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Marie de France

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Marie de France (* um 1135 in der Region Île-de-France, † um 1200) war eine französische Dichterin.

Marie ist die erste bekannte Autorin der französischsprachigen Literatur, doch hat man keinerlei Informationen über ihre Person außer ihrer eigenen Angabe "Marie ai nun, si suis de France" (Maria heiße ich und bin aus Frankreich), wonach sie ursprünglich aus dem Pariser Raum kommen müsste. Ihrer profunden Bildung nach zu urteilen, stammte sie sicher (als legitimiertes außerheliches Kind eines Hochadeligen?) aus höchsten Kreisen. Möglicherweise ist sie mit der illegitimen Tochter Gottfrieds V. von Anjou, der Halbschwester Heinrichs II. und späteren Äbtissin von Shaftesbury, identisch. Ihr Zielpublikum jedenfalls war der englische Hof von Heinrich II., in dessen Umfeld sie offenbar lebte und für den sie entsprechend im anglonormannischen Dialekt schrieb.

Werke

Maries bekanntestes und originellstes Werk sind die Lais, eine Sammlung von zwölf Versnovellen, die zwischen ca. 100 und ca. 1000 paarweise reimende Achtsilbler umfassen und offenbar über einen längeren Zeitraum hinweg um 1170 entstanden sind. Sie verarbeiten vor allem Märchenmotive, z.B. Feen- und Verwandlungsgeschichten, sowie Sagenstoffe. Letztere sind meist „britannischer“ bzw. „bretonischer“, das heißt keltischer Herkunft, darunter der Tristan und Isolde-Stoff, der hier zum ersten Mal greifbar wird, wenn auch nur in einer einzigen seiner zahlreichen Episoden.

Die Themen der schlicht aber feinsinnig erzählten und auch heute noch ansprechenden Novellen sind sehr unterschiedlich, vor allem aber geht es um die Schwierigkeiten Liebender, zueinander zu kommen und/oder beieinander zu bleiben.

Marie hat darüber hinaus noch einen Komplex von 102 Fabeln hinterlassen, den Esope oder Ysopet (1170-80). Als Quelle diente ihr, wie sie am Schluss angibt, eine altenglischen Vorlage von „König Alfred“, der seinerseits einer lateinischen Übersetzung der griechischen Fabelsammlung Aesops (6. Jh. v. Chr.?) gefolgt sei (aber sichtlich auch noch andere Quellen genutzt hat).

Ihr letztes Werk ist die um 1190 entstandene Dichtung L'Espurgatoire seint Patriz, eine in Versform gesetzte Übersetzung des lateinischen Prosatexts Tractatus de Purgatorio Sancti Patricii.[1]

Die Lais

Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden zwölf Texte:

  • Guigemar oder Guingamor
  • Equitan
  • Le Fresne ('Die Esche')
  • Bisclavret: Ein Werwolf kann sich nicht mehr zurück in einen Menschen verwandeln, weil seine Frau ihm seine Kleidung versteckt hat, um ihn loszuwerden. Der Betrogene kann sich am Ende jedoch aus seiner misslichen Lage befreien. Die Novelle zeigt, dass die Figuren mittelalterlicher Dichtung keineswegs eindimensional sind; denn der vordergründig böse Werwolf entpuppt sich am Ende als der eigentlich Gute.
  • Lanval
  • Les deus amanz ('Die beiden Liebenden')
  • Yonec
  • Laüstic
  • Milun
  • Chaitivel
  • Chievrefeuil (=Geißblatt): Eine Episode des Tristan-Isolde-Stoffes. Das an einem Haselzweig entlangrankende Geißblatt steht für die Zusammengehörigkeit der beiden Liebenden.
  • Eliduc
    • Deutsche Ausgabe: Marie de France (ohne weitere Titelangabe außen) Übers. Wilhelm Hertz, Hg. und Nachwort Günther Schweikle (Innen: Poetische Erzählungen nach alt-bretonischen Liebes-Sagen Phaidon, Essen 1986 ISBN 3888511151 (Zehn Texte: Original-Übers.; über zwei Texte Referat des Inhalts im Anh.)

Literatur

  • H. Brät, Marie de France et l'obscurité des anciens in: Neuphilologische Mitteilungen 79 (1978), 180-84.
  • K. Brightenback, Remarks on the 'Prologue' to Marie de France's Lais in: Romance Philology 30 (1976), 168-77.
  • Burgess, Glyn S. The Lais of Marie de France: Text and Context. Athens: University of Georgia Press, c1987.
  • Burgess, Glyn S. and Keith Busby, translators, The Lais of Marie de France. London: Penguin, 1986.
  • Curley, Michael, editor and translator Saint Patrick's Purgatory: A Poem by Marie de France. Binghamton, NY: Medieval and Renaissance Texts & Studies, 1993.
  • Delcos, J. C., Encore sur le prologue des Lais de Marie de France, in: Le Moyen Age 90 (1984), 223-32.
  • Hoepffner, Ernest The Breton Lais in: Ages, Roger S. Loomis (ed.), Arthurian Literature in the Middle Ages, Clarendon Press: Oxford University. 1959. ISBN 0198115881.
  • McCash, June Hall, La Vie seinte Audree: A Fourth Text by Marie de France? in: Speculum 77 (2002), 744-77.
  • Rychner, Jean, 1983. Les Lais de Marie de France. Paris: Honoré Champion.

Anmerkungen

  1. Aufgrund eines Datierungsfehlers des Tractatus wurde ihr das Werk zeitweise nicht zugeschrieben. Wie jedoch Yolande de Pontfarcy in seiner kritischen Textausgabe zum L'Espurgatoire ausführt, besteht kein Zweifel, dass die Lais, die Fabeln und diese Dichtung vom gleichen Autor stammen. Vgl. Yolande de Pontfarcy: L'Espurgatoire seint Patriz. Peeters, Löwen 1995, ISBN 2-87723-176-3, S. 38.