käufer in Gestalt des Schweizer Unternehmens Chematec, welches wohl damals schon hoch verschuldet war und schließlich für zwei Mio. DM die WBB erwarb. Diese Firma diente aber nur als Strohmann für Rottmann und seine Mittäter.

Zum damaligen Zeitpunkt belief sich der tatsächliche Wert der WBB nach Schätzungen auf rund 68 Mio. DM, wobei die WBB über liquide Mittel in Höhe von rund 150 Mio. DM sowie etliche lukrative Grundstücke verfügte. Unmittelbar nach dem Kauf wechselte Rottmann in die Geschäftsführung der WBB und begann zusammen mit seinen Komplizen, die Guthaben über ein undurchsichtiges Firmengeflecht auf andere Konten zu transferieren, Grundstücke zu veräußern und Hypotheken aufzunehmen. Auf diese Weise sollen Rottmann und Komplizen der WBB insgesamt rund 150 Mio. DM entzogen haben; übrig blieb hingegen ein Schuldenberg in Höhe von 100 Mio. DM. Nach dem Bankrott des Unternehmens floh Rottmann 1995 in die USA. Im September 2000 wurde er in der Nähe von London verhaftet; nach seiner Überstellung in die Bundesrepublik wartet der Prozess vor dem Landgericht Berlin auf ihn. In einem Vergleich mit der BvS wurde vereinbart, dass Rottmann 20 Millionen Euro zurückzahlen muss. Ein Mittäter Rottmanns wurde zwischenzeitlich zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt.[6]

Elbo-Baugruppe

Der Bremer Kaufmann Heinz Kramer wollte alle Wohnungsbaukombinate im Norden der ehemaligen DDR kaufen, um daraus einen ostdeutschen Baukonzern zu formen. Gleichzeitig schloss er mit den Unternehmen Beraterverträge mit ansprechenden Honoraren ab. Trotz langwieriger Verhandlungen gelang es ihm nicht, den Kaufpreis zu finanzieren. Er überzeugte aber die Vorstände und Geschäftsführer der Unternehmen, Geld auf ein Treuhandkonto seines Notars für Aktivitäten nach dem Verkauf einzuzahlen. Diese mehr als 70 Millionen DEM ließ er sich dann auf ein eigenes Konto transferieren. Danach behauptete er gegenüber der Treuhand, der könne den Kaufpreis aufbringen. Kramer verstarb in Singapur, noch bevor die deutschen Behörden seiner habhaft werden konnten. Später stellte sich heraus, dass von den Liquiditätshilfen der Treuhand in Höhe von DEM 120 Mio.,DEM 110 Mio. fehlten. Davon waren DEM 41 Mio. an die Beratungsfirmen Kramers geflossen. Letztlich konnte die Treuhand DEM 62 Mio. zurückholen, der Rest blieb verschwunden. Von der beträchtlichen Lebensversicherung von Kramer in Höhe von DEM 14 Mio. ließ die Treuhand DEM 11 Mio. pfänden. Eingeweihte vermuten, dass der auf mehrere hundert Millionen geschätzte Grundbesitz der Wohnungsbaukombinate und Tiefbauunternehmen die Rückfallebene für Kramer war. Sollte der geplante Baukonzern nicht entstehen, so hätte er sich nach dem Verkauf der Grundstücke eine Sonderdividende in einer Höhe zahlen können, die seine Investition bei weiten übertroffen hätte. Die Elbo-Baugruppe wurde dann für 10 Mill. DM an die Hegemann-Gruppe verkauft. Später stellte sich heraus, dass die Firmen schon im Zeitpunkt des Verkaufs wertlos waren. Nach erfolglosen Restrukturierungsversuchen, für die Bund und Land und der Eigentümer nochmals erhebliche Mittel einsetzten, sind die Unternehmen inzwischen abgewickelt.

Leunawerke

In der Leuna-Affäre geht es um Schmiergeldzahlungen beim Verkauf der Leuna-Raffinerie und der zum Zeitpunkt der Verhandlungen bereits profitablen Minol an den französischen Konzern Elf Aquitaine.

Schiffsbaukombinat

Bei der Privatisierung des ostdeutschen Schiffbaukombinates wurden gewährte Zuschüsse rechtswidrig zur Sanierung der Staammbetriebe umgeleitet. Insgesamt wurden hier 350 Mio. Euro EU-Fördermittel, welche eigentlich für die maroden Ostwerften gedacht waren, rechtswidrig nach der westdeutschen Schiffswerft Bremer Vulkan umgeleitet.

Aufbau-Verlag

Der Berliner Aufbau-Verlag wurde 1991 von der Treuhand an eine Investorengruppe verkauft, obwohl er sich gar nicht in ihrem Eigentum befand. Der Verlag befand sich zur Wende im Besitz des Kulturbundes der DDR, der sich zu dieser Zeit unter Zwangsverwaltung der Treuhand befand und heute noch als Kulturbund e.V. mit zahlreichen Mitgliedern existiert. Der Verlag war jedoch nicht unmittelbares Eigentum der Treuhandanstalt und durfte deshalb so nicht verkauft werden, was nach verschiedenen Aussagen einigen Mitarbeitern der Treuhand bekannt gewesen sein könnte.

Der Verleger Bernd F. Lunkewitz, der bereits an dem ersten Verkauf beteiligt war, bemerkte den Fehler und kaufte 1995, nachdem die Treuhand zu keiner Korrektur bereit war, den Aufbau-Verlag vom Kulturbund für umgerechnet ca. 450 000 €. In einem jahrelangen Rechtsstreit, der erst 2008 mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes endete, wurde entschieden, dass der Verkauf 1991 durch die Treuhand nicht rechtens war und somit der Verkauf von 1995 wirksam war. [7]

Der neue Eigentümer versuchte daraufhin die Bundesrepublik Deutschland schadensersatzpflichtig zu machen. In diesem Zusammenhang schickte er den alten Aufbau-Verlag inzwischen in die Insolvenz. [8]

Filmographie

Siehe auch

Literatur

  • Marc Kemmler: Die Entstehung der Treuhandanstalt. Von der Wahrung zur Privatisierung des DDR-Volkseigentums. Campus-Verlag. Frankfurt/Main 1994. ISBN 3-593-35205-2.
  • Olav Teichert: Die Treuhandanstalt im politischen und wirtschaftlichen Vereinigungsprozeß Deutschlands. Magisterarbeit. Uni-Kassel 2001. Im Internet.
  • Ralph Hartmann: Liquidatoren. Der Reichskommissar und das wiedergewonnene Vaterland. Edition Ost Verlag. 2008. ISBN 978-3-360010-91-9. (Die Treuhand aus der Sicht eines SED-Funktionärs und ehemaligen Botschafters der DDR in Jugoslawien) Rezension des Buches
  • Johannes Heß: Unternehmensverkäufe der Treuhandanstalt Duncker & Humblot GmbH 1997 ISBN 3428091752.
  • Michael Jürgs: Die Treuhändler. Wie Helden und Halunken die DDR verkauften. List Verlag. München/Leipzig 1997. ISBN 3-471-79343-7.
  • Wolfgang Seibel: Strategische Fehler oder erfolgreiches Scheitern? Zur Entwicklungslogik der Treuhandanstalt 1990-1993. Politische Vierteljahresschrift 35 (1994):1-35.
  • Wolfgang Seibel (Hrsg.): "Verwaltete Illusionen: Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger 1990-2000", Campus Verlag 2005, ISBN 3593379791
  • Christiana Weber: Treuhandanstalt - Eine Organisationskultur entsteht im Zeitraffer Gabler Verlag, Wiesbaden 1996.
  • Nicki Pawlow: Die Frau in der Streichholzschachtel. Der Treuhand-Roman. Dittrich Verlag. Berlin 2007. ISBN 978-3-937717-25-8.

Einzelnachweise

  1. a b [1] Bericht: Die Treuhandanstalt im Kontext der deutschen Einigung; Referat von Burkhard Berndt am 02.07.2007
  2. Wolfgang Seibel (Hrsg.): "Verwaltete Illusionen: Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger 1990-2000", Campus Verlag 2005, Seite 479 ff
  3. "Milliardensegen" in "Die Zeit" 52/1994 S. 23 vom 23.12.1994 (online abrufbar auf Homepage)
  4. Michael Jürgs, Die Treuhänder, München-Leipzig 1997, S. 366 ff
  5. [2] BvS fehlt wirksame Kontrolle
  6. "Prozess zur Vereinigungskriminalität", in: Der Tagesspiegel vom 29. März 2000; die dortige Schilderung deckt sich im Wesentlichen mit den Erkenntnissen der ZERV im Jahresbericht 1999, S. 9 ff
  7. Hans Leyendecker, „Ich habe gewonnen und schlafe schlecht. Wie die Treuhand den Berliner Aufbau-Verlag verkaufte, der gar nicht in ihrem Besitz hätte sein dürfen“. In: Süddeutsche Zeitung, 28. März 2008, S. 13
  8. Christoph Dieckmann: "Onkel Fritz in dieser Not" in "Die Zeit" 25/2008, im Internet Artikel