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Psychohygiene

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Psychohygiene ist die Lehre vom Schutz und der Erlangung der seelischen Gesundheit. Die Psychohygiene ist ein wichtiger Schutzfaktor z.B. gegen die Entstehung von Burnout-Syndromen.

Geschichte

Der Begriff wurde bereits im Jahre 1900 von dem deutschen Psychiater Robert Sommer (1864 - 1937) verwendet, der 1896 die Psychiatrische Klinik Giessen begründet hat. [1] Allerdings erlangte er erst durch die Bemühungen von Clifford Whittingham Beers, die Situation von psychisch Kranken zu verbessern eine größere Bekanntheit. "Der Beginn der modernen Psychohygiene [Mental Health Movement] wird in der Literatur mit Erscheinen des Buches von Clifford W. Beers (USA) ,,A mind that found itself‘ [2] (dt. 1941) festgemacht." [3]

Beers Buch beruhte auf seinen eigenen Erfahrungen als Patient. Beers gründete 1909 das National Committee for Mental Hygiene (heute Mental Health America), um seine Reform der Behandlung von als geisteskrank geltenden Personen fortzusetzen. 1913 gründete er die Clifford W. Beers Guidance Clinic in New Haven:

Die von C. W. Beers und Adolf Meyer [4] 1908 postulierten Hauptaufgaben der Psychohygiene sind:

  1. Sorge für die Erhaltung der geistigen Gesundheit, Verhütung von Geistes- und Nervenkrankheiten und Defektzuständen;
  2. Vervollkommnung der Behandlung und Pflege der psychisch Kranken;
  3. Aufklärung über die Bedeutung der psychischen Anomalien für die Probleme der Erziehung, des Wirtschaftslebens, der Kriminalität und überhaupt der menschlichen Verhaltensweisen.

Diese Aufgaben sollen erfüllt werden durch Förderung der sozialen Fürsorge und Zusammenwirken mit öffentlichen und privaten Wohlfahrtseinrichtungen.

Das Konzept der Psychohygiene, auch psychische Hygiene genannt, spielte eine Rolle im Ghetto Theresienstadt/Konzentrationslager Theresienstadt, wo der Wiener Arzt und Begründer der Existenzanalyse Viktor Frankl ein "Referat für psychische Hygiene" eingerichtet hatte - eine Art Krisenintervention. Die meisten Ankommenden waren unvorbereitet und deshalb schockiert von dem, was sie in Theresienstadt vorfanden. Frankl ging davon aus, daß bei entsprechender Hilfestellung die Überlebenschancen größer seien und bat Regina Jonas um ihre Mitarbeit. Ihre Aufgabe bestand im Empfang der Neuankommenden. Außerdem setzte sie auch unter diesen Bedingungen ihre Lehr- und Predigttätigkeit fort. [5]

Der in Theresienstadt inhaftierte Philosoph Emil Utitz brachte den Begriff dort ebenfalls in Spiel; bereits am 24/11/42 hielt er dort einen Vortrag, auf englisch hieß er The Hygiene of Soul in Theresienstadt. [6]

Heinrich Meng , der 1929 zu den Mitbegründern des Frankfurter Psychoanalytischen Instituts/Sigmund-Freud-Institut gehörte, folgte nach der Auflösung des Instituts im Jahre 1933 dem Angebot einer Schweizer Erziehungsinstitution nach Basel, um dort auf den Gebieten der Pädagogik und Psychohygiene seine Lehren weiter zu entwickeln. Schon nach vier Jahren erhielt er einen Lehrauftrag der Universität Basel und 1945 den Ruf auf den eigens für ihn errichteten ersten europäischen Lehrstuhl für Psychohygiene. [7]. Hier hat Meng in den Nachkriegsjahren ein Forschungszentrum errichtet, zu dem aus aller Welt Gelehrte pilgerten. Mit großzügiger Unterstützung Schweizer Verlage baute er eine wissenschaftliche Bibliothek der Psychohygiene auf. Gleichzeitig wurden in der Schweiz und in anderen Ländern Gesellschaften für Psychohygiene gegründet, die sich den vielfältigen, vorwiegend praktischen Aufgaben des seelischen Gesundheitsschutzes widmeten. [8]

Der deutsche Verband der Psychohygiene war bereits 1924 von dem deutschen Psychiater R. Sommer gegründet worden. [9] Die Allgemeine Ärztliche Zeitschrift für Psychotherapie und psychische Hygiene [10] war das ab 1928 monatlich publizierte und von Anfang an europaweit verbreitete Organ der am 1. Dezember 1927 in Berlin gegründeten Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (AÄGP), die zahlreiche Mitglieder auch in nicht- deutschsprachigen Ländern hatte. 1930 wurde es umbenannt zum Zentralblatt für Psychotherapie und ihrer Grenzgebiete einschließlich der Medizinischen Psychologie und Psychischen Hygiene und seitdem herausgegeben von Ernst Kretschmer, Marburg sowie R. Sommer, Giessen unter der Schriftleitung von R. Allers, Wien sowie A. Kronfeld und J. H. Schultz, Berlin. [11]

Am 20. September 1928 fand in Hamburg die erste Tagung des Deutschen Verbandes für Psychische Hygiene statt. [12].

Die Zweite Deutsche Tagung für psychische Hygiene fand statt in Bonn am 21. Mai 1932 mit dem Hauptthema: Die eugenischen Aufgaben der psychischen Hygiene. [13], [14].

In der Praxis

In der Praxis ist damit das liebevolle Umsorgen, das verständnisvolle Gespräch mit emotionaler Wärme und das Vermitteln von Nestwärme bei der Betreuung von Kranken, Behinderten, Kindern, Alten oder Benachteiligten gemeint. Dazu zählt auch der Besuch von Angehörigen sowie das Rooming in und das Bonding. Besonders in Krankenhäusern, Kinderheimen und Pflegeheimen wird dadurch den Deprivations-Erscheinungen und dem psychischen Hospitalismus vorgebeugt.

Die Aufgaben der Psychohygiene

Aufgaben laut World Federation of Mental Health: "Geistige Gesundheit bedeutet einen Zustand, der die optimale physische, intellektuelle und emotionale Entwicklung des Individuums begünstigt, soweit sich diese Entwicklung mit anderen Individuen verträgt. Eine gesunde Gesellschaft ist diejenige, die eine solche Entwicklung ihrer Glieder sichert und zugleich um ihre eigene Aufwärtsentfaltung, unter Toleranz gegenüber anders getalteten Gesellschaften besorgt ist."

K. Mierke (1967, S.8) sieht drei Ebenen der Psychohygiene: Die präventive Psychohygiene hat die Gesunderhaltung des Individuums und der Gesellschaft zum Ziel. Die restitutive Psychohygiene ist bemüht in Lebenskrisen oder Konfliktsituationen frühzeitig regenerative und korrigierende Maßnahmen einzuleiten. Die kurative Psychohygiene nimmt sich bereits bestehender Einschränkungen an, um diese mit klinischen oder psychotherapeutischen Verfahrensweisen zu heilen.

E. Schomburg formuliert die folgenden Lebensgrundbedürfnisse:

  • 1. Liebe
  • 2. Sicherheit
  • 3. Anerkennung, Bestätigung, Erfolgserlebnisse,
  • 4. Raum zu freiem schöpferischem Tun,
  • 5. Erlebnisse mit Erinnerungswert und
  • 6. Selbstachtung.

Auf das Erhalten oder Erreichen dieser Grundbedürfnisse zielt die Psychohygiene.


Referenzen

  1. Universitätsklinikum Giessen und Marburg GmbH
  2. Text von A mind that found itself online (engl.) Erstveröffentlichung 1907
  3. Psychohygiene während der Alten- und Krankenpflegeausbildung
  4. Adolf Meyer: a Swiss-German professor operating in America,coined the term "Mental Hygiene"
  5. haGalil.com
  6. Elena Makarova, Sergei Makarov, Victor Kuperman: University Over the Abyss, The story behind 520 lecturers and 2,430 lectures in KZ Theresienstadt 1942-1944, Second Edition, Verba Publishers Ltd., Jerusalem 2004, ISBN 965-424-049-1
  7. Diese Quelle sagt: "1938 wurde an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel erstmals in Europa ein "Lektorat für Psychohygiene" eingerichtet, und die Dozentur wurde Heinrich Meng übertragen. Diese hielt er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1957 inne." (also nur eine Professur von 1938-1957.
  8. weitere Informationen über Heinrich Meng (1887-1972) in der Dissertationsschrift von Marion Grimm zur Erlangung des Grades eines Doktors der Medizin des Fachbereichs Humanmedizin, Gießen 2004, Alfred Storch (1888 - 1962): Daseinsanalyse und anthropologische Psychiatrie, 4.16. Heinrich Meng, S. 97, 98
  9. Heinrich Meng zum Gedächtnis
  10. [1]
  11. Geschichte der Psychotherapie in Deutschland im 20. Jahrhundert
  12. Astrid Ley: Zwangssterilisation und Ärzteschaft, Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns 1934-1945, S. 215
  13. []
  14. = V. Werkverzeichnis Ilse Szagunn bis 1945 und ausgewählte Artikel bis 1971/1932d Zweite Deutsche Tagung für Psychische Hygiene. Fortschritte der Gesundheitsfürsorge 6 (1932), S. 281

Literatur

aus der Zeit des Nationalsozialismus

  • Ernst Rüdin: Die Bedeutung der Eugenik und Genetik für die Psychische Hygiene. Zeitschrift für psychische Hygiene 3 (1930), S. 133-147

nach dem II. Weltkrieg

  • Kretz, H. (Hrsg.): Lebendige Psychohygiene 2000 plus, München (Eberhard) 2002
  • Heinrich Meng: Zur Psychohygiene. (= Sonderdruck aus Medizinische Klinik, Jg. 50, H. 3). Mchn. / Bln., Urban & Schwarzenberg 1955. 10 S. (Sign. 170/272)
  • Mierke, K.: Psychohygiene im Alltag. Bern, Stuttgart 1967
  • Müller, K.D.: Einige psychohygienische Erwägungen zur Arbeit in der Sonderschule für Lernbehinderte. Z. Heilpäd. 18 (1967), S. 504-508
  • Tomas Plänkers: Idee und Wirklichkeit einer Psychohygiene. Biographie und Werk Heinrich Mengs (1887-1972). In: Helmut Kreuz (Hrsg.), Lebendige Psychohygiene. München: Eberhard Verlag, 1996, 17-41
  • Helga Reimann, Die Mental-Health-Bewegung : ein Beitrag zur Kasuistik und Theorie der sozialen Bewegung , Tübingen : Mohr, 1967
  • Schomburg, E.: Psychohygiene und Sonderschule. In: Ehrhardt, H.E. (Hrsg.): Aggressivität, Dissozialität, Psychohygiene. Bern/Stuttgart/Wien 1975, Bellingen im Westerwald
  • Thomas Szasz, The Manufacture of Madness: A Comparative Study of the Inquisition and the Mental Health Movement, Reprint, Syracuse University Press, 1997, ISBN 0815604610, dt. Die Fabrikation des Wahnsinns, Olten/Freiburg i.Br. 1974
  • Petra Graneist: Gründung und Wirksamkeit des Verbandes für psychische Hygiene unter besonderer Berücksichtigung der rassenhygienisch-eugenischen Bewegung, Diss. med., Leipzig 1991

Siehe auch