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Marie von Schleinitz

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Marie v. Schleinitz. Unbekannter Maler

Marie Gräfin von Schleinitz-Wolkenstein (* 22. Januar 1842 in Rom; † 18. Mai 1912 in Berlin) war eine der bedeutendsten Berliner Salonièren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Gönnerin Richard Wagners.

Leben

Marie von Schleinitz war die Tochter des preußischen Diplomaten Ludwig August v. Buch (1801-1845) und seiner Frau Marie, geb. v. Nimptsch (1820-1897), die 1847 in zweiter Ehe den Hermann Anton Fürst von Hatzfeldt-Trachenberg (1808–1874) heiratete. Anfang der 1860er Jahre lebte sie in Paris, bevor sie sich als preußische Ministergattin 1865 dauerhaft in Berlin niederließ. 1886 ging sie mit ihrem zweiten Mann nach St. Petersburg, 1894 nach Wien. 1903, endgültig Witwe, kehrte sie in die deutsche Hauptstadt zurück, wo sie 1912 siebzigjährig starb. Im Alter verbrachte sie die warme Jahreszeit auf Schloss Ivano im Trentino.

"Mimi" Schleinitz, wie sie bald genannt wurde, erhielt als Kind eine solide pianistische Ausbildung und blieb zeit ihres Lebens eine hochmusikalische Frau. Sie war sehr gebildet, kannte und verehrte Goethe, las Schopenhauer und später Nietzsche und gehörte zu den ersten bedingungslosen Anhängerinnen und enthusiastischen Förderinnen Richard Wagners, den sie im Dezember 1863 in Breslau kennen gelernt hatte[1] und dessen "liebste und werteste Freundin" sie neben Malwida von Meysenbug alsbald wurde[2]. Vor allem sie war es, die ihm bei vielen Fürstlichkeiten und bei der guten Gesellschaft ihrer Zeit in den Sechziger und frühen Siebziger Jahren zum Durchbruch verhalf, als sein Erfolg noch keineswegs gewiss war[3]:

"Unablässig bemüht, dem Unternehmen durch neuangeworbene Patrone sowie durch materielle Zuschüsse eine Kräftigung zuzuführen, hatte die edle Frau, durch den unwiderstehlichen Einfluß ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit, eine Anzahl hervorragender Maler dazu vermocht, wenn sie dem Bayreuther Werke nicht direkt auf finanziellem Wege dienen könnten, es doch durch Schenkung von Gemälden ihrer Hand zu unterstützen."[4]

Unter anderem trat sie 1876 bei Kaiser Wilhelm I. für die Unterstützung der Bayreuther Festspiele ein, und der alte Grandseigneur, obwohl selber eher nüchternen Geschmacks, erwies der kunstsinnigen, zugleich aber hübschen und für ihren Charme gefeierten jungen Gräfin tatsächlich den Gefallen. Schon in den 1870er Jahren war sie eine der berühmtesten Frauen Berlins[5]. Georg Brandes, dänischer Schriftsteller und in der Saison 1880/81 am Berliner Hof, überliefert folgende Ballszene:

Richard Wagner, den Mimi Schleinitz hingebungsvoll förderte. Fotografie von Franz Hanfstaengl, 1871

"Das kaiserliche Paar hat den Saal betreten. Zuerst beginnt der Kaiser seinen Rundgang, dann die Kaiserin - ein jeder für sich [...] Der alte Herr grüßt zuerst die Gräfin Schleinitz [...] Er ist zu sehr Schelm, als dass er an einer sehr schönen Dame vorüber ginge, ohne sich einige Minuten mit ihr zu unterhalten; von den weniger schönen nimmt er keine Notiz."[6]

Mit Cosima Wagner verband Mimi enge Freundschaft, ebenso mit anderen großen Salonièren ihrer Zeit, vor allem Anna von Helmholtz. Sie galt nicht nur als außerordentlich gebildete, sondern auch als außergewöhnlich schöne und elegante Frau von vollendeten Umgangsformen, der zahlreiche berühmte Männer den Hof machten, bis hin zu Kaiser Wilhelm II. Gleichwohl scheint sie sich weitgehend für platonische Beziehungen begeistert zu haben[7]; Zeitgenossen betonten zuweilen das "Abgehobene, Esoterische" an ihrer Erscheinung[8]. Bekannt ist die wechselseitige Abneigung, die sie mit dem Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck und dessen Frau Johanna verband. Schon in der Zeit des Verfassungskonflikts stand sie mit ihrem Mann Alexander, einem liberal gesinnten Protagonisten der Neuen Ära und Favoriten der Königin Augusta, in Opposition zum, damals noch wenig beliebten, Ministerpräsidenten von Bismarck[9]. Etwas polemisch bemerkt dazu der Bismarck-kritische Nicolaus Sombart, dass

"sich noch im Berlin der siebziger Jahre der Salon von Mimi Schleinitz [...] und die barbarische, total unkultuivierte Meerkatzenhöhle der Bismarcks feindselig gegenüber standen. Beide an der Wilhelmstraße. Dort wurde der Kultur gelebt, hier der Macht."[10]

Als Salonière, die den Künsten und liberalen Anschauungen huldigte, setzte Mimi einen Gegenpol zum politischen Salon, den ihre Zeitgenossin, die eher konservative, intellektuell konventionelle Baronin Spitzemberg, ebenfalls in Berlin führte. Unter den nicht-politischen Salons zog Mimi eher Künstler an, ihre Freundin Anna von Helmholtz eher Wissenschaftler.

Alexander Graf v. Schleinitz, Mimis erster Mann. Porträtstudie von Adolph von Menzel, 1865

Familie

Marie von Buch heiratete am 1. Januar 1865 den preußischen Minister des Königlichen Hauses Alexander Freiherrn v. Schleinitz (1807-1885). Ihr Bräutigam war 35 Jahre älter als sie. 1879 wurde das Paar von Kaiser Wilhelm I. in den Grafenstand erhoben.

Am 16. Juni 1886 ging die verwitwete Gräfin Schleinitz eine zweite Ehe mit dem österreichischen Diplomaten Anton Graf von Wolkenstein-Trostburg (1832-1913) ein, mit dem sie seit 1879 - er war damals Botschaftsrat in Berlin - befreundet gewesen war. Seither nannte sie sich Gräfin Schleinitz-Wolkenstein.

Beide Ehen blieben kinderlos.

Richard Wagner im Kreis seiner Freunde in der Villa Wahnfried. Gemälde von Georg Papperitz, vor 1883. Links Cosima und Richard Wagner, am Flügel Franz Liszt, rechts Mimi v. Schleinitz

Salon

Marie von Schleinitz führte seit 1865 bis zu ihrem Tode einen literarischen Salon in Berlin, mit einer längeren Unterbrechung von 1886-1903. In Petersburg und Wien, wo ihr zweiter Gatte in diesem Zeitraum jeweils den Posten des österreichischen Botschafters versah, führte sie ebenfalls, und nicht erfolglos, Salons. Ihr Berliner Salon - gelegen in dem Palais, das ihr erster Mann als Königlich Preußischer Hausminister in der Wilhelmstraße 73 bezogen hatte - war in Deutschland der berühmteste seiner Zeit und zog Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus allen Richtungen an, besonders aber Künstler, Literaten und vor allem Musiker. Er galt schnell als Zentrum des zweiten Berliner Rokoko und orientierte sich in Stil und Habitus stark an zeitgenössischen französischen Vorbildern - etwa dem Pariser Salon der Pauline von Metternich -, vor allem aber an den Salons, die Dorothea von Kurland und Luise Radziwill im Berlin Friedrich Wilhelms III. geführt hatten.

Obwohl selber Aristokratin, zog sie früh bewusst Bürgerliche in ihren Kreis und erschloss ihnen die vormals exklusive Hofgesellschaft, zu der sie selber als Gattin des Hausministers wie selbstverständlich Zugang hatte. Umgekehrt machte sie die Welt der Künstler für die tonangebenden Zirkel der Hauptstadt interessant und konnte viele Standesgenossen für ihren "Star" Richard Wagner begeistern. Indem sie sich für die Finanzierung von Wagners gewohnt ausgreifenden Projekten einsetzte, etwa durch Kunstbazare und Auktionen, betrieb sie sogar eine Vorform von Kulturmanagement. Als geistreiche Vermittlerin zwischen Kultur und Gesellschaft vermochte sie noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein einen Kontrapunkt gegen das von Nietzsche früh beklagte Phänomen der "Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reiches"[11] zu setzen. Ihre Wirkung auf die Wagner-Gemeinde in Haus Wahnfried beschreibt Wagners Biograph Carl Friedrich Glasenapp so:

"Für das ganze Haus Wahnfried war der jedesmalige Besuch seiner liebenswürdigen edlen Gönnerin Gräfin Schleinitz immer ein Fest; so auch in diesem Frühjahr [1878], wo sie mit ihrer freundlichen Anmut den Meister und die Seinen in der ersten Märzwoche durch eine fünftägige Anwesenheit beglückte. In solchen Fällen gehörte ihr der größte Teil des Tages: sie nahm an den Mahlzeiten, selbst auch an den Spaziergängen teil und an zwei aufeinanderfolgenden Abenden ward der erste Akt des 'Parsifal' für sie vorgenommen."[12]

Im Salon der Gräfin Schleinitz traten viele große Musiker ihrer Zeit auf, so der Dirigent Hans von Bülow, der Geiger Joseph Joachim und die Pianisten Anton Rubinstein und Carl Tausig. Aber auch Fürst Eulenburg, Amateurkomponist und Intimus des letzten deutschen Kaisers, trug von ihm gedichtete Balladen im Hause Schleinitz vor[13]. Mimi selber schwärmte nicht nur für Wagner, sondern organisierte teils sogar die Proben für seine Opern[14]. Auf ihren Soiréen bildeten philosophische und spiritualistische Reflexionen, meist aus dem Umkreis des zeitgenössischen Pessimismus, aber nie ohne idealistischen Einschlag, den Grundbestand der Konversation, die die Gräfin nicht nur inspirierte, sondern meistens auch engagiert in die Hand nahm und selbstbewusst lenkte. Ein Kuriosum war im Jahre 1880 die Ausstellung mehrerer Bilder Franz von Lenbachs, wodurch das Konterfei ihres Antagonisten Bismarck gleich mehrfach im Hause Schleinitz auftauchte[15].

Mimi von Schleinitz war unter ihren Zeitgenossen ungewöhnlich beliebt und scharte bis ins hohe Alter eine Vielzahl von Bewunderern um sich. Gleichwohl fehlen nicht kritische Stimmen, die ihr geziertes Wesen, Affektiertheit[16] und ein allzu forciertes Abgehobensein von der praktischen Seite des Lebens vorwarfen[17]. In karitativen oder frauenpolitischen Belangen, damals das Hauptbetätigungsfeld vieler Aristokratinnen, hat sie sich nie engagiert. Gleichwohl bleibt ihr das Verdienst, im jungen Berlin der Gründerzeit und der Belle Époque eine kultivierte, feinsinnige Geselligkeit entfaltet und jahrzehntelang bewahrt zu haben, wie sie zuletzt wohl zur Zeit Rahel Varnhagens bestanden hatte, mit der sie, obgleich gänzlich anders sozialisiert, einige Ähnlichkeit aufweist und daher wohl nicht zu Unrecht gelegentlich verglichen wird. Ihre Biographin Petra Wilhelmy nennt sie

"eine Lebenskünstlerin, die versuchte, auch aus dem Alltagsleben ein 'Kunstwerk' zu gestalten - in gewisser Analogie zu Rahel."[18]

Berühmte Habitués

Quellen

  • Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert, Berlin u.a. 1989, S. 274-81, 345-48, 820-29. Weitere Nachweise ebd. S. 531-33.
  • zum Briefwechsel mit den Wagners siehe:
    • Richard Wagner, Sämtliche Briefe, hrsg. von der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth, 13 Bde., Leipzig 2000-2003.
    • ders. Schriften und Dichtungen, 16 Bde., Leipzig 1911.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner. Sein Leben - sein Werk - sein Jahrhundert, München 1980, S. 514.
  2. Vgl. Carl Friedrich Glasenapp, Das Leben Richard Wagners, Leipzig 1905, Bd. 6, S. 507.
  3. Vgl. Gregor-Dellin, a.a.O., S. 642: "Hätte nicht Marie von Schleinitz, die Frau des preußischen Hausministers, einfallsreich und energisch für Wagner geworben und sich an die Spitze der Berliner Patronats-Bewegung gesetzt, Bayreuth wäre vermutlich nie zustande gekommen."
  4. Vgl. Glasenapp, a.a.O., Bd. 5, S. 150 f.
  5. Vgl. Wilhelmy, S. 277.
  6. Vgl. Brandes, Hofball (18. Februar 1881), in: Berlin als deutsche Reichshauptstadt. Erinnerungen aus den Jahren 1877-1883 (dt. v. Peter Urban-Halle), Berlin 1989, S. 407.
  7. Vgl. Wilhelmy, S. 280.
  8. Vgl. Wilhelmy, S. 347.
  9. Bismarck nannte Schleinitz säuerlich den "Specialpolitiker" der Prinzessin Augusta oder schlicht "ihren" Minister, dessen Behörde das "Gegenministerium der Königin", vgl. Gedanken und Erinnerungen, hrsg. v. Ernst Friedländer, Stuttgart 1959, S. 100, 217, 489.
  10. Vgl. Sombart, Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte, Berlin 1996, S. 165.
  11. Vgl. Nietzsche, Erste Unzeitgemäße Betrachtung, in: Werke in vier Bänden, hrsg. v. Karl Schlechta, Bd. 1, München 1954, S. 137.
  12. Vgl. Glasenapp, a.a.O., Bd. 6, S. 75.
  13. Vgl. Wilhelmy, S. 276.
  14. Vgl. Cosima Wagner, Die Tagebücher, 2 Bde., München 1976 f., Bd. 1, S. 207 (9. März 1870): "Die Ministerin Schleinitz bewacht mit Enthusiasmus die Proben der M[eister-]Singer.
  15. Vgl. Wilhelmy, S. 280.
  16. So die Baronin Spitzemberg, Tagebuch (hrsg. v. Rudolf Vierhaus), Göttingen 1960, S. 140 (4. März 1873).
  17. Vgl. Wilhelmy, S. 347.
  18. Vgl. Wilhelmy, ebd.
  19. Vgl. Wilhelmy, S. 823-29.