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Wahl des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein 2005

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Bei der Wahl des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein am 17. März 2005 kandidierten die amtierende Ministerpräsidentin des Landes, Heide Simonis (SPD), und der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Peter Harry Carstensen. In vier Wahlgängen erhielt keiner der beiden Kandidaten eine Mehrheit. Der Landtag vertagte sich schließlich, ohne einen Ministerpräsidenten zu wählen.

Ausgangssituation

Nach der Landtagswahl am 20. Februar 2005 erhielt die CDU 30, die SPD 29, die FDP 4, Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls 4 und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) 2 Sitze im Landtag Schleswig-Holstein, mithin hatten CDU und FDP 34 Stimmen und damit eine Stimme weniger als die absolute Mehrheit. Während die CDU die SPD aufforderte, in Verhandlungen zu Gunsten einer Großen Koalition einzutreten, begannen die Sozialdemokraten Koalitionsgespräche mit den Grünen. Der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen wurde am 15. März 2005 von Sonderparteitagen der beiden Parteien bestätigt, der SSW stimmte zu, diese rot-grüne Koalition zu tolerieren. Das Votum bei der SPD war einstimmig, bei den Grünen gab es zwei Enthaltungen.

Wortlaut der Verfassung

Die einschlägigen Vorschriften des Artikel 26 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1949 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Juni 1990 lauten wie folgt:

(2) Die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident wird vom Landtag ohne Aussprache gewählt. Sie oder er beruft und entlässt die Landesministerinnen und Landesminister und bestellt aus diesem Kreis für sich eine Vertreterin oder einen Vertreter.

(3) Zur Ministerpräsidentin oder zum Ministerpräsidenten ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Landtages auf sich vereinigt.

(4) Erhält im ersten Wahlgang niemand diese Mehrheit, so findet ein neuer Wahlgang statt. Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.

Wahlgänge am 17. März 2005

Auf der konstituierenden Sitzung des 16. Landtages Schleswig-Holstein stand als Punkt 6 der Tagesordnung die Wahl und Vereidigung der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten auf dem Programm. Zuvor hatte der Landtag mit den Stimmen von SPD, Grünen und SSW gegen die Stimmen von CDU und FDP eine Änderung der Geschäftsordnung beschlossen, die dem SSW je eine Stimme und damit SPD, Grünen und SSW eine Mehrheit in den Ausschüssen des Landtages einräumte.

Erster Wahlgang

Datei:Peter-Harry-Carstensen Foerde2.jpg
Peter Harry Carstensen, Kandidat der CDU

Die um 13.18 Uhr begonnene Behandlung des Tagesordnungspunktes führte zur geheimen Abstimmung. Der Landtagspräsident, Martin Kayenburg, gab nach der (öffentlich am Präsidentenstuhl durchgeführten) Auszählung das Ergebnis bekannt: Für Peter Harry Carstensen hatten 33 Abgeordnete, für Heide Simonis 34 Abgeordnete gestimmt; zwei Abgeordnete (mutmaßlich je einer aus dem Lager von SPD, Grünen und SSW einerseits und CDU und FDP andererseits) hatten sich enthalten. Daraufhin ordnete der Präsident einen sich unmittelbar anschließenden zweiten Wahlgang an, da keiner der Kandidaten die im ersten und zweiten Wahlgang benötigte absolute Mehrheit von 35 Stimmen erhalten hatte.

Zweiter Wahlgang

Auch der zweite Wahlgang lieferte kein eindeutiges Ergebnis: Heide Simonis erhielt wieder 34 Stimmen, während Peter Harry Carstensen in diesem Wahlgang ebenfalls 34 Stimmen erhielt; mindestens ein Abgeordneter von SPD, Grünen oder SSW stimmte nicht für Heide Simonis, da es eine Enthaltung gab.

Dritter Wahlgang

Im dritten Wahlgang genügte nach Artikel 26 Absatz 4 Satz 2 der Verfassung des Landes die einfache Mehrheit der Abgeordneten. Da sich jedoch wiederum ein 34:34-Patt zwischen Carstensen und Simonis ergab, konnte auch diese Verfassungsvorschrift kein finales Wahlergebnis liefern. Um 14.15 Uhr unterbrach der Präsident des Landtages die Plenarsitzung für Sitzungen der Fraktionen und berief für 15.15 Uhr den Ältestenrat ein.

Während Heide Simonis nach dem Wahlgang jede Stellungnahme ablehnte, sagte der SPD-Fraktionschef, Lothar Hay, er sei "menschlich tief enttäuscht" von dem oder der Abgeordneten, der "Geschichte schreiben möchte". Die Vorsitzende der SSW-Vertreter im Landtag, Anke Spoorendonk, sagte, sie sei "irritiert und wütend" über die Abstimmungsergebnisse und stellte die Tolerierung der rot-grünen Koalition durch den SSW in Frage. Der FDP-Fraktionsvorsitzende, Wolfgang Kubicki, sprach sich für eine Große Koalition aus, spekulierte aber unmittelbar nach der Unterbrechung der Sitzung - zutreffend -, dass die SPD noch einen Wahlversuch starten wollte. Der Bundesgeneralsekretär der CDU, Volker Kauder, forderte die zu diesem Zeitpunkt nur noch amtierende Ministerpräsidentin zum Rückzug auf.

Vierter Wahlgang

Der Ältestenrat beschloss in seiner Sitzung einen vierten Wahlgang. Um 16.19 Uhr wurde das Ergebnis bekanntgegeben; wieder gab es ein 34:34-Patt und das, obwohl in einer vorherigen fraktionsinternen Geheimabstimmung alle 29 SPD-Abgeordneten für Heide Simonis gestimmt hatten. Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Lothar Hay, beantragte eine weitere Unterbrechung von einer Stunde und anschließenden Zusammentritt des Ältestenrates; diesem Antrag wurde zugestimmt.

Peter Harry Carstensen wollte sich zunächst nicht zu weiteren Schritten seiner Partei und Fraktion äußern.

Am Abend gab der Landtagspräsident eine Vereinbarung aus dem Ältestenrat bekannt. Die Fraktionen waren übereingekommen, am 17. März keinen weiteren Wahlgang durchzuführen. Die nächste Sitzung soll am 27. April stattfinden, es sei denn, dass vorher eine Sondersitzung beantragt wird.

Konsequenzen

Am 18. März 2005 gab Heide Simonis bekannt, dass sie für eine erneute Kandidatur nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Sie hatte sich am Morgen bereits bei ihren Mitarbeitern für ihre Arbeit bedankt.

Ausblick

Neue Kandidaten

Da die Verfassung nicht explizit von einem "dritten" oder "vierten", sondern nur von einem "weiteren" Wahlgang spricht, erscheint es möglich, die Wahl des Ministerpräsidenten beliebig lange fortzusetzen, bis es kein Patt mehr gibt. Spekuliert wurde, dass anstelle von Heide Simonis der Finanzminister des Landes, Ralf Stegner, kandidieren könnte. Der wissenschaftliche Dienst des Landtages sollte nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" prüfen, ob die SPD für einen neuen Wahlgang einen anderen Kandidaten vorschlagen kann. Ob der SSW eine solche Koalition unter einem anderen Ministerpräsidenten als Heide Simonis unterstützen würde, ist unklar.


Weiterführung der Regierung

Bis zur gültigen Wahl eines Ministerpräsidenten durch den 16. Landtag führt Heide Simonis mit ihrer Regierung in Übereinstimmung mit Artikel 27 Absatz 2 der Verfassung ihr Amt weiter; die Dauer dieser geschäftsführenden Landesregierung ist unbegrenzt: So regierte der vormalige stellvertretende Ministerpräsident Henning Schwarz (CDU) vom 2. Oktober 1987 bis zum 31. Mai 1988 nach dem Rücktritt Uwe Barschels und einem Patt im Landtag bis zur Neuwahl des Landtages und der Wahl Björn Engholms (SPD) als geschäftsführender Ministerpräsident. Artikel 27 Absatz 2 der Verfassung lautet wie folgt:

Endet das Amt der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten, so sind sie oder er und mit ihr oder ihm die anderen Mitglieder der Landesregierung verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt der Nachfolgerinnen oder der Nachfolger weiterzuführen. Auf Ersuchen der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten hat eine Landesministerin oder ein Landesminister die Geschäfte bis zur Ernennung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers weiterzuführen.

Möglichkeit von Neuwahlen

Andere Spekulationen sprachen von einer Neuwahl, zu der aber nach Artikel 13 Absatz 2 der Verfassung des Landes eine Zweidrittelmehrheit im Landtag notwendig wäre. Ob die nunmehr geschäftsführende Ministerpräsidentin noch die Vertrauensfrage nach Artikel 36 der Verfassung stellen kann, bei deren negativer Beantwortung sie den Landtag auflösen könnte, ist unklar. Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 36 lauten wie folgt:

Der Landtag kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder unter gleichzeitiger Bestimmung eines Termins zur Neuwahl die Wahlperiode vorzeitig beenden. (Artikel 13 Absatz 2)

Stellt die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident in einem Antrag die Vertrauensfrage, ohne hierfür die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Landtages zu finden, so kann die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident binnen zehn Tagen die Wahlperiode vorzeitig beenden. (Artikel 36 Absatz 1 Satz 1)

Weitere Verhandlungen

Ebenfalls möglich ist - nach der Vertagung der Entscheidung über den Ministerpräsidenten -, dass die Parteien in neue Sondierungsgespräche einsteigen; insbesondere die Große Koalition, die von der CDU angeboten, von der SPD jedoch abgelehnt worden war, scheint mit Peter Harry Carstensen als Ministerpräsidenten eine Option zu sein. Eine theoretisch ebenfalls denkbare zeitliche Aufteilung der Legislaturperiode zwischen Heide Simonis und Peter Harry Carstensen ist politisch kaum wahrscheinlich.

Bundespolitische Auswirkungen

Aus Sicht der CDU/CSU stellte das vorläufige Scheitern der neben der in Nordrhein-Westfalen einzigen rot-grünen Landeskoalition den Anfang vom Ende auch der rot-grünen Koalition im Bund dar. Die Auswirkungen auf die Bundespolitik ergeben sich aber auch aus den verbleibenden Möglichkeiten:

Eine rot-grüne Koalition unter Tolerierung des SSW würde den Stand im Bundesrat so lassen wie er ist: CDU-, CSU- oder CDU/FDP-regierte Länder blieben bei 37 Stimmen, Große Koalitionen und die SPD/FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz bei 15 Stimmen und die rot-grünen Koalition selbst unter Einbeziehung der PDS 17 Stimmen.

Eine Große Koalition bedeutete eine Verschiebung der vier schleswig-holsteinischen Stimmen von den rot-grünen hin zu neutralen Koalition. In beiden Fällen könnten aber die bürgerlich regierten Länder selbst bei einem Wahlsieg der CDU und der FDP in Nordrhein-Westfalen maximal 43 Stimmen erreichen und würden damit die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat verfehlen.

Anders sieht es aus, wenn keine regierungsfähige Koalition zustande käme und der Landtag aufgelöst würde; in diesem Fall würde binnen 70 Tagen eine Neuwahl stattfinden (Im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode muss die Neuwahl innerhalb von siebzig Tagen stattfinden., Artikel 13 Absatz 3 der Verfassung). Dabei erscheint neben den oben genannten Modellen auch die Bildung einer schwarz-gelben Koalition möglich. Zusammen mit einem eventuellen Sieg in Nordrhein-Westfalen käme schwarz-gelb dann auf 47 Stimmen und läge damit um eine über der Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.

Artikel 77 Absatz 4 des Grundgesetzes regelt die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates durch den Bundestag:

Wird der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrates beschlossen, so kann er durch Beschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen werden. Hat der Bundesrat den Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln seiner Stimmen beschlossen, so bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.

Mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat könnten die bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP alle Gesetzentwürfe der rot-grünen Koalition blockieren, da diese im Bundestag nicht über eine Zweidrittelmehrheit verfügt und neben den ohnehin zustimmungspflichtigen Gesetzen auch die nicht zustimmungspflichtigen Gesetze durch den Einspruch aufgehalten werden könnten.