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Vipassanā (Pali) ist eine buddhistische Meditations-Technik, deren Ursprung auf Lehrreden des Historischen Buddha zurückgeht. Vipassana wird meist mit „Einsichtsmeditation“ oder „Achtsamkeitspraxis“ übersetzt. Ziel der Meditationspraxis ist das Erkennen der „Wahren Natur des Seins“. Diese Einsicht führt letztendlich nach buddhistischem Verständnis zur vollkommenen Überwindung von Leiden (Dukkha), und damit zum Zustand des Nirvana. Vipassana ist bei allen drei Hauptströmungen des Buddhismus (Theravada, Mahayana, Vajrayana) von Bedeutung, besonders hohen Stellenwert hat diese Meditationstechnik jedoch im Theravada. Im Westen sind heute vor allem Vipassana-Lehrer, die aus dieser Tradition hervorgegangen sind, bekannt: u.a. Jack Kornfield und S. N. Goenka. Ausserhalb eines buddhistischen Kontextes werden Elemente von Vipassana beispielsweise innerhalb des komplementärmedizinischen Behandlungsprogramms MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) eingesetzt.
Etymologie
Vipassanā ist ein Pali-Wort, das sich aus dem Sanskrit-Präfix „vi-“ und der Verbalwurzel √paś für „sehen“ herleitet. Es wird häufig mit „Einsicht“, „Klarblick“ oder „Klarsicht“ übersetzt. Das Präfix „vi-“ bedeutet in erster Linie „zwei Teile“, eine Bewegung „weg“ von etwas anderem. Entsprechende Präfixe im Deutschen sind „auseinander-“ oder „ent-“. Wörtlich ist mit „Vipassanā“ (im Unterschied zu der in esoterischen oder synkretistischen Kreisen verbreiteten Hochbewertung von „Einheit“, dem Denken in der Kategorie „alles ist letztlich eins“) eine bestimmte Art des „Auseinander-Sehens“ gemeint, ein unterscheidendes, durchschauendes bzw. von Illusionen befreiendes „Sehen“ im Sinne eines unmittelbaren Erfassens.
Das entspricht auch der anderen Bedeutung von „vi-“: eine „intensive“ Qualität des Unterscheidens. Vipassanā meint also eine besondere Art des Tief-Blickens, die unmittelbar, ungetrübt oder wahrheitsgemäß alle inneren und äußeren Vorgänge erfasst. Mit jenen „zwei Teilen“ von „vi-“ ist die Illusion oder Falschheit und die Realität oder Wahrheit gemeint. Demnach bedeutet Vi-Passanā ein höheres Sehen, das mit Hilfe der intuitiven Unterscheidung der Achtsamkeit zunehmend jede Illusion, Manipulation oder Verblendung durchschaut bzw. die jeweilige Wahrheit oder Realität direkt intuitiv erfasst. Wenn diese Unterscheidung fortwährend kultiviert werde, führe sie zur vollen Befreiung des Nibbāna (Pali; im Sanskrit "Nirvāna"), dem Ziel der Vipassanā-Praxis in all ihren Formen.
Zwei weitere Hauptbegriffe im Zusammenhang mit Vipassanā sind „Anu-Passanā“ und „pati-sam-vedī“, die in den oben erwähnten grundlegenden Achtsamkeitsreden des Buddha immer wieder vorkommen.
Mit Anupassanā (das Präfix anu- bedeutet „entlang“, „eng anliegend“, „unmittelbar“ und Passanā „Sehen“) ist ein konzeptfreies, unmittelbares bzw. achtsames Begleiten aller körperlichen oder geistigen Prozesse gemeint, um zum befreienden Sehen zu kommen.
Pati-sam-vedī bedeutet wörtlich „voll er-spürend“ und meint damit also auch wieder ein direktes, gleichsam nahtloses Empfinden im Einklang mit den realen Prozessen, wie sie sind, nicht wie wir sie in der Vorstellung gerne hätten.
Bedeutung und Ziel
Die Traditionen des Vipassanā mit ihren unterschiedlichen methodischen Ansätzen[1] dienen alle der Entwicklung einer höheren, so genannten „Trefflichen Achtsamkeit“ (sammā sati)[2], die über die bloße Konzentrationsfunktion von Aufmerksamkeit hinausgeht. Bei der Praxis dieser „Trefflichen Achtsamkeit“ gehe es um das zunehmende Durchdringen oder „befreiende Sehen“ der über die sinnliche Erfahrung zwar immer und überall gegebenen, aber gewöhnlich durch Verblendungen bzw. „Nichtsehen“ (avijjā) verborgenen „Wahrheit“, „Höchsten Realität“ oder „Natur der Dinge“.
Im Vipassanā ist der alleinige Schlüssel zu der „Höchsten Realität“ eine schlichte oder jederzeit entwickelbare Achtsamkeit, nicht Konzepte oder Studien, die hier immer nur eine vorbereitende Funktion haben. Laut einem dem Buddha zugeschriebenen Zitat aus den alten Quellen wird im Vipassanā generell der „Direkte Weg“ (ekāyana magga)[3]) zu den befreienden Einsichten betont. Er beruht auf einer methodisch entwickelten bloßen Achtsamkeit, die weder über systematische Studien noch über die primär bloß von Ordinierten realisierbaren starken Konzentrationszustände der „Vertiefungen“ Jhānas führt, sondern (als Betrachten der natürlichen Phänomene) unmittelbar vorgeht.

„Vipassanā“ wird gewöhnlich mit „Achtsamkeitspraxis“ oder „Einsichtsmeditation“ wiedergegeben. Der Entwicklungsprozess der Einsicht verläuft meist in Stufen. Deshalb gibt es in manchen einflussreichen Richtungen des Vipassanā die Lehre von den aufeinander aufbauenden Ebenen des „Einsichtswissens“, den so genannten „Vipassanā-Nyānas“. Der Zweck des traditionellen Vipassanā in all seinen Formen ist eine ungetrübte, durchdringende Klare Sicht, ein über diskursives Denken hinausgegangenes, unmittelbares Erfassen der vergänglichen, ungenügenden bzw. „Selbst“-losen Natur der Erscheinungen − nämlich der sinnlich wahrgenommenen Phänomene und der Körperempfindungen, Gefühlsreaktionen, Emotionen oder Gedanken. Mit diesem unmittelbaren Erfassen soll das unbewusste Ergreifen bzw. Sichidentifizieren mit den vergänglichen Phänomenen als „Ich (bin das)“ oder „mein“ und damit alle Ängste und Leiden schwinden.
Die Praxis des Vipassanā gilt als älteste buddhistische Meditationsform und wird auf den historischen Buddha selbst zurückgeführt. In der größten modernen Tradition, nämlich dem „Körperhineinkommen“ oder „Body Sweeping“ nach S.N. Goenka[4], wird das Vipassanā kurz resümiert mit „die Dinge sehen, wie sie wirklich sind“ (eine wiederholte Aussage Goenkas auf den Zehntageskursen).
Entwicklung und Tradition
Frühbuddhismus
Die Hauptquellen aller Richtungen des Vipassanā finden sich im Pali-Kanon, der Textgrundlage des frühen Buddhismus (Theravāda), welche die ältesten vollständig überlieferten Redensammlungen des historischen Buddhas enthält. Jene Hauptquellen sind (im Allgemeinen) die diversen im Pali-Kanon erscheinenden Lehren zum Thema Achtsamkeit und (im Besonderen) die beiden zentralen Achtsamkeitsreden des „Erwachten“ (Buddha) − nämlich die „Rede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit“ oder Satipatthāna-Sutta[5] (Mittlere Sammlung, Rede 10, und, etwas länger, Längere Sammlung, Rede 22) und die „Rede von bewussten Ein- und Ausatmen“ Ānāpānasati-Sutta (Mittlere Sammlung, Rede 118).
Eine breit angelegte, sich an Laien wie Ordinierte richtende Achtsamkeits- bzw. Einsichtspraxis spielt im Buddhismus seit dem historischen Buddha eine zentrale Rolle. Sie gilt als der „Direkte Weg“ zur Befreiung (ein Zitat aus den ältesten Quellen zum Thema Achtsamkeit[6]). Sie ist aber durch bestimmte spätere buddhistische Entwicklungen – Ausprägung von Scholastik, Philosophie und Institutionalisierung in Form buddistischer Klöster, die einen Monopolanspruch auf den höchsten Befreiungsweg erhoben haben – allmählich in den Hintergrund getreten.
Mahayana
Auch im später entstandenen Mahāyāna-Buddhismus, zu dem etwa der Zen und der tibetische Buddhismus gehören, wird der Begriff „Vipassanā“ heute zum Teil übernommen. Das dem Mahāyāna ureigene „Vipaśyana“ hat eine deutlich andere Bedeutung als das frühbuddhistische „Vipassanā“. Das mahāyānische „Vipaśyana“ beruht eher auf denk- bzw. konzeptbasierten Methoden, das frühbuddhistische „Vipassanā“ auf achtsamkeits- bzw. intuitionsbasierten Methoden. Die Lehre und Praxis der Achtsamkeit hat im Mahāyāna keine ähnlich zentrale Stellung wie im Theravāda. [7]
Wiederbelebung der Vipassanā-Tradition in Burma
Seit dem späten 19. Jahrhundert ist diese Tradition im Zuge einer großen Reformbewegung, die vor allem von Ledi Sayadaw in Burma in Gang gesetzt worden ist, wieder breit angelegt an die (burmesische) Bevölkerung vermittelt worden. Denn laut den Reden des Buddha im Pali-Kanon ist der höchste Befreiungsweg gleichermaßen von Ordinierten wie Laien verwirklicht worden. [8]
Die Reform hat direkt an diese Situation der buddhistischen Urgemeinde angeknüpft. In diesem Zuge wandte sich Ledi Sayadaw also gegen
- die kulturellen und scholastischen Überformungen der Muttertradition Theravāda;
- den Monopolanspruch der Klöster auf den höchsten Befreiungsweg; und
- die christliche Missionierung im Rahmen der britischen Kolonialherrschaft in Burma. Die befreiungspragmatische, das heißt eine höchste Befreiung im Leben bezweckende Praxislehre des Vipassanā ist sozusagen die buddhistische Antwort auf die Glaubensreligion der Kolonialmacht gewesen und ein besonders effektives Mittel, die burmesische Bevölkerung gegenüber den christlichen Missionierungsversuchen unempfänglich zu machen.[9]
Diese Ausrichtung des Vipassanā brachte es mit sich, dass in ihm ebenfalls die Glaubenselemente der Theravāda stark in den Hintergrund getreten sind (etwa die Wiedergeburtslehre in einem wörtlichen Sinne). Die Skepsis gegenüber glaubensreligiösen Aspekten[10] bedeutet eine weitere Anknüpfung an die Praxislehre des historischen Buddha, die sich gegen die spekulative Religion der Brahmanen und die Theorien der Waldeinsiedler gewandt hat. Aufgrund dieser Struktur der alten Praxislehre – keine Glaubensreligion, Spekulation, Metaphysik oder Philosophie und keine (als ein Extrem empfundene) Selbstkasteiung oder Askese – gilt sie in der Buddhismuskunde als „Erlösungspragmatismus“ (laut dem Indologie-Pionier Erich Frauwallner).[11] Der Buddha hat gelehrt: „Nur eines lehre ich, jetzt wie früher: Das Leiden und das Ende des Leidens.“ Dieser Erlösungspragmatismus bedeutet auch der Dharma (wörtlich „das, was trägt“), wie der Erwachte den kulturübergreifenden, zeitlosen Befreiungsweg genannt hat.
Buddhismus im Westen
Die Ausgangsländer und hauptsächlichen Hochburgen der Achtsamkeits- bzw. Einsichtspraxis Vipassanā sind Burma und Thailand. Aber auch aus anderen Ländern des Theravāda kommen einflussreiche Lehrendes des Vipassanā im Westen, zum Beispiel der Amerikaner Yogavacara Rahula und der Singhalese Bhante Gunaratana (vgl. Literaturtipps unten), die seit Jahrzehnten ordinierte Theravāda-Mönche sind. Sie leiten gemeinsam beide die amerikanische "Bhāvanā Society" ("Bhāvanā" bedeutet Kultivierung, Meditation) und haben ihre spirituellen Ausbildungen vorwiegend unter Meistern auf Sri Lanka erfahren. Das Gleiche gilt für die oben erwähnte bekannte deutsche Nonne Ayya Khema. Yogavacara Rahula ist auch ein Meister des Yoga, das er in Verbindung mit dem Vipassanā lehrt. Bhante Gunaratana ist ein bekannter Gelehrter und Autor.
Im Abendland gibt es seit den Sechzigern eine wachsende Zahl von männlichen wie weiblichen Vipassanā-Lehrenden. Beide Geschlechter sind unter den Lehrenden dieser Tradition ähnlich stark vertreten. Sie führen entweder die traditionellen Methoden als Vertreter einer bestimmten Richtung fort, oder sie verknüpfen die Ansätze miteinander (manchmal auch mit anderen buddhistischen Praktiken, wie Joseph Goldstein mit dem Dzogchen des tibetischen Buddhismus). Es gibt auch viele Verbindungen des Vipassanā mit der Psychologie und Gebieten helfenden Engagements, zum Beispiel dem Einsatz in Justizvollzugsanstalten, der Abhängigkeitsbehandlung oder der Komplementärmedizin
Moderne Anwendungen
Es gibt populäre moderne „Anwendungen“ des Vipassanā, vor allem das komplementärmedizinische Behandlungsprogramm MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) des amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn, das primär auf den beiden größten technischen Vipassanāmethoden - des Körperhineinkommens und des Benennens - beruht. Der Erfolg dieses Programms (es wird an vielen amerikanischen Kliniken eingesetzt und auch zunehmend in Europa) beruht auf dem Argument Kabat-Zinns, dass er zwar bestimmte bewährte Methoden des alten Buddhismus übernommen, aber die „Religion“ Buddhismus weggelassen habe. So wird das Programm attraktiv für alle, die kulturell bedingte Hemmschwellen haben, sich mit der buddhistischen Lehre näher zu befassen.
Kabat-Zinn und maßgebliche Vertreter seines Ansatzes haben zwar die Vipassanā-Methoden aus ihrem frühbuddhistischen Theravāda-Kontext herausgelöst, sie dann aber im Rahmen des MBSR-Programms mit anderen buddhistischen Lehren verknüpft, nämlich mit solchen des später entstandenen Mahāyāna, die im frühen Buddhismus nicht vorkommen. Kabat-Zinn und Vertreter des MBSR-Programms lehren also entgegen ihrem Anspruch, frei von Religion zu sein, manche religiöse Ansichten. Mit Hilfe von MBSR werden de facto auch bestimmte Vorstellungen zu Zwecken der Meditation oder dem Wesen des Menschen und Geistes verbreitet, die dem frühbuddhistischen Ursprungskontext jener Achtsamkeitsmethoden, die im Mittelpunkt der MBSR-Praxis stehen, fremd sind.
Methoden
Das Vipassanā unterteilt sich, was die Praxis angeht, in diverse eindeutig strukturierte „Techniken/Technikmethoden“ und strukturell vergleichsweise offene „Naturansätze“.[12] Wissenschaftlich betrachtet kann keine dieser Praxisformen den Anspruch erheben, „die Methode“ des historischen Buddhas zu sein. Denn die relativ interpretationsoffenen Achtsamkeitslehren der ältesten vollständig überlieferten Redensammlungen des Buddha (im Pali-Kanon) lassen sich zur Begründung aller Ansätze des Vipassanā heranziehen.

Die Technikmethoden des Vipassanā beruhen stärker auf der „Rede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit“ Satipatthāna-Sutta und die Naturansätze stärker auf der „Rede von bewussten Ein- und Ausatmen“ Ānāpānasati-Sutta.[13] Dementsprechend sind die jeweils angewandten Techniken oder Ansätze zum Zwecke der Betrachtung der natürlichen Prozesse von Körper wie Geist unterschiedlich. Laut Satipatthāna-Sutta stehen die Vier Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit (des Körperlichen, der Empfindungen, der Geisteszustände und der Natürlichen Wahrheiten) jeweils weitgehend für sich alleine, weil jede dieser Vergegenwärtigungen bereits als ein voller Befreiungsweg fungieren kann (gemäß dem häufig wiederkehrenden ‚Refrain‘ des Suttas, mit dem die befreienden Einsichten nach jedem Abschnitt erscheinen). Außerdem gibt der Buddha mit diesem Sutta relativ präzise methodische Anweisungen, wie die Betrachtung geschehen soll (wenngleich keine Methoden im Sinne der heutigen Vipassanā-Ansätze). Laut Ānāpānasati-Sutta entfalten sich alle Vier Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit dagegen innerhalb der ‚Dachbewusstheit‘ des bewussten Ein- und Ausatmens, die hier also ganz im Zentrum steht, das heißt der eigentliche Befreiungsweg ist. Außerdem gibt der Buddha mit diesem Sutta weniger präzise methodische Anweisungen, sondern beschreibt mehr die sich vertiefenden Zustände von Ruhe und Einsicht, wie sie sich innerhalb der ‚Dachbewusstheit‘ des bewussten Ein- und Ausatmens entwickeln.
Technikmethoden in Anknüpfung an das Satipatthāna-Sutta
Entsprechend diesem Unterschied handelt es sich bei den Technikmethoden, die stärker auf dem Satipatthāna-Sutta beruhen, um ziemlich detaillierte bzw. genau strukturierte „Techniken“ im engeren Sinne, bei denen die Atembetrachtung lediglich eine „vorbereitende“ konzentrative Funktion hat, das heißt nicht als der eigentliche Befreiungsweg des Vipassanā gilt.
In der Tradition von U Ba Khin oder deren einflussreichstem Vertreter S. N. Goenka (dem „Körperhineinkommen“, vgl. unten) zum Beispiel werden zur Beruhigung des Geistes vor dem eigentlichen Vipassanā die Empfindungen um die Nasenlöcher bei jeder Ein- und Ausatmung immer präziser betrachtet. Beim Vipassanā dieses Ansatzes wird dann der eigene Körper mit der Achtsamkeit systematisch durchwandert, um die verschiedenen Empfindungsgebiete und, falls sie schmerzlich sind, Spannungsfelder immer unmittelbarer zu erfassen, bis ihre Vergänglichkeit, ihr Ungenügen bzw. ihr Nicht-Selbst auf einer tieferen Ebene verstanden werden. Damit schwindet zunehmend das unbewusste Ergreifen der Dinge. „Betrachte und reagiere nicht“ oder „bleibe gleichmütig im Verstehen der Vergänglichkeit, der Vergänglichkeit, der Vergänglichkeit“ etwa sind wörtlich häufig wiederkehrende Anweisungen S. N. Goenkas.
In der Tradition von Mahasi Sayadaw (dem „Benennen“, vgl. unten) wird als Ankerobjekt die Auf- und Abbewegung der Bauchdecke bei jeder Ein- und Ausatmung genommen. Auf der Basis dieses Anker- bzw. Hauptobjektes wird die Palette der betrachteten Phänomene dann sukzessive erweitert (zu den stärkeren Empfindungen im Körper, den Geräuschen und schließlich den perzeptiven, gedanklichen oder affektiven Vorgängen im Geist), bis allmählich eine „Wahllose Bewusstheit“ eintritt. Das Hauptmittel der immer bewussteren Betrachtung sind hier spontan im Geist auftauchende „Etiketten“. Sie haben gleichsam die Funktion von inneren Schnappschüssen. Sie sind intuitive „Flashes“ des Verstehens, nicht Gedanken im eigentlichen Sinne. Lediglich ein kleiner Teil der Aufmerksamkeit soll in die Etiketten fließen, damit sie nicht eigens „hervorgebracht“ werden. In dem Maße, wie die Anbindung an die Prozesse von Körper und Geist gelingt, fallen sie weg, und es entwickelt sich die befreiende „Wahllose Bewusstheit“.
Von den Gründermeistern der Technikmethoden gibt es ausführliche Kommentare zum Satipatthāna-Sutta, aber relativ wenige Aussagen zum Ānāpānasati-Sutta (das Gleiche gilt auch für S. N. Goenka, der heute das Körperhineinkommen vor allem verbreitet; in seiner Tradition ist der erste aufbauende Kurs der "Satipatthāna-Sutta-Kurs", auf dem Goenka ausschließlich dieses Sutta interpretiert).

Naturansätze in Anknüpfung an das Ānāpānasati-Sutta
Bei den Naturansätzen, die mehr auf dem Ānāpānasati-Sutta beruhen, steht die Atembetrachtung als ein vollständiger Befreiungsweg im Zentrum, innerhalb dessen sich Ruhe und Einsicht sukzessive entfalten. Bei Ajahn Buddhadāsa etwa (vgl. unten) wird der gesamte Prozess der Atmung mit einer bestimmten Systematik betrachtet, sowohl der Ablauf der Atmung (über die Empfindungen um die Nasenlöcher bis zur Bewegung des Brustkorbes und der Bauchdecke bei jeder Ein- und Ausatmung) als auch die subtilen Auswirkungen eines zunehmend bewussten Atmens auf Körper wie Geist.
Es existieren auch Naturansätze, bei denen die Atmung als ein den gesamten Körper erfassendes Phänomen gilt (in Form von Sauerstoff, der über das Blut in alle Zellen transportiert wird, was mit bestimmten subtilen Empfindungen in allen Körperbereichen einhergeht). Deshalb wird hier die systematische Betrachtung des Atmens mit der systematischen Betrachtung des ganzen Körpers verbunden (etwa bei dem thailändischen Meister Ajahn Lee Dhammadaro).
Von den Gründermeistern der Naturansätze gibt es ausführliche Kommentare zum Ānāpānasati-Sutta (etwa das von Ajahn Buddhadāsa - oder Buddhadasa Bhikkhu - unten bei "Literatur" genannte Werk; im englischen Original Mindfulness With Breathing).
- ↑ Alleine in Burma gibt es mindestens 24 unterschiedliche methodische Ansätze des Vipassanā; laut Houtman, G.: The Tradition of Practice among Burmese Buddhists. Dissertation, School of Oriental and African Studies, University of London, 1990.
- ↑ In diesem Artikel werden die buddhistischen Fachbegriffe in all ihren Bestandteilen großgeschrieben, also etwa Treffliche Achtsamkeit oder Höchste Realität.
- ↑ Satipatthāna-Sutta, Mittlere Sammlung, Rede 10. "Ekāyana Magga" war im alten Indien ein besonders feierlicher Begriff, der in den Reden des historischen Buddhas bloß an dieser Stelle auftaucht, was die Bedeutung des Satipatthāna-Sutta aufzeigt. Es ist auch ein komplexer Palibegriff, der zugleich "Direkter Weg", "Einziger Weg" und "Weg bloß für einen alleine (als primär selbstständig zu beschreitenden Weg)" bedeutet.
- ↑ Diese Tradition selbst bevorzugt als Wiedergabe von "Body Sweeping" etwa die Ausdrücke "systematische Empfindungs-Beobachtung" oder "Körper-Empfindungs-Beobachtung". Die Gründe für die Wahl "Körperhineinkommen" (Hans Gruber) sind folgende: 1) Die unten im Abschnitt "Etymologie" erklärten Hauptbegriffe der zentralen Achtsamkeitsreden des Buddha deuten auf eine unmittelbare, möglichst nahtlose Qualität des achtsamen Betrachtens hin, womit die gewöhnliche Spaltung von Subjekt und Objekt, das heißt von beobachtendem "Selbst" bzw. "Ich" und beobachtetem "Objekt", zunehmend schwinden soll. 2) Der Begriff "Beobachtung" erscheint nicht in den Achtsamkeitsreden des historischen Buddha, den Hauptquellen aller heutigen Vipassanā-Ansätze. 3) Das Herzstück des Satipatthāna-Sutta ist der häufig wiederkehrende Refrain, mit dem die fortschreitende befreiende Einsicht im Zusammenhang mit der jeweils vorhergehenden Methode beschrieben wird. Der erste Satz dieses Refrains und der erste Satz der Definition der Achtsamkeit in der Einleitung des Suttas beschreiben, welche Art von Achtsamkeit der Praktizierende kultivieren soll. Dieser Satz lautet wörtlich übersetzt: "Hier bleibt man verankert `im unmittelbaren Betrachten des Körperlichen im Körperlichen´ (kāye kāyānupassī), voll entschlossen, klar bewusst und achtsam gegenwärtig, um alle Begehrlichkeiten und Bekümmernisse hinsichtlich der Welt abzulegen." Dieser Kernausdruck des ganzen Suttas, nämlich "im unmittelbaren Betrachten des Körperlichen im Körperlichen", weist wiederum auf eine möglichst spaltungsfreie Art des achtsamen bzw. bewussten Betrachtens hin; das heißt gleichsam das Körperliche von innen heraus betrachtend ("des Körperlichen im Körperlichen"), und nicht, als sei das Körperliche ein "Objekt" oder die Körperempfindungen "Objekte", als ein "Beobachter" von außen. Um diese Qualität des achtsamen Betrachtens wiederzugeben, um die es in den Achtsamkeitsreden des Erwachten geht, wird die Wiedergabe "Körperhineinkommen" für "Body Sweeping" gewählt."
- ↑ Die maßgebliche wissenschaftliche Arbeit zum Satipatthāna-Sutta ist die Dissertation des Theravāda-Mönches und Vipassanā-Lehrers Anālayo (er lehrt Vipassanā in der Tradition von S. N. Goenka): Satipatthāna, The Direct Path to Realization, Kandy/Sri Lanka: Buddhist Publication Society, 2003, 319 Seiten. Auch von Windhorse Publications in England erhältlich. Das gut lesbare Buch empfiehlt sich nicht bloß für Wissenschaftler. Kurze Resümees der Meditationsreden von Hans Gruber: Die grundlegenden Meditationslehren des Buddhismus; sowie Anālayo mit einem Aufsatz zur Achtsamkeit "Sati" in den Lehrreden des Buddha: Mindfulness in the Pali Nikayas. In: K. Nauriyal (Ed.), Buddhist Thought and Applied Psychological Research, London: Routledge Curzon, pp. 229-249; dt. Sati in den Pali Lehrreden.()
- ↑ Satipatthāna-Sutta, Mittlere Sammlung, Rede 10.
- ↑ Vgl. Der Weg der sehenden Achtsamkeit (erschienen in Buddhismus Aktuell 2/08), PDF-Online
- ↑ Vgl. zum Beispiel das Mahāparinibbāna-Sutta, Rede 16 der Längeren Sammlung der Lehrreden des Buddha. Hier ist von Hunderten von Laienanhängern alleine im Orte Nādikā die Rede, welche die Endgültigen Befreiungsstufen des buddhistischen Entwicklungsweges verwirklicht haben.
- ↑ Für den im frühen Buddhismus zentralen Begriff "Achtsamkeit" und verwandte Ausdrücke wie "Bewusstheit", "Gewahrsein" oder "Wachsamkeit", die an innerer Erfahrung bzw. Entwicklung orientiert sind, gibt es in der eher glaubensorientierten bzw. -religiösen Bibel keine Belegstellen. Das Gleiche gilt für andere zentrale buddhistische Erfahrungslehren, zum Beispiel "Gleichmut", "Konzentration", "Sammlung" (als innere Sammlung), "Energie" (als starke Willenskraft), "Ursache des Leidens", "Ende des Leidens" oder "(Selbst)Befreiung". Die eher gedankliche "Besonnenheit" erscheint in der Bibel, bedeutet aber etwas anderes: "sich auf etwas besinnen", auch im Sinne von "an etwas glauben". Einfache Prüfmöglichkeit: "Bibel Online". In diesem Sinne hat einer der primären Pioniere des Theravāda im Abendland, der homöopathische Berliner Arzt Dr. Paul Dahlke (1865-1928), mit Blick auf Buddhismus und Christentum zwischen "Praxisreligion und Glaubensreligion" unterschieden.
- ↑ Der vielleicht bekannteste Vertreter einer Wendung gegen die Glaubenselemente der Theravāda ist der sehr einflussreiche thailändische Meister Ajahn Buddhadāsa (1906-1993). Er wandte sich auch gegen manche monotheistische Ansichten. Solche Aussagen von ihm sind etwa: "Es gibt bloß einen Satan: Selbstsucht!" Oder: "Wahre Praxis bedeutet, über den Einfluss von 'gut' und 'schlecht' hinausgelangt zu sein. Denn 'gut' und 'schlecht' sind bloß relative Wahrheiten. Sie gehören genauso zum Strom des Entstehens in Abhängigkeit wie alles andere auch. Deshalb sind sie letztlich kein 'Selbst', keine 'Seele', kein 'Ding'. Buddhismus ist die Religion der Leerheit von einem Selbst." (Interview von Christopher Titmuss mit Ajahn Buddhadasa, Thailand 1992 und 1988, Gaia House Tape Library, West Ogwell, Newton Abbot, Devon, UK.) Ajahn Buddhadāsa versteht "Selbstsucht/Selbst-Sucht" sowohl im Sinne von Egoismus als auch des zugrunde liegenden Haftens an der Vorstellung eines wahrhaft existenten "Selbst" bzw. "Ich (und mein)".
- ↑ Der grundlegende, als richtungsweisend geltende Aufsatz Erich Frauwallners, mit dem er den Erlösungspragmatismus als das Hauptmerkmal der Lehre des historischen Buddhas erklärt: Der Buddha und der Jina. In: Frauwallner, E., Geschichte der indischen Philosophie, 1. Band, Salzburg: Otto Müller Verlag, 1953. Neuauflage: Shaker, 2003.
- ↑ Vgl. dazu Näheres unter „Tradition“.
- ↑ Vgl. zu dieser Unterteilung in technische Methoden und Naturansätze des Vipassanā Näheres im Abschnitt „Tradition“.