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Dissoziative Identitätsstörung

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Eine kritische Auseinandersetzung mit der Diagnose, wie sie der englische Artikel vormacht, fehlt.


Die Dissoziative Identitätsstörung, die von der WHO nach wie vor Multiple Persönlichkeitsstörung genannt wird, ist eine dissoziative Störung, bei der die Identität betroffen ist. Die Namensänderung von "Multipler Persönlichkeitsstörung" in "Dissoziative Identitätsstörung" geht auf Psychiater zurück, die die Betonung der Persönlichkeiten als fixe Idee ansahen und eher den Zerfall der Persönlichkeit annehmen als eine Dissoziation (Hacking 2001, Temminghoff 1999). Dies hatte zur Folge, daß sich die Diagnosekriterien veränderten. Es geht nun nicht mehr um die Existenz sondern um die Präsenz von Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszuständen. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.

Bei Dissoziation (dissoziativen Störungen) handelt es sich um recht weite Komplexe, bei denen es zu einer teilweisen oder völligen Abspaltung von psychischen Funktionen wie der Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, der eigene Gefühlen (Schmerz, Angst, Hunger, Durst,...), der Wahrnehmung der eigenen Person und der Umgebung kommt.

Arten

Es gibt unterschiedliche Dissoziative Phänomene bis hin zu ihrer stärksten Ausprägung, der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS/DID).

  • 2. Depersonalisation: Hierbei handelt es sich um eine Veränderung der Selbstwahrnehmung, die Person fühlt sich fremd im eigenem Körper - sie beobachtet sich von außen. Dabei reagieren die Personen völlig angemessen auf ihre Umwelt. Allerdings können Sinneswahrnehmungen oder auch Körpergefühle wie Hunger und Durst gestört sein.
  • 3. Derealisation: Dabei wird durch ein Gefühl der Unwirklichkeit die Umwelt als fremd oder verändert wahrgenommen.
  • 4. Dissoziative Amnesie: Der betreffenden Person fehlen wichtige Erinnerungen zur eignene Geschichte, weit über das Maß der normalen Vergeßlichkeit hinaus.
  • 5. Konversionsstörungen und Somatisierung: Hierunter werden Verschiebungen von Trauma-Erfahrungen in körperliche Symptome verstanden (im Volksmund oft auch als "psychosomatische Störungen" bezeichnet). Fiedler und andere rechnen auch diese unter den Oberbegriff der dissoziativen Störungen.
  • 6. Dissoziative Fugue: Hierunter wird das unerwartete Weggehen von der gewohnten Umgebung (Zuhause, Arbeitsplatz) verstanden das bis zur Annahme einer neuen Identität bei gleichzeitiger Desorientiertheit zur eignenen Person führen kann (siehe auch : Wandertrieb).

Diese Phänomene können auch Unabhängig von einer DIS auftreten!

  • 7. Dissoziative Identitätsstörung (Multiple Identitätsstörung): Nach dem DSM-IV (Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen) müssen mehr als eine getrennte, völlig unterschiedliche Identität oder Persönlichkeitszustände vorhanden sein und im Wechsel das Verhalten des Betroffenen bestimmen.

Ursachen

Die Störung, die seit 1980 international anerkannt ist, wird auf (frühe) schwere Traumatisierungen zurückgeführt, darunter länger andauernde wie Misshandlungen und Vernachlässigung sowie im besonderen Sexueller Missbrauch, oder extreme Erlebnisse mit Verletzten und Toten (z.B. Krieg), besonders wenn die Eltern oder Geschwister ermordet wurden.

Studien an Patienten mit Dissoziativer Identitätsstörung (Egle/Hoffmann/Joraschky S. 234) ergaben Raten von sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte zwischen 75% und 94%; Misshandlungen liegen in der gleichen Größenordnung (oftmals in Kombination mit sexuellem Missbrauch).

Die Fähigkeit zur Dissoziation ist im Grunde im jedem vorhanden. Gerade Kinder sind jedoch in Todesgefahr oftmals gezwungen, diese Fähigkeit auszubauen und (insbesondere bei ständig sich wiederholender Gewalt) zu verfestigen, um zu überleben.

Nach psychologischen Theorien handelt sich also um ein effektives Abwehrsystem zum Zwecke des Überlebens. Auf psychischer Ebene werden hierfür unterschiedliche "Personen" erschaffen, die sich an widersprüchliche und miteinander unvereinbare (für Kinder oft auch unverständliche) Umwelt- und Überlebensbedingungen besser anpassen, um dort ihre jeweiligen teilweise konträren Aufgaben besser erfüllen zu können und ein Funktionieren trotz schwerster Belastungen zu ermöglichen. Im Erwachsenenleben ändern sich zwar die Ansprüche der Umwelt, doch das System ist immer noch "scharf" und kann durch sogenannte "Trigger" wieder aktiviert werden, so daß es zu weiteren Auffälligkeiten kommen kann.

Trauma-Forscher um van der Kolk sowie verschiedene Gehirn-Forscher haben jedoch noch weitere Mechanismen auf neurobiologischer Ebene aufgedeckt: so wird unter akuter Lebensbedrohung nicht nur die Informationsverarbeitung im Gehirn in speziellen Trauma-Modi betrieben, sondern dazu werden auch Nervenbahnen im Gehirn getrennt und verändert. Dauerhafte Trennungen und Umverdrahtungen sowie eine Schrumpfung der Amygdala-Region ist in Tierversuchen nachgewiesen worden. Es gibt starke Hinweise darauf, dass diese Mechnismen auch bei (oftmals durch Trigger ausgelösten) Flashbacks von Trauma-Opfern aktiviert werden und höchstwahrscheinlich auch bei der Entstehung von DIS eine zentrale Rolle spielen (vgl. Fiedler).

DIS wird oftmals erst nach langen Jahren der Therapie diagnostiziert, da zum einen viele Symtome auf andere Erkrankungen ebenfalls passen und zum anderen weil die Betroffenen gelernt haben z.B. typische Symptome wie "Zeitverlust" zu leugnen bzw. umzudeuten.

Die dissoziative Identitätsstörung weist eine hohe Komorbidität zu anderen psychischen Störungen auf, wie z.B. zu Depressionen, Angststörungen oder auch Persönlichkeitsstörungen wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung oder der Schizotypen Störung. Dabei können die komorbiden Störungen wiederum auch eine Reaktion auf die belastenden und traumatischen Erlebnisse sein. Viele Betroffene leiden auch unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (nach einer Studie von Boon und Draijer 1993 etwa 80%).

Vor allem das Konzept der unterdrückten Erinnerungen bei der dissoziativen Identitätsstörung wird als pseudowissenschaftlich angezweifelt (siehe False-Memory-Syndrom). Zu den schärfsten Kritikern gehört die False-Memory-Syndrom-Foundation. Dies ist eine ursprünglich amerikanische Organisation, die 1992 von den Eltern einer Frau gegründet wurde, die in der Therapie herausfand, dass sie als kleines Mädchen missbraucht wurde. Einige der (Gründungs-)Mitglieder der False-Memory-Foundation sind verurteilte Sexualstraftäter.

In den USA mehren sich die Klagen gegen die Therapeuten, da die Multiplen Persönlichkeiten erst während der Therapie entdeckt wurden und vom Therapeut unter Hypnose dem Patienten eingeredet wurden. Nach dem Absetzen der Therapie und der Medikamente verbessert sich der Zustand der Patienten im Allgemeinen und die Multiplen Persönlichkeiten verblassen bis sie gänzlich verschwunden sind. Untersuchungen des FBI zur Aufdeckung vermeintlicher Verbrechen Multipler Persönlichkeiten konnten keine Verbrechen aufdecken und haben sich als nicht existent herausgestellt.

In einer niederländischen Studie hat sich gezeigt, dass sich die DIS auch im Gehirn der Betroffenen durch bildgebende Verfahren sichtbar machen lässt, da die einzelnen Persönlichkeiten offenbar jeweils eigene Nervenbahnen benutzen.

Persönlichkeitsstörung

Die Multiple Persönlichkeitsstörung ist eine Ausprägung der Dissoziativen Identitätsstörung [Hinweis von Andreas: Diese Aussage ist falsch, da MPS=DIS]. Im Englischen Multiple Personality Disorder (MPD) bezeichnet sie die Fähigkeit bzw. Veranlagung, mehrere (Teil-)Persönlichkeiten auszubilden, die alternierend ausgelebt werden. Dabei ist es möglich, dass diese Persönlichkeiten alternierend, d.h. abwechselnd, auftreten und dabei jeweils ein Bewusstsein der Existenz der anderen Persönlichkeiten haben, wie auch, dass sie fragmentiert, also völlig voneinander abgetrennt auftreten. (Man beachte hier den früher oft irrtümlich hergestellten Zusammenhang zur Schizophrenie. Bei dieser ist es mittlerweile bekannt, dass es sich dabei um eine Stoffwechselstörung im Gehirn handelt.) In den weitaus meisten Fällen treten multiple Persönlichkeiten aufgrund von traumatischen Erlebnissen in der frühen Kindheit (sexueller Missbrauch, Vernachlässigung, Prügel, emotionaler Missbrauch oder andere Formen der Gewalt) auf; das Trauma ist bei vielen Patienten in einer oder mehreren Teilpersönlichkeiten erinnert, zu denen oft die anderen Teilpersönlichkeiten keinen Zugang haben, um ohne Erinnerung an das Trauma "funktionieren" zu können. Dann sind nur noch die Auswirkungen des Traumas offensichtlich. Sollte jedoch ein dem Trauma ähnlicher Zustand auftreten (z.B. erneuter sexueller Missbrauch) schaltet sich die Person ein, die das Trauma verarbeitet, um die anderen Personen nicht zu gefährden. Häufig finden sich Teilpersönlichkeiten mit unterschiedlichen Aufgaben, z. B. Schutzpersonen, Kontrollpersonen, Personen die die täglich anfallenden Routine erledigen. Zunehmend wird von Therapeutinnen, die in diesem Bereich arbeiten, beschrieben, dass hochfunktionalisierte Persönlichkeitsanteile innerhalb eines durchstrukturierten Systems von Persönlichkeiten existieren. Für diesen Bereich existiert ein Modell, das eine Entstehung durch eine gezielte Manipulation und Programmierung im Rahmen ideologischer Kultsysteme beschreibt.


Viele Betroffene begeben sich in Therapie, weil sie unter Angst, psychosomatischen Beschwerden (Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Krämpfen, Störungen des Essverhaltens oder der Verdauung) leiden, weil ihnen die Merkwürdigkeiten unerklärbar bleiben, weil sie von "Flashbacks" (Bilder aus der Vergangenheit, die blitzartig erscheinen und wieder verschwinden können) oder Stimmen, die sie in ihrem Inneren hören, begleitet sind. Viele verletzen sich immer wieder selbst, oder versuchen gar, das ganze System (die "Gruppe" der Persönlichkeiten") zu vernichten oder einzelne zu "bestrafen".

Die meisten fürchten, für "verrückt" gehalten zu werden, und so dauert es oft, bis der Alltag nicht mehr bewältigt werden kann, sich dem Problem zu stellen, den Ursachen auf den Grund zu gehen, ein klein wenig von dem zu offenbaren, was sie quält.

Für viele beginnt damit der "Marathon" von Therapeut zu Therapeut, von Klinikaufenthalt zu Klinikaufenthalt, von Diagnose zu Diagnose. Mancher wird für schizophren gehalten und entsprechend medikamentös ohne Erfolg behandelt, notfalls, als Borderliner eingestuft oder als therapieresistent entlassen. Wer Glück hat, findet einen der wenigen Therapeuten, der in der Lage ist, DIS / MPS zu erkennen, der bereit und offen ist, den mühevollen, schmerzhaften Weg des Betroffenen zu begleiten, seine Persönlichkeiten anzunehmen und mit den einzelnen zu arbeiten.

Diagnostische Kriterien

Verschiedene Verfahren zur Diagnose der multiplen Persönlichkeitsstörung werden nach wie vor diskutiert: es existieren zwei verschiedene Verfahren, in denen signifikante gedoppelte oder vervielfachte Hirnstromkurven nachgewiesen werden; ein psychopharmakologisches Verfahren weist nach Verabreichung von Sodium amobarbital einen tranceähnlichen Zustand, in dem unterschiedliche Persönlichkeiten auftreten, auf; klinische Hypnose kann den Zugang zu den verschiedenen Persönlichkeiten ohne chemische oder physikalische Hilfsmittel ermöglichen, ist aber wegen der dabei möglichen Beeinflussung äußerst umstritten. Die Diagnose ist ihren Verfahren entsprechend vage. Oft wurden multiple Persönlichkeiten vorher diagnostiziert als Personen mit Borderline-Syndrom, Depression, Neurose oder Schizophrenie. Dies ist aber meist der Unkenntnis der Behandler zuzuordnen.

Therapie

Bei einer Therapie gilt es, möglichst alle einzelnen Persönlichkeiten zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Im Gegensatz zu englischen Methoden, die als Behandlungsansatz die Zerstörung der einzelnen Persönlichkeiten haben, haben sich in Amerika, den Niederlanden und zunehmend auch in Deutschland Methoden zur Kontrolle und Kooperation der Persönlichkeiten als erfolgreich erwiesen. Im Idealfall ist eine Verschmelzung der Persönlichkeiten anzustreben, dies gelingt jedoch nur selten. Zunächst muss in einer oft jahrelangen Therapie eine genügende Stabilisierung erreicht werden. Dann kann in einer Auseinandersetzung mit dem Trauma eine Traumasynthese angestrebt werden, an die sich in einem letzten Therapieschritt Re-Integration der einzelnen Anteile und Neuorientierung des Betroffenen anschließen können.

Literatur

Putnam, Frank W. , Diagnose und Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung, Junfermann Verlag 2003.

Fiedler: Dissoziative Störungen und Konversion. Trauma und Traumabehandlung. Betz Verlag, 2. Auflage 2001.

Bessel A. van der Kolk, Alexander C. McFarlane, Lars Weisaetz (Hrsg.): Traumatic Stress. Gundlagen und Behandlungsansätze. Junfermann Verlag 2000.

Huber, Michaela, Multiple Persönlichkeiten-Überlebende extremer Gewalt, 1995, Fischer

Hacking, I. Multiple Persönlichkeit, 2001, Fischer

Eckhardt-Henn, A. und Hoffmann, S.O.; Dissoziative Störungen. In: Egle, Hoffmann, Joraschky. Sexueller Mißbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung, 2. Auflage, Schattauer-Verlag 2000.