Liquiditätsrisiko
Mit Liquiditätsrisiko werden zwei unterschiedliche Arten von Finanzrisiken bezeichnet:
- Das Risiko, benötigte Zahlungsmittel nicht oder nur zu erhöhten Kosten beschaffen zu können (Refinanzierungsrisiko).
- Das Risiko, Finanzmarktgeschäfte auf Grund mangelnder Marktliquidität nur zu einem schlechteren Preis als erwartet abschließen zu können (Marktliquiditätsrisiko).
Refinanzierungsrisiko
Das Refinanzierungsrisiko rührt daher, dass Geldmittel mit einer kürzeren Kapitalbindungsfrist aufgenommen werden, als sie angelegt sind. Es ist ein typisches Risiko von Banken und resultiert aus deren gesamtwirtschaftlichen Funktion der Fristen- und Losgrößentransformation.
Häufig wird das Refinanzierungsrisiko nach drei Kategorien unterschieden:
- Refinanzierungsrisiko i. e. S.
- Terminrisiko
- Abrufrisiko
Hierbei ergibt sich das Refinanzierungsrisiko daraus, dass die vereinbarten Kapitalbindungsfristen auf der Aktivseite länger sind als auf der Passivseite, was die Gefahr birgt, dass die Anschlussfinanzierung nicht dargestellt werden kann (deshalb auch Anschlussfinanzierungsrisiko oder Substitutionsrisiko).
Das Terminrisiko ist das Risiko, dass sich vereinbarte Zahlungseingänge – z. B. Kredittilgungen – verzögern und so die entsprechende Liquidität fehlt.
Analog ist das Abrufrisiko das Risiko, dass Zahlungsmittel vorzeitig oder unerwartet in Anspruch genommen werden, wie der Abruf von Einlagen oder Kreditzusagen. In seiner extremen und bekanntesten Form wird das Abrufrisiko als “Bank Run” schlagend.
Die genannten Formen des Refinanzierungsrisikos bedrohen durch die Gefahr der Insolvenz direkt die Existenz der betroffenen Unternehmung. Eine neuere Begriffsbildung ist die des Liquiditätsspreadrisikos, womit ein aus der Fristentransformation resultierendes Ertragsrisiko bezeichnet wird. Mit Liquiditätsspreadrisiko wird das Risiko bezeichnet, dass bei Anschlussfinanzierungen der Zinsaufschlag, den der sich Liquidität beschaffende Schuldner auf Grund des Kreditrisikos zahlen muss (Liquiditätsspread aus Sicht des Schuldners, Bonitätsspread aus Sicht der Gläubiger), sich erhöht und so erhöhte Refinanzierunsgkosten den Gewinn schmälern.
Klassische Theorien zu Refinanzierungssrisiken
In der betriebswirtschaftlichen Literatur finden sich häufig die folgenden vier theoretischen Ansätze zum Refinanzierungsrisiko, die heutzutage allerdings nur noch eingeschränkt von Bedeutung sind
- Goldene Bankregel (Otto Hübner 1854): Nach der goldenen Bilanzregel soll es keine Inkongruenz zwischen der Kapitalbindungsfrist der Passivseite (Mittelaufnahme) und der der Aktivsseite (Mittelverwendung) geben. Somit würde keine Fristentransformation betrieben und es bestünden keine Liquiditätsrisiken.
- Bodensatztheorie (Adolf Wagner 1857): Die Bodensatztheorie berüchsichtigt die Tatsache, dass Einlagen zumindest teilweise länger als ihre nominale Bindungsdauer zur Verfügung stehen. Ein Beispiel sind Girokonten, auf denen Geld normalerweise länger als die eintägige Kündigungsfrist angelegt ist. Der Teil der nominal kurzfristigen Einlagen, die nicht nach kurzer Zeit wieder abgezogen werden, kann als “Bodensatz” zur Refinanzierung längerfristiger Anlagen verwendet werden.
- Shiftability-Theorie (Karl Knies 1879): Die Shiftability-Theorie stellt gewissermaßen das Gegenstück der Bodensatztheorie für Vermögensgegenstände dar. Sie berücksichtigt, dass zumindest einige Aktiva auch vor Ende ihrer tatsächlichen Laufzeit liquidiert (“zu Geld gemacht”) werden und so Zahlungsmittelabflüsse ausgleichen können. Aus diesem Grund halten Banken eine sogenannte Liquiditätsreserve an marktliquiden Wertpapieren, die bei Bedarf durch Verkauf oder über Pensionsgeschäfte in Liquidität umgewandelt werden können.
- Maximalbelastungstheorie (Wolfgang Stützel 1959): Im Gegensatz zu den bisher genannten Ansätzen sieht die Maximalbelastungsthorie das Refinanzierungsrisiko als ein Ertragsrisiko. Sie geht davon aus, dass jedes Aktivum bei einem entsprechenden Wertabschlag liquidierbar ist. Wenn die Summe dieser Wertabschläge kleiner als die Höhe des Eigenkapitals ist, kann jeder Abfluss von Zahlungsmitteln gedeckt werden, ohne dass die Gefahr einer Insolvenz gegeben wäre.
Die Goldene Bilanzregel negiert die wirtschaftliche Aufgabe der Fristentransformation und ist deshalb im modernen Bankwesen bedeutungslos. Die Bodensatz- und die Shiftability-Theorie haben Eingang in moderne Verfahren zum Liquiditätsrisikomanagement gefunden. Ebenso wird der Grundgedanke der Maximalbelastungstheorie, dass Vermögensgegenstände ggf. nur mit einem Abschlag zu liquidieren sind, weiterhin verwendet. Die Maximalbelastungstheorie ist aber als Steuerungsinstrument unter der Going Concern-Annahme (vgl.Fortführungsprinzip) nicht geeignet, da sie ggf. die Liquidation eines erheblichen Teils des Unternehmens vorsieht.
Moderne Ansätze zum Risikomanagement
Die aktuellen Ansätze zum Management des Refinanzierungsrisikos heben auf die Betrachtung Zahlungsströme ab. Dabei werden unter Berücksichtigung der Bodensatz- und der Shiftability-Theorie aus dem Geschäftsbestand zukünftige Zahlungsabflüsse und –zuflüsse abgeleitet. Neben bilanziellen werden dabei auch außerbilanzielle Positionen wie Kreditzusagen oder Positionen in Finanzderivaten berücksichtigt. Einige Ansätze versuchen auch, den täglichen Überschuss oder Bedarf an Zahlungsmittel als zufällige Größe direkt stochastisch anhand von Vergangenheitserfahrungen zu modellieren.
Marktliquiditätsrisiko
hi ciao
Bankaufsichtliche Behandlungen
Auf internationaler Ebene veröffentlichte der Basler Ausschusses für Bankenaufsicht 2000 die Empfehlung “Sound Practices for Managing Liquidity in Banking Organisations”.
Wie für alle Risiken gelten in Deutschland die Anforderungen des § 25a Kreditwesengesetz an das Risikomanagement. Diese sind in der MaRisk weiter ausgeführt. Insbesondere gibt es zu Liquiditätsrisiken in der MaRisk den Abschnitt BTR 3, der vorwiegend auf das Refinanzierungsrisiko abstellt.
Quantitative Vorschriften zum Refinanzierungsrisiko sind im § 11 Kreditwesengesetz festgelegt. Diese sind in der Liquiditätsverordnung, die zum 1. Januar 2008 den bis dahin gültigen Grundsatz II ablöste, näher spezifiziert.
Literatur
- Büschgen, Börner: Bankbetriebslehre. UTB 4. Aufl., Stuttgart 2003, ISBN 3-8282-0241-4
- Wagner, Schmeling, Meyer, Kemp (KPMG): Risikofaktor Liquidität in Kreditinstituten Research in Capital Markets and Finance Working Paper 2002-3, LMU München