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Assessment-Center

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Ein Assessment-Center in Form eines betrieblichen Auswahlverfahrens oder auch Personalauswahlverfahrens ist ein aufwändiges Verfahren, in dem mehrere Beobachter (Vertreter der Fachabteilung, Personalabteilung, Psychologen, externe Berater u. a.) einen bzw. mehrere (unternehmensinterne oder -externe) Kandidaten anhand von Verhaltensausprägungen beobachten, beschreiben, beurteilen und einschätzen, um auf der Basis eines zugrunde liegenden Anforderungsprofils deren Eignung für eine konkrete Aufgabe bzw. Stelle zu bewerten. Dieses kosten- und zeitaufwändige Auswahlverfahren wird in der Regel nur bei Stellenbesetzungen mit Hochschulabsolventen bzw. mit Führungsverantwortung eingesetzt. Es dauert von einem bis zu drei Tagen und kann auch mehrstufig eingesetzt werden. In der neueren Literatur findet sich häufig auch die Bezeichnung Realitätssimulationsverfahren, die den eigentlichen Ablauf des Verfahrens präziser beschreibt als der Begriff Assessment-Center.

Als Potenzial-Assessment findet das AC als Förderinstrument zur Berufsorientierung und beruflichen Integration Anwendung, wo es in der Regel schwerpunktmäßig um eine Stärkenanalyse geht.

Begriff

Der Begriff „Assessment-Center“ wird zur Bezeichnung sehr unterschiedlicher Auswahlverfahren verwendet. Wörtlich übersetzt bedeutet er Einschätzungs-, Bewertungs- oder Beurteilungszentrum (engl.: to assess – beurteilen).

Merkmale

Bezeichnend für ein AC (Kurzbezeichnung für Assessment-Center) ist, dass die zu beurteilenden Personen nicht nur in einer Situation (z. B. das "klassische Bewerber-Interview"), sondern in mehreren Situationen (Verhaltenssimulationen, Arbeitsproben) über einen längeren Zeitraum beobachtet und bewertet werden können. Insbesondere können durch die geschulten Beobachter die zwischenmenschlichen Kommunikationsfähigkeiten und Führungsqualitäten festgestellt werden, die sich nicht mit gleicher Sicherheit aus Arbeitszeugnissen ableiten lassen.

Einer Einladung zur Teilnahme an einem Assessment-Center geht nicht immer eine Bewerbung auf eine Arbeitsstelle voraus. Möglich sind auch unternehmensinterne ACs, z. B. im Rahmen einer Potenzialanalyse oder Job-Match-Analyse, die der Auswahl eines Pools geeigneter Kandidaten für Führungsaufgaben dienen.

Erfolgsentscheidend für die (Vorhersage-) Güte (Validität) eines Assessment-Centers ist in diesem Sinne die Korrespondenz der in den verschiedenen Tests bewerteten Kompetenzen (Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen etc.) mit den Anforderungen in der Realität bzw. Praxis, hinsichtlich derer das Assessment-Ergebnis eine Vorhersage (prognostische Validität) treffen soll.

Wichtig ist, dass im Assessment-Center zwischen bereits vorhandenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen etc. und noch nicht entwickelten, jedoch grundsätzlich entwickelbaren Fähigkeiten etc. (s. Potenziale) unterschieden wird.

Im Assessment-Center lässt sich am zwanglosesten das für die Management-Diagnostik so wichtige Prinzip der Multi-Methodalität realisieren (Sarges, 2006). Wesentliche Methoden und Inhalte von Assessment-Centern sind:

  • strukturierte Interviews (häufig zu Beginn),
  • Gruppendiskussionen, (Jeder gegen Jeden) meist ist anschließend ein in der Gruppe gefundenes Ergebnis zu präsentieren,
  • Postkorbübungen, Helicopter-View (Eine sich an die Postkorb-Übung anschließende Befragung, in der der Kandidat seine einzelnen Entscheidungen begründen muss.)
  • Rollenspiele (kritische Vorgesetzter-Mitarbeiter-Gespräche, Kollegengespräche, Verkaufsgespräche),
  • Präsentationsaufgaben, Einzeln oder in Kleingruppen,
  • Fragebögen (psychometrische Testverfahren: Persönlichkeits- und Leistungstests), Intelligenztests, schriftlich und/oder am PC; nur unter Aufsicht eines Diplompsychologen zulässig,
  • Abschlussgespräch mit Auswertung und ggf. Jobangebot,
  • bei längeren AC auch Essenseinladung (Gabeltest).

Fast alle Bestandteile des AC sind unter Zeitvorgaben zu erfüllen, dabei sind insbesondere die Leistungstests so konzipiert, dass kaum alle Aufgaben erfüllt werden können. Unter anderem durch die Vielzahl der unterschiedlichen AC-Bestandteile, die idealerweise den dem Anforderungsprofil entsprechenden erfolgsentscheidenden Situationen (critical incidents) entsprechen, wird die Brauchbarkeit (Güte) für die Personalbeurteilung bedingt. Denn trotz immer wieder zu vernehmender Kritik am Assessment-Center und trotz der vorrangig ökonomisch motivierten Argumentationen, mit anscheinend absolut neuen, nie dagewesenen Methoden noch bessere Personaleinschätzungen vornehmen zu können, findet sich in Anlehnung an seriöse wissenschaftliche Forschungsergebnisse kein geeigneteres Verfahren der Personalbeurteilung - allerdings nur dann, wenn die Übungen innerhalb des ACs professionell konzipiert sind und einen hohen Anforderungsbezug haben, und wenn die Beobachter eine intensive Beobachterschulung erhalten haben, die gewährleistet, dass nicht durch subjektive Wahrnehmung und den damit verbundenen möglichen Wahrnehmungsfehlern die Beobachtungen und Urteile über die Kandidaten verfälscht sind. Korrelationskoeffizienten von r = 0.41 (s. entsprechende metaanalytische Auswertungen) weisen auf eine entsprechend gute prognostische Validität hin. "Gut" ist hier relativ zu anderen diagnostischen Verfahren zu verstehen, da eine linear-Korrelation von 0.41 bei weitem keine zuverlässige Vorhersage erlaubt. Eine bessere Einschätzung für die Zuverlässigkeit erhält man, wenn man den Wert quadriert, was der sogenannten erklärten Varianz entspricht, also dem Anteil an den später auftretenden Unterschieden zwischen den Bewerbern, die durch das Verfahren vorhergesagt werden können. Bei r = 0.41 sind das ca 16 %.

Der guten Kriterienvalidität des Assessment-Centers steht eine geringe und unbefriedigende Konstruktvalidität gegenüber, d. h. das Assessment-Center erfasst nicht diejenigen Konstrukte (Persönlichkeitsmerkmale, Fähigkeiten, Kompetenzen), die es vorgibt zu erfassen. Die mangelnde Konstruktvalidität des Assessment-Centers wurde bereits 1982 in einer Meta-Analyse von Sackett und Dreher nachgewiesen. Aber auch mehr als 20 Jahre später kommen Lance et al. (2004) in einer weiteren Meta-Analyse zu dem Schluss: "Two decades of research on the construct validity of AC [...] suggests that they substantially reflect [...] not the dimensions that they were designed to measure." (S. 383) (vgl. auch Kleinmann, 2003).


Qualitätskriterien

Der Arbeitskreis Assessment-Center hat neun Qualitätskriterien analysiert:

  • Anforderungsorientierung: Im Vorfeld der Assessment-Durchführung sollten die Kompetenz- und Beobachtungsbereiche mit dem Arbeitsfeld und dem Ziel des Assessments eindeutig festgelegt und die Inhalte geplant werden.
  • Verhaltensorientierung: Die Teilnehmenden werden anhand ihres tatsächlichen Verhaltens bei der Bearbeitung von spezifischen Assessment-Arbeitsaufträgen eingeschätzt.
  • Prinzip der kontrollierten Subjektivität: Um die hohe Aussagefähigkeit sicherzustellen, muss das Personal speziell für die Beobachtung im Assessment geschult sein. Außerdem sollten mindestens zwei Beobachterinnen oder Beobachter das Assessment betreuen.
  • Simulationsprinzip: Um vorhandene Fähigkeiten beobachten und Entwicklungspotenziale einschätzen zu können, werden reale und typische Anforderungen aus der Arbeitswelt gezielt simuliert.
  • Transparenzprinzip: Zur Gewährleistung der Transparenz sollten alle Beteiligten über Durchführung, Ziel und Ablauf und anschließender Ergebnisnutzung umfassend informiert werden.
  • Individualitätsprinzip: Jede teilnehmende Person soll ganz individuell beobachtet und eingeschätzt werden. Dazu sollte eine individuelle aussagekräftige Rückmeldung für jede/n Teilnehmende/n nach jedem durchgeführten Assessment-Auftrag gehören.
  • Systemprinzip: Ein Assessment ist immer eingebunden in einen größeren Zusammenhang,wozu gehört, dass eine Anschlusssicherung etc. gewährleistet sein sollte. Zu diesem Prinzip gehört auch, dass mindestens zwei Arbeitsaufträge pro Kompetenzbereich durchgeführt werden müssen, um zu sicheren Ergebnissen kommen zu können.
  • Lernorientierung des Verfahrens selbst: Das Verfahren sollte immer neuen Anforderungen und Zielgruppen angepasst werden und eine laufende Weiterentwicklung erfahren.
  • Organisierte Prozesssteuerung: Die Entwicklung, Durchführung und Auswertung eines Assessments stellt in der Regel einen komplexen, dynamischen Prozess dar, dessen Abläufe organisiert werden müssen.

Weitere Bezeichnungen

Weitere Bezeichnungen, unter denen sich ACs in der Praxis der Personalentwicklung finden, sind: Personalentwicklungs-/Entwicklungsseminar, Auswahlseminar, Offizierbewerber-Prüf-Zentrale, Förderseminar, Standortbestimmungsseminar, Development-Center, Potenzialanalyse-Seminar, erweiterte psychologische Untersuchung. (Häufig liegt der Grund für die Wahl eines alternativen Namens darin, dass mit der Einladung zu einem AC bei den Teilnehmern Ängste hervorgerufen werden, die auf diese Weise verhindert werden sollen).

Variationen

Variationen bzw. Weiterentwicklungen (Sarges, 2001), die sich im wesentlichen jedoch auch der Assessment-Center-Methode bedienen, sind:

  • Einzel-Assessment (-Center): Werden meistens für das oberste Management durchgeführt. Gründe für Einzel-ACs in der Praxis sind: die Bewerbungen müssen "geheim" bleiben (Kandidat hat den "alten Job" noch nicht gekündigt); es geht um sensible Unternehmensbereiche, in die nicht "jedermann" einsehen soll; für bestimmte Positionen gibt es nicht genügend Bewerber, etc.
  • Management Audit.
  • Entwicklungs-AC/Development Center/Lernpotenzial-AC: werden meist zum gezielten Aufbau von Mitarbeitern eingesetzt.
Beispiele: im Zuge einer organisationalen Veränderung und damit verbundenen neuen Aufgaben/Tätigkeiten, die bestehende Mitarbeiter übernehmen sollen (Auswahl und Entwicklung der betreffenden Personen), oder zum Aufbau von unternehmensspezifisch sehr gut ausgebildeten Trainees, Nachwuchsführungskräften usw.
  • Evaluations-ACs: Zur Kontrolle von durchgeführten Qualifikationsmaßnahmen. Zum Beispiel wird nach einer Ausbildung evaluiert, ob die Kandidaten die Inhalte auch in die Praxis bzw. in ihr eigenes Verhaltensrepertoire übernommen haben.
  • Online-Assessment (vgl. Konradt & Sarges, 2003): Diese Methode setzt sich wegen folgender Vorteile immer mehr durch:
    • Preiswert und hocheffizient.
    • Von jedem Ort auf der Welt (mit Internetzugang) zu bedienen.
    • Mehrsprachigkeit und leicht zu interpretierende Berichte / Entkopplung von Eingabesprache und Ausgabesprache.
    • Dreidimensionalität (KANN er/sie den Job machen? WILL er/sie den Job machen? WIE wird er/sie den Job machen?).
  • Potenzial-Assessment: Zur Evaluierung der eigenen Stärken wird für Schüler/innen und Berufseinsteiger/innen das Potenzial-Assessment angeboten. Dieses eignungsdiagnostische Instrument dient zur Klärung der Potenziale und Fähigkeiten.

Geschichte

Assessment-Center gehen auf Tests zurück, die die deutsche Reichswehr nach dem ersten Weltkrieg mit Offizieranwärtern durchführte. 1920 wurde an der Universität Berlin ein psychologisches Forschungszentrum im Auftrag des Reichswehrministeriums gegründet. Ab 1927 durfte kein Offizier der Reichswehr ernannt werden, der nicht zuvor erfolgreich das heerespsychologische Auswahlverfahren durchlaufen hatte. Damals wurden erstmals "führerlose Gruppendiskussionen" durchgeführt. Ziel war es, die Auswahl von Offizieren von der sozialen Herkunft und dem Status der Teilnehmer zu lösen, sowie die Persönlichkeit der Bewerber umfassender zu erfassen.

Während des nationalsozialistischen Regimes verdrängte Reichswehrminister Göring die psychologische Auswahl von Offizieren und ersetzte sie durch eine intensive Prüfung der parteipolitischen Gesinnung.

Im 2. Weltkrieg gelangte das AC schließlich über England (ebenfalls zur Auswahl von Offizieren) in die USA (hier vorwiegend zur Auswahl von Agenten). Wegweisenden Charakter für die Verbreitung des ACs hatte nach dem Krieg die Management Progress Study der Firma AT & T (1956-1966). Diese an über 400 Nachwuchsführungskräften durchgeführte Studie hat auf hohem wissenschaftlichen Niveau die Brauchbarkeit und die prognostische Validität des Verfahrens belegt. Dies hat in den 1960er und 1970er Jahren zu einer weiten Verbreitung des Verfahrens sowohl in den USA als auch in Europa geführt (vgl. Sarges, 2001). Es gibt allerdings auch Kritiker des Verfahrens, die vor allem auch die AT & T Studie als problematisch sehen und die Validität von ACs als nicht unbedingt gegeben sehen (vgl. Kompa 2004).

Vielfache Studien haben die Kriterienvalidität des Verfahrens belegt, nicht aber dessen Konstruktvalidität. Trotz seiner methodischen Mängel muss der Verbreitungsgrad des Instrumentes - mit all seinen Variationen - als hoch bezeichnet werden.

Siehe auch

Literatur

  • Beitz, Holger & Loch, Andrea: Assessment Center. Erfolgstipps und Übungen für Bewerber. Goldmann 2003. ISBN 3442166446
  • Fay, Ernst (Hrsg.). (2002): Das Assessment-Center in der Praxis. Konzepte - Erfahrungen - Innovationen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.
  • Hagmann, Jasmin und Christoph (2006): "Assessment Center". Haufe Verlag. ISBN 3448075531
  • Kleinmann, Martin (2003): Assessment-Center (Reihe Praxis der Personalpsychologie). Göttingen, Hogrefe. ISBN 3801714934
  • Kompa, Ain (2004): Assessment Center. Bestandsaufnahme und Kritik. München. Rainer Hampp Verlag. 7. Auflage
  • Konradt, Udo & Sarges, Werner (2003): E-Recruitment und E-Assessment Göttingen, Hogrefe, ISBN 380171652X
  • Lance, C.E., Gewin, A.G., Lievens, F. & Conway, J.M. (2004): Revised Estimates of Dimension and Exercise Variance Components in Assessment Center Postexercise Dimension Ratings. Journal of Applied Psychology, 89, 377-385
  • Obermann, Christof (2006): Assessment Center. Wiesbaden, Gabler Verlag. 3. Auflage
  • Püttjer, Christian & Schnierda, Uwe (2007): Assessment-Center-Training für Führungskräfte. Campus Verlag. 6. Auflage. ISBN 3593379430
  • Püttjer, Christian & Schnierda, Uwe (2006): Assessment-Center-Training für Hochschulabsolventen. Campus Verlag. 4. Auflage. ISBN 3593381303
  • Sarges, Werner (Hrsg.). (2001): Weiterentwicklungen der Assessment Center-Methode (2., überarb. u. erw. Aufl.). Göttingen, Hogrefe. ISBN 3801714470
  • Sarges, Werner (2006): Management-Diagnostik. In F. Petermann & M. Eid (Hrsg.), Psychologische Diagnostik (S. 739-746). Göttingen: Hogrefe.
  • Sünderhauf, Katrin, Stumpf, Siegfried & Hoeft, Stefan (2004): Assessment Center, Dustri, ISBN 3-89967-181-3
  • Warneke, Christian M. (2007): Analytisches und strategisches Denken im Assessment Center. ISBN 3836409755