Neoliberalismus
Als Neoliberalismus bezeichnet man zusammenfassend ein wirtschaftspolitisches und sozialphilosophisches Konzept, das auf dem klassischen Liberalismus und der Neoklassischen Theorie basiert und den Einfluss des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen minimieren will, im Unterschied zum Laissez-faire allerdings ein regulierendes Eingreifen des Staates zur Sicherstellung funktionierender Märkte als notwendig ansieht.
Dem Neoliberalismus werden verschiedene Strömungen zugeordnet, vor allem der Ordoliberalismus der Freiburger Schule und der Monetarismus der Chicagoer Schule, zuweilen auch die Österreichische Schule, die sich selbst allerdings als "klassisch liberal" begreift oder auch im Libertarismus verortet wird, einer liberalen Strömung, die den Neoliberalismus ablehnt.
Der Neoliberalismus steht im Gegensatz zum Keynesianismus, der eine aktive Wirtschaftspolitik des Staates fordert, dem Protektionismus, der ausländische Anbieter auf dem Inlandsmarkt zu benachteiligen versucht, sowie dem Sozialismus, der sich gegen das Privateigentum an Produktionsmitteln wendet.
Geschichte
Der Begriff "Neoliberalismus" wurde von den Ökonomen Friedrich Hayek, Wilhelm Röpke, Walter Eucken und anderen auf einer Konferenz in Paris im Jahre 1938 im Zuge der Entwicklung eines Konzepts für eine langfristige Wirtschaftspolitik geprägt.
Dieses Konzept stellt, zwei Jahre nach der Veröffentlichung von John Maynard Keynes' "Allgemeiner Theorie", auch einen Gegenentwurf zu dessen Modell des antizyklischen Wirtschaftens dar. Der Keynesianismus, durch die Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise in den 1920er und 1930er Jahren geprägt, fand vor allem in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg Beachtung, wurde aber mit den Rezessionen der 1970er Jahre in Frage gestellt. Im Gegensatz zum Keynesianismus steht auch der von Milton Friedman entwickelte Monetarismus mit seiner Quantitätstheorie, die nach Friedmans eigenen Worten den Ausgangspunkt der monetaristischen "Gegenrevolution" darstellt. Die Unterscheidung zwischen Monetarismus und Neoliberalismus hat sich im Laufe der Zeit verwischt; wo heute politisch von Neoliberalismus gesprochen wird, ist häufig der Monetarismus gemeint.
Dass Wettbewerb im staatlichen Rahmen stattfinden solle, wurde keineswegs in Frage gestellt: eine prägnante Ausformung neoliberaler Ideen findet sich im Ordoliberalismus der Freiburger Schule. In der Bundesrepublik beruft man sich zwar auf das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft der Ordoliberalen, verzichtete allerdings in den ersten Nachkriegsjahrzehnten darauf, deren Forderung nach einer Wettbewerbsordnung der vollständigen Konkurrenz anzuerkennen. Die Einbeziehung des keynesianischen Konzepts der Globalsteuerung Ende der 60er Jahre führte in der Öffentlichkeit zu der Vorstellung, dass die Soziale Marktwirtschaft die staatliche Förderung sozialen Ausgleichs beinhalte. Die Ordoliberalen wollten allerdings damit ausdrücken, dass die ordoliberal geordnete Marktwirtwirtschaft an sich selbst bereits soziale Leistungen erbringe.
Der Neoliberalismus geht grundsätzlich von der Stabilität des privaten Sektors aus (wobei die Ordoliberalen hier gewisse Einschränkungen machen). Eine (monetaristische) Begründung für das Vertrauen in den Markt und in die Privatwirtschaft finden wir bei Karl Brunner in "The Monetarist Revolution", 1973: "Der private Sektor absorbiert Schocks und formt sie in eine stabilisierende Bewegung um [...] die Hauptinstabilitäten und Unsicherheiten des ökonomischen Prozesses [gehen] auf das Verhalten des staatlichen Sektors zurück. Die Unsicherheiten sind im besonderen den Steuer- und Ausgabenprogrammen zuzurechnen sowie den Maßnahmen eingreifender Instanzen. Die Instabilität ist vor allem der Geld-, Kredit- und Fiskalpolitik zuzuschreiben."
Hayek dachte, dass zur Durchsetzung des Konzepts des Neoliberalismus mit einem Prozess zu rechnen wäre, der über zwei bis drei Generationen dauern würde, als politisches Projekt gründete er 1947 die Denkfabrik Mont Pelerin Society. Weitere wichtige Institute wurden in der Folge gegründet: das Institute of Economic Affairs 1971 in London, die Heritage Foundation 1973 in Washington, D.C und die Atlas Economic Research Foundation, sowie das Fraser Institute und das Manhattan Institute for Public Policy Research. In Deutschland z. B. der Kronberger Kreis - wissenschaftlicher Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, die es sich nach eigener Aussage zur Aufgabe gemacht hat, ihr Denken des "zukunftsweisende marktwirtschaftliche Konzepte zu entwickeln, bekannt zu machen und Politik und Öffentlichkeit für sie zu gewinnen".
Hayek kann zwar als "Urvater" von neoliberalen Ideen bezeichnet werden, dennoch gibt es den Neoliberalismus als die eine Schule nicht, vielmehr kann man von einem vielfältigen, institutionalisierten Netzwerk sprechen, wo verschiedene, differenzierte, auch sich widersprechende Meinungen nebeneinander existieren. Das Ergebnis eines (sozusagen) marktorientierten Prozesses ist unvorhersehbar und offen, Karl Popper spricht hier von einer offenen Gesellschaft. Hayek entwickelte bis zu seinem Tode den Neoliberalismus zu einer dynamischen Theorie sozialer Institutionen weiter.
Wesentliche Elemente
- Privateigentum: Nach neoliberaler Auffassung ist es nicht Aufgabe des Staates, unternehmerisch tätig zu werden. Gefordert wird deshalb die Privatisierung von Staatsbetrieben bzw. Aufgabe von Staatsbeteiligungen, insbesondere auch von staatlichen Monopolen im Bereich der Infrastruktur (Daseinsvorsorge) wie Telekommunikation, Verkehr oder Energie. Die Weltbank hat als übergeordnete Strategie das sog. Private Sector Development, vergleiche auch Konzept der Public Private Partnership.
- Stabilitätspolitik: Geldmengenpolitik soll stabile Preise durch eine stabile Währung (makroökonomische Stabilität) und durch einen ausgeglichenen Staatshaushalt garantieren. Aus einer restiktiven Geld-, Zins- und Haushaltspolitik folgt eine Straffung der Verwaltung, die Schaffung teilautonomer Einheiten und eine Auslagerung bestimmter öff. Aufgaben im Sinne eins lean Managements.
- Markt als Steuerungsinstrument: Nach neoliberaler Überzeugung soll der Markt, also Angebot und Nachfrage, über Art, Preis und Menge der Sach- und Dienstleistungen entscheiden, da so eine optimale Allokation der Ressourcen stattfinde.
- Wettbewerb: Der Staat hat für funktionierende Märkte zu sorgen und im Falle deutlich unvollkommener Märkte regulierend einzugreifen, etwa durch Steuern auf externe Effekte und durch Kartellgesetzgebung. Im Unterschied zur Neoklassik wird der Wettbewerb auch auf die Institutionen ausgeweitet, mit der Meinung, das die "fittest" auf dem Markt überleben, deren Bedeutung wird anerkannt ("neuer Institutionalismus").
- Deregulierung: Neoliberale fordern eine Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft im Sinne einer Reduzierung der Gesetze und Verordnungen, soweit sie als übertrieben bürokratisch und nicht wirklich notwendig angesehen werden, weil dadurch Investitionen verhindert würden.
- Welthandel: Neoliberale befürworten die Globalisierung im Sinne einer Förderung des Freihandels zwischen den Staaten, sei es durch globale Organisationen wie der WTO mit ihren Vereinbarungen wie GATT, GATS, TBT, SPS, TRIPS, oder sei es durch Freihandelszonen und vermehrte Sonderwirtschaftszonen oder der Abschaffung der Grenzen der Nationalstaaten. Der freie Handel trägt nach Einschätzung des Neoliberalismus zur Förderung von weltweitem Wohlstand bei. Die Einschränkung des Handels mittels tarifärer Handelshemmnisse (Schutzzölle) und eine Förderung bestimmter Wirtschaftszweige durch den Staat (Subventionen) hingegen führt nach neoliberaler Vorstellung zu Ungleichverteilung und Armut auf der Welt. So haben es zum Beispiel Entwicklungsländer schwer, gegenüber der hochsubventionierten europäischen Agrarwirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben. Neoliberale werfen den Industriestaaten vor, nur von den Entwicklungsländern Handelsfreiheit zu fordern, diese jedoch nicht im eigenen Land einführen zu wollen.
- Steuerpolitik: Gefordert werden in der Regel niedrige Steuersätze, etwa in Form eines Proportionaltarifs oder Stufentarifs, und ein einfaches Steuersystem anstelle eines bürokratischen Systems von zahllosen Einzelbestimmungen. Steuern auf die Substanz werden als Doppelbesteuerung ebenso abgelehnt wie Bagatellsteuern, bei denen die Einnahmen oft kaum höher sind als der Aufwand zu ihrer Erhebung.
- Sozialsystem: Auch im Bereich der Sozialsysteme befürworten Neoliberale privatwirtschaftlich organisierte Lösungen anstelle der als bürokratisch angesehenen staatlichen Systeme. Damit soll eine effizientere Verwaltung der Mittel des Bürgers erreicht werden. Das Umlageverfahren wird kritisiert, da es auf keiner soliden Basis stehe. Statt dessen wird private Vorsorge im Rahmen des Kapitaldeckungsverfahrens befürwortet. Das bedeutet also, dass die sozialen Sicherungssysteme umgebaut werden: der Sozialstaat wird abgebaut, marktwirtschaftliche Systeme werden aufgebaut. Staatliche Leistungen würden sich dann auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren, also diejenigen, die nicht in der Lage sind, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. Milton Friedman hat eine negative Einkommensteuer vorgeschlagen; danach würde das Finanzamt jedem Steuerpflichtigen, dessen Einkommen unter einem festzulegenden Minimum liegt, die Differenz ohne weitere Prüfungen überweisen. [1]
- Verbände:Der Neoliberalismus ist allgemein gegen Machtkonzentration und wendet sich von daher auch gegen gruppenegoistische ("rent-seeking") Machtentfaltung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.
- Konjunkturpolitik: Es wird gefordert, dass auch in rezessiven Phasen der Wirtschaft keine antizyklischen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen seitens der Politik stattfinden sollen. Beschäftigungsprogramme seien Strohfeuer, die langfristig mehr schaden als nutzen würden. Subventionen verzerren nach neoliberaler Auffassung den Wettbewerb, verhindern Innovation und Strukturwandel und sollen deshalb abgebaut werden.
Beispiele neoliberal orientierter Politik
Als "Experimentierfeld" für neoliberale Wirtschaftspolitik gilt Chile. Milton Friedman prägte den Begriff vom "Wunder von Chile" und betonte den wirtschaftlichen Erfolg unter Pinochet. Die Frage nach Erfolg oder Misserfolg ist allerdings umstritten. Ronald Reagan ("Reaganomics") und Margaret Thatcher ("Thatcherismus") waren die ersten bedeutenden Politiker, die neoliberale Ansätze in den Industriestaaten umsetzten. In Österreich wandte sich die SPÖ/FPÖ Regierung 1985 mit einer Absage an den Keynesianismus einer restriktiven Budgetpolitik zu, 2003 setzte die ÖVP/FPÖ auf einen neoliberalen Kurs. In Deutschland vertritt vor allem die FDP (neo-)liberale Positionen, Kritiker bemängeln aber, dass in der Praxis die Programmatik häufig durch Klientelpolitik ersetzt werde. Neoliberale Ansätze gibt es aber auch in anderen Parteien. So wird das Reform-Programm Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung von einigen Beobachtern als Praxisbeispiel neoliberaler Politik gewertet. Neoliberale Programmatik findet man außerdem in den Zielen verschiedener außerparlamentarischer Gruppierungen und Stiftungen, siehe unter Reforminitiativen.
Internationale Organisationen
Die WTO mit Ziel des weltweiten Freihandels vertritt neoliberale Forderungen. Auch Weltbank und IWF werden oft mit Neoliberalismus in Verbindung gebracht. Seine Verbreitung als Konzept wurde von Ökonomen der Weltbank und des IWF nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben, als Antwort auf die Programme zur Förderung von Entwicklungsländern, die nicht den gewünschten Erfolg zeigten: Förderungen für Großprojekte ließen die armen Länder mit Schulden und geringem Wirtschaftswachstum zurück, die größere Bedeutung liegt aber in den 1970er Jahren als Versuch, eine strukturelle Krise zu beantworten. (Siehe auch Konsens von Washington). Die Gewährung von Krediten an ein Land wird oft von der Durchführung liberaler Reformen abhängig gemacht. Allerdings werden IWF und Weltbank auch von neoliberaler Seite kritisiert, z.B. wenn durch Begünstigung lokaler Machteliten marktverzerrende und interventionistische Politik betrieben wird. Auch das Weltwirtschaftsforum (WEF) wird von vielen in seinen Zielsetzungen als neoliberal angesehen.
Kritik neoliberaler Politik
Von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern werden die von "neoliberaler" Politik geforderten Privatisierungen und die Einschränkung staatlicher Wohlfahrtsleistungen kritisiert, da sie zu einer 'Entfesselung des Marktes', aber auch zu einer Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, führen. Dadurch verschärfe sich die weltweite soziale Lage und es komme zu einem Verlust demokratischer Teilhabemöglichkeiten auch auf nationaler Ebene.
Neoliberale Positionen würden, so die Kritiker/innen, einer Verengung der ökonomischen Sichtweise (la pensée unique- Einheitsdenken) Vorschub leisteten, da die einzelwirtschaftliche Rationalität auf die gesamtwirtschaftliche Rationalität übertragen würde. Manche Kritiker meinen, dass "Neoliberale" andere Menschen gerne an sich selbst mäßen und dabei vergessen würden, dass soziale Umstände maßgebliche Einflußfaktoren für den persönlichen ökonomischen Erfolg sein können.
- Soziale Effekte der Deregulierung: Es wird kritisiert, dass Neoliberalismus den freien Wolf im freien Stall der freien Hühner frei wildern lasse, also durch diese 'Entfesselung des Marktes' Ungleichgewichte und Unausgewogenheiten (Nord-Süd-Gefälle, Spaltung der Gesellschaft in arm und reich) eher verschärft würden, anstatt sie auszugleichen. So folgt etwa die Senkung der Einkommensteuer für Spitzenverdiener der Trickle-down-Theorie, deren Effekt von Kritikern aber bezweifelt wird. Mit dem Rückzug des Staates greift in vielen Lebensbereichen die Logik des Marktes (vergleiche Kommodifizierung). Kritiker beklagen hier die fehlende Regulierung durch den Staat beziehungsweise der Einschränkung durch gesellschaftliche Normen. Der von neoliberalen Denkern gepriesenen Freiheit durch Marktchancen und der schnellen Reaktion auf sich verändernde Marktlagen halten sie entgegen, dass im Gegenzug ein allzu kurzfristiger Blick auf Rendite vorherrsche, dem sich moralische oder soziale Normen unterzuordnen hätten.
- Demokratische Teilhabe: Eine weitere Gefahr des Neoliberalismus sehen viele im Verlust demokratischer Einflussmöglichkeiten auf das Gemeinwesen. Je mehr öffentliche Bereiche (etwa Öffentlicher Raum, Bildungseinrichtungen, gemeinnützige Wohnungsgesellschaften, Wasser und Energie, Verkehrsgesellschaften, kulturelle Einrichtungen, Sporteinrichtungen, medizinische Einrichtungen) in privates Eigentum übergehen und an einem Markt bestehen, Gewinn abwerfen sollen, desto geringer wird der Einfluss des Volkes (der Bürger, und der Parteien) auf diese Bereiche, soziale Aspekte werden vernachlässigt zugunsten von Rendite. Der geförderte Wettbewerb harmonisiere sich in Preisabsprachen der Konzerne - zum Leidwesen der Bürger. Die Folgen neoliberaler Politik zeigten sich für manche auch in der einseitigen Betonung des Konsums (Konsumgesellschaft) und Desinteresse an politischer Teilhabe. Auf internationaler Ebene richtet sich die Kritik vor allem gegen die Macht der WTO (World Trade Organization, dt. "Welthandelsorganisation"). Länder, die sich der WTO angeschlossen haben, erkennen die völkerrechtlich verbindlichen Entscheidungen der WTO-eigenen Schiedsstelle an, die bei Streitfällen vermittelt, und stellen sie damit über die nationale Gesetzgebung. So können etwa nationale Regelungen im Umweltschutz oder Verbraucherschutz von einem (privaten) Konzern zu Fall gebracht werden, wenn die WTO diese als ein unzulässiges Handelshemmnis ("Notwendigkeitstest") anerkennt. Eine Schlichtung durch ordentliche Gerichte ist nicht vorgesehen. Eine Berufung ist nicht möglich. Gremien wie die private Organisation Weltwirtschaftsforum, das von manchen Kritikern in seinen Zielsetzungen als neoliberal angesehen wird, und in dem sich die Eliten aus Politik und Wirtschaft versammeln, treffen nach Ansicht dieser Kritiker Weichenstellungen für die Zukunft, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein.
- Umbau des Sozialstaats: Die jüngsten Reformbemühungen der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland und die Debatte, die sich in deren Folge ergeben hat, wird von einigen Beobachtern als Praxisbeispiel neoliberaler Politik gewertet: So wird das Bildungsangebot für Arbeitslose erweitert und individuell zugeschnitten, der Bezug von Arbeitslosengeld wird aber auch an neue Bedingungen geknüpft. Auch in anderen Bereichen, wie dem Gesundheitswesen gehen die Entwicklungen in Richtung mehr Service und Kundenorientierung, gleichzeitig steigen Zugangsbeschränkung und Selbstbehalte: der Sozialstaat (keynesisanischer Prägung) wird aus neoliberaler Sicht in Richtung mehr Markt abgebaut. An die Stelle eines Sozialstaates tritt die Möglichkeit einer privaten Absicherung. Ziel hierbei ist auch eine effizientere Verwaltung der Mittel des Bürgers.
- Kirche: Die Zunahme des Wettbewerbs solle die Bedürfnisse der Schwächsten in der Gesellschaft nicht unsichtbar machen, meinte Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz: Die Befürworter neoliberaler Thesen seien leider "blind, wenn sie auf Menschen stoßen, die keine Voraussetzung haben, am Spiel des Marktes teilzunehmen" [2]. Vergl. auch Christliche Soziallehre
- Kritik am Markt als Steuerungsinstrument: Die Keynesianischen Ökonomen (wie Joseph E. Stiglitz) meinen, dass der Markt ein schlechtes Instrument sei: Er muss beispielsweise durch so genannte Regulierungsbehörden, etwa am Telefoniemarkt und andere ausgleichende, administrative Maßnahmen stabilisiert werden. Weiter unterliege er Fehlentwicklungen, da natürlich nur bei entsprechender Kaufkraft die jeweilige Nachfrage bedient werden könne. Es besteht die Gefahr, dass Bedürfnisse, hinter denen keine entsprechende Kaufkraft steht, nicht abgedeckt werden und dass es bei "berechtigten Forderungen" bleibt. Die sozialen Folgeschäden sind dann allerdings wieder von der Allgemeinheit zu tragen. Beispiele für derartige Problemkreise sind in den Bereichen Bildung, Altenpflege, Familienpolitik und zunehmend auch im Gesundheitssystem zu finden.
- Marxismus: Für marxistische Kritiker wird der Neoliberalismus nicht nur als Politik und als konkretes Unternehmerhandeln, sondern auch als Art und Weise der Konsumption bzw. der Lebensführung, wie Selbstmanagement (vgl. a. "Selbsttechnologie" (Michel Foucault)) verstanden. Sie ist eine Antwort auf sinkende Profitraten (Karl Marx), die durch eine bis in die 1970er Jahre steigende Produktivität nicht mehr wettgemacht werden können ("Krise des Fordismus"). Der Neoliberalismus ist aber nicht einfach eine Ideologie, sondern ein hegemoniales und plurales Projekt, das der ständigen Reartikulierung durch Intellektuelle - Antonio Gramsci spricht hier von organischen Intellektuellen - des Kapitals bedarf, um die Akzeptanz des Kapitalismus immer wieder neu abzusichern.
Kritiker
Aus einer eher kulturellen Perspektive wendet sich Georges Bataille gegen das Primat des Nutzens, das Wert rein ökonomisch definiert und vermeintlich unproduktive Verausgabung jenseits der Gesetze des Marktes (z.B. Kunst, Verschwendung) immer seltener werden lässt. Auch in der weltweiten 68er-Bewegung wurde, besonders in Frankreich, die Ausweitung des Marktes auf immer mehr Lebensbereiche kritisiert. Die Punk-Bewegung knüpfte teilweise an diese Kritik an, stellte diesen Tendenzen das Konzept von Do it yourself entgegen. Die Zapatistas luden zum ersten Mal 1996 zum „intergalaktischen Treffen gegen Neoliberalismus und für Menschlichkeit“. In Brasilien wurde aus Protest gegen "neoliberale" Globalisierung das Weltsozialforum gegründet. Opponenten des Neoliberalismus als wirtschaftliche Theorie sind Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz und Amartya Sen. Auch der Börsenspekulant George Soros warnt nun, nach seinen Spekulationen, vor einem bedrohlichen Marktfundamentalismus. Pierre Bourdieu legte gemeinsam mit anderen mit „Das Elend der Welt “ (1997) eine cultural study (Kulturstudie) zum Thema vor: er sieht eine allgemeine Zunahme von Angst und Unsicherheit, sowie eine gesellschaftliche Spaltung und "Prekarisierung"; ein ähnliches Projekt betrieb nachfolgend Elisabeth Katschnig-Fasch. Zu den Gegnern des Neoliberalismus zählen sich auch die Freiwirtschaftler, nach deren Meinung schon eine dauerhaft stabile Währung ohne Umlaufsicherung unmöglich sei. Naomi Klein kritisiert in ihrem Buch „No Logo“ die "Machenschaften globaler Konzerne" und Folgen neoliberaler Politik ebenso wie Noam Chomsky in „Profit over people“ oder Richard Sennet in „Der flexible Mensch“. Kritik am Neoliberalismus fällt dabei oft zusammen mit der Kritik an der neoliberal geprägten Form von Globalisierung, die nach Ansicht der Kritiker einseitig eine Globalisierung des Marktes, nicht aber der Menschenrechte anstrebt.
Siehe auch
- Verwandt: Liberalismus, Manchesterliberalismus, Ordoliberalismus, Österreichische Schule, Kapitalismus, Libertarismus
- Alternativen: Sozialismus, Konservatismus, Neokonservativismus, Dritter Weg
- Allgemein: Wirtschaftsethik, Eigenverantwortung
Literatur
Grundlagen
- Milton Friedman: Kapitalismus und Freiheit ISBN 3821839600
- Friedrich Hayek: Die Verfassung der Freiheit ISBN 3161458443
Populärliteratur
- Christoph Keese: Rettet den Kapitalismus ISBN 3455094236
- Otto Graf Lambsdorff: Freiheit und soziale Verantwortung ISBN 3898430413
- Margarita Mathiopoulos: Die geschlossene Gesellschaft und ihre Freunde ISBN 3455110711
- Heinz Metzen: Schlankheitskur für den Staat - Lean Management ISBN 3593350459
- Claus Noppeney: Zwischen Chicago-Schule und Ordoliberalismus ISBN 3258058369
- Johan Norberg: Das Kapitalistische Manifest ISBN 3821839945
- Gerhard Schwarz: Die "Soziale Kälte" des Liberalismus ISBN 3896650246
- Gabor Steingart: Deutschland - Der Abstieg eines Superstars ISBN 3492046150
- Ulrich van Suntum: Die unsichtbare Hand ISBN 3540410031
- Lester C. Thurow: Die Zukunft des Kapitalismus ISBN 3896232096
- Gerhard Willke: Neoliberalismus ISBN 3593372088
- Daniel Yergin, Joseph Stanislaw: Staat oder Markt ISBN 354870056X
Kritik am Neoliberalismus
- Georges Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie, Matthes & Seitz, 2001
- Christoph Butterwegge/Rudolf Hickel/Ralf Ptak: Sozialstaat und neoliberale Hegemonie, Berlin 1998, ISBN 3885207184
- Mario Candeias: Neoliberalismus, Hochtechnologie, Hegemonie ISBN 3886192997
- Noam Chomsky: Profit over People - Neoliberalismus und globale Weltordnung ISBN 320376010X
- Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Edition Tiamat, 1967
- Keith Dixon: Die Evangelisten des Marktes ISBN 3896-699512
- Wolfgang Fritz Haug, High-Tech-Kapitalismus, Argument Verlag 2003
- Hartwig Hummel: Der neue Westen ISBN 3896880780
- Elisabeth Katschnig-Fasch: Das ganz alltägliche Elend ISBN 3854093837
- John Maynard Keynes: Gesamtwerk
- Karl Marx: Gesamtwerk
- Albrecht Müller: Die Reformlüge, München 2004, ISBN 3426273446
- Ulrich Müller/Sven Giegold/Malte Arhelger: Gesteuerte Demokratie? - Wie neoliberale Eliten Politik und Öffentlichkeit beeinflussen, Hamburg 2004, ISBN 3899651006
- Jörg Reitzig: Gesellschaftsvertrag, Gerechtigkeit, Arbeit, Münster 2005, ISBN 3-89691-611-4
- Holger Schatz: Arbeit als Herrschaft. Die Krise des Leistungsprinzips und seine neoliberale Rekonstruktion ISBN 3-89771-429-9
- Herbert Schui/Ralf Ptak/Stephanie Blankenburg/Günter Bachmann/Dirk Kotzur: Wollt ihr den totalen Markt?, München 1997, ISBN 3426800837
- Herbert Schui / Stephanie Blankenburg: : Neoliberalismus: Theorie, Gegner, Praxis, Hamburg, 2002 ISBN 3879758549
- Peter Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik - Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, Bern, 1997, ISBN: 3258062765
- Raoul Vaneigem: An die Lebenden, Nautilus, 1998
- Karl Georg Zinn: Wie Reichtum Armut schafft - Verschwendung, Arbeitslosigkeit und Mangel, Köln 2003, ISBN 389438249X
Wissenschaftliche Literatur
- Lothar Funk: Neoliberalismus. In: Das Wirtschaftsstudium (WISU), 26. Jg., Heft 8-9 (August/September 1997), S. 727.
Weblinks
- Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft
- Stiftung Marktwirtschaft
- Udo Leuschner, Geschichte der FDP (34) - Vom Ordo- zum Neoliberalismus
- Dieter Lösch: Der verunglimpfte Neoliberalismus
- Neoliberalismus lt. Wikipedia.fr und Wikipedia.en (übersetzt)
Kritik am Neoliberalismus