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John Rawls

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John Rawls (*21. Februar 1921 in Baltimore, Maryland; †24. November 2002 in Lexington, Massachusetts), amerikanischer Philosoph, war Professor für Politische Philosophie an der Harvard University.

Werke

  • A Theory of Justice (1971)
  • Political Liberalism, and Law of Peoples (193)

Gerechtigkeit als Fairneß

Rawls bestimmt die Rolle der Gerechtigkeit als erste Tugend sozialer Institutionen. Die Aufgabe von Gerechtigkeitsgrundsätzen bestehen darin, die Grundstruktur der Gesellschaft festzulegen, d. h. die Zuweisung von Rechten und Pflichten und die Verteilung der Güter.

Rawls stellt sich dazu die Frage: Für welche Grundsätze würden sich freie und vernünftige Menschen in einer fairen und gleichen Ausgangssituation in ihrem eigenen Interesse entscheiden?

Die zwei Grundsätze der Gerechtigkeit

  1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.
  2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.

Elemente des ersten Prinzips:

  • politisch-rechtliche Gleichheit
  • Maximierung der individuellen Freiheit

Wesentliche Grundfreiheiten: politische Freiheit (Wahlrecht), Rede- und Versammlungsfrei-heit, Unverletzlichkeit der Person, Recht auf Eigentum

Elemente des zweiten Prinzips:

  • Chancengleichheit
  • jedermanns Vorteil: Differenzprinzip (s. u.)

Deutung:

  • nicht nur formale Chancengleichheit (gleiche gesetzliche Rechte auf vorteilhafte soziale Positionen") sondern faire Chancen (Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten sollten ähnliche Lebenschancen haben.")
  • Differenzprinzip anstelle einer Pareto-Optimalität

Pareto-Prinzip: ein Zustand ist optimal, wenn man ihn nicht so abändern kann, daß mindestens ein Mensch besser dasteht, ohne daß irgend jemand schlechter dasteht."

Differenzprinzip: Ungleichheiten sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie (auch) den am schlechtesten Gestellten zum Vorteil gereichen.

Der Urzustand

Konstruktion einer fairen und gleichen Verhandlungsituation, die die Gerechtigkeitsprinzipien legitimieren soll

Annahmen:

  • Gesellschaft von Personen, die miteinander die Grundstruktur ihrer Gesellschaft, ihre Gerechtigkeitsprinzipien festlegen wollen.
  • Interessenharmonie: Zusammenarbeit ist wünschenswert und möglich
  • Interessenkonflikte: Wie werden die Früchte der Zusammenarbeit verteilt?
  • rational und auf Erfüllung der eigenen Interessen bedacht, jedoch frei von Neid
  • Der Schleier des Nichtwissens:

die Personen besitzen nur allgemeines Wissen (um Primärgüter, deren jedermann zur Verwirklichung seiner verschiedenen Interessen bedarf, Wissen um gesellschaftliche Zusammenhänge, Fähigkeit, Folgen abzuschätzen usw.) kein individuelles Wissen, d. h. sie wissen nichts über sich selbst, ihre eigene soziale Stellung, ihre Interessen, Kenntnisse und Talente usw.

Verfahren:

  • einstimmige und verpflichtende Wahl aus einer Liste von verbreiteten Gerechtigkeitsvorstellungen, die den formalen Prinzipien der Allgemeinheit, Unbeschränktheit, Öffentlichkeit, Rangordnung und Endgültigkeit genügen

Warum würden sich die Menschen im Urzustand für die beiden Gerechtigkeitsprinzipien entscheiden?

  • Sicherung der Primärgüter für alle durch das erste Prinzip
  • Vorgehen nach der Maximin-Regel: Sicherstellung der Annehmbarkeit der schlechtest möglichen Position
  • allgemeine Anerkennung, da jeder Vorteile daraus zieht, dadurch auch Stabilität des Systems
  • fördert die Selbstachtung, da jeder Mensch als Selbstzweck, und nicht als Mittel gesehen wird (im Gegensatz zum Utiliarismus)

Der Gerechtigkeitssinn

Bedingung der Stabilität einer Gerechtigkeitsvorstellung:

  • Wenn die Grundstruktur und die Institutionen einer Gesellschaft gerecht sind, erwerben ihre Mitglieder den Gerechtigkeitssinn, d. h. den Wunsch gerecht zu handeln und sie zu erhalten.
  • Entwicklung des Gerechtigkeitssinns über soziales, moralisches Lernen, Gefühle der Freundschaft, des Vertrauens und der Schuld => Gerechtigkeitssinn als elementarer Bestandteil der Menschlichkeit.


Zitate

Rawls: "Die Gerechtigkeit eines Gesellschaftsmodells hängt wesentlich davon ab, wie die Grundrechte und -pflichten und die wirtschaftlichen Möglichkeiten und sozialen Verhältnisse in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft bestimmt werden.

Wir wollen uns also vorstellen, dass diejenigen, die sich zu gesellschaftlicher Zusammenarbeit vereinigen wollen, in einem gemeinsamen Akt die Grundsätze wählen, nach denen Grundrechte und -pflichten und die Verteilung der gesellschaftlichen Güter bestimmt werden. Die Menschen sollen im Voraus entscheiden, wie sie Ihre Ansprüche gegeneinander regeln wollen und wie die Gründungsurkunde ihrer Gesellschaft aussehen soll. Ganz wie jeder Mensch durch vernünftige Überlegung entscheiden muss, was für ihn das Gute ist, d. h. das System der Ziele, die zu verfolgen für ihn vernünftig ist, so muss eine Gruppe von Menschen ein für allemal entscheiden, was ihnen als gerecht und ungerecht gelten soll. Die Entscheidung, die vernünftige Menschen in dieser theoretischen Situation der Freiheit und Gleichheit treffen würden, bestimmt die Grundsätze der Gerechtigkeit. (Wir nehmen für den Augenblick an, dass dieses Entscheidungsproblem eine Lösung hat.)

In der Theorie der Gerechtigkeit als Fairness spielt die ursprüngliche Situation der Gleichheit dieselbe Rolle wie der Naturzustand in der herkömmlichen Theorie des Gesellschaftsvertrags. Dieser Urzustand wird natürlich nicht als ein wirklicher geschichtlicher Zustand vorgestellt, noch weniger als primitives Stadium der Kultur. Er wird als rein theoretische Situation aufgefasst, die so beschaffen ist, dass sie zu einer bestimmten Gerechtigkeitsvorstellung führt.

Zu den wesentlichen Eigenschaften dieser Situation gehört, dass niemand seine Stellung in der Gesellschaft kennt, seine Klasse oder seinen Status, ebenso wenig sein Los bei der Verteilung natürlicher Gaben wie Intelligenz oder Körperkraft. Ich nehme sogar an, dass die Beteiligten ihre Vorstellung vom Guten und ihre besonderen psychologischen Neigungen nicht kennen. Die Grundsätze der Gerechtigkeit werden hinter einem Schleier des Nichtwissens festgelegt. Dies gewährleistet, dass dabei niemand durch die Zufälligkeiten der Natur oder der gesellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird. Da sich alle in der gleichen Lage befinden und niemand Grundsätze ausdenken kann, die ihn aufgrund seiner besonderen Verhältnisse bevorzugen, sind die Grundsätze der Gerechtigkeit das Ergebnis einer fairen Übereinkunft oder Verhandlung. Denn in Anbetracht der Symmetrie aller zwischenmenschlichen Beziehungen ist dieser Urzustand fair gegenüber den moralischen Subjekten, d. h. den vernünftigen Wesen mit eigenen Zielen und - das nehme ich an - der Fähigkeit zu einem Gerechtigkeitsgefühl. Den Urzustand könnte man den angemessenen Ausgangszustand nennen, und damit sind die in ihm getroffenen Grundvereinbarungen fair. Das rechtfertigt die Bezeichnung „Gerechtigkeit als Fairness“: Sie drückt den Gedanken aus, dass die Grundsätze der Gerechtigkeit in einer fairen Ausgangssituation festgelegt werden. Sie will nicht besagen, die Begriffe der Gerechtigkeit und der Fairness seien ein und dasselbe, ebenso wenig wie der Ausdruck „Dichtung als Metapher“ sagen will, Dichtung und Metapher seien dasselbe.

Ich behaupte, dass die Menschen im Urzustand zwei (...) Grundsätze wählen würden: einmal die Gleichheit der Grundrechte und -pflichten; zum anderen den Grundsatz, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, etwa verschiedener Reichtum oder verschiedene Macht, nur dann gerecht sind, wenn sich aus ihnen Vorteile für jedermann ergeben, insbesondere für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Nach diesen Grundsätzen kann man Institutionen nicht damit rechtfertigen, dass den Unbilden einiger ein größerer Gesamtnutzen gegenüberstehe. Es ist vielleicht zweckmäßig, aber nicht gerecht, dass einige weniger haben, damit es anderen besser geht. Es ist aber nichts Ungerechtes an den größeren Vorteilen weniger, falls es dadurch auch den nicht so Begünstigten besser geht. Die intuitive Vorstellung ist die, dass jedermanns Wohlergehen von der Zusammenarbeit abhängt, ohne die niemand ein befriedigendes Leben hätte, und dass daher die Verteilung der Güter jeden, auch den weniger Begünstigten, geneigt machen sollte bereitwillig mitzuarbeiten. Die beiden soeben erwähnten Grundsätze dürften eine faire Grundlage dafür sein, dass die Begabteren oder sozial besser Gestellten - was beiden nicht als Verdienst angesehen werden kann - auf die bereitwillige Mitarbeit anderer rechnen können, sofern eine funktionierende Regelung eine notwendige Bedingung für das Wohlergehen aller ist. Sobald man sich für eine Gerechtigkeitsvorstellung entschieden hat, die die Zufälligkeiten der natürlichen Begabung und der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht zu politischen und wirtschaftlichen Vorteilen führen lässt, gelangt man zu diesen Grundsätzen. Sie lassen jene Seiten der sozialen Welt aus dem Spiel, die als moralisch willkürlich erscheinen."

Siehe auch Gerechtigkeit -- ungerecht -- Gleichheit vor dem Gesetz -- Chancengleichheit -- Ungerechtigkeit -- Ethik -- Recht -- Grundrechte -- Menschenrechte -- Fairness -- Gleichberechtigung

Literatur

  • John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. ISBN 3-518-27871-1
  • Chaim Perelman, Über die Gerechtigkeit
  • Otfried Höffe: Gerechtigkeit. Aufsatz, in: Staatslexikon in 5 Bänden, Herder-Verlag, Freiburg 1986
  • Otfried Höffe: Politische Gerechtigkeit/Gibt es ein interkulturelles Strafrecht?, Suhrkamp Taschenbuch 1999
  • Friedrich Ebert Stiftung: Gerechtigkeit - Opfer der Globalisierungsfalle? Akademie der politischen Bildung, Bonn 1997
  • Ingo Pies, Martin Leschke: John Rawls' politischer Liberalismus. Mohr, Tbg. Taschenbuch 1995
  • Wolfgang Kersting: John Rawls zur Einführung. ISBN 3885068923, Junius Vlg., Hamburg 1993
  • Lutz Meyer: John Rawls und die Kommunitaristen. ISBN 3826011465, Königsh./Neum., Würzburg 1996
  • Thomas W. Pogge: John Rawls. ISBN 3406346375, Beck, München 1994
  • Akademie für Sozialarbeit und Sozialpolitik e.V. (Hg.): Soziale Gerechtigkeit: Lebensbewältigung in der Konkurrenzgesellschaft; Verhandlungen des 1. Bundeskongresses Soziale Arbeit. KT-Verlag, Bielefeld 1995