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Assessment-Center

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Ein Assessment Center ist ein Verfahren, in dem mehrere Beobachter und Beobachterinnen einen bzw. mehrere (unternehmensinterne oder -externe) Kandidaten und Kandidatinnen anhand von Verhaltensausprägungen beobachten, beschreiben, beurteilen und einschätzen, um auf der Basis eines zugrundeliegenden Anforderungsprofils deren Eignung für eine konkrete Aufgabe bzw. Stelle zu bewerten.

Begriff

Der Begriff „Assessment Center“ wird zur Bezeichnung sehr unterschiedlicher Auswahlverfahren verwendet. Wörtlich übersetzt bedeutet er "Einschätzungs-, Bewertungs- und Beurteilungszentrum" (engl.: to assess – beurteilen).

Merkmale

Bezeichnend für ein AC (Kurzbezeichnung für Assessment Center) ist, dass die zu beurteilenden Personen nicht nur in einer Situation (z. B. das "klassische Bewerber-Interview"), sondern in mehreren Situationen (Verhaltenssimulationen, Arbeitsproben) über einen längeren Zeitraum beobachtet und bewertet werden können.

Erfolgsentscheidend für die (Vorhersage-) Güte (Validität) eines Assessment Centers ist in diesem Sinne die Korrespondenz der in den verschiedenen Tests bewerteten Kompetenzen (Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen etc.) mit den Anforderungen in der Realität bzw. Praxis, hinsichtlich derer das Assessment-Ergebnis eine Vorhersage (prognistische Validität) treffen soll.

Wichtig ist, dass im Assessment Center zwischen bereits vorhandenen Fähigkeiten, Fertigkeiten etc. (Kompetenzen) und noch nicht entwickelten, jedoch grundsätzlich entwickelbaren Fähigkeiten etc. (s. Potentiale) unterschieden wird.

Ablauf

Wesentliche Inhalte von Assessment Centern sind häufig: strukturierte Interviews (häufig zu Beginn), Gruppendiskussionen, Postkorb-Fallstudien, Rollenspiele (Mitarbeitergespräche, Kollegengespräche, Verkaufsgespräche), Präsentationsaufgaben, Computer-Simulationen, Fragebögen (psychometrische Testverfahren: Persönlichkeits- und Leistungstests).

Unter anderem durch diese Vielzahl der unterschiedlichen AC-Bestandteile, die idealerweise die dem Anforderungsprofil entsprechenden erfolgsentscheidenden Situationen (critical incidents) entsprechen, wird die Brauchbarkeit (Güte) für die Personalbeurteilung bedingt. Denn trotz immer wieder zu vernehmender Kritik am Assessment Center und trotz der vorrangig ökonomisch motivierten Argumentationen, mit anscheinend absolut neuen, nie dagewesenen Methoden noch bessere Personaleinschätzungen vornehmen zu können, findet sich in Anlehnung an seriöse wissenschaftliche Forschungsergebnisse kein geeigneteres Verfahren in der Personalbeurteilung bzw. Management Diagnostik. Korrelationskoeffizienten von r = 0.41 (s. entsprechende metaanalytische Auswertungen) weisen auf eine entsprechend gute prognostische Validität hin.

Der Arbeitskreis Assessment Center hat 9 Qualitätskriterien analysiert.

  • Anforderungsorientierung
  • Verhaltensorientierung
  • Prinzip der kontrollierten Subjektivität
  • Simulationsprinzip
  • Transparenzprinzip
  • Individualitätsprinzip
  • Systemprinzip
  • Lernorientierung des Verfahrens selbst
  • Organisierte Prozesssteuerung


Weitere Bezeichnungen

Weitere Bezeichnungen, unter denen sich AC's in der Praxis der Personalentwicklung finden, sind: Personalentwicklungs-/Entwicklungsseminar, Auswahlseminar, Förderseminar, Standortbestimmungsseminar, Development Center, Potentialanalyse-Seminar. (Häufig ist der Grund für die Wahl eines alternativen Namens darin, dass mit der Einladung zu einem AC bei den Teilnehmern Ängste hervorgerufen werden, die auf diese Weise verhindert werden sollen).

Variationen

Variationen bzw. Weiterentwicklungen, die sich im wesentlichen jedoch auch der Assessment-Center-Methode bedienen sind:

  • Einzel-Assessment (-Center)
  • Management-Audit

Kritik und Geschichte

Eine implizite Annahme bei der Durchführung von Assessment Centern besteht darin, dass Persönlichkeitseigenschaften zur Prognose von Leistung und Erfolg herangezogen werden können. Bei Assessment Centern geht es meist um die Feststellung von Persönlichkeitseigenschaften, die insbesondere für Führungspositionen als relevant erachtet werden. Betrachtet man die empirischen Ergebnisse der Arbeits- und Organisationspsychologie, so liegt die prognostische Validität von Assessment Centern jedoch gemessen am hohen Aufwand verhältnismäßig niedrig. Dies liegt in Hinblick auf Führungseigenschaften unter anderem daran, dass Führung wesentlich abhängiger von der jeweiligen Führungssituation ist als von den Eigenschaften des Führenden. Die weite Verbreitung von Assessment Centern reflektiert daher den verbreiteten Glauben, dass Führungserfolg primär persönlichkeitsabhängig ist, und vernachlässigt dabei die Betrachtung und geeignete Ausgestaltung von Führungssituationen.

Assesment Center gehen auf Tests zurück, die die deutsche Wehrmacht nach dem ersten Weltkrieg mit Offiziersanwärtern durchführte. Damals wurden erstmals "führerlose Gruppendiskussionen" durchgeführt.

Eva Horn hat die ACs mit Formen der Eignungsprüfung, die auf manuell arbeitende Menschen angewendet wurden, verglichen. Im Sinne der Formel Taylors "the right man at the right place" entwarfen die Psychotechniker den paßgenauen Menschen. "Eignung ist dabei weniger eine Kategorie der Auswahl, des Auffindens gegebener Eigenschaften und Fähigkeiten, die Vorgefundenes beschreibt und quantifiziert. Vielmehr ist sie eine Konstruktion, die den Menschen als Gegenstand und Objekt industrieller und ökonomischer Strukturen überhaupt erst entwirft." Aufgrund detaillierter Beschreibungen der Arbeitsabläufe werden Anforderungen entworfen. Die Tests der Psychotechnik sind durch 4 Grundzüge gekennzeichnet:

  1. Vom Inhalt der Arbeit wird abstrahiert. Die Testaufgaben enthalten keinen direkten Bezug zur konkreten Arbeitssituation.
  2. Fremdbeobachtung: In einer für sie intransparenten Situation wird die Testperson isoliert (panoptische Struktur wie bei Bentham). Sie kann und soll sich nicht selbst beobachten. Die Bedeutung ihres Tuns entgeht ihr.
  3. Konstanz der Eigenschaften: "Tests testen Eigenschaften, die sie als konstant und kontinuierlich unterstellen. In den Testanordnungen der Arbeitswissenschaftler gibt es keine Vorstellung von unterschiedlichen Tagesformen, Lerneffekten und situativem Stress."
  4. Es wird zwischen Fähigkeiten 1. und.2. Ordnung unterscheiden. Eine Fähigkeit zweiter Ordnung ist die Fähigkeit, Fähigkeiten einzusetzen(Arbeitswille).

Die Tests für die Offiziersanwärter wie die modernen ACs haben es nicht auf einzelne psychomotorische Fähigkeiten abgesehen, sondern auf Führungsfähigkeit. Die Simulation soll einer normalen Arbeitssituation entsprechen bzw. sie dramatisch übersteigern. Es wird Theater gespielt. Wie bei Morenos Psychodrama soll das Schauspiel zur "Erscheinungsform des Authentischen" werden. Jeder beobachtet jeden, die Interaktion wird zum zentralen Gegenstand der Beobachtung der Teilnehmer wie der Prüfer. "Man beobachtet sich, um aus den Schwächen der anderen zu lernen. Verhalten, gerade in der Harmlosigkeit sogennanter 'sozialer Kompetenz', steht unter der alleinigen Maßgabe, es besser zu machen als die anderen; noch die freundlichste und rücksichtsvollste Umgangsform, dient in letzter Konsequenz dazu, den anderen in Freundlichkeit und Rücksicht zu übertreffen und auszustechen.""Wer sein Einfühlungsvermögen nicht im improvisierten Gespräch mit dem erholungsbedürftigen Mitarbeiter zur Schau stellen kann, hat schon verloren, auch wenn er noch so ein guter Mensch und Chef ist. Die Eignung des Rollenspiels, ist die Fähigkeit, sich vorzuführen, ein Selbst zu inszenieren - und das heißt nicht nur einzelne Fähigkeiten oder Eigenschaften, sondern eine ganze komplexe Identität. "

Im bekannten Postkorb werden "nicht nur Fähigkeiten wie Organisationstalent, Überblick und Stressbeständigkeit [geprüft], sondern auch die Wertsetzungen des Mannes, beispielsweise in der Entscheidung zwischen Krankenhausbesuch und Gang zum Anwalt."

Die Rollen kann man nicht einfach wieder ablegen. Die Veranstaltung zielt auf freiwillige Unterwerfung. "Das Transparenzprinzip kulminiert darin, dass dem Kandidaten zuletzt auch das Ergebnisgutachten in schöner Offenheit und großer Differenziertheit mitgeteilt wird. 'Es kommt relativ selten vor,' heißt es dazu in einer Publikation, 'dass ein Teilnehmer den Aussagen in seinen Gutachten nicht zustimmt.' Das Feedback speist so den Blick der anderen in die Seele des Prüflings als seine Selbsterkenntnis ein. [...] Wer mitspielt, ist immer schon einverstanden mit dem Ergebnis des Spiels- muss dieses Einverständnis aber wie in einem Ritual am Ende noch einmal 'freiwillig' bekräftigen. [...]Schlimm ist nicht, wenn man als (noch) nicht führungsgeignet evaluiert wird, sondern wirklich schlimm wäre, wenn man das Gutachten verwerfen, die Verfahren kritisieren oder gar nicht erst antreten würde." ACs wollen "Hinweise zur 'Förderung und Entwicklung'" geben. "Das Gutachten nicht zu akzeptieren, würde damit bedeuten, die eigene Verbesserung auszuschlagen oder zu dementieren. [...]Die konstruktivistische Anthropologie des 'nichts ist unmöglich' nach der den Menschen in Arbeit und Krieg des frühen 20. Jahrhunderts Menschenunmögliches abverlangt wurde, wird hier zum Selbstverhältnis gewendet und auf die Dauer eines Lebens gewendet: sich nicht nur endlos selbst zu verbessern, sondern auch, sich endlos auf seine Verbesserung hin überprüfen zu lassen. Qualifikationen, Zeugnisse, Kenntnisse und nicht zuletzt Testergebnisse erhalten so immer kürzere Halbwertszeiten, man wird wie Deleuze formuliert, nie mit irgendwas fertig', man ist nie schlechthin geeignet, sonndern immer nur auf einer der vielen Stufen der Eignung. [...] Man ist immer bei der Arbeit, an sich und im Büro."

Die Differenz zwischen den pschychomotorisch orientierten Tests und den ACs wird von Eva Horn als Differenz von Epochen beschrieben. Das ist nicht zwingend, ebensogut kann man den Klassenunterschied betonen. Wesentliche Elemente der ACs tauchen ja schon in den Offiziersanwärtertests auf und umgekehrt werden die ACs auch heute noch nicht bei Arbeitern eingesetzt. Von ihnen wird keine Führungskraft erwartet. Im Gegenteil: Die Situation der Psychotests entspricht dem Idealbild, das die Unternehmer vom Einsatz der Arbeiter als 'Produktionsfaktor' haben. Sie sollen störungsfrei funktionieren, nicht zuviel über ihre Situation nachdenken. Ideal wäre es, wenn sie stumm wie die Maschinen arbeiten würden, nicht mit anderen Arbeitern kommunizieren müssten, denn diese Interaktion ist nie vollständig kontrollierbar. Was Marx "die herrschende Klasse" nannte und die höher qualifizierten Spezialisten, müssen sich selbst zurichten. Und das ist eine Aufgabe, die solange dauern wird wie die Lohnarbeit existiert.

Quelle: Test und Theater. Verfahren der Eignungsprüfung