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Protektorat Böhmen und Mähren

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Flagge des Protektorats
Wappen des Protektorats

Das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren war von 1939 bis 1945 ein Besatzungsareal des Deutschen Reiches. Es wurde am 15. März 1939 aus den übrig gebliebenen Gebieten der Tschechoslowakei (von den Nationalsozialisten Rest-Tschechei [1] genannt) gebildet, die weder zur Slowakei noch zum schon vorher an das Deutsche Reich angeschlossenen Sudetenland, noch zu den an Polen abgetretenen Landesteilen gehörten.

Geschichte

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Aufteilung der Tschechoslowakei:
1. Das Sudetenland wird dem Deutschen Reich angegliedert (Herbst 1938)
2. Ungarn besetzt Grenzgebiete teils ungarischer Ethnie sowie auch
3. die ruthenischsprachige Karpatoukraine (Herbst 1938).
4. Polen besetzt Gebiete in Teschen (Herbst 1938).
5. Im März 1939 wird das restliche Tschechien von Deutschland annektiert und wird zum sog. Reichsprotektorat Böhmen und Mähren.
6. Aus der Resttschechoslowakei bleibt nur der Satellitenstaat Slowakei.

Durch das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 wurde das Sudetenland von der Tschechoslowakei abgespalten und dem Deutschen Reich eingegliedert. Am Morgen des 15. März 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in Prag ein und errichtete das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren. Die Slowakei war am Tage zuvor mit ihrer Unabhängigkeitserklärung faktisch in eine Art Vasallenverhältnis zum Deutschen Reich getreten. Auf dieses Auseinanderbrechen des Staates und Hitlers und Görings Drohung, bei Verweigerung der Unterordnung unter die Vorherrschaft des Deutschen Reichs Prag zu bombardieren, glaubte Staatspräsident Emil Hácha allein damit reagieren zu können, indem er Hitler in Berlin um „Protektion“ für den Reststaat bat. Háchas Kollaboration behinderte zwar den Widerstand, rettete andererseits aber auch viele Menschenleben und verhinderte große Schäden.

Am 28. Oktober 1939, dem Jahrestag der tschechoslowakischen Unabhängigkeit, demonstrierten in Prag mehrere Tausend Studenten gegen die deutsche Besatzung. Dabei wurde der Medizinstudent Jan Opletal von einer Kugel schwer verwundet und starb am 15. November 1939 an seinen Verletzungen. Sein Tod löste schwere Unruhen aus. Daraufhin wurde die Tschechische Karlsuniversität in Prag am 17. November 1939 geschlossen, über 1.200 tschechische Studenten wurden im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert und erst 1942 wieder freigelassen („Sonderaktion Prag“). [2]

Datei:Deutsches Reich - Boehmen und Maehren.jpg
Briefmarke Deutsches Reich, Böhmen und Mähren

Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich wurde 1941 zum stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt (Stellvertreter von Reichsprotektor von Neurath). Er erwarb sich durch die brutale Verfolgung des Widerstandes seinen Ruf als „Schlächter von Prag“. Nachdem Heydrich am 27. Mai 1942 durch ein Attentat schwer verwundet wurde und am 4. Juni 1942 an den Folgen des Attentates starb, erlebte das Reichsprotektorat eine erneute Terrorwelle durch das Reich, gedacht als Vergeltung für den Mord an Heydrich. 10.000 Tschechen wurden festgenommen, über 1.300 getötet. Besonders bekannt wurde dabei das Massaker von Lidice (Liditz), bei dem die SS am 10. Juni 1942 eine ganze Ortschaft dem Erdboden gleichmachte und alle männlichen Einwohner umbrachte. Am 3. Juli 1942 wurde der Ausnahmezustand aufgehoben, die Standgerichte zur Aburteilung verdächtiger Personen blieben jedoch weiterhin auf unbestimmte Zeit im Amt.

Das Protektorat lieferte unfreiwillig einen sehr großen Beitrag zur deutschen Kriegswirtschaft. Die gut ausgebildete Arbeiterschaft und hochentwickelte Industrie konnten von Deutschland ausgenutzt werden. Andererseits lag das Protektorat an der Grenze der Reichweite alliierter Bomber, sodass die tschechische Wirtschaft bis zum Kriegsende beinahe ungestört arbeiten und wichtige Kriegsgüter liefern konnte. Bis zum 29. Oktober 1943 wurden sämtliche nicht kriegswichtigen Betriebe geschlossen. Zum Kriegsschauplatz wurde Böhmen erst im Frühjahr 1945. Am 14. Februar 1945 bombardierten alliierte Flugzeuge die Stadt Prag, dabei starben 700 Menschen. Im März 1945 wurden die Prager Vororte Libeň und Vysočany bombardiert, dabei starben über 350 Menschen. [3] Am 25. April 1945 warfen alliierte Flugzeuge 638 t Bomben auf die Stadt Pilsen (Plzeň).
Durch den Prager Aufstand, der am 5. Mai 1945 begann und sich gegen die deutsche Besatzung wandte, – es waren immerhin noch 80.000 Soldaten der Heeresgruppe Mitte, mehrere SS-Divisionen und zentrale Gestapo-Dienststellen im Protektorat stationiert – wurde die Protektoratsregierung gestürzt. Der Aufstand war de facto am 8. Mai beendet. Erst am 9. Mai 1945 marschierten die sowjetischen Truppen in Prag ein.

Politik

Banknote im Wert von 1 Krone

Mit der Errichtung des Protektorats im März 1939 wurden alle politischen Parteien verboten und durch die Nationale Union (Národní souručenství) als einzig zugelassener Einheitspartei ersetzt. Sie wurde bis 1942 von einem Präsidium (Výbor národního souručenství), danach von einem Führer (Vedoucí) geleitet.

Staatspräsident (Státní Prezident) unter deutscher Oberherrschaft war von 1939 bis 1945 der bisherige, ab November 1938 amtierende tschechoslowakische Staatspräsident Dr. Emil Hácha (1872–1945), Ministerpräsident zunächst der ebenfalls ab 1938 amtierende Premierminister Rudolf Beran (1887–1954).

Ministerpräsident Jaroslav Krejčí hält 1942 eine Rede in Tábor

Die tschechische Regierung im Reichsprotektorat bestand aus dem Ministerpräsidenten (Předseda vlády) sowie den Ministerien für Erziehung, Finanzen, Gesundheit, Handel, Inneres, Justiz, Landwirtschaft und Öffentliche Arbeiten. Die Zuständigkeiten für Außenpolitik und Verteidigung blieben der Besatzungsmacht vorbehalten. Der ehemalige Außenminister der Tschechoslowakei, František Chvalkovský wurde Minister ohne Geschäftsbereich und Ständiger Vertreter des Protektorats in Berlin.

Zu den übrigen Politikern des Protektorates gehörten u. a.:

  • Alois Eliáš (1890–1942, Ministerpräsident von 1939 bis 1941), ein früherer tschechoslowakischer General, der wegen seiner Geheimkontakte zum tschechischen Widerstand in London 1941 von den Deutschen verhaftet und hingerichtet wurde
  • Dr. Jiří Havelka (Verkehrsminister von 1939 bis 1941)
  • Josef Ježek (Innenminister von 1939 bis 1942)
  • Jan Kapras (Erziehungsminister von 1939 bis 1942)
  • Josef Kalfus (1880–1956, Finanzminister von 1939 bis 1945)
  • Josef Nebeský (Parteivorsitzender der Nationalen Union von 1939 bis 1941)
  • Josef Fousek (1875–1942, Parteivorsitzender der Nationalen Union von 1941 bis 1942)
  • Jaroslav Krejčí (1892–1956, Justizminister von 1939 bis 1945, Ministerpräsident von 1942 bis 1945)
  • Jindřich Kamenický (Verkehrsminister von 1941 bis 1945)
  • Walter Bertsch (Wirtschaftsminister von 1942 bis 1945)
  • Richard Bienert (1881–1949, Innenminister von 1942 bis 1945, Ministerpräsident 1945)
  • Adolf Hrubý (1893–1951, Landwirtschaftsminister von 1942 bis 1945)
  • Tomáš Krejčí (Führer der Nationalen Union von 1942 bis 1945)
  • Emanuel Moravec (Erziehungsminister von 1942 bis 1945)

Die Interessen des Großdeutschen Reiches gegenüber der Protektoratsregierung und damit die eigentliche Regierungsgewalt im Reichsprotektorat übernahm der so genannte „Reichsprotektor“:

  • 16. März 1939 – 20. August 1943 Konstantin Freiherr von Neurath, ehemaliger Reichsminister des Auswärtigen, Reichsminister ohne Geschäftsbereich bis 1943 (am 27. September 1941 offiziell „aus gesundheitlichen Gründen beurlaubt“.)
  • 27. September 1941 – 30. Mai 1942 Reinhard Heydrich, zugleich weiterhin Chef des Reichssicherheitshauptamtes (offiziell am 27. September 1941 als Stellvertreter mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsprotektors beauftragt, aber mit allen Vollmachten ausgestattet)
  • 31. Mai 1942 – 20. August 1943 Kurt Daluege, zugleich Chef der Ordnungspolizei im Reichsministerium des Innern (ebenfalls Stellvertrender Reichsprotektor) [4]
  • 20. August 1943 – 5. Mai 1945 Wilhelm Frick, ehemaliger Reichsminister des Innern

Als Leiter der Protektoratsverwaltung amtierte als Staatssekretär bzw. (ab 1943) Staatsminister beim Reichsprotektor:

Eine Vielzahl tschechischer Juden wurde in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Traurige Berühmtheit hat das Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt erlangt. Mehrere Ortschaften wurden als „Sühnemaßnahmen“ für Überfälle von Partisanen vernichtet, so die Ortschaften Lidice, Ležáky, Ploština und zuletzt Javoříčko, deren Zivilbevölkerung ermordet wurde.

Viele Tschechen wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich abtransportiert.

Beim Näherrücken der Fronten kam es Anfang Mai 1945 vor allem in Prag zu Aufständen tschechischer Nationalisten (Prager Aufstand) und nach Kriegsende bei der Vertreibung der deutschen Bevölkerung zu blutigen Racheakten.

Einwohner

Das Gebiet des Protektorats Böhmen und Mähren hatte (1930) 6.807.809 Einwohner, von denen ca. 225.000 Deutsche (3,3 %) waren.

Böhmen

Oberlandratsbezirk Fläche (km²) Einwohner (1930) Politische Bezirke
Budweis 2.477 224.343 Budweis, Moldautein, Neuhaus, Wittingau
Deutsch-Brod 3.626 268.230 Chotieborsch, Deutsch-Brod, Gumpolds, Kamnitz an der Linde, Ledetsch an der Sasau, Pilgrams, Wlaschim
Jitschin 2.560 351.695 Horschitz, Jitschin, Jungbunzlau, Münchengrätz, Neupaka, Semil, Starkenbach, Turnau
Kladno 2.058 308.922 Beraun, Kladno, Laun, Rakonitz, Schlan
Klattau 3.476 298.262 Blatna, Klattau, Pschestitz, Schüttenhofen, Strakonitz, Taus
Kolin 3.300 385.651 Böhmisch-Brod, Kolin, Kuttenberg, Neu-Bidschow, Neuenburg a. d. Elbe, Podiebrad, Tschaslau
Königgrätz 2.182 353.570 Königgrätz, Königinhof an der Elbe, Nachod, Neustadt an der Mettau, Reichenau an der Knieschna, Senftenberg
Melnik 1.470 205.650 Brandeis an der Elbe, Kralup an der Moldau, Melnik, Raudnitz an der Elbe
Pardubitz 2.635 358.074 Chrudim, Hohenmauth, Leitomischl, Pardubitz, Politschka
Pilsen 2.247 314.234 Horschowitz, Kralowitz, Pilsen, Rokitzan
Prag 1.296 1.048.646 Eule, Hauptstadt Prag, Prag (Land), Ritschan
Tabor 4.845 356.868 Beneschau, Mühlhausen, Pibrans, Pisek, Seltschan, Tabor
Böhmen 4.474.145

Mähren

Oberlandratsbezirk Fläche (km²) Einwohner (1930) Politische Bezirke
Brünn 2.987 615.979 Landeshauptstadt Brünn, Brünn (Land), Gaya, Göding, Tischnowitz
Iglau 4.504 337.958 Datschitz, Groß-Meseritsch, Iglau, Mährisch-Budwitz, Neustadtl, Trebitsch
Mährisch Ostrau 990 308.871 Friedberg, Friedeck, Mährisch-Ostrau
Olmütz 1.323 264.444 Mährisch-Weißkirchen, Olmütz-Stadt, Olmütz-Land, Prerau
Prossnitz 1.903 242.521 Boskowitz, Littau, Proßnitz
Kremsier 2.349 276.108 Holleschau, Kremsier, Wallachisch-Meseritsch, Wischau
Zlin ? ? Ungarisch-Brod, Ungarisch-Hradisch, Wesetin, Zlin
Mähren 2.333.664

Verwaltungsstruktur Protektorat Böhmen und Mähren

Böhmen

  1. Oberlandratsbezirk Budweis
  2. Oberlandratsbezirk Deutsch-Brod
  3. Oberlandratsbezirk Jitschin
  4. Oberlandratsbezirk Kladno
    1. Politischer und Gerichtsbezirk Beraun
    2. Politischer Bezirk Kladno
    3. Politischer und Gerichtsbezirk Laun
    4. Politischer Bezirk Rakonitz
    5. Politischer Bezirk Schlan
  5. Oberlandratsbezirk Klattau
  6. Oberlandratsbezirk Kolin
  7. Oberlandratsbezirk Königgrätz
  8. Oberlandratsbezirk Melnik
  9. Oberlandratsbezirk Pardubitz
  10. Oberlandratsbezirk Pilsen
    1. Politischer und Gerichtsbezirk Horschowitz
    2. Politischer Bezirk Kralowitz
    3. Politischer Bezirk Pilsen
    4. Politischer Bezirk Rokitzan
  11. Oberlandratsbezirk Prag
  12. Oberlandratsbezirk Tabor

Mähren

  1. Oberlandratsbezirk Brünn
    1. Landeshauptstadt Brünn
    2. Politischer Bezirk Brünn (Land)
    3. Politischer Bezirk Gaya
    4. Politischer Bezirk Göding
    5. Politischer Bezirk Tischnowitz
  2. Oberlandratsbezirk Iglau
  3. Oberlandratsbezirk Mährisch Ostrau
  4. Oberlandratsbezirk Olmütz
  5. Oberlandratsbezirk Prossnitz
  6. Oberlandratsbezirk Kremsier
  7. Oberlandratsbezirk Zlin

Sport

Die Böhmisch-mährische Fußballnationalmannschaft bestritt im Jahr 1939 drei Länderspiele.

Literatur

  • Miroslav Kárný/ Jaroslava Milotová/ Margita Kárná (Hrsg.): Deutsche Politik im „Protektorat und Mähren“ unter Reinhard Heydrich 1941–1942. Eine Dokumentation. Metropol Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-926-89344-3.
  • Jaroslava Milotová/ Miroslav Kárný: Od Neuratha k Heydrichovi [Von Neurath zu Heydrich]. Dokumenty. In: Sborník archivních prací, Ročník XXXIX, Praha 1989, Bd. 2, S. 281–394. ISSN 0036-5246 – Sammlung deutschsprachiger Dokumente, überwiegend aus tschechischen Archiven
  • Marc Oprach: Nationalsozialistische Judenpolitik im Protektorat Böhmen und Mähren. Entscheidungsabläufe und Radikalisierung, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2006, ISBN 978-3-8300-2555-9.

Quellen

  1. NS-Archiv – Dokumente zum Nationalsozialismus: „Erledigung der Rest-Tschechei“ (21.10.1938)
  2. Radio Prag
  3. Artikel auf Radio Prag
  4. Dokument im Simon Wiesenthal Center Multimedia Learning Center Online