Leo Strauss
Leo Strauss (* 20. September 1899 in Kirchhain; † 18. Oktober 1973 in Annapolis, Maryland) war ein deutsch-amerikanischer Philosoph, welcher vor allem durch seine Lehrtätigkeit (1949 -1969) als Professor für Politische Philosophie an der University of Chicago, der Gründung einer eigenen einflussreichen Denkschule, den "Straussians" und als dezidierter Kritiker moderner Philosophie sowie des modernen Denkens selbst, bekannt wurde.
Strauss gilt (neben Albert Wohlstetter)als wichtiger Einfluss auf die Vordenker der "Neocons" in den USA.
1.1. Werdegang
Leo Strauss wurde 1899 im hessischen Kirchhain geboren und starb 1973 in Annapolis, Maryland. 1917 begann er Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften an den Universitäten Marburg, Frankfurt am Main, Berlin und Hamburg zu studieren, 1921 promovierte er bei Ernst Cassirer. Anschliessend setzte er von 1921 - 1925 seine Studien bei Edmund Husserl und Martin Heidegger in Freiburg im Breisgau fort und schliesst dort u.a. Freundschaft mit Hans Georg Gadamer und Karl Löwith , vom selben Jahr an bis 1932 wurde er Mitarbeiter an der „Akademie für die Wissenschaft des Judentums“ in Berlin und war Mitherausgeber der Moses Mendelssohn-Jubiläumsausgabe . Zwischen 1932 und 1934 war er Rockefeller-Stipendiat in Paris, von 1934 bis 1938 gelangte er erneut an ein Rockefeller-Stipendium, diesmal für Cambridge, um dort über Thomas Hobbes zu forschen. Letzteres Stipendium wurde massgeblich durch die Hilfe von Carl Schmitt ermöglicht. 1938 emigrierte Strauss von Grossbritannien aus in die USA und lehrte an der „New School for Social Research“ in New York, 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger. 1949 bekam er einen Ruf als Professor für Politische Philosophie an die University of Chicago, wo er zwanzig Jahre lang forschte und unterrichtete.
1.2. Wichtigste Werke
Die gesammelten Werke von Leo Strauss umfassen ungefähr 160 Publikationen, davon 30 Bücher. Der Strauss-Schüler Allan Bloom teilt dessen Werke mittels der üblichen Klassifikation von Früh-, Mittel- und Spätwerk ein. Er unterscheidet:
- Erstens die von ca. 1920 – 1937 währende Phase, in welcher Strauss seinen philosophischen Weg sucht, er konzentriert sich in den 20er Jahren vor dem Hintergrund der sich radikalisierenden philosophisch-politischen Debatten der Weimarer Republik zunächst auf jüdische Themen und das „jüdische Problem“, die herausragende Schrift ist in diesem Zusammenhang „Die Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelwissenschaft“ von 1930. Als wissenschaftliche Disziplinen spielen hier Philosophie, Theologie, Soziologie, Geschichte und Staatswissenschaften eine grosse Rolle. In den 30er Jahren wendet er sich vollends der Philosophie zu und veröffentlicht u.a. 1932 den berühmten Aufsatz „Anmerkungen zu Carl Schmitts ´Begriff des [[Politischen}}´“ sowie 1936 das Buch „Hobbes´ Politische Wissenschaft“, welches als Standardwerk zu Thomas Hobbes gilt. Strauss setzt sich kritisch mit Persönlichkeiten wie Karl Jaspers, Karl Mannheim, Carl Schmitt und Max Weber sowie deren Theorien auseinander und findet sein Thema: das politisch-theologische Problem. Als zentrale Schrift jener Periode gilt die Aufsatzsammlung „Philosophie und Gesetz“ von 1935, in welcher er seine Moderne-Kritik entfaltet und religionsphilosophisch im Kontext von mittelalterlich-islamischen und jüdischen Theoretikern wie Al-Farabi und Maimonides entwickelt.
- Zweitens die 1938 einsetzende Phase, in der Strauss zu Beginn von Cambridge in die USA übersiedelt und so in eine neue Wissenschaftslandschaft gelangt, da es in ihr bereits eine fortgeschrittene Politikwissenschaft gibt. So stellt er sich (neben seinen aus Europa mit gebrachten Themen) neuen Fragen wie denen der amerikanischen Verfassung und der Tradition amerikanischen politischen Denkens. Hauptwerke jener Zeit sind „On Tyranny“ von 1948, „Persecution and the Art of Writing“ von 1952 , „Natural Right and History“ von 1953 und die umfangreichen, 1958 erschienenen „Thoughts on Machiavelli“.
Seit Mitte der 50er Jahre gilt Strauss gilt in der amerikanischen Politikwissenschaft als anerkannt, ein von der „American Political Science Association“ durchgeführtes Ranking von politischen Theoretikern führt ihn Ende der 50er Jahre auf Platz 9 der „Bedeutensten Politikwissenschaftler nach 1945“.
- Etwa 1959 beginnt sein Spätwerk, in welchem er sich primär mit der antiken Philosophie und deren Autoren auseinandersetzt. Parallel zu seiner Arbeit kommt es zur offensiven Bildung einer „Strauss-Schule“, deren Prozess massgeblich durch den programmatischen Sammelband „What is Political Philosophy“ von 1959 und die 1963 gemeinsam mit Joseph Cropsey editierte „History of Political Philosophy“ vorangetrieben wird, beide Bände sollen zusammen eine Kanonisierung der als wesentlich erachteten Themen und Traditionen enthalten und namhafte amerikanische Lehrbücher ersetzen. Er veröffentlicht in rascher Reihenfolge Untersuchungen zu Platon, Aristoteles und Thukydides („The City and Man“; [[1964}}), eine Interpretation des Gesamtwerkes von Aristophanes („Socrates and Aristophanes“; 1966), Analysen der sokratischen Schriften Xenophons („Xenophon´s Socratic Discourse“ von 1970 sowie „Xenophon´s Socrates“ von 1972) sowie eine Auslegung von Platons politischstem Werk, den „Nomoi“ (dt. „Die Gesetze“), welche posthum 1975 unter dem Titel „The Argument and Action of Plato´s Laws“ erschien.
Das „politisch-theologische Problem“ als Hauptthema bei Leo Strauss
2.1. Abgrenzung von Religion und Politik, Plädoyer für die „Politische Philosophie“
Heinrich Meier bezeichnet das sogenannte „politisch-theologische Problem“ als das Thema der Untersuchungen von Leo Strauss. Dieses Problem entsteht aus dem Konflikt von Philosophie und Offenbarung einerseits, sowie dem Konflikt von Philosophie und Politik andererseits. Hinzu kommt die Verdrängung dieses Problems durch die Moderne.
- Für Strauss war die göttliche Offenbarung die grösste Herausforderung für die Philosophie, weil für den Fall, dass es die eine göttliche, also absolute Wahrheit gibt, das menschliche Bemühen um philosophische, also relative Wahrheit zweitrangig bzw. sinnlos wird. Die Herausforderung durch die Offenbarung besteht für die Philosophie theoretisch und existenziell: Sie stellt die Philosophie theoretisch vor die Frage, ob die Wahrheit nicht grundsätzlich verfehlt werde, wenn sie vom Menschen frei gesucht wird, ob der einzig mögliche Zugang zur Wahrheit nicht vielmehr darin bestehe, diese durch denjenigen gläubig hinzunehmen, der die Wahrheit ist. Existenziell bedroht sie die Philosophie, indem sie dieser das Gebot des Gehorsams entgegen hält, wodurch die philosophische Lebensform im Namen der höchsten Autorität bzw. Gottheit verworfen wird und bei Nichtbefolgen streng bestraft wird. Mit dem scharf formulierten Gegensatzpaar von „Athen“ und „Jerusalem“ meint Strauss somit den grundsätzlichen Unterschied eines selbstbestimmten philosophischen Leben ohne jede Autorität und eines Lebens im Sinne des Offenbarungsglaubens. Diese zugespitzte Position enthält eine Ablehnung aller unverbindlichen ethischen Orientierungen: Entweder gilt das strenge jüdische Gesetz bzw. mit ihm vergleichbare religiöse Orientierungen oder es wird eine philosophische Skepsis als Lebensform gewählt. Dazwischen liegen für Strauss nur „Vermittlungspositionen“, die nicht in der Lage sind, die letzten Konsequenzen zu denken.
- Die Spannung zwischen der Politik und der Philosophie liegt dem Konflikt zwischen der Philosophie und der Offenbarung noch voraus und dasselbe gilt für das Erfordernis, das Recht und die Notwendigkeit der Philosophie zu verteidigen. Die Philosophie ist eine Antwort auf die Frage nach dem Richtigen, die sich immer schon autoritativen Antworten auf die Frage nach dem für die Menschen Rechten und Gerechten gegenübersieht. Sie unterliegt dem Gesetz des Gemeinwesens, göttlichen oder menschlichen Geboten und Verboten und sie trifft auf politische und moralische Kräfte, welche ihr mit dem Willen zur Durchsetzung politischer Verbindlichkeiten und moralischer Forderungen entgegentreten.
- Trotz der scharfen Formulierung des theologisch-politischen Problems räumt Strauss den Religionen Wichtigkeit ein, da sie einer grossen Zahl von Menschen Orientierung bieten und somit auch zur politischen Ordnung beitragen. Diese Orientierungsmöglichkeit darf durch die Philosophie nicht als rein funktional („Opium fürs Volk“) abgetan, sondern muss als substantiell und eigenständig wahrgenommen werden.
- Philosophie muss sich zuallererst als „Politische Philosophie“ betrachten, da ihre Antworten immer politische Wirkung haben und sich immer vor der Offenbarung rechtfertigen müssen. Die politische Philosophie hat sich im Interesse ihres Erhaltes auf sich selbst zu beschränken und muss sich ihrer zersetzenden Wirkungen, gerade in Bezug auf die Religionen, bewusst sein. Erst wenn sie beides realisiert hat, könne sie sich behaupten. Zum anderen ist die Frage nach dem richtigen Leben zutiefst politisch und eine tief greifende Problematik der Philosophie, die sie in unbedingtem Fragen erörtert, und durch die philosophische Radikalität, mit der sie gedacht werden muss, ist Philosophie gegenüber allen konkreten und vorfindbaren Lebensformen und politischen Ordnungen politisch subversiv. Es ist eine sehr sokratische Position, dass ein Philosoph weder Theologe noch Politiker sein kann und darf, auf welche Strauss hier zurückgreift. Die „politische Philosophie“ erweist sich als gefährdet, da sie unangenehme Einsichten vertritt: Sokrates wurde aufgrund solcher Wahrheiten hingerichtet. Andererseits braucht der Politiker die Weisheit des Philosophen, die er seinem Volk aber nur vorsichtig offenbaren darf. „Politische Philosophie“ berät denn die Politik auch nicht bloss, vielmehr legitimiert sie die Politik, leistet ihr fundierende Dienste, sagt ihr, was gut und was böse ist, verleiht ihr also auch ethische Gewissheit.
- So stellt sich für Strauss in Erwiderung auf Nietzsche oder die französische Aufklärung der Enzyklopädisten nicht die Frage, ob die Philosophie über die [[Religion}} herrschen soll oder umgekehrt. Weder das eine noch das andere ist möglich. Er hält es für einen der Grundirrtümer der Aufklärung bzw. der Moderne, die Religion mittels eines obskuren Ratio- oder Vernunftbegriffs „bewältigen“ oder gar „erledigen“ zu können. In Wirklichkeit, so Strauss, sei die Aufklärung bildlich gesprochen auf eine Art „napoleonischer Strategie“ verfallen, indem sie die Festung der Offenbarung weiträumig umwanderte, um an ihr Ziel zu kommen. Die Religion allerdings wurde damit nicht aus der Welt geschafft. Mithilfe eines platonischen Vergleiches schliesslich, spitzt Strauss seine These soweit zu, dass er behauptet, der Aufklärung sei es nicht gelungen, aus der „platonischen Höhle“ herauszukommen, sie verirrte sich vielmehr in eine „zweite Höhle“, die Höhle der Moderne, welche noch unter der aus dem bekannten „Höhlengleichnis“ anzusiedeln sei.
2.2. Positivismus, Historismus und der “Begriff des Politischen”: Kritik der Moderne
Leo Strauss war Jude und hatte sich als bekennender Zionist, welcher er in seinen jungen Jahren war, vor allem mit der „Jüdischen Frage“ beschäftigt. Ihn beschäftigte die Frage, wie man als Jude in einem liberalen Umfeld leben kann, wobei dieser Liberalismus es nicht schafft, die gesellschaftliche Diskriminierung zu verhindern, auch wenn die Juden gleiche Rechte haben. Dies war ein konkretes Problem, mit dem Leo Strauss umzugehen hatte und führte ihn zu seinen Thesen.
- Unter Rücksichtnahme seiner Erfahrungen mit der Weimarer Republik kritisierte Strauss, dem Liberalismus ginge es letztendlich „nur“ um Sicherheit, Wohlstand, Eigentum und freie wirtschaftliche wie wissenschaftliche Entfaltung der Bürger. Mit all dem, was im Grunde zu den angenehmen materiellen Gütern zählt, verdrängt der Liberalismus die eigentliche menschliche wie politische, d.h. die universale Frage nach dem guten wie dem richtigen Leben, nach dem Guten schlechthin. Liberal definiert sich Menschlichkeit durch Wohlstandshedonismus, der moralische und religiöse Fragen privatisiert. Für Strauss besitzt Politik einen Primat gegenüber Kultur und Gesellschaft. Vielmehr avanciert auch die politische Philosophie daher zur ersten primären Philosophie, auf die alle andere Philosophie und Wissenschaft erst aufbauen. Die Moderne dagegen hält die antike Philosophie für historisch längst überholt. Sie verdrängt die Frage nach der richtigen politischen und sozialen Ordnung, um sich mit einem für Strauss fragwürdigen Pluralismus-Begriff einrichten zu können. Sie schafft nicht mehr tatkräftig den Frieden, sondern versucht, ihn irgendwie zu organisieren.
Die Natur des Menschen ist nicht zur blossen Freiheit geschaffen; sie braucht Ordnung, Herrschaft und Gesetz. Es gibt also eine Art Primat des Politischen, der unhinterfragten Gehorsam der Bürger gegenüber dem Staat verlangt und auch nicht durch die berechtigte Berufung auf Individualität und Pluralismus unterlaufen werden darf.
- Eine Zeitlang sah es für einige Beobachter so aus, als sei die Philosophie aus dem Streit zwischen der Religion und der Aufklärung als Sieger hervorgegangen, wenigstens in jenen Systemen, in welchen die atheistische Gesellschaft Wirklichkeit geworden war. Diese Gesellschaften haben die „Philosophien“ inzwischen mit sich ins Grab genommen. Eine grosse Schuld dieser Entwicklung gibt Strauss der Tatsache, dass die Wissenschaft an die Stelle der Philosophie mit Hilfe der Ideen des Positivismus und des Historismus getreten ist, welche er mit deren jeweiligen Protagonisten Max Weber und Martin Heidegger personifiziert. Der Positivismus betrachtet wissenschaftliches Wissen als ein Wissen von konkreten Gegebenheiten, welche in methodisch sicheren Verfahren in den Stand einer „Tatsache“ erhoben werden. Der Positivismus schliesst, so verstanden, die Berücksichtigung vorwissenschaftlichen Wissens ebenso aus wie die Fähigkeit, Werturteile, welcher Art auch immer, für gültig oder ungültig zu erklären. Die somit stattfindene Ausblendung moralischer Fragen innerhalb der Wissenschaft, in welcher es nur um „Tatsachen“ oder „Machbarkeit“ geht, vergisst das eigene Hinterfragen und kann somit amoralisch werden. Strauss bezeichnet Max Webers Position als „edlen Nihilismus“. Der Historismus wiederum, welcher auch auf eine „Historisierung der Philosophie“ hinauslief, führte zu der vermeintlichen Erkenntnis, dass Wahrheit eine Funktion von Zeit ist bzw. dass jede Philosophie zu einer bestimmten Zeitund einem bestimmten Ortgehört. Die Historisten fragten nicht mehr nach den Ideen selbst, sondern lediglich nach deren Entstehungsursachen und verorten diese in ihrer Zeit. So verkommt Philosophie bzw. Denken als grundloses Reagieren auf bestimmte äussere Umstände und erhebt keinen Anspruch mehr auf Zeitlosigkeit bzw. Wahrheit. Positivismus und Historismus haben laut Strauss das fundamentale Problem der modernen Sozialwissenschaften am deutlichsten zutage treten lassen, das in ihrer Unfähigkeit besteht, mit Klarheit und Gewissheit Rechenschaft über ihre eigenen Grundlagen zu geben. Diese beiden Bewegungen, so Strauss, bringen das Denken insgesamt in Gefahr und sind mitverantwortlich für das Problem der Moderne, ihre Wurzeln und kulturellen Ursprünge zu vergessen.
- In so einem „Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“ war es kein Wunder, dass sich Leo Strauss der 1927 erschienenen Schrift „ Der Begriff des Politischen“ von Carl Schmitt widmete. Strauss erkannte, dass auch durch das Verschwinden des Politischen die Philosophie selbst gefährdet wurde. Er teilte Schmitts Kritik an der Zeit und folgte auch dessen Definition des Politischen, welches seinen höchsten Intensivierungsgrad in der Unterscheidung von Freund und Feind habe. Allerdings kritisierte er, dass die Liberalismuskritik Schmitts seiner Meinung nach selber liberalen Denkmustern verhaften blieb, und forderte Schmitt auf, einen Denkhorizont jenseits des Liberalismus aufzuzeigen, wobei Strauss natürlich darauf abzielte, jenen vormodernen Horizont wiederzugewinnen, innerhalb dessen Thomas Hobbes die Grundlegung des Liberalismus vollzogen hatte. Dieser Horizont ist derjenige, welcher die Widergewinnung der politischen Philosophie und des naturrechtlichen Denkens der Antike beinhaltet.
2.3. Strauss´ Plädoyer für das antike Naturrecht
- Einsicht in die notwendigen universalen Ordnungen, in das Verhältnis zur Natur bleibt eine schwierige Aufgabe, die die Mehrheit der Menschen nicht zu leisten vermag, die den Eliten eines Gemeinwesens somit auch eine massive Verantwortung überträgt. Sie dürfen den Menschen vorschreiben, wie sie zu leben haben, sie dürfen sie auch belügen - man denke an die "edle Lüge", die sogar dem Philosophenstand in Platons „Politeia“, welche ,bekanntermassen eine Utopie, die „beste Verfassung“, entwirft, erlaubt ist, woran Leo Strauss in diesem Fall primär anschliesst und damit hofft, die ethischen und politischen Verunsicherungen des Liberalismus wie der Moderne wieder zu beheben. Dieser Rationalismus der politischen Philosophie, die Einsicht in die richtige Ordnung, stösst bei vielen Menschen auf Unverständnis.
- Der oftmals damit einhergehende Versuch vieler religiöser oder moderner Menschen, sich vom Politischen abzuwenden oder es abschaffen zu wollen, führt laut Strauss schon alleine der Tatsache wegen, dass der Mensch ein politisches Wesen ist, in die falsche Richtung. Die Spannung von Philosophie und Politik muss konstruktiv aufgefasst und integriert werden, das begründet die politische Dimension der Philosophie. Es stellt sich die Frage, wie das Verhältnis zwischen Politik und Philosophie im ursprünglichen Themengebiet der politischen Philosophie, dem Naturrecht, angemessen dargestellt werden kann.
- Unter dem Begriff „Natur“ (griechisch: „physis“) versteht man im klassischen Naturrecht die Beschreibung des Aussehens und Wirkens einer Klasse von Dingen, die weder von den Göttern noch von den Menschen gemacht sind. Daneben gibt es aber auch Dinge, von denen man sagt, sie seien „von Natur“, weil sie als erste Dinge nicht entstanden sind, sondern alle anderen Dinge durch sie entstehen. Der klassische Naturbegriff hat in der Hauptsache zwei Dimensionen der Bedeutung, erstens die „Lebensweise“ bzw. „der wesentliche Charakterzug eines Dinges oder einer Gruppe von Dingen“ und zweitens die „ersten Dinge“. Die ersten Dinge sind immer und unvergänglich, unabänderlich und von innerer Notwendigkeit. Sie beruhen nicht auf Konventionen und haben als letzte Ursache der anderen Dinge eine höhere Würde als diese. Die Kenntnis der verschiedenen „Naturen“ beinhaltet die Erkenntnis von ihrer Begrenztheit, „Natur“ ist also primär ein Ausdruck der Unterscheidung. Gemeint ist also nicht die Natur insgesamt, sondern die einzelnen Dinge oder Klassen von Dingen, die als Teile des Ganzen verschieden sind. Daraus ergibt sich die Funktion des Naturbegriffs, massstabsetzend zu sein. Erste Dinge haben Vorrang vor anderen, folglich hat auch eine Lebensweise, die auf erste Dinge ausgerichtet ist, Vorrang vor anderen Lebensweisen. Natur wird zum Massstab für die richtige Lebensweise und zugleich Vorraussetzung von Werturteilen. Auch ist zu erkennen, dass sich die Naturrechtslehre, deren Frage nach den ersten Dingen gerichtet ist, mit der Frage nach dem „besten Leben“, „dem besten Staat“ und anderen politischen Fragen überschneidet. So ist Strauss am Ziel angekommen.
Strauss´ Einfluss auf die akademische und politische Debatte in den USA
3.1. Strauss und die „Straussians“
Jene von Strauss vermittelte Form der politischen Philosophie ist zweifelsohne nicht ohne Auswirkungen und auch nicht ohne Resonanz sowohl unter vielen seiner ehemaligen Studenten als auch unter den Lesern seiner Bücher geblieben. Als Platoniker und Akademiker bemühte er sich um eine eigene „Schule“, die seine Vorstellungen von politischer Philosophie fortführen würde, ihm lag es am Herzen, den Geist der politischen Philosophie zu bewahren und dafür eine geeignete Bildungselite zu schaffen. Im Sinne der Tradierung bedeutender Texte und der Textpflege haben viele „Straussians“ gewirkt: Allan Bloom lieferte u.a. eine Standardübersetzung von Platons „Politeia“ ins Englische und brachte Rousseaus Werke heraus, Christopher W. Bruell widmete sich Xenophon, Herbert J. Storing sammelte und editierte die „Anti-Federalists“ und Howard B. White setzte sich mit Francis Bacon und Descartes auseinander, um einige Beispiele zu nennen. Bloom trat im Sinne Strauss ebenfalls als Kulturkritiker hervor und veröffentlichte 1987 seinen Bestseller „The Closing of the American Mind“. Neben Bloom (+ 1992) gehören auch die Strauss-Schüler Seth Benardete (+ 2001) und Joseph Cropsey zu den wichtigsten Platon-Textexegeten in den USA.
3.2. „Neocons“ = „Leocons“?
Strauss ist ein Kritiker der liberalen Demokratie, jedoch kein Feind derselben. Dennoch wirft er Fragen auf, deren mögliche Antworten einem säkularen politischen Denken eher fern liegen. Sie können leichter von jenen aufgegriffen werden, die nach den ethischen und religiösen Grundlagen des Politischen suchen und diese wieder in die liberale Demokratie einbringen möchten. Ob sich die heutigen Vordenker der Neokonservativen in den USA jedoch zurecht auf Strauss berufen dürfen, ist dagegen insofern fraglich, da sich Strauss selbst jeder eindeutigen politischen Zuordnung entzieht. So sind von Strauss keinerlei politische Schriften zur Innen- oder Aussenpolitik der USA verfasst worden, auch aus der Tagespolitik hielt er sich heraus, er war „politischer Philosoph“, kein „politischer Theoretiker“ oder gar ein Politiker.
Wie Nietzsche und Heidegger vollzieht Leo Strauss jene Denkbewegung, die in der kritischen Hinterfragung der Moderne einen Neuanfang des Denkens sucht. Im Gegensatz zu den beiden Meisterdenkern des 19. bzw. 20. Jahrhunderts empfiehlt er jedoch nicht wie diese, an die Vorsokratiker anzuknüpfen und somit annährend 2 1/2 Jahrtausende abendländischer Kultur- und Philosophiegeschichte zu verwerfen, sondern folgt zur möglichen Genesung der Moderne vielmehr jener Denkbewegung, die von Sokrates, Platon und Aristoteles herkommt und die alle Fragen des Politischen einer kritischen und vor allem rationalen Prüfung unterwirft.
Literatur
- Heinrich Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss und "Der Begriff des Politischen". Zu einem Dialog unter Abwesenden. Stuttgart 1988 (französisch 1990, japanisch 1993, amerikanisch 1995); Erweiterte Neuausgabe. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart-Weimar 1998.
- Heinrich Meier: Die Denkbewegung von Leo Strauss. Die Geschichte der Philosophie und die Intention des Philosophen. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart-Weimar 2000.
Personendaten | |
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NAME | Strauss, Leo |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-amerikanischer Philosoph |
GEBURTSDATUM | 20. September 1899 |
GEBURTSORT | Kirchhain |
STERBEDATUM | 18. Oktober 1973 |
STERBEORT | Annapolis, Maryland |