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Rapoport-Luebering-Zyklus

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Strukturformel von 2,3-DPG, des Intermediats des Rapoport-Luebering-Zyklus

Der Rapoport-Luebering-Zyklus, auch als Rapoport-Luebering-Shunt, Rapoport-Luebering-Shuttle, Phosphoglyceratzyklus oder 2,3-DPG-Zyklus bezeichnet, ist in der Biochemie ein vor allem in roten Blutkörperchen (Erythrozyten) ablaufender Stoffwechselweg. Er stellt einen Nebenweg der Glykolyse dar und ist damit Teil der biochemischen Reaktionen zum Abbau von Glukose im menschlichen und tierischen Organismus. Seine Hauptreaktion ist die durch das Enzym Bisphosphoglyceratmutase gesteuerte Bildung des Intermediats 2,3-Diphosphoglycerat (2,3-DPG) aus dem in der Glykolyse entstehenden 1,3-Diphosphoglycerat.

2,3-DPG ist als Signalmolekül von zentraler Bedeutung für die Regulation der Bindung von Sauerstoff an den Blutfarbstoff Hämoglobin und damit für die Freisetzung von Sauerstoff aus den Erythrozyten ins Gewebe. Durch die in den 1940er Jahren erfolgte Entdeckung des Rapoport-Luebering-Zyklus und der Bedeutung des 2,3-DPG für die Funktion und den Energiehaushalt der roten Blutkörperchen durch den Biochemiker Samuel Mitja Rapoport und seine Assistentin Janet Luebering konnte die Haltbarkeit von Blutkonserven erheblich gesteigert werden.

Biochemische Aspekte

Ablauf

Schematische Darstellung des Rapoport-Luebering-Zyklus

Beim Rapoport-Luebering-Zyklus handelt es sich um einen Nebenweg der anaeroben Glykolyse. Er zweigt an der Stelle des 1,3-Diphosphoglycerats (1,3-DPG) aus der Glykolyse ab und führt zur Bildung von 2,3-Diphosphoglycerat (2,3-DPG), aus dem unter Abspaltung eines Phosphats die Phosphoglycerinsäure-Verbindungen 2-Phosphoglycerat (2-PG) beziehungsweise 3-Phosphoglycerat (3-PG) entstehen. Über das 2-PG und das 3-PG mündet der Weg wieder in die Glykolyse ein.[1]

Das für diese Reaktionen verantwortliche Enzym Bisphosphoglyceratmutase (BPGM) ist in seinem Vorkommen auf Erythrozyten beschränkt und weist als trifunktionales Enzym drei verschiedene Aktivitäten auf.[2][3] Es fungiert in Abhängigkeit vom pH-Wert entweder als Synthase (2,3-DPG-Synthase, synonym Bisphosphoglyceratmutase; EC-Nummer 5.4.2.4) für die Umwandlung des 1,3-DPG zu 2,3-DPG oder als Phosphatase (2,3-Bisphosphoglyceratphosphatase; EC-Nummer 3.1.3.13) für die Umsetzung des 2,3-DPG zu 2-PG beziehungsweise 3-PG. Darüber hinaus katalysiert es als Mutase (Monophosphoglyceratmutase; EC-Nummer 5.4.2.1) die Gleichgewichtsreaktion zwischen 2-PG und 3-PG.[3]

Hauptaktivität der BPGM ist dabei die Synthasereaktion vom 1,3-DPG zu 2,3-DPG, die irreversibel verläuft. Über die Phosphoglyceratmutase ist die Umsetzung von 2-PG zu 3-PG auch eine in anderen Zellen ablaufende Teilreaktion der Glykolyse. Die Rückreaktionen vom 2-PG über 3-PG zum 1,3-DPG und damit der Teilprozesse der Glykolyse, die parallel zum Rapoport-Luebering-Zyklus ablaufen, finden im Rahmen der Gluconeogenese statt.

Bilanz und Regulation

Die Reaktion vom 2,3-DPG zum 2-PG und 3-PG verläuft als hydrolytische Spaltung unter Verbrauch eines Wassermoleküls. Im Rapoport-Luebering-Zyklus entsteht im Gegensatz zur Umsetzung von 1,3-DPG zu 3-PG, wie sie unter Beteiligung der Phosphoglyceratkinase in der Glykolyse stattfindet, kein Adenosintriphosphat (ATP). Der Nebenweg über das 2,3-DPG ist damit weniger energieeffizient als der direkte Weg in der Glykolyse.

3-PG und 2,3-DPG selbst inhibieren den Rapoport-Luebering-Zyklus, der damit autoregulatorisch verläuft.[4] 2,3-DPG hemmt darüber hinaus einige in der Reaktionsfolge der Glykolyse vor dem Rapoport-Luebering-Zyklus liegende Enzyme wie beispielsweise die Hexokinase und die Phosphofructokinase.[1] Ein Anstieg der 1,3-DPG-Menge stimuliert hingegen die 2,3-DPG-Bildung. Alle Prozesse der Glykolyse, die über Aktivierung oder Hemmung von Enzymen zu einer Erhöhung der 1,3-DPG-Konzentration führen, beschleunigen damit die 2,3-DPG-Bildung.[4] Auch durch eine Erhöhung des pH-Wertes entsteht vermehrt 2,3-DPG. Der Grund dafür ist, dass der optimale pH-Wert für die Synthase-Aktivität der DPGM bei etwa 7,2 liegt, während die Phosphatase-Aktivität ihr Optimum im sauren Bereich hat und dann gegenüber der 2,3-DPG-Bildung überwiegt. Die Spaltung von 2,3-DPG zu 2-PG beziehungsweise 3-PG durch die Phosphatase-Funktion wird darüber hinaus durch Chlorid, Phosphat und vor allem durch den physiologischen Phosphataseaktivator 2-Phosphoglycolat stimuliert.[3]

Bedeutung

Physiologische Funktion

Kristallstruktur des Hämoglobins, dessen Sauerstoffaffinität durch das im Rapoport-Luebering-Zyklus gebildete 2,3-DPG reguliert wird

Etwa 20 Prozent des in den Erythrozyten in der Glykolyse entstehenden 1,3-DPG wird über den Rapoport-Luebering-Zyklus umgesetzt, der Anteil des dabei gebildeten 2,3-DPG beträgt etwa 50 Prozent aller Intermediate der Glykolyse in den Erythrozyten.[1] Unter physiologischen Bedingungen liegt 2,3-DPG in den roten Blutkörperchen etwa in der gleichen molaren Konzentration wie das Hämoglobin und rund dem Vierfachen der ATP-Konzentration vor.[4] Die Menge an 2,3-DPG wird bestimmt durch das Verhältnis zwischen der Synthase- und der Phosphatase-Aktivität der BPGM.

2,3-DPG fungiert als allosterischer Inhibitor des Blutfarbstoffs Hämoglobin, indem es dessen nicht mit Sauerstoff beladene Deoxy-Form stabilisiert, und reguliert damit umgekehrt proportional zu seiner Konzentration in den roten Blutkörperchen die Bindungsfähigkeit (Affinität) des Hämoglobins für Sauerstoff.[4] Es verbessert auf diese Weise die Sauerstoffabgabe in der Körperperipherie und damit die Sauerstoffversorgung in den Geweben, insbesondere unter ungünstigen Bedingungen wie Zuständen, die mit einem Sauerstoffmangel einhergehen. so führt beispielsweise ein Aufenthalt in Höhenlagen zu einer Steigerung der 2,3-DPG-Konzentration, die etwa zwei Tage nach Rückkehr auf normale Höhe wieder Normalwerte erreicht.[4] Darüber hinaus stellt 2,3-DPG einen erythrozytären Energie- und Phosphatspeicher dar.

Medizinische Relevanz

Enzymdefekte in der Glykolyse, deren Reaktionen hinter der Bildung des 2,3-DPG liegen, resultieren durch einen Anstieg von dessen Konzentration in einer Abnahme der Sauerstoffaffinität von Hämoglobin und damit in einer gesteigerten Freisetzung von Sauerstoff im Gewebe.[1] Umgekehrt führen Defekte in den Reaktionen der Glykolyse vor dem Rapoport-Luebering-Zyklus zu einer Abnahme der 2,3-DPG-Konzentration und damit zu einer Verminderung der Sauerstoffabgabe im Gewebe.

Eine Regulierung der Bisphosphoglyceratmutase zur Senkung der 2,3-BPG-Konzentration in den Erythrozyten wäre beispielsweise therapeutisch von Interesse zur Behandlung von Ischämien und der Sichelzellenanämie.[3] Für Diabetes-Patienten wurde eine Verringerung der BPGM-Aktivität durch Glykation beschrieben.[2] Eine angeborene Defizienz der BPGM ist bisher erst in wenigen Fällen dokumentiert worden.[5] Die betroffenen Personen waren abgesehen von einer sekundären Erythrozytose (vermehrte Bildung roter Blutkörperchen) weitestgehend beschwerdefrei.

Das 2,3-DPG in den Erythrozyten hat neben dem ATP Einfluss auf die Lagerungsfähigkeit von Blutkonserven. Aufgrund des Anstiegs der Laktatkonzentration mit fortschreitender Lagerungsdauer verschiebt sich der pH-Wert des entnommenen Bluts in den sauren Bereich, wodurch das 2,3-DPG verstärkt abgebaut und seine Neubildung gehemmt wird. Durch die Zugabe von Zusätzen wie Dextrose, Adenin, Guanosin und Inosin lässt sich die Abnahme des 2,3-DPG-Gehaltes verzögern und damit die Haltbarkeit und Funktion von gelagertem Blut verbessern.

Entdeckungsgeschichte

Der Rapoport-Luebering-Zyklus ist nach seinem Entdecker, dem deutsch-amerikanischen Biochemiker Samuel Mitja Rapoport, und seiner damaligen technischen Assistentin Janet Luebering benannt, die ihn gemeinsam Anfang der 1950er Jahre in mehreren Veröffentlichungen beschrieben.[6][7] Die Erforschung dieses Stoffwechselweges in den 1940er Jahren führte zur Entwicklung des Citrat- und Dextrose-haltigen ACD-Mediums, mit dem die Haltbarkeit von Blutkonserven von einer auf rund drei Wochen gesteigert werden konnte. Aufgrund der Bedeutung dieser Entdeckung für die Militärmedizin während des Zweiten Weltkrieges wurde Samuel Mitja Rapoport vom US-Präsidenten Harry S. Truman mit dem „President's Certificate of Merit“ geehrt.[8] 2,3-DPG selbst war bereits 1925 erstmals beschrieben und isoliert worden.[9]

Die Eigenschaften der Bisphosphoglyceratmutase als dem zentralen Enzym des Rapoport-Luebering-Zyklus und ihre trifunktionale Aktivität wurden in den 1960er und 19070er Jahren näher charakterisiert,[10][11] 1978 wurde das angeborene Auftreten einer vollständigen BPGM-Defizienz in einem Patienten beschrieben.[12] Zehn Jahre später erfolgte die Isolierung und Charakterisierung des auf dem menschlichen Chromosom 7 liegenden Gens für das Enzym.[13] Im Jahr 2004 wurde die Kristallstruktur des Enzymmoleküls aufgeklärt.[3] Vier Jahre später wurde beschrieben, dass das in verschiedenen Geweben vorkommende Enzym Multiple Inositol-Polyphosphat-Phosphatase (MIPP) ebenfalls eine Aktivität als 2,3-DPG-Phosphatase aufweist.[14] Diese Entdeckung ist für die Regulation der Abgabe von Sauerstoff aus dem Hämoglobin und damit für die physiologische Rolle des Rapoport-Luebering-Zyklus von Bedeutung.

Literatur

  1. a b c d R. van Wijk, W.W. van Solinge: The energy-less red blood cell is lost: erythrocyte enzyme abnormalities of glycolysis. In: Blood. 106(13)/2005. American Society of Hematology, S. 4034–4042, ISSN 0006-4971
  2. a b T. Fujita et al.: Human Erythrocyte Bisphosphoglycerate Mutase: Inactivation by Glycation In Vivo and In Vitro. In: Journal of Biochemistry. 124(6)/1998. Japanese Biochemical Society, S. 1237–1244, ISSN 0021-924X
  3. a b c d e Y. Wang et al.: Crystal Structure of Human Bisphosphoglycerate Mutase. In: The Journal of Biological Chemistry. 279/2004. The American Society for Biochemistry and Molecular Biology, S. 39132–39138, ISSN 0021-9258
  4. a b c d e Georg Löffler, Petro E. Petrides: Biochemie und Pathobiochemie. 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin und Heidelberg 1998, ISBN 3-540-42295-1, S. 994/995
  5. Online Mendelian Inheritance in Man: Eintrag 222800 (siehe Weblinks)
  6. S. Rapoport, J. Luebering: The formation of 2,3-diphosphoglycerate in rabbit erythrocytes: The existence of a diphosphoglycerate mutase. In: The Journal of Biological Chemistry. 183/1950. S. 507–516
  7. S. Rapoport, J. Luebering: Glycerate-2,3-diphosphatase. In: The Journal of Biological Chemistry. 189/1951. S. 683–694
  8. A. Tuffs: Samuel Mitja Rapoport. Nachruf in: British Medical Journal. 329/2004. BMJ Group, S. 353, ISSN 0959-8138
  9. R. Juel: 2,3-Diphosphoglycerate: its role in health and disease. In: CRC Critical Reviews in Clinical Laboratory Sciences. 10(2)/1979. CRC Press, S. 113–146, ISSN 0590-8191
  10. Z.B. Rose: The Purification and Properties of Diphosphoglycerate Mutase from Human Erythrocytes. In: The Journal of Biological Chemistry. 243(18)/1968. The American Society for Biochemistry and Molecular Biology, S. 4810–4820, ISSN 0021-9258
  11. R. Sasaki, K. Ikura, E. Sugimoto, H. Chiba: Purification of bisphosphoglycerate mutase, bisphosphoglycerate phosphatase and phosphoglycerate mutase from human erythrocytes: three enzyme activities in one protein. In: European Journal of Biochemistry. 50(3)/1975. Federation of European Biochemical Societies, S. 581–593, ISSN 1742-464X
  12. R. Rosa, M.-O. Prthu, Y. Beuzard, J. Rosa: The first case of a complete deficiency of diphosphoglycerate mutase in human erythrocytes. In: Journal of Clinical Investigation. 62/1978. American Society for Clinical Investigation, S. 907–915, ISSN 0021-9738
  13. V. Joulin et al.: Isolation and characterization of the human 2,3-bisphosphoglycerate mutase gene. In: The Journal of Biological Chemistry. 263/1988. The American Society for Biochemistry and Molecular Biology, S. 15785–15790, ISSN 0021-9258
  14. J. Cho, J.S. King, X. Qian, A.J. Harwood, S.B. Shears: Dephosphorylation of 2,3-bisphosphoglycerate by MIPP expands the regulatory capacity of the Rapoport-Luebering glycolytic shunt. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 105(16)/2008. United States National Academy of Sciences, S. 5998–6003, ISSN 0027-8424