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Politisches System Ägyptens

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Ägypten ist nach Artikel 1 der ägyptischen Verfassung vom 11. September 1971 ein „sozialistischer demokratischer Staat“ und Teil der „arabischen Nation“. Der Islam ist Staatsreligion (Art. 2); das Mehrparteiensystem ist in Art. 5 der Verfassung verankert. In Art. 40-63 der Verfassung werden verschiedene Bürgerrechte garantiert; diese werden jedoch durch eine Notstandsgesetzgebung, die seit der Ermordung Anwar as-Sadats in Kraft ist, erheblich eingeschränkt. Die Gültigkeit dieser Notstandsgesetzgebung wurde im Februar 2004 um weitere drei Jahre verlängert.

Staatsoberhaupt ist gemäß Artikel 73 der Verfassung der Präsident; dieser ernennt und entläßt seine(n) Stellvertreter, den Premier- sowie die übrigen Minister (Art. 141) und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Art. 150). Er kann u. a. Verordnungen erlassen und Verträge abschließen, die dann Gesetzescharakter haben (Art. 147 und 151); ebenso kann er den Notstand ausrufen, der nur von begrenzter Dauer sein darf – es sei denn, die Volksversammlung (madschlis asch-schaab) stimmt einer zeitlichen Verlängerung zu (Art. 148). Laut Artikel 76 der Verfassung muß ein Präsidentschaftskandidat von einem Drittel der Abgeordneten der Volksversammlung vorgeschlagen werden. Hat der Kandidat in der folgenden Abstimmung im Parlament zwei Drittel der Stimmen erreicht, wird ein Volksentscheid anberaumt, in der die absolute Mehrheit der Stimmen notwendig ist. Die Amtszeit des ägyptischen Präsidenten beträgt sechs Jahre; die Zahl der Amtsperioden ist dabei nicht beschränkt (Art. 77). Beim Präsidentschaftsreferendum sind alle Ägypter ab einem Alter von 16 Jahren teilnahmeberechtigt. Ein Gegenkandidat ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Der derzeit amtierende Präsident, Muhammad Husni Mubarak (* 04.05.1928), war bereits unter Sadat stellvertretender Verteidigungsminister, Vizepräsident und stellvertretender Vorsitzender der National-Demokratischen Partei (Hizb al-watani ad-dimuqrati; NDP), der Regierungspartei. Eine Woche nach der Ermordung Sadats 1981 wurde ihm verfassungsgemäß das Amt des Präsidenten übertragen. Seit 1982 hält er auch den Vorsitz der NDP inne. In den Präsidentschaftsreferenden von 1981, 1987 und 1993 wurde Mubarak jeweils mit mehr als 90 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

Das ägyptische Parlament ist gemäß Artikel 86 der Verfassung die gesetzgebende Körperschaft, deren Mitglieder gemäß Artikel 92 für fünf Jahre gewählt werden. Mindestens die Hälfte der Mitglieder müssen Arbeiter und Bauern sein (Art. 87). Für die Wahlen zur Volksversammlung ist das derzeitige Wahlgesetz aus dem Jahr 1987 maßgeblich. Stimmberechtigt sind alle Ägypter ab einem Alter von 18 Jahren, das passive Wahlrecht hingegen wird erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres erworben. Angehörige von Polizei und Militär sind nicht wahlberechtigt. Gemäß dem Gesetz Nr. 38 von 1972 beträgt die Zahl der vom Volk gewählten Abgeordneten insgesamt 444. Hinzu kommen (höchstens) 10 Abgeordnete, die vom Präsidenten bestimmt werden. Seit 1990 beträgt die Zahl der Wahlkreise 222, wobei in jedem Wahlkreis (durch Mehrheitswahlrecht) zwei Abgeordnete zu wählen sind. Es können in jedem Wahlkreis zwei Kandidaten derselben Partei antreten. Jedes der 26 Gouvernorate umfaßt mindestens zwei Wahlkreise. Bei den Wahlen findet Artikel 87 der Verfassung bereits auf Wahlkreisebene Anwendung, was konkret bedeutet, daß gegebenenfalls der Kandidat mit den zweitmeisten Stimmen zugunsten eines Arbeitern oder Bauern zurücktreten muß. Jeder Wähler ist verpflichtet, zwei verschiedenen Kandidaten seine Stimme zu geben. Zum ägyptischen Parlament gehört noch eine zweite Kammer, die „Beratende Versammlung“ (madschlis asch-schura), deren Funktion mit der des britischen Oberhauses vergleichbar ist. Scheidet ein gewähltes Parlamentsmitglied z. B. durch Tod aus, so werden in dem betreffenden Wahlkreis Nachwahlen abgehalten.

Bei der Neuzulassung von Parteien gilt das Gesetz Nr. 40 von 1977, das 1978 ergänzt wurde. Demnach muß jede Partei das islamische Recht (die Scharia) als „Hauptquelle der Gesetzgebung“ anerkennen und sich zur Einhaltung der „nationalen Einheit“ und des „sozialen Friedens“ verpflichten. Ebenso müssen das „sozialistische demokratische System“ und die „sozialistischen Errungenschaften“ anerkannt werden. Die Partei darf in ihrem Programm keinen ausschließlichen Bezug auf eine bestimmte Religion, Rasse, Sprache, Berufsstand oder Geschlecht nehmen. Somit sind islamistische Parteien oder Parteien von Minderheiten, wie z. B. der christlichen Kopten, nicht zulässig. Parteien in Ägypten dürfen keine Ableger ausländischer Parteien sein, was auch für Parteien in den anderen arabischen Ländern, wie den Baath, gilt. Ebensowenig dürfen die Parteien vom Ausland finanziert werden. Schließlich müssen sich neugegründete Parteien klar von den Programmen bestehender Parteien und deren Ideologien absetzen. Für eine Neugründung sind 50 Gründungsmitglieder erforderlich; hiervon müssen aber 20 der Volksversammlung angehören und 25 Mitglieder von Beruf Arbeiter oder Bauern sein. Über die Zulassung entscheidet ein Parteienkomitee, dem überwiegend Mitglieder der NDP angehören.

Regierungspartei in Ägypten ist die bereits erwähnte National-Demokratische Partei, die im Juli 1978 aus dem mittleren Spektrum der Arabischen Sozialistischen Union, der früheren Einheitspartei, entstand. Sie hat kein einheitliches ideologisches Konzept, bekennt sich jedoch zum Frieden mit Israel, zum islamischen Recht und zur Politik Nassers und Sadats. Sie zählt etwa 2,5 Mio. Mitglieder, davon die höheren Staatsangestellten und zahlreiche Gouverneure, Stadträte, Dorfvorsteher, aber auch Militärs und Vertreter der Privatwirtschaft. Ebenso sind viele Angehörige des Verwaltungsapparats Mitglied der NDP, die gleichfalls Nasseristen und Wirtschaftsliberale vereint. Als wichtigste Oppositionsparteien sind zu nennen:
● Die Neue Wafd-Partei (Hizb al-wafd al-dschadid), die 1977 gegründet wurde und sich 1984 neu konstituierte; sie zählt etwa 2 Mio. Mitglieder und vertritt eine eher konservativnationalliberale Politik.
● Die Sozialistische Partei der Liberalen (Hizb al-ahrar al-ischtiraki); diese zählt 65.000 Mitglieder und verfolgt eine konservativ-liberale Politik.
● Die National-Progressive Unionistische Sammlungs-Partei (Hizb at-tadschammu alwatani at-taqaddumi al-wahdawi); diese verfolgt einen sozialistisch-marxistischen Kurs und zählt etwa 150.000 Mitglieder.
Bei den übrigen Parteien handelt es sich um unbedeutende Splittergruppen, die außer der sozialistisch-panarabisch geprägten Arabisch-Demokratischen Nasseristischen Partei nicht im Parlament vertreten sind. Zum Beispiel gibt es auch eine Grüne Partei Ägyptens (Hizb al-chudr al-misri). Neben den genannten Parteien existiert jedoch eine weitere bedeutende Bewegung, der wiederholt der Einzug ins Parlament gelungen ist: die Gemeinschaft der Muslimbrüder (Dschamaat al-ichwan al-muslimin). Diese wurde 1928 von dem Lehrer Hassan al-Banna gegründet und fordert unter der Parole „Der Islam ist die Lösung“ (al-islam huwa al-hall) eine Rückkehr zu traditionellen Werten unter Ablehnung westlicher Ideologien, die als dem islamischen Gemeinwesen wesensfremd empfunden werden. Im politischen Kontext fordern die Muslimbrüder die Einführung des islamischen Rechts einschließlich der Hadd-Strafen. Offiziell ist die Muslimbruderschaft in Ägypten verboten, dennoch gelang ihr – durch nominell unabhängige Kandidaten – mehrmals der Einzug in die Volksversammlung. 1987 stellten die Muslimbrüder gar die stärkste Oppositionsgruppe. Während das Verbot von ägyptischen Gerichten fortlaufend bekräftigt wurde, wurden bei der Wahl von 1995 einige den Muslimbrüdern nahestehende Kandidaten verhaftet. Dennoch kandidierten damals 150 „Unabhängige“ für diese Bewegung, die in den 1990er Jahren mit Anschlägen auf Touristen in Verbindung gebracht wurde. Die Muslimbrüder haben etwa 1 Mio. aktive Mitglieder und unterhalten verschiedene karitative Einrichtungen wie Krankenhäuser und Sozialstationen, vor allem in den ärmeren Vierteln. Armenspeisungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche haben dazu geführt, daß die Muslimbrüder vor allem aus den unterprivilegierten Schichten Unterstützung erfahren.