Kinder der Landstrasse

"Kinder der Landstrasse" ist ein Schweizerisches Hilfswerk und wurde 1926 gegründet und 1973 aufgelöst. Während Jahrzehnten versuchte das Hilfswerk die Fahrenden unter Zwang sesshaft zu machen.
Gründung
Auf Anregung von Bundesrat Giuseppe Motta gründete die Stiftung Pro Juventute 1926 das Hilfswerk "Kinder der Landstrasse". Die Kinder der Fahrenden wurden unter Vormundschaft gestellt, den Eltern entrissen und in Pflegefamilien und Heime gesteckt.
Illegale Massnahmen
Waren die Kinder einmal fremdplatziert verhinderte das Hilfswerk jeden Kontakt zur Familie. Briefe wurden abgefangen, Besuche vereitelt, die "Zöglinge" umplatziert, ohne die Eltern zu benachrichtigen. Mit der systematischen Erfassung der Fahrenden stigmatisierte das Hilfswerk diese als Kriminelle, Arbeitsscheue und Verwahrloste.
Schwer wiegen auch die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs. Die Tätigkeit des Hilfswerkleiters Alfred Siegfried hatte öfters auch eine pädophile Komponente, er besuchte seine Mündel nicht nur an ihren Pflegeplätzen sondern nahm sich oft auch bei sich zu Hause auf. Siegfried genoss die Macht, Vormund von bis zu 200 "Vagantenkindern" zu sein. Nicht selten nötigte er seine Mündel dazu, sich auch nach ihrer Volljährigkeit "freiwillig" unter seine Fittiche zu stellen.
Rassenhygiene
Eine unschöne Rolle spielte auch die Psychiatrie. Sie taxierte die Fahrenden im Vorfeld der nationalsozialistischen Rassenhygiene generell als minderwertig und "debil". Mit fragwürdigen Einzelgutachten wurde das Leben von Betroffenen ruiniert.
Die Behörden schauen weg
Viele Jahre nahm ein Bundesrat das Amt des Stiftungsratspräsidenten ein. Zudem bewilligten die eidgenössischen Räte Jahr für Jahr Subventionen. Die Aktivitäten des Hilfswerkes wurden nie einer Kontrolle unterzogen. Auch die Kantone und Gemeinden vernachlässigten ihre Aufsichtspflicht.
Das Hilfswerk konnte auf über 2000 ehrenamtliche Sekretärinnen und Sekretäre zurückgreifen, daraus ergab sich ein dichtes Informationsnetz das die "Akquisition von Mündeln" begünstigte.
Auflösung
Nach Aufdeckung des Skandals in der Zeitschrift "Beobachter" wurde 1972 eine Fachkommission eingesetzt, welche die Vorwürfe zu überprüfen hatte. Die "Pro Juventute" musste nach vorliegen der Resultate der Kommission das Hilfswerk "Kinder der Landstrasse" 1973 auflösen.
Die Beratungsstelle für Landesgeschichte kommentierte das Wirken des Hilfswerkes folgendermassen: "Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse hat mit seiner Tätigkeit eine ganze Bevölkerungsgruppe diskriminiert, diskreditiert und kriminalisiert. Sie hat enormes Leid über viele Familien gebracht und das Leben von Hunderten von Personen weitgehend zerstört".