Jesus außerhalb des Christentums
Die Bedeutung von Jesus in den Religionen weicht von der zentralen Bedeutung Jesu von Nazareths als Christus im Christentum ab. Das Spektrum der Ansichten reicht von hoher Wertschätzung über eine Rolle als einer unter vielen bis zu Ablehnung. Diese reagiert oft auf historische Konflikte dieser Religionen und Geistesrichtungen mit christlichen Kirchen oder Christen allgemein.
Das Judentum erkennt Jesus von Nazareth nicht als göttlichen Erlöser an, da er die jüdischen Erwartungen an den Messias nicht erfüllt hat.
Das Christentum nahm seinen Ursprung jedoch im Judentum; Jesus selbst war ein Jude. Schlüsselbegriffe christlichen Glaubens wie die Aussöhnung des Menschen mit Gott stammen aus dem jüdischen Glauben. Auch die von den frühen Christen angefertigten Evangelien bezeichnen Jesus mit jüdischen Begriffen:
- Rabbi (Schriftlehrer) (z.B. seine Jünger: Mk. 9, 38, Mk. 11, 21; der reiche junge Mann: Mk. 10, 17; die Pharisäer: Mk. 12, 14.32)
- Prophet, der heilt und die Gottesherrschaft verkündet (so nannte Jesus sich selbst: Mk. 6, 4)
- wiedergeborener Johannes der Täufer oder
- wiedergekommener Elija (im Volk: Mk. 8, 28)
- falscher Prophet (die Sadduzäer: Mk. 14, 58)
- "Sohn Davids", Befreier der Armen (der blinde Bartimäus: Mk. 10, 47)
- Christus (Petrus: Mk. 8, 29).
Jesus wurde von seinen frühen Anhängern also ganz im Rahmen des jüdischen Glaubens wahrgenommen.
Nach dem verlorenen jüdischen Aufstand mit dem folgenden Tempel-Verlust im Jahre 70 n. Chr. setzte sich die Richtung der Pharisäer durch. Im Abgrenzungsprozess galt das noch stark jüdisch geprägte Christentum nun als unvereinbar mit dem Judentum. Es wurde auf der Synode von Jamnia (72 n. Chr.) ausgegrenzt. Der Bruch erfolgte im Zuge der urchristlichen Mission zu den Nichtjuden, die die Mehrheitsverhältnisse veränderte, und reagierte auf den christlichen Antijudaismus, der von den Heidenchristen ausging.
Der Talmud (2. Jh) nennt Jesus daraufhin meist nur "jenen Mann", vermeidet also seinen Namen. Jesus galt als falscher Prophet und Verführer Israels, der Zauberei trieb, über die Weisen spottete, nur fünf Jünger hatte und uneheliches Kind des römischen Soldaten Panthera war (vgl. Thomasevangelium Logie 105, Celsus, Gerd Lüdemann). Er sei am Vorabend des Passahfestes gehängt worden, nachdem sich trotz vierzigtägiger Suche kein Entlastungszeuge gefunden habe (bSanh43a) (vgl. den Prozessbericht Mk. 14, 53-64).
Im Mandäismus - einer Religion, die im Judentum zeitgleich zum Christentum entstand und sich auf den Täufer Johannes bezieht - wird Jesus wie im Talmud als "falscher" oder "Lügen"-Prophet betrachtet.
Im heutigen Judentum wird Jesus von einigen Theologen auch als echter jüdischer Prophet gesehen, der den Glauben an den einen Gott Israels gebracht hat. Seit 1945 versuchen jüdische Theologen (u.a. Martin Buber, David Flusser, Pinchas Lapide, Shalom Ben-Chorin), Jesus in positiver Weise ins Judentum "heimzuholen": nicht als Messias, aber als eine herausragende jüdische Figur.
Messianische Juden sind letztendlich Christen, da sie Jesus als den Messias anerkennen, und jüdische Bräuche für zweitrangig halten.
Diese dem Gnostizismus nahe stehende Religion entstand im dritten nachchristlichen Jahrhundert. Nach den Lehren Manis wurde Jesus den Menschen gesandt, um sie über die göttliche Vernunft aufzuklären und die Geistfunken der unsterblichen Seele für die Rückkehr in die Lichtwelt zu sammeln. Jesus spielt besonders in der Kosmologie Manis eine wichtige Rolle.
Der Koran, die heilige Schrift des Islam, nennt Jesus von Nazareth Isa bin Marjam ("Jesus, Sohn der Maria") und erzählt einige Episoden aus seinem Leben. Die Darstellung des Korans unterscheidet sich von den Evangelien des Neuen Testaments, indem Jesus nicht als der Sohn Gottes, sondern "nur" als ein Prophet angesehen wird. Die jungfräuliche Geburt Jesu wird jedoch im Koran erwähnt und deshalb von den Muslimen anerkannt. Dies geht unter anderem aus den folgenden Koranversen hervor:
- (Sure 3, 45 - 48) Gedenke, da die Engel sprachen: "O Maria, Allah gibt dir frohe Kunde durch ein Wort von Ihm: sein Name soll sein der Messias, Jesus, Sohn der Maria, geehrt in dieser und in jener Welt, einer der Gottnahen. Und er wird zu den Menschen in der Wiege reden und im Mannesalter und einer der Rechtschaffenden sein." Sie sprach: "Mein Herr, wie soll mir ein Sohn werden, wo mich kein Mann berührt hat?" Er sprach: "So ist Allahs Weg, Er schafft, was Ihm gefällt. Wenn Er ein Ding beschließt, so spricht Er nur zu ihm: Sei! und es ist." Und Er wird ihn das Buch lehren und die Weisheit und die Thora und das Evangelium.
Der Islam reiht Jesus in die Kette der Vorläufer und Propheten ein, die zum einen Gott führen. Damit wird er Mohammed, dem Propheten, der Gottes letztgültige Offenbarung empfangen hat, untergeordnet. Die Koranberichte über ihn sind nach Auffassung der Muslime auch eine endgültige Offenbarung dieses Propheten und daher wahr, während die Darstellungen der Bibel verfälscht worden seien.
Der Islam achtet und verehrt Jesus dennoch als besonderen Propheten. Er ist von allen Vorläufern Mohammeds der Wichtigste. Er wird im Koran als echter Sohn Abrahams angesehen, der den wahren Glauben an den einzigen Gott zuerst empfing. Sogar Jesu Auferstehung wird in der islamischen Theologie diskutiert, weil man einige Koranstellen so interpretieren könnte: Er sitzt zur Rechten Gottes und richtet die Menschen nach dem Tod nach ihren Taten. Doch nicht er wurde laut Koran gekreuzigt, sondern ein anderer, den man für ihn hielt.
Vor allem im Sufismus (islamische Mystik) wird Jesus als wichtiger Prophet angesehen, weil er als der Prophet der Liebe gilt, und gerade die Gottesliebe ein zentraler Punkt im Sufismus ist.
Östliche Religionen
Die polytheistischen Religionen Asiens ordnen Jesus teilweise als Guru oder Weisheitslehrer in das eigene Glaubenssystem ein. Dabei wird ihm jedoch keine universelle Erlöserrolle zugestanden.
- Im Hinduismus erkennen viele Hindus ohne Vorbehalte an, dass Jesus eine volle Inkarnation des göttlichen Brahma oder Atman war und dieses verwirklicht hat.
- Im Buddhismus wird Jesus von manchen Schulen als ein echter Bodhisattva, also ein vollkommen selbstloser barmherziger Mensch anerkannt und damit Buddha nahezu gleichrangig an die Seite gestellt: so z.B. von Tenzin Gyatso, dem heutigen 14. Dalai Lama, der höchsten Autorität im tibetischen Buddhismus.
- Diese Anerkennung hat wiederum auf westliche Interpreten zurückgewirkt: So hat die Feministin Hanna Wolff Jesus als ersten "anima-integrierten Mann" der Antike beschrieben, der die weiblichen Anteile seiner Seele angenommen und Frauen darum anders als die patriarchalische Umwelt behandelt habe. Sie folgte damit der Anima-Animus-Lehre des Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung, der diese ebenfalls im Anschluss an asiatische Anthropologie, vor allem den Taoismus entwickelt hatte.
Antike und moderne Heiden sehen Jesus teilweise als außergewöhnlichen Menschen, der über besondere Kräfte als Rhetoriker, Heiler oder Magier verfügte. So werden etwa Jesu Heilwunder in der Esoterik oder in indianischer Naturheilkunde mit schamanischen Heilritualen in Beziehung gebracht.
Aufklärung
Für distanziert vergleichende Betrachter ist Jesus ein "Religionsstifter", da das Christentum als neue Religion von ihm ausging und sich auf ihn bezieht. Das wird heute jedoch relativiert, weil Jesus als Jude in Israel wirkte und keine neue Religion gründen, sondern das Judentum reformieren wollte. Das Christentum löste sich erst um 70 n. Chr. aus dem Verbund des Judentums.
Aufgeklärte Skeptiker bestreiten die Glaubwürdigkeit der biblischen Quellen, entweder nur in Bezug auf die übernatürlichen Elemente oder in ihrer Gesamtheit. Einige Kritiker sehen die Figur Jesu als unhistorisches Konstrukt, das die frühen Christen aus zirkulierenden Legenden über diverse Personen zusammengestellt hätten.
Andere sehen in Jesus oder der von ihm überlieferten Darstellung ein humanes Vorbild, einen Menschenfreund, philosophischen Lehrer, strengen Moralisten oder politischen Widerstandskämpfer.
Auch im Marxismus spielt Jesus eine Rolle, sei es als Anführer einer frühen Armutsbewegung in Richtung einer klassenlosen Gesellschaft (Friedrich Engels), sei es als Bewahrer des humanen "subjektiven Faktors" im Prozess der revolutionären Veränderung (Milan Machovec) oder als Prediger einer "Revolution im Gottesbegriff", der das Hoffnungspotential des "Atheismus im Christentum" freigesetzt habe (Ernst Bloch).
So ist die Figur Jesu letztlich für viele der heutigen Weltreligionen und viele Geistesrichtungen in irgendeiner Weise von Bedeutung.