Gerechtigkeit
Gerechtigkeit ist der Versuch allen Menschen oder einer Gruppe von Menschen eine gleichbereichtigte Chance bei einem Auswahlverfahren zu geben.
In welchen Bereichen spielt das Prinzip der Gerechtigkeit eine große Rolle:
- bei Wahlen
- in Gerichtsverfahren
- in der Kindererziehung
- in Schulen
- bei Auswahlverfahren für einen Beruf
- bei Auswahlverfahren für eine schwierige Aufgabe, die keiner machen will
- bei Preisverleihungen
- im Sport
- bei anderen Wettkämpfen
- bei der Bezahlung von Mitarbeitern und Angestellten
Ein Instrument der Gerechtigkeit ist der Zufall.
Beispiel: Ich habe nur eine Möglichkeit zu einer lebensrettenden Operation für drei Betroffene. Wie stellt man hier eine gerechte Auswahl her ?
- am besten per Los.
andere Auswahlmöglichkeiten sind nicht so überzeugend:
- nach dem Alter
- wer am meisten zahlt
- nach dem sozialen Rang
- wer zuerst da war
Bei den Auswahlverfahren der Natur insbesondere beim Selektionsprozess der Evolution gibt es das Prinzip der Gerechtigkeit nicht. Die Idee der Gerechtigkeit ist also eine Errungenschaft und ein Ideal der menschlichen Kultur
Zitate John Rawls:
- erster Gerechtigkeitsgrundsatz: "Jedermann soll größtmögliche Handlungsfreiheit besitzen."
- zweiter Gerechtigkeitsgrundsatz: "Institutionen und Prozesse der Gesellschaft müssen für jedermann gleicherweise vorteilhaft gestaltet sein."
Rawls: "Die Gerechtigkeit eines Gesellschaftsmodells hängt wesentlich davon ab, wie die Grundrechte und -pflichten und die wirtschaftlichen Möglichkeiten und sozialen Verhältnisse in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft bestimmt werden. Wir wollen uns also vorstellen, dass diejenigen, die sich zu gesellschaftlicher Zusammenarbeit vereinigen wollen, in einem gemeinsamen Akt die Grundsätze wählen, nach denen Grundrechte und -pflichten und die Verteilung der gesellschaftlichen Güter bestimmt werden. Die Menschen sollen im Voraus entscheiden, wie sie Ihre Ansprüche gegeneinander regeln wollen und wie die Gründungsurkunde ihrer Gesellschaft aussehen soll. Ganz wie jeder Mensch durch vernünftige Überlegung entscheiden muss, was für ihn das Gute ist, d. h. das System der Ziele, die zu verfolgen für ihn vernünftig ist, so muss eine Gruppe von Menschen ein für allemal entscheiden, was ihnen als gerecht und ungerecht gelten soll. Die Entscheidung, die vernünftige Menschen in dieser theoretischen Situation der Freiheit und Gleichheit treffen würden, bestimmt die Grundsätze der Gerechtigkeit. (Wir nehmen für den Augenblick an, dass dieses Entscheidungsproblem eine Lösung hat.) In der Theorie der Gerechtigkeit als Fairness spielt die ursprüngliche Situation der Gleichheit dieselbe Rolle wie der Naturzustand in der herkömmlichen Theorie des Gesellschaftsvertrags. Dieser Urzustand wird natürlich nicht als ein wirklicher geschichtlicher Zustand vorgestellt, noch weniger als primitives Stadium der Kultur. Er wird als rein theoretische Situation aufgefasst, die so beschaffen ist, dass sie zu einer bestimmten Gerechtigkeitsvorstellung führt. Zu den wesentlichen Eigenschaften dieser Situation gehört, dass niemand seine Stellung in der Gesellschaft kennt, seine Klasse oder seinen Status, ebenso wenig sein Los bei der Verteilung natürlicher Gaben wie Intelligenz oder Körperkraft. Ich nehme sogar an, dass die Beteiligten ihre Vorstellung vom Guten und ihre besonderen psychologischen Neigungen nicht kennen. Die Grundsätze der Gerechtigkeit werden hinter einem Schleier des Nichtwissens festgelegt. Dies gewährleistet, dass dabei niemand durch die Zufälligkeiten der Natur oder der gesellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird. Da sich alle in der gleichen Lage befinden und niemand Grundsätze ausdenken kann, die ihn aufgrund seiner besonderen Verhältnisse bevorzugen, sind die Grundsätze der Gerechtigkeit das Ergebnis einer fairen Übereinkunft oder Verhandlung. Denn in Anbetracht der Symmetrie aller zwischenmenschlichen Beziehungen ist dieser Urzustand fair gegenüber den moralischen Subjekten, d. h. den vernünftigen Wesen mit eigenen Zielen und - das nehme ich an - der Fähigkeit zu einem Gerechtigkeitsgefühl. Den Urzustand könnte man den angemessenen Ausgangszustand nennen, und damit sind die in ihm getroffenen Grundvereinbarungen fair. Das rechtfertigt die Bezeichnung „Gerechtigkeit als Fairness“: Sie drückt den Gedanken aus, dass die Grundsätze der Gerechtigkeit in einer fairen Ausgangssituation festgelegt werden. Sie will nicht besagen, die Begriffe der Gerechtigkeit und der Fairness seien ein und dasselbe, ebenso wenig wie der Ausdruck „Dichtung als Metapher“ sagen will, Dichtung und Metapher seien dasselbe. Ich behaupte, dass die Menschen im Urzustand zwei (...) Grundsätze wählen würden: einmal die Gleichheit der Grundrechte und -pflichten; zum anderen den Grundsatz, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, etwa verschiedener Reichtum oder verschiedene Macht, nur dann gerecht sind, wenn sich aus ihnen Vorteile für jedermann ergeben, insbesondere für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Nach diesen Grundsätzen kann man Institutionen nicht damit rechtfertigen, dass den Unbilden einiger ein größerer Gesamtnutzen gegenüberstehe. Es ist vielleicht zweckmäßig, aber nicht gerecht, dass einige weniger haben, damit es anderen besser geht. Es ist aber nichts Ungerechtes an den größeren Vorteilen weniger, falls es dadurch auch den nicht so Begünstigten besser geht. Die intuitive Vorstellung ist die, dass jedermanns Wohlergehen von der Zusammenarbeit abhängt, ohne die niemand ein befriedigendes Leben hätte, und dass daher die Verteilung der Güter jeden, auch den weniger Begünstigten, geneigt machen sollte bereitwillig mitzuarbeiten. Die beiden soeben erwähnten Grundsätze dürften eine faire Grundlage dafür sein, dass die Begabteren oder sozial besser Gestellten - was beiden nicht als Verdienst angesehen werden kann - auf die bereitwillige Mitarbeit anderer rechnen können, sofern eine funktionierende Regelung eine notwendige Bedingung für das Wohlergehen aller ist. Sobald man sich für eine Gerechtigkeitsvorstellung entschieden hat, die die Zufälligkeiten der natürlichen Begabung und der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht zu politischen und wirtschaftlichen Vorteilen führen lässt, gelangt man zu diesen Grundsätzen. Sie lassen jene Seiten der sozialen Welt aus dem Spiel, die als moralisch willkürlich erscheinen."
Marie von Ebner-Eschenbach: "In der Jugend meinen wir, das Geringste, was die Menschen uns gewähren könnten, sei Gerechtigkeit. Im Alter erkennen wir, dass es das Höchste ist."
Siehe auch gerecht -- ungerecht -- Gleichheit vor dem Gesetz -- Chancengleichheit -- Ungerechtigkeit -- Ethik -- Recht -- Grundrechte -- Menschenrechte
Literatur
- John Rawls
- Eine Theorie der Gerechtigkeit.
- Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft Nr.271. 12. Aufl. 2001. 674 S. 18 cm.
- ISBN: 3-518-27871-1, KNO-NR: 01 53 57 11 -SUHRKAMP- 18.00 EUR - 31.40 sFr
- Klassischer Text über die Gerechtigkeit
- Chaim Perelman, Über die Gerechtigkeit
- Otfried Höffe : Gerechtigkeit
- Aufsatz, in: Staatslexikon in 5 Bänden, Herder-Verlag, Freiburg 1986
- Otfried Höffe :
- Politische Gerechtigkeit/Gibt es ein interkulturelles Strafrecht?
- Suhrkamp Taschenbuch 1999
- Friedrich Ebert Stiftung : Gerechtigkeit - Opfer der Globalisierungsfalle?
- Akademie der politischen Bildung, Bonn 1997
- Ingo Pies, Martin Leschke : John Rawls' politischer Liberalismus
- Mohr, Tbg. Taschenbuch 1995
- Wolfgang Kersting : John Rawls zur Einführung.
- ISBN: 3885068923, Junius Vlg., Hamburg 1993
- Lutz Meyer : John Rawls und die Kommunitaristen.
- ISBN: 3826011465, Königsh./Neum., Würzburg 1996
- Thomas W. Pogge : John Rawls
- ISBN: 3406346375, Beck, München 1994
- Akademie für Sozialarbeit und Sozialpolitik e.V. (Hg.) :
- Soziale Gerechtigkeit: Lebensbewältigung in der Konkurrenzgesellschaft; **Verhandlungen des 1. Bundeskongresses Soziale Arbeit
- KT-Verlag, Bielefeld 1995
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