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Flimser Bergsturz

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Der Flimser Bergsturz fand vor 10'055 Jahren (plus/minus 195 Jahren) statt. Er ist mit einem Volumen zwischen 12 km³ und 15 km³ das grösste alpine Bergsturzereignis (rund 300 mal grösser als der Bergsturz von Goldau) und das weltweit zweitgrösste derzeit bekannte Bergsturzereignis überhaupt. Auf dem Übergang der Gleitfläche im Norden zur Schuttmasse im Süden liegt der Ferienort Flims. Der Bergsturz ist für Reisende in der wildromantischen Landschaft nicht erkennbar. Nördlich von Flims ragen Felswände bis 350 Meter hoch und im Süden liegt eine dicht bewaldete, unübersichtliche Hügellandschaft mit Seen und einer wilde Schlucht, der Ruinaulta oder Rheinschlucht.

Beschreibung

Bergsturzgebiet Richtung Norden
Hinter dem Wald liegt Flims

Die Anrissstelle liegt auf etwa 2700 m ü. M., Flims liegt auf rund 1100 m und das zugeschüttete glaziale Trogtal auf etwa 600 m Die Sturzmasse besteht aus Kalken des Mesozoikums, mit Zwischenlagen von Mergeln, die 300 bis 500 Meter mächtig war und auf einer Gleitbahn von 20° bis 25° abgerutscht ist. Der Talgrund dürfte um 1'500 Meter breit gewesen sein. Die Trümmer türmen sich bis gegen 750 Meter darüber auf und bedecken eine Fläche von gut 40 km². An einzelnen Stellen sind zersplitterte Schichtpakete erkennbar. Der grösste Teil der Sturzmasse wurde völlig zertrümmert und durch den enormen mechanischen Druck in tieferen Bereichen zu einem stabilen Gestein verbacken. Auf der waldigen Oberfläche liegen unzählige riesige Kalkblöcke. Durch den Bergsturz wurde der Vorderrhein gestaut. Ebenfalls prähistorisch entstand so ein grosser Stausee, der jedoch durch die Ruinaulta schon längst abgeflossen ist.

Datierung

2006 wurden neueste Forschungsergebnisse die eine genaue Datierung des Bergsturzes ermöglichen, präsentiert. Clemens Augenstein, Geologiestudent am Geologischen Institut der ETH Zürich untersuchte zusammen mit seinem Professor Flavio Anselmetti die Sedimentsablagerungen im Dachlisee (1137 m) bei Obersaxen. Der See, ohne natürlichen Zufluss, liegt auf der gegenüberliegenden Talseite von Flims, rund zehn Kilometer Luftlinie entfernt. Die Forscher gingen davon aus, dass ein solch gewaltiger Bergsturz eine immense Staubwolke verursacht haben muss. In fünf Bohrungen, welche bis auf eine Tiefe von 70 cm in das Seesediment getrieben wurden, fanden die Forscher Einschlüsse von Kalkstaub. Die Proben wurden mit der C-14-Methode analysiert. Das Ergebnis: der Kalkstaub rieselte vor 10'055 Jahren (plus/minus 195 Jahren Fehlerquote) in den See.

Auf der Bergsturzmasse wurde keine Einwirkung von Gletschern gefunden. Die Gletscher der letzten Eiszeit dürften ihren Höchststand vor etwa 30'000 Jahren erreicht haben. Eine Eiszeit verlief aber ebenso wie heute mit Klimaschwankungen. Offiziell endet die letzte Eiszeit vor 12'000 Jahren. Danach muss eine starke Klimaerwärmung erfolgt sein, denn die Weltmeere stiegen in rund 1'000 Jahren um fast 90 Meter. Der nahe gelegene Taminser Bergsturz (Volumen nicht bekannt) muss vor etwa 10'000 Jahren stattgefunden haben und wurde vom Flimser Bergsturz teilweise überschüttet. Die Wissenschaft hat das Ereignis bis vor kurzem auf ein Alter von 9600 bis 8200 Jahren datiert. Der Bergsturz kann in einem Ereignis oder in Paketen erfolgt sein. Keinesfalls jedoch wurde die Schuttmasse jemals gesamthaft von einem Gletscher überfahren.

Gründe

Im Maximalstadium dürfte der Vorderrheingletscher bei einer Breite deutlich über 5 km weit über 1500 Meter stark gewesen sein. Eis fliesst und will sich ausdehnen. Es entsteht ein gewaltiger Druck nicht nur nach unten, sondern auch an die Bergflanken. Dieser Druck kann den Fels zusammen mit dem im Eis mitgeführten Schutt abhobeln und Schichtpakete verschieben. So entstehen Scherzonen, wodurch Schichtpakete gelockert und brüchig werden. In diese Scherzonen hinein floss Wasser. Nachdem die Gletscher sich zurückgezogen hatten, wirkte der Permafrost noch nach und schwand mehrere Jahrhunderte später. Die verspätete Auslösung des Bergsturzes dürfte demnach auf den Permafrost zurückzuführen sein, da während der Eiszeit in den Alpen Frosttiefen von mehreren hundert Metern nachgewiesen sind.

Auswirkungen

Rheinschlucht Ruinaulta
Kieswerk bei Versam

Infolge des Bergsturzes entstand der Ilanzersee. Die Bergsturzmasse unterschreitet nur an wenigen Stellen das Niveau von 1000 m ü. M. Vermutlich gilt dasselbe auch für den Bereich der heutigen Ruinaulta. Überläufe sind nirgends festellbar. Aber der Spiegel des Ilanzersees scheint nie das Maximalniveau von 840 m ü. M. überschritten zu haben, jedenfalls weist nichts darauf hin. Gemäss den neuesten Forschungsergebnissen (siehe oben) wurde der Dachlisee bei Obersaxen auf einer Höhe von 1137 m nie durch den Ilanzersee überflutet.

Nach dem Bergsturz muss also bei einer Füllzeit von mindestens einem Jahr der Abfluss lange Zeit unterirdisch erfolgt sein, denn Spuren bezeugen, dass der See auf 820 bis 840 m Höhe wenigstens 1000 bis 2000 Jahre Bestand hatte. Dies ist nicht ungewöhnlich: Noch heute entwässert der auf der Bergsturzmasse gelegene Caumasee rein unterirdisch. Auch sein Zufluss erfolgt weitgehend unterirdisch. Der Ilanzersee dürfte ein Volumen von über 6 km³ aufgewiesen haben.

Die Sturzmasse ist bis gut 800 m Höhe dermassen verdichtet, dass von „festem Gestein“ gesprochen werden kann, was verschiedene Tunnels auch beweisen. Vermutlich wurde beim unterirdischem Abfluss zuerst die oben liegende Lockermasse abgetragen, danach erfolgte im Verlaufe von weiteren etwa 3000 Jahren der endgültige Durchbruch und somit die Entstehung der Ruinaulta. Da die für einen Gletscherrückzug typischen Schotterböden bei Ilanz noch nicht erreicht sind, ist die Schlucht noch nicht vollständig ausgetieft, es kann sich aber nur um wenige Meter handeln.

Die Schuttmasse wird bei Versam in einem Kieswerk abgebaut.


Besichtigung

Aussichtsplattform „Spir“ bei Flims
  • Einen sehr guten Überblick über das ganze Bergsturzgebiet bietet der Weiler Dutjen ob Valendas; die schmale Fahrstrasse ist vor einigen Jahren erneuert worden (Fussweg, ca. eine Stunde ab Valendas). Die Zufahrt über Riein ist bewilligungspflichtig.
  • Mit der Luftseilbahn ab Flims Dorf auf den Cassonsgrat ist die Abrisskante des Bergsturzes erreichbar.
  • Mit nur wenigen Tunnels fahren die Rhätische Bahn und der Glacier-Express durch die Ruinaulta. Drei Haltestellen liegen direkt am Vorderrhein in der Schlucht: Trin, Bahnhof Versam-Safien und Valendas-Sagogn. Mit dem Fahrzeug ist die Schlucht nur punktuell erreichbar und es gibt nur sehr wenige Parkplätze.
  • Der Weg des Vorderrheins durch die Rheinschlucht kann auf etwa zwei Dritteln der Strecke erwandert werden. Ein durchgehender Fussweg besteht nicht, ist aber in Planung. Gewisse Punkte der Schlucht sind, ausser für Bergsteiger, unzugänglich.
  • In Conn, welches im Flimser Grosswald und somit auf dem eigentlichen Schuttkegel liegt, "schwebt" eine spektakuläre Aussichtsplattform über der Steilwand. Conn ist zu Fuss oder mit dem Mountainbike von Flims oder Laax aus zu erreichen.
  • Für Könner im Wildwasser ist die Durchfahrt auf dem Vorderrhein möglich. Verschiedene Anbieter bieten zudem Schlauchbootfahrten durch die Schlucht an.

Literatur

  • Albert Heim: Der alte Bergsturz von Flims 18. Jahrbuch des Schweizer Alpenklub 1882-1883 p. 295-309
  • [BERGSTURZ-GEBIETE DER SCHWEIZ, PROFILE] [Kartenmaterial] / Alb.Heim. - Zürich: Kunstanstalt J.C.Müller, Abt.Kartogr.Hofer, 191.. [000450082]
  • G. Hartung: Das alte Bergsturzgebiet von Flims, Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde. Berlin (19) 1884
  • Dr. Julius Weber: Klubführer; Geologische Wanderungen durch die Schweiz (II), 1913 S. 162-173
  • Seesedimente auf der Flimser Bergsturzmasse: ein neuer Ansatz zur Datierung der grössten Massenbewegung der Alpen (~ 9490 - 9460 cal. y BP): Flims/Laax, Graubünden, Schweiz / Gaudenz Deplazes. Zürich; 2005.. 140 S.: Ill. + 4 Falttaf.. [005083370]
  • Wenn der Berg stürzt: das Bergsturzbegiet zwischen Chur und Ilanz / Emil Kirchen. - Chur [etc.]: Terra Grischuna, cop. 1993. [000943845] ISBN 3-7298-1087-1
  • Zur Hydrogeologie des Bergsturzgebietes im Raum Flims / Y. P. Bonanomi. .. [et al.]. - Bern: Landeshydrologie und -geologie, cop. 1994. (Geologische Berichte / Landeshydrologie und -geologie; Nr. 17) [000955866]
  • Carl Bieler: Als der Berg runterkam, 2006, Migros-Magazin