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Tyrosinämie Typ I

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Klassifikation nach ICD-10
E70.2 Störungen des Tyrosinstoffwechsels
Tyrosinämie
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Als Tyrosinämie Typ I bezeichnet man eine seltene erbliche Stoffwechselerkrankung aus der Gruppe der Tyrosinämien. Sie wird auch als hepato-renale Tyrosinämie bezeichnet, da bei ihr die Schädigung der Leber und Nieren führend ist. Die Erkrankung manifestiert sich im frühen Kindesalter und ist medikamentös, durch Diät oder durch eine Lebertransplantation behandelbar.

Verbreitung

Die Erkrankung wird autosomal-rezessiv vererbt. Generell tritt sie in etwa 1:100.000 bis 1:120.000 Neugeborenen auf und ist somit selten. Regionen gehäuften Auftretens dsind Québec und Skandinavien.[1]

Ursache

Der Krankheit liegt eine Mutation auf Chromosom 15 zugrunde. Die Mutation sorgt für eine Defizienz des Enzyms Fumarylacetoacetathydrolase, welches im Abbaustoffwechsel der Aminosäure Tyrosin den letzten Schritt zu den beiden Endprodukten Acetoacetat und Fumarat katalysiert. Statt dessen werden Succinylaceton, Succinylacetoacetat und Maleylacetoacetat gebildet, diese Fehlprodukte des Stoffwechsels führen schließlich zur Schädigung der Zellen in Leber, Niere und Gehirn.[2][3] Daneben blockiert der Fehlmetabolit Succinylaceton die Funktion des Enzyms δ-Aminolävulinsäure-Dehydratase. Durch den Ausfall des Enzyms sammelt sich zunehmend δ-Aminolävulinsäure im Körper an, welches die Nerven schädigt und zu Attacken ähnlich dem Krankheitsbild der Porphyrie führen kann.[1]

Das betroffene Gen besteht insgesamt aus 35 Kilobasenpaaren. Es enthält 14 Exons und kodiert für eine mRNA aus 1260 Basenpaaren. Es sind mehrere zur Erkrankung führende Mutationen beschrieben. Die häufigste Mutation ist der Austausch von Guanin zu Adenosin, welcher zu einem fehlerhaften Spleißen der mRNA führt. Zwischen den verschiedenen Mutationen und dem tatsächlichen Schweregrad der Erkrankung konnte bisher kein Zusammenhang festgestellt werden.[1]

Klinische Erscheinungen

Leber

Man kann hierbei zwischen einem akuten und chronischen Krankheitsverlauf unterscheiden. Beim akuten Verlauf bildet sich meist binnen Monaten nach der Geburt ein Leberversagen aus. Die betroffenen Säuglinge zeigen je nach Ausprägungsgrad des Organsversagen Ödeme, eine Lebervergrößerung, eine allgemeine Gedeihstörung[2], Störungen der Blutgerinnung und eine Hepatische Enzephalopathie. Oft wird das Versagen des Organs durch eine Infektion ausgelöst, da im Rahmen der Immunantwort eine katabole Stoffwechselsituation entsteht, bei der Körpereiweiße abgebaut und somit viele Aminosäuren, darunter auch Tyrosin, frei werden.[1] Bei rund 80 % der Patienten ist das akute Leberversagen die Erstmanifestation der Krankheit.[4]

In der chronischen Verlaufsform oder nach überstandenem akuten Leberversagen bildet sich sehr wahrscheinlich ein Leberschaden aus, der in eine Leberzirrhose mündet. Bei beiden Verlaufsformen ist das Risiko für ein Karzinom der Leber enorm erhöht.[1] Die jüngsten beschriebenen Patienten mit einer solchen Krebserkrankung im Rahmen der Tyrosinämie Typ I waren 15 bis 25 Monate alt.[4]

Niere

Die Krankheit zeigt eine Schädigung der Nierenzellen, welche sich zuerst in einem Versagen der Nierentubuli äußert. Der Schaden kann bis zu einem Schaden der Nierenglomeruli und bis zum Ausfall der Nierenfunktion führen. Auf Basis dieses Geschehens kann eine renal-tubuläre Azidose, eine Aminoazidurie, eine Vergrößerung der Nieren und schließlich eine Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate entstehen.[1]

Neurologische Schäden

Der Schaden der Erkrankung am Nervensystem verläuft klassischerweise in zwei Phasen. Bei der ersten Phase stehen schmerzhafte Missempfindungen, erhöhter Tonus der Muskulatur bis zum Darmverschluss und eine Erhöhung der Herzfrequenz (Tachykardie) im Vordergrund. Seltener kann es in diesem Stadium zu Lähmungen kommen. Nach einer kurzen Erholungsphase setzt eine auf den ganzen Körper ausgreifende Lähmung ein, die bis zur Notwendigkeit der künstlichen Beatmung führen kann.[1]

Herz

Selten zeigen die Patienten eine Kardiomyopathie, welche allerdings in der Regel nicht zu einer beeinträchtigenden Einschränkung der Herzfunktion führt.[1]

Pankreas

An der Bauchspeicheldrüse kann die Tyrosinämie Typ I über einen bisher ungeklärten Mechanismus zu einer Hyperplasie der Inselzellen führen. Diese Veränderung führt dann über eine vermehrte Produktion des Hormons Insulin zu Abfällen des Blutzuckerspiegels (Hypoglykämie).[5]

Untersuchungsmethoden

In Deutschland wird als einzige Routinemethode zum Screening von Neugeborenen die Bestimmung des Tyrosinspiegels im Blut durchgeführt. Diese Methode erfasst aber nur 90 % der Erkrankten, da 10 % erst im späteren Verlauf einen erhöhten Spiegel der Aminosäure entwickeln. In einigen Staaten der USA werden routinemäßig noch Methionin, Succinylaceton und δ-Aminolävulinsäure im Blut bestimmt.[1]

Zur Pränatalen Diagnostik kann Succinylaceton aus dem Nabelschnurblut im Rahmen einer Nabelschnurpunktion bestimmt werden. Eine weitere Möglichkeit ist die Bestimmung der Aktivität des Enzyms FAH in Amniozyten oder Chorionzellen im Rahmen einer Chorionzottenbiopsie.[1]

Bei einem Verdacht auf das Vorliegen eines Patienten mit Tyrosinämie Typ I gibt es verschiedene Methoden, die Krankheit nachzuweisen. Zum einen können Tyrosin und Methionin in Plasma und Urin bestimmt werden. Ebenso können δ-Aminolävulinsäure und seine Metaboliten im Urin bestimmt werden. Der Enzymddefekt selbst läst sich durch den Nachweis der FAH-Aktivität in Lymphozyten, Erythrozyten oder Fibroblasten nachvollziehen. Ebenso kann Succinylaceton im Urin nachgewiesen werden.[1]

Differenzialdiagnose

Auch zahlreiche andere Zustände können einen erhöhten Tyrosinspiegel im Blut verursachen. Dazu zählt die transiente Tyrosinämie bei Neugeborenen, die auf der Unreife eines Enzyms beruht. Diese bildet sich in der Regel folgenlos wieder zurück. Auch die Tyrosinämien des Typs II und Typs III führen zu einem erhöhten Spiegel der Aminosäure. Außerdem können auch Skorbut oder eine Hyperthyreose zu einem Anstieg des Tyrosins führen. Bei gesunden Menschen ist nach der Einnahme einer Mahlzeit der Tyrosinspiegel normalerweise erhöht.[1]

Behandlung

Diät

Die Diät bei der Tyrosinämie Typ I verfolgt zwei Ziele. Erstens soll sie die Aufnahme von Tyrosin und Phenylalanin, welches vom Körper zu Tyrosin verstoffwechselt wird, vermeiden. Andererseits sollen Zustände, bei denen der Stoffwechsel katabol wird, vermieden werden, da der Körper sonst Aminosäuren und damit auch Tyrosin aus seinen Proteinen mobilisiert. Die Diät sollte nach Diganosestellung mehrere Tage mit Tyrosin- und Phenylalaninfreien Spezialprodukten erfolgen und hochkalorisch sein. Im Anschluss daran kann auf eine Ernährung gewechselt werden, welche nur sehr gerine Menungen der beiden Aminosäuren enthält. Katabole Situationen wie nach längerem Hunger sollten vermieden werden. Dies führt dazu, dass die Patienten sich bei Milch-, Ei- und Fleischprodukten sehr stark einschränken müssen. Als alleinige Therapiemaßnahme ist die Diät aber unzureichend und kann das Fortschreiten der Krankheit nicht aufhalten. Sie scheint allerdings einen positiven Einfluß auf die Nierenbeteiligung zu haben. Die Plasmaspiegel von Tyrosin sollten im Rahmen der Diät unter 500 μmol/l liegen.[1][4]

Medikamenöse Therapie

Mit Hilfe von Nitisinon (NTBC) kann die Krankheit auch medikamentös behandelt werden. NTBC blockiert ein Enzym des Tyrosinabbaus namens 4-Hydroxyphenylpyruvat-dioxigenase. Dieses Enzym katalysiert einen frühen Abbauschritt im Tyrosinstoffwechsel, so das keine Substrate mehr für die Bildung toxischer Metaboliten zur Verfügung stehen. Die Diät sollte aber auch unter NTBC-Behandlung aufrechterhalten werden, da sonst Symptome der Tyrosinämie Typ II auftreten können.[1] Bei adäquater Diät wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen festgestellt, zuweilen treten aber Leukopenien und Thrombopenien auf. Es ist nicht sicher, ob diese vom Wirkstoff ausgelöst werden oder auf die bereits bestehende Vorschädigung der Leber der Patienten zurückzuführen sind.[5] Rund 90 % der Patienten sprechen auf die Medikation mit NTBC an, selbst wenn sie sich bereits im akuten Leberversagen befinden.[4]

Das Monitoring des Therapieerfolgs kann über die Bestimmung von Succinylaceton im Plasma verfolgt werden. Größtes Problem der medikamentösen Therapie ist, dass NTBC das Auftreten eines Leberzellkarzinoms nicht verhindern kann.[1] In einem Mausmodell konnte gezeigt werden, dass trotz der Behandlung weiterhin bösartige Neubildungen in der Leber auftreten.[6] Da die meisten Patienten bereits bei Diagnosestellung einen schweren Leberschaden oft mit Zirrhose entwickelt haben, ist die rechtzeitige Diagnose von Leberkrebs schwierig, da sich in bildgebenden Verfahren Zirrhoseknoten und Karzinome nur sehr schlecht unterscheiden lassen. Als Behelf wird der Tumormarker Alpha-1-Fetoprotein (AFP) bestimmt. Der Spiegel ist bei den Erkrankten aufgrund der Leberschädigung meist sehr hoch, somit ist dieser Maker keineswegs spezifisch für Tumore. Fällt der Spiegel des AFP nicht unter Therapie ab, oder kommt es unter Therapie zu einem Wiederanstieg, kann von einem Leberzellkarzinom ausgegangen werden.[1] Gegenwärtig wird eine bildgebende Darstellung der Leber mithilfe von Sonographie oder MRT alle sechs bis zwölf Monate empfohlen. Der AFP-Spiegel soll vierteljährlich bestimmt und im Verlauf beobachtet werden.[4] Außerdem werden von manchen Autoren mehrere Untersuchungen zur Entwicklung des Kindes empfohlen, da es unter NTBC-Therapie zu Entwicklungsverzögerungen kommen könne, die bisher aber noch nicht bewiesen sind.[5].

Zur besseren Erkennung von Leberzellkarzinomen werden gegenwärtig zuverlässige Nachweismittel für eine Unterfraktion des AFP gesucht, die mit Lektin reagieren. Dieser Marker soll spezifischer zwischen einem nicht-bösartigem Leberschaden und einer bösartigen Neubildung unterscheiden können. Detaillierte Studien und marktreife Lösungen stehen aber bisher noch aus.[5]

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o p B. Rodeck, U. Baumann : Tyrosinämie Typ I, Montatsschrift Kinderheilkunde, 2004, 152:1095-1101
  2. a b Anthony Killeen, Emanuel Rubin, David Strayer : Developmental and Genetic Diseases in Raphael Rubin, David Strayer : Rubin's Pathology, Philadelphia, 2008 S.213
  3. Leitline der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin Tyrosinämie Typ I und II, zuletzt aktualisiert 11/1997 ; als html abrufbar ; zuletzt abgerufen am 22.11.2007
  4. a b c d e U. Baumann, B. Rodeck : Lebertransplantation bei Tyrosinämie Typ I, Monatsschrift Kinderheilkunde, 2004, 152:1102-1107
  5. a b c d PJ McKiernan : "Nitisinone in the Treatment of Hereditary Tyrosinaemia Type 1", Drugs. 2006;66(6):743-50, PMID 16706549
  6. Al-Dhalimy M, Overturf K, Finegold M, Grompe M : "Long-term therapy with NTBC and tyrosine-restricted diet in a murine model of hereditary tyrosinemia type I", Mol Genet Metab. 2002 Jan;75(1):38-45, PMID 11825062