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Visa-Affäre

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Joschka Fischer

Im Rahmen der so genannten Visa-Affäre wird seit Anfang 2005 zunächst dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt a.D. Ludger Volmer und dann auch dem Außenminister Joschka Fischer vorgeworfen, die Erteilung von Visa übermäßig erleichtert und damit den illegalen Menschenhandel gefördert zu haben. Auf Antrag der CDU/CSU hat der Bundestag einen Untersuchungsausschuss dazu eingesetzt. Fischer und Bündnis 90/Die Grünen argumentieren, dass Erleichterungen für die Einreise nach Deutschland aus Osteuropa schon von der konservativen Vorgängerregierung vorgeschlagen wurden, und dass auch aus der CDU/CSU immer wieder Forderungen kommen, die Einreise - etwa für Geschäftsleute aus der Ukraine - zu erleichtern. Zudem sei auf Fehler und Probleme sofort nach Bekanntwerden reagiert worden. Die Grünen warfen der CDU/CSU vor, mit dem Untersuchungsausschuss allein eine Kampagne zu führen, um ihnen, Fischer und der rot-grünen Bundesregierung zu schaden. Umgekehrt wird den Grünen von Union und einigen Medien vorgeworfen, die Affäre herunterzuspielen und unsachgemäß auf die Kritik zu reagieren.

Ob die Visa-Politik tatsächlich zu einem Anstieg der Kriminalität und des illegalen Menschenhandels geführt hat, ist bisher unklar. Ein Effekt der Visa-Affäre ist ein deutliches Absinken der Popularität sowohl Fischers als auch der Grünen.


Hintergründe

1999 stellte die Deutsche Botschaft in Kiew (Ukraine) alleine ca. 150.000 Einreise-Visa aus. Durch die hohe Anzahl der Antragstellenden bildeten sich lange Schlangen vor der Botschaft. Innerhalb der Botschaft sorgte der BGS für Ordnung, außerhalb dagegen ukrainische Sicherheitskräfte. Antragsteller berichteten, dass diese Sicherheitskräfte Geld von den Antragstellern verlangten, damit sie unbehelligt blieben. Sie verlangten zwischen 100-500 DM je nach Platz in der Warteschlange. Daraus entwickelte sich mit den Jahren ein regelrechtes System ("Warteschlangen-Mafia"). Offenbar konnte dies auch nicht ohne Mitwissen des BGS und der Konsularbeamten passieren. Unter den Augen von Botschaftsangehörigen hätten Mafia-Gestalten entschieden, wer gegen 50 Euro ein oder zwei Schritte in der Schlange vor der Visa-Stelle vorrücken durfte, so Fritz Grützmacher (pensionierter Visa-Bescheider).

Ein Journalist fand heraus, dass die durchschnittliche Bearbeitungszeit für Visa, die in der Ukraine ausgestellt wurden, nur wenige Minuten betragen haben muss.

Anfang 2000 trat der Volmer-Erlass in Kraft, der den Ermessensspielraum der deutschen Vertretungen bei der Visa-Vergabe erweiterte. Bei Zweifeln an der Rückkehrbereitschaft des Antragstellers sollte nicht mehr wie bisher eine Ablehnung erfolgen sondern der Antrag positiv beschieden werden, sofern sich sonstige Umstände für oder gegen eine Erteilung die Waage hielten.

Gleichzeitig mit dem Erlass wurde das sogenannte Reisebüroverfahren eingeleitet. Dadurch war es möglich ein Visum über ein Reisebüro zu beantragen. Auf diese Weise sollte die Warteschlangen-Mafia bekämpft werden. Sowohl der BGS als auch das BKA wandten sich jedoch gegen dieses reformierte Verfahren. Sie behaupteten, dass seit 2001 aus der Ukraine fast ausschließlich Kriminelle und Schwarzarbeiter kamen. Die Ursache sollte dabei sowohl im Reisebüroverfahren als auch im Volmer-Erlass gelegen haben: So wurde der Geschäftsführer eines Neu-Ulmer Reisebüros zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, nachdem nachgewiesen wurde, dass er Gruppenreisen mit fingierten Programmen beantragt und im Massenverfahren an die deutsche Botschaft in Kiew weitergeleitet hatte; das Gericht stellte zudem fest, dass die Eingereisten umgehend untertauchten, in andere Länder weiterreisten oder der Prostitution nachgingen.

Am 9.März 2000 schrieb Bundesinnenminister Otto Schily an Joschka Fischer, er sehe den Erlass im Widerspruch zum Ausländergesetz und dem Abkommen von Schengen. Im Sommer 2000 zeigten sich auch andere Innenminister besorgt, die Sorgen wurden vom Auswärtigen Amt aber zurückgewiesen. Ob und warum Schily nicht weiter intervenierte, ist zur Zeit (Februar 2005) noch unklar.

Die Reiseschutzversicherung Carnet de Tourist des ADAC wurde am 2. Mai 2001 vom Auswärtigen Amt zugelassen. Die Allianz AG verkaufte ca. 35.000 Stück solcher Pässe, der ADAC zwischen 120.000 und 150.000 Stück, die ITRES GmbH ca. 31.000 Stück.

Das Auswärtige Amt wies die Auslandsvertretungen auch an, den Reiseschutzpass der Reiseschutz AG des privaten Unternehmers Kübler zu akzeptieren. Das Bundeskriminalamt unterrichtete das Innenministerium über die Rolle, die Reiseschutzversicherung inzwischen bei Schleusungskriminalität spielt.

In einem Verfahren gegen Anatoli B. stellte die Kölner Strafkammer fest, dass der Volmer-Erlass, das Reisebüroverfahren und die Reiseschutzpässe zu Masseneinschleusungen von Personen geführt hätten. Dies wird in der Urteilsbegründung als "kalter Putsch gegen die Gesetzeslage" bezeichnet.

Im Juli 2001 erklärte das Auswärtige Amt das Reisebüroverfahren zum 1. Oktober 2001 für beendet. Künftig musste jeder Antragsteller wieder persönlich bei der Visa-Stelle vorsprechen. Der Abschluss einer Reiseschutzversicherung galt aber weiterhin als ausreichender Bonitätsnachweis.

Ab 29. Januar 2002 durften per Erlass des Auswärtigen Amtes Reiseschutzversicherungen auch im Ausland direkt verkauft werden. Die Situation vor der Vertretung in Kiew spitzte sich zu. Fliegende Händler bieten das Reisedokument für 1000 Dollar an.

Am 08. Februar 2002 meldete der Botschafter in Kiew, dass die Botschaft von Antragstellern mit Reiseschutzpässen "überrollt" werde.

Ab April 2003 wurden Reiseschutzversicherungen dann nicht mehr anerkannt.

28. Oktober 2004: Der Volmer-Erlass vom März 2000 wird revidiert. Die Bonität eines Einladenden muss wieder geprüft werden.

Untersuchungsausschuss

Am 20. Januar 2005 fand die erste Sitzung eines Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages (initiiert von der CDU/CSU-Fraktion) zu dem Thema statt. In den Ausschuss soll u.a. auch Bundesaußenminister Joschka Fischer aussagen. CDU-Obmann ist Eckart von Klaeden, der Joschka Fischer 2001 schon einmal in einem Untersuchungsausschuss gegenüberstand.

Am 12. Februar 2005 trat Ludger Volmer als außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen und seinem Sitz im Auswärtigen Ausschuss zurück. Ebenso lässt er seine Mitarbeit bei der Synthesis GmbH ruhen. Ihm war neben der Verantwortlichkeit für den Erlass vorgeworfen worden, dass er Amt und private Tätigkeit vermischt habe; zudem gab es Vorwürfe der Korruption in Zusammenhang mit ungeklärten Zahlungen der Bundesdruckerei, die an den Reisepässen verdient hat, an Volmer.