Charābāt
Kharabat ist ein literarischer Begriff aus dem Bereich der Persischen Literatur, und hier speziell aus dem Bereich des Sufismus. Der Begriff bezeichnet ebenfalls das traditionelle Musik- und Künstlerviertel in Kabul.
Semantische und phonetisch/phonologische Aspekte (Intension)
Das Wort setzt sich zusammen aus charāb (persisch خراب) („Zerfall, schlecht, amoral, Böse und Verwerfliches“) und aus dem Wort ābād (persisch آباد), das soviel wie „Aufbau, Konstruktion, Behausung“ und „blühender Ort“ bedeutet und gar als Suffix für manche Städte im Iran und in Zentralasien wie (persisch عشق آباد) Aşgabat, Asadabad, Islamabad benutzt wird . Der stimmhafte Laut (persisch د) [d] im Auslaut wurde stimmlos wie (persisch ت) [t] in Dari , also in der Schriftsprache des Persischen auch. Sandhi ist verantwortlich für das Verschwinden des gleichen An- und Auslautes /āb/.
Nach dem Lexikon von Dehchoda, sowie nach dem von Heinrich F. J. Junker und Bozorg Alavi herausgegebenen Persisch-Deutschen Wörterbuch hat "Kharābāt" verschiedene Bedeutungen wie „(Wein)schenke“, Taverne, Ruine und „Meditationszentrum“. „Pir e Charabat“ ist der weise ( persisch ساقى) „Saki“ (Schenke oder Mundschenk), in der Mystik eine Allegorie und Interpretation für Gott.
Etymologie
Das aus zwei gegensätzlichen Wörtern zusammengesetzte Wort „Kharābāt“ (persisch خرابات) – in der Linguistik auch als Paradoxon bezeichnet – taucht in der Zeit der islamischen Renaissance auf, als die Sufi-Dichter und Denker, in der islamischen Mystik, versuchten, die antiken philosophischen Literaturbegriffe u.a. Antinomien im iranischen Kulturkreis (Iran, Afghanistan, Tadschikistan und in anderen zentralasiatischen Staaten sowie Nordindien) wiederzubeleben.
Möglicherweise soll der Mystiker Sanai in Ghazna vor ca. 1000 Jahren am Hofe der Ghaznawiden von diesem Begriff Gebrauch gemacht haben. Attar und Rumi verwendeten diesen Begriff, wobei Rumi diesen Begriff zu einer Institution machte. Manche iranische Historiker bringen das Wort mit Khorābād („Stadt der Sonne“) bzw. Liebe zum Mithraskult in Zusammenhang. Sie weisen auf sein Werk Diwan-e Shams-e Tabrizi Schams hin, in dem er seine Liebe zur Sonne in der Personifizierung von Schams e Tebriz, „Sonne von Tebriz“ ausdrückte.
Terminus-Technicus der Muse, Meditation und Mystik
Bei Rumi bedeutet Kharābād die Versinnbildlichung jenes Orts, in dem die Menschen den schönen Künsten nachgehen konnten, Künste, die in jener Zeit „verpönt“ waren. Mittels Kunst und Kultur, Singen und Tanzen, Musizieren und Meditieren können die Hingabe zu Gott verwirklicht werden und durch die geistige Haltung kann der Mensch geläutert werden. Damit kann sich der Mensch sich mit dem Gott verbinden. Geistreicher Tropfen wie das Trinken von May (mittelpersisch für „Wein“) ist hier genauso erlaubt wie Tanz und Musik. Die geistige Bedeutung des Weins haben die Dari-Dichter der persischen Literatur vor und nach ihm wie Khayiam und Hafis usw. in ihren Lieder besungen. Liebe, Humanismus und Menschenwürde waren die zentralen Themen der Dichter des iranischen Kulturkreies wie der Mysiker Saadi, dessen Gedicht auf der Eingangshalle der UNO hängt. Das Gedicht aus dem Gulistan („Rosengarten“) lautet in englischer Übersetzung folgendermaßen:
- "Of one Essence is the human race,
- Thusly has Creation put the Base;
- One Limb impacted is sufficient,
- For all Others to feel the Mace."
zitiert aus: Saadi in en.wikipedia
Die deutsche Übersetzung fertigte der deutsche Orientalist Karl Heinrich Graf an:
- „Die Menschenkinder sind ja alle Brüder
- aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder
- hat Krankheit nur einzig Glied erfasst
- So bleibt anderen weder Ruh und Rast“
(Dieter Bellmann (Hrsg.): Der Rosengarten. Carl Schünemann Verlag, Bremen 1982)
Kulturelle Bedeutung
Dank der Entstehung des Begriffes Kharābāt sind viele geistige Kulturgüter, aber auch Musikinstrumente des Kulturkreises vor fanatischer Zerstörung erhalten geblieben. Denn Rumi hat in seinen Gedichten Tschang Harfe und Daf sowie Tamburin, Tar, Setar, Tanbur, Rubab , Sornay und Nay (Flöte) besungen.
Die postklassischen Dari-Dichter indischer Richtung, insbesondere Amir Khusro und Abdul Qader Bedel in Indien haben den Begriff weiterentwichkelt. Somit konnten dadurch viele Orte wie Kharabat in den islamischen Sultanaten in Indien und Zentralasien errichtet werden, Enklaven also, in denen die Musiker unter schwierigen Bedingungen sangen, Musikinstrumente spielten und die Musikinstrumente des Kulturkreises wiederbelebten wie jene Kharābāt-Musiker in der Altstadt von Kabul.
Weitere Verwendungen des Begriffes (Extension)
Kharābāt als Musik- und Künstlerviertel in Kabul
In der Kabuler Altstadt, unweit von Hinduguzar (Stadtteil mit Hindu und Sikhs) befindet sich das Künstler- und Musikviertel „Kharābāt“. Das Viertel gleicht einem großen Konservatorium der indischen Patialaschule des Dari. Hier wird Musik und Gesang von einer Generation zur nächsten weitergegeben. In Kharābād befindet sich eine Anzahl von Werkstätten, in denen auch heute noch die typischen indo-iranischen Musikinstrumente gebaut werden. In dieser Altstadt wurden die großen afghanischen Musiker geboren, die insbesondere die Lieder der indischen Dari-Dichter sangen z.B. Qasem Jo oder (Ustad Qasemi) Sarahang. Während der Zeit der Taliban sind viele Musiker des historischen Stadtteils ausgewandert.
Berühmte Musiker von Kharabat
- Ustad Qasem Jo als, "Vater der moderen afghanischen Musik"
- Ustad Ghulam Hossein, Gründer der Musikgruppe in Kharabat und Dozent der internen Musikschule in RTA
- Ustad Mohammad Omar, Rubabspieler
- Ustad Ghulam Dastgir Shaida, Sänger der Gedichte von Saadi und Hafis
- Ustad Amir Mohammad, Sänger der persischen Dichtung und Rubab-Spieler
- Ustad Rahim Baksh, Ghazalsänger und Leiter von Kharabat
- Ustad Mohamed Hussein Sarahang, Leiter von Kharabat, Interpreten und Patialaschüler
Kharabat-Musiker am Leben
- Ustad Abdul Ahmad Hamahang, Sänger vom Lied Kabul-Jan
- Sultan Ahmad Hamahang, gehört zu heutigen Gerenation von Kharabat
- Ustad Zaland,
Literatur
- Ali Akbar Dehkhoda et al. Loghat Nāmeh Dehkhodā. Dāneshgāh (Univ.) Tehrān 1991
- Heinrich F. J. Junker, Bozorg Alavi. Wörterbuch Persisch - Deutsch. Langenscheid, Verlag Enzyklopädie Leipzig 1992 ISBN 3-324-00110-2