Collatz-Problem
Unter dem Collatz-Problem versteht man die Frage nach dem Verhalten von Iterationen der Collatz-Funktion
Durch wiederholte Anwendung der Collatz-Funktion ergibt sich für jede natürliche Zahl als Startzahl eine Folge, die auch als -Trajektorie von n bezeichnet wird:
z. B. für die Startzahl die Folge
Die 3n+1 Vermutung lautet:
- Wählt man eine beliebige natürliche Zahl als Startzahl, so endet deren -Trajektorie im Zykel (1,4,2).
Trotz zahlreicher Anstrengungen gehört die Collatzsche 3n+1 Vermutung noch immer zu den ungelösten Problemen der Mathematik. Mehrfach wurden Preise für eine Lösung ausgelobt. 1970 bot H. S. M. Coxeter 50 $ für einen Beweis der Vermutung und 100 $ für ein Gegenbeispiel. Bryan Thwaites hat 1996 1000 englische Pfund versprochen. Paul Erdős sagte über das Collatz-Problem: „Mathematics is not yet ready for such problems.“ (Die Mathematik ist noch nicht bereit für solche Probleme.) Er bot 500 Pfund für eine Lösung.
Ursprung und Geschichte
Der Ursprung der 3n+1 Vermutung liegt insofern etwas im Nebel, als aus der mutmaßlichen Entstehungszeit bisher keine schriftlichen Dokumente mit einer Beschreibung des Problems öffentlich zugänglich sind.
Publizierte Quellen
- 1974: Ein Informatik-Lehrbuch[1] enthält die erste schriftliche Publikation des Collatz-Problems.
- 1976: Riho Terras ist der Autor der ersten wissenschaftlichen Publikation mit Forschungsergebnissen zum Collatz-Problem[2].
- 1985: In der Zeitschrift American Mathematical Monthly erscheint ein Überblicksartikel von Jeffrey C. Lagarias[3]. Lagarias berichtet darin über Collatz' Interesse an zahlentheoretischen Funktionen und Graphentheorie, und er zitiert einen Notizbucheintrag vom 1. Juli 1932, in dem Collatz die folgende ganzzahlige Funktion betrachtet:
Diese Funktion besitzt den Fixpunkt 1 und unter Iteration die Zykel (2,3) und (4,5,7,9,6). In dem zitierten Notizbucheintrag stellt Collatz die auch heute noch offene Frage, ob die mit 8 beginnende g-Trajektorie zyklisch wird oder gegen Unendlich divergiert.
- 1985: Bryan Thwaites[4] publiziert die Behauptung, er habe es am 21. Juli 1952 um vier Uhr nachtmittags gefunden.
- 1986: Lothar Collatz lässt eine Darstellung seines Entdeckungswegs zur 3n+1 Vermutung ins Chinesische übersetzen und im Journal einer Universität in China veröffentlichen[5].
Der Collatz-Graph einer Funktion
Collatz' Beschreibung seiner Motivation der 3n+1 Vermutung ist sehr plausibel[6]: Er assoziiert zunächst ganz allgemein zu einer beliebigen Funktion auf den natürlichen Zahlen mit Werten in den natürlichen Zahlen einen gerichteten Graphen, der von Lagarias im oben erwähnten Überblicksartikel Collatz-Graph genannt wird. Der Collatz-Graph einer zahlentheoretischen Funktion
ist ein gerichteter Graph, bestehend aus der Menge der natürlichen Zahlen als Knotenmenge und zu jeder natürlichen Zahl n einer gerichteten Kante von n nach f(n).
Die einfachste solche Funktion ist die Nachfolgerabbildung
deren Collatz-Graph aus einem unendlich langen Weg besteht:
Um mehr Beispiele zu haben, suchte er zunächst nach einer möglichst "einfachen" zahlentheoretischen Funktion, deren Collatz-Graph einen Kreis enthält. Eine solche Funktion muss auf gewissen natürlichen Zahlen n "aufsteigen", also die Relation erfüllen, und auf anderen natürlichen Zahlen m "absteigen", also die Relation erfüllen. So stieß er zunächst auf die Funktion
Den Collatz-Graph dieser Funktion kann man wie folgt beschreiben: Jeder Knoten k ist, nach Definition, eine natürliche Zahl. Falls k>1, besitzt k die beiden Vorgängerknoten k-1 und 2k, und der Knoten k=1 besitzt nur den Knoten 2 als Vorgänger. Außerdem gilt
Daraus folgt
und das hat zur Folge, dass der Collatz-Graph von nur den Kreis (1,2) besitzt, und dass die -Trajektorie zu jeder beliebigen Startzahl in diesen Kreis mündet.
Weil diese Argumentation ziemlich einfach ist, suchte Collatz weiter: der Collatz-Graph der Funktion
enthält keinen Kreis, da jede ungerade Zahl auf eine größere ungerade Zahl abgebildet wird, und die -Trajektorien daher alle gegen Unendlich divergieren.
Der nächste Versuch ist die eingangs definierte Collatz-Funktion f. Zu dieser Funktion fand Collatz nur den "trivialen Kreis" (1,4,2) - er schreibt, er habe seine Ideen deshalb nicht veröffentlicht, weil er nicht beweisen konnte, dass der "triviale Kreis" der einzige sei.
Verbreitung des Collatz-Problems
Als Lothar Collatz 1952 seine Professur in Hamburg antrat, erzählte er seinem Hamburger Kollegen Helmut Hasse von diesem Problem. Dieser verbreitete das Problem während eines Forschungsaufenthalts an der Syracuse University, deshalb erhielt das Collatz-Problem auch den Namen Syracuse-Algorithmus. Stanisław Marcin Ulam (Los Alamos) und Shizuo Kakutani (Yale) haben das Problem immer wieder in Gesprächen gestellt und werden deshalb in diesem Zusammenhang häufig genannt.
Nach Terras' Publikation 1976 begann nach und nach eine rege wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Collatz, die mittlerweile weit mehr als hundert Publikationen mit neuen Forschungsergebnissen umfasst. Im populärwissenschaftlichen Bereich entstanden neue Bezeichnungen:
- Douglas R. Hofstadter[7] nannte in seinem Buch Gödel, Escher, Bach diejenigen Startzahlen, deren Collatz-Trajektorie im Zykel (1,4,2) endet, wondrous numbers (wundersame Zahlen).
- Nach Clifford A. Pickover[8] werden sie auch hailstone numbers (Hagelschlag-Zahlen) genannt.
Prinzipielles
Prinzipiell kann eine f-Trajektorie als Zahlenfolge eine der drei folgenden Eigenschaften haben:
- die Folge endet im 1-Zyklus.
- die Folge wächst über alle Grenzen.
- die Folge gerät in einen anderen Zyklus.
Computer haben alle Zahlen bis 3 * 261 (Stand 2008) durchprobiert; immer endet die Zahlenfolge mit 1, bestätigt also die Vermutung.
Falls eine Folge in einen anderen Zyklus geraten könnte, müsste dieser aus mindestens 275.000 Zahlen bestehen, wie J. C. Lagarias 1985 zeigte. [9]
Lösungsansätze
Man hat mit unterschiedlichen Methoden versucht, das Problem zu lösen. Eine davon ist die systematische Suche nach Gegenbeispielen mit Computerunterstützung.
Collatz-Problem in den ganzen Zahlen
Für das von den natürlichen Zahlen (positive) auf die ganzen Zahlen (Null und negative) ausgeweitete Collatz-Problem, wurden außer dem 1-4-2-1 Zyklus noch vier weitere Zyklen gefunden:
- 0, 0
- -1, -2, -1
- -5, -14, -7, -20, -10, -5 und
- -17, -50, -25, -74, -37, -110, -55, -164, -82, -41, -122, -61, -182, -91, -272, -136, -68, -34, -17.
Verallgemeinerungen des Problems
R. Terras gewinnt Teilerkenntnisse über Zyklen, indem er als Anfangswert auch negative Zahlen zulässt (1976,1979). Marc Chamberland definierte eine stetige Funktion, welche die diskrete Collatz-Folge auf den Bereich der reellen Zahlen erweitert. Simon Letherman, Dierk Schleicher und Reg Wood betrachten Funktionen im Bereich der komplexen Zahlen als Erweiterung.
Graphentheorie
Man untersucht den so genannten Collatz-Baum oder Collatz-Graphen. Dies ist ein Baum, dessen Knotenmenge die Menge der natürlichen Zahlen ist; der Knoten 1 ist die Wurzel des Baums. Jeder Knoten hat einen oder zwei Vorgänger, nämlich die Zahlen, von denen aus durch Anwendung der Iterationsvorschrift der Knoten erreicht wird. 1 hat den Vorgänger 2 (denn 2/2 = 1), 16 hat die Vorgänger 32 und 5 (denn 3*5+1 = 16). Jede Zahl n hat den Vorgänger 2n, und nur die Zahlen n kongruent 4 modulo 6 haben noch einen zweiten Vorgänger, nämlich (n-1)/3.
Mit diesem Graphen beschäftigen sich u.a. Paul J. Andaloro, Stefan Andrei, Manfred Kudlek, Raud Stefan Niculescu. Sie gewinnen unendliche Teilmengen der natürlichen Zahlen, für welche die Collatz-Folge bei 1 endet.
Siehe auch
Weblinks
- (L1) On The 3x+1 Problem and its generalizations Ein Übersichtsartikel zum Collatz-Problem von Jeff Lagarias (englisch) - Diese Abhandlung kann man von http://oldweb.cecm.sfu.ca/cgi-bin/organics/doc_vault/name=paper+access_path=papers/lagarias/vault komplett herunterladen.
- (L2) On The 3x+1 Problem, ein Distributed computing-Projekt, das sich mit dem Collatz-Problem beschäftigt (englisch)
- (L3) Collatz Rechner, Tool zur Berechnung verschiedener Parameter bzgl. des Collatz-Problems (deutsch/englisch)
Literatur
- Günther J. Wirsching: The Dynamical System Generated by the 3n+1 Function, Springer- Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-540-63970-5.
Einzelnachweise
- ↑ Jürg Nievergelt, J.C.Farrar und E.M.Reingold: Computer Approaches to Mathematical Problems, Prentice Hall, Inc., Enlgewood Cliffs, New Jersey, 1974, ISBN 978-0131648555.
- ↑ Riho Terras: A stopping time problem on the positive integers, Acta Arith. XXX (1976), 141-152.
- ↑ Jeffrey C. Lagarias: The 3x+1 Problem and its Generalizations"", Amer. Math. Mon. 92 (1985), 1-23.
- ↑ Bryan Thwaites: My conjecture, Bull., Inst. Math. Appl. 21 (1985), 35-41.
- ↑ Lothar Collatz: About the motivation of the (3n+1)-problem, J. Qufu Norm. Univ., Nat. Sci. 3 (1986), 9-11. (Chinesisch)
- ↑ siehe Günther J. Wirsching: Über das 3n+1 Problem, Elem. Math. 55 (2000), 142-155.
- ↑ Douglas R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach, Penguin Books, Harmondsworth 1980, 400-402
- ↑ Clifford A. Pickover: Hailstone (3n+1) Number Graphs, J. Recreational Math. 21 (1989), 120-123
- ↑ (L1)