Künstliche Höhlen auf den Balearen
Die im Spanischen Cuevas genannten artifiziellen Höhlen auf den Balearen sind in Fels getriebene Grotten einer bestimmten Form, wie sie nur auf den Balearischen Inseln vorkommt. Sie wurden seit etwa 4.000 v. Chr., von den Menschen der ältesten Kultur auf dem Archipel als Felsengräber und Kultstätten genutzt. Künstliche Felsbauten zählen zur frühesten Architektur Europas, insbesondere im mediterranen Raum.

Meist handelt es sich bei den Höhlen um einen zigarrenartigen Raum, der mit Bankaltären, einer Feuergrube, unterschiedlich vielen Seitennischen und einem Vorraum ausgestattet ist. Die gestreckte apsidenartige gerundete Grundform der Cueva wurde in der anschließenden Navetakultur in Freilandarchitektur übertragen. Sie wird ab 1.400 v. Chr. von der Talayot-Kultur weitgehend aufgegeben, erscheint aber mit den Taulas und Hypostyloi auf Menorca. Die integrierten Bankaltäre sind mit denen in den „Capanne delle Riunioni“ auf Sardinien vergleichbar, die allerdings kreisrund sind. Die Cuevas haben nur eine niedrige, lediglich zu durchkriechende Eingangsöffnung. Sie wurden zunächst als Wohnhöhlen beschrieben, in denen später auch beerdigt wurde. Als Beispiel dafür wird Son Boronat (Mallorca) angeführt, wo sich ein später Holzsarg fand. Die artifiziellen und die Naturhöhlen auf den Balearen scheinen indes lange kultisch genutzt worden zu sein.
In den 1990er Jahren wurden einzigartige archäologische Entdeckungen in den Naturhöhlen von Es Càrritx und Es Mussol im Westen der Insel Menorca gemacht. Etwa 90 m vom Höhleneingang entfernt spürte man ein Versteck mit Holz, Metall und Keramikobjekten auf, darunter Holz und Hornzylinder mit rot gefärbtem Menschenhaar. In einer kleinen Kammer im Inneren der Höhle von Es Mussol fand man etliche Holzschnitzereien, insbesondere zwei menschliche Köpfe. Die Nutzung der Höhlen erfolgte zwischen 2.000 und 800 v. Chr. Während sich schöpferische Kraft zunächst primär unter weiblichem Vorzeichen zeigt, findet etwa um 1200 v. Chr., im Kontext mit einem wirtschaftlichen und sozialen Wandel auf der Insel, auch bei den Glaubensvorstellungen eine Verlagerung statt. Im Heiligtum Es Mussol nahm nun eine Chimäre, halb Tier, halb Mensch eine dominierende Stellung ein. Die steigende Zahl männlicher Figuren legen die Vermutung nahe, dass sich eine patriarchalere Ideologie durchsetzte. Die zoologische Bestimmung zeigte, dass aus einem der Köpfe ein Geweih eines jungen Hirsches hervortritt. Diese Symbolik führt in den zentraleuropäischen Raum, wo, wenn auch etwas später, Figuren mit Hirschgeweih mit dem keltischen Gott Cernunnos in Verbindung gebracht werden. Somit erreichten um diese Zeit wohl protokeltische Gruppen die Insel.
Obschon die Herkunft der ersten neolithischen Siedler, die etwa 4.000 v. Chr. auf den Inseln kamen, unklar ist, weist die Form der Cueva von Es Mussol in Richtung Südfrankreich, wo die Gegend um Arles zumindest den genauesten Architekturvergleich ermöglicht. Sechs km von der Rhône liegen auf den Anhöhen der Montagne de Cordes bei Arles fünf artifizielle Grotten, darunter die imposante 25 m weit in den Fels getriebene, jedoch ohne Funde gebliebene Feengrotte.
Literatur
- J. Aramburu: Hacia un Modelo Espacial de la Cultura Talayótica en Mallorca, Saguntum - 27, 1997
- J. Aramburu: Garrido C. y Sastre V.: Guía Arqueológica de Mallorca, Olañeta Editor 1994.
- P. Castro, V. Lull, R. Micó.: Cronología de la prehistoria reciente de la península Ibérica y Baleares (c. 2800-900).
- J. E. Walkowitz: Das Megalithsyndrom. 2003, ISBN 3-930036-70-3