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Evidenzbasierte Medizin

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Evidenzbasierte Medizin, kurz EBM (engl. evidence, Aussage, Beweis) "ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten. Die Praxis der EBM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung. "
(Zitat: David L. Sackett et al. "Was ist Evidenz-basierte Medizin und was nicht ?", evidence.de )

Definition

Die EBM stellt einen Paradigmenwechsel in der Medizin dar und beruht auf der Anwendung wissenschaftlicher Methoden, die das ganze Spektrum medizinischer Tätigkeit beinhalten und auch lang etablierte medizinische Traditionen, die noch nie systematisch hinterfragt wurden, einer kritischen Wertung unterzieht.

Geschichte

Das 1972 erschienene Buch "Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services" von Professor Archie Cochrane, einem britischen Epidemiologen, markiert den Beginn der EBM. Seine weitere Arbeit führten zu einer zunehmenden Akzeptanz dieses neuen Konzepts und wurde bald dadurch gewürdigt, dass mehrere Zentren zur Erforschung Evidenzbasierter Medizin (s. Cochrane Zentrum) und eine internationale Organisation - die Cochrane Collaboration - nach ihm benannt wurden.

Der Nutzen der Evidenzbasierten Medizin

Das gesamte medizinische Wissen verdoppelt sich derzeit alle 5 Jahre, wobei einzelne Fachgebiete eine sehr viel stärkere Dynamik aufweisen. Bei der Fülle des be- und entstehenden Wissens ist der einzelne Arzt zunehmend überfordert, das für ihn Bedeutende zu bestimmen. EBM setzt sich das Ziel, die Qualität der veröffentlichten medizinischen Daten zu bewerten und damit auch zu verbessern. Damit dient EBM dem Patienten, dem einzelnen Arzt, der einzelnen Forschungseinrichtung und der Gesundheitspolitik. Allerdings ist die EBM selbst noch eine junge Wissenschaft, die sich ebenfalls weiter entwickelt.

Gerd Gigerenzer befürwortet ein Umdenken von lokalen Traditionen der Krankenbehandlung zu den gesicherten statistischen Fakten der EBM. Für ihn ist schon die Begriffsbildung bezeichnend, da informierte Entscheidungen immer noch eher ein Ideal als die Realität darstellen: man kann sich kaum Naturwissenschaftler vorstellen, die etwa Werbung für evidenzbasierte Physik machen müssen.

Kritik an der Evidenzbasierten Medizin

Die wesentlichen Argumente der Kritiker sind folgende:

  1. Ärzte haben sich "ohnehin schon immer" wie gefordert verhalten.
  2. Eine gute Beweisführung ist in vielen Bereichen der Medizin nicht durchführbar oder zu umständlich.
  3. Fehlen von bewiesenem Nutzen und Fehlen von Nutzen sind nicht das Selbe. So helfen z.B Umschläge mit "Essigsaure Tonerde" als Hausmittel gegen Fieber, obwohl diese noch keinem Doppelblindversuch unterworfen wurden.
  4. Je mehr Daten in großen Studien zusammen gezogen werden, um so schwieriger wird es, den Durchschnittspatienten der Studie mit dem Patienten zu vergleichen, der - im Hier und Jetzt - vor seinem Arzt sitzt.
  5. Kausalitäten können lange ungeklärt bleiben. Statistisch kann man oft nur von Korrelationen sprechen, manchmal von gesicherten Zusammenhängen. Aus anderen als statischen Zusammenhängen (etwa Zellversuche, Tierversuche) kann man manchmal auf eine sichere Kausalität schließen (z.B. bei vielen Infektionskrankheiten).
  6. Weiters werden Trugschlüsse bei den Endpunkten (Surrogat-Marker) von medizinischen Studien diskutiert [1].

Dabei handelt es sich um Kritikpunkte, die im Einzelfall sicher nicht von der Hand zu weisen sind.

Bei allen vorhandenen Problemen hat sich die Evidenzbasierte Medizin allerdings und zumindest in folgendem Punkt als erfolgreich bewiesen: Von der Kanzel herab getätigte Äußerungen "medizinischer Experten" sind hinterfragbar geworden. Ein Mindestmaß an überprüfbaren Belegen reicht nicht mehr aus, eine zunehmend skeptische Kollegenschaft zu beeindrucken. Behauptungen müssen durch Argumente ersetzt werden, die die einschlägige medizinische Litertur untermauern muss. Medizinisches Wissen ist hinterfragbar geworden.

Forderungen der Evidenzbasierten Medizin

Evidenzbasierte Medizin fordert vom Arzt als "Konsumenten" dieses neuen Angebots nicht nur klinische Expertise (d.h. Fachwissen am Krankenbett), sondern auch das Wissen, wie man sich die Ergebnisse guter wissenschaflticher Forschung holt, wie man sie interpretiert und wie man sie anwendet. Expertise ist ebenso gefragt in der Gesprächsführung mit dem Patienten, vor allem in der Besprechung möglicher Nutzen und Risiken der verschiedenen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten.

Weiters - so muss hinzu gefügt werden - ist eine Kenntnis der eigenen Wirkung auf den Patienten genau so gefragt wie ein Bewusstsein darüber, welche Sorte Patient die schwachen Seiten des Arztes zum Vorschein bringt. Allerdings ist Evidenzbasierte Medizin keine Einbahnstraße: Vom mündigen Patienten darf ebenfalls gefordert werden, sich den gegebenen Erkenntnissen der Medizin nicht zu verschließen.

Hierachie der externen Evidenz

EBM ist nicht auf randomisierte, kontrollierte Studien (Abk.: RCTs) und Metaanalysen begrenzt. Dennoch haben sich diese als Goldstandard in der großen Mehrzahl jener Fragestellungen erwiesen, bei denen es darum geht, Nutzen und Risiken von neuen wie alten Therapien zu bewerten.

In der Bewertung (Validierung) der externen Evidenz ergibt sich somit unter Berücksichtigung medizinischer, technischer und statistischer Methoden folgende Rangfolge der erkenntnistheoretischen Qualität von Information in absteigender Reihenfolge:


Quellen


Siehe auch:Anzahl der notwendigen Behandlungen, prospektive Studien, retrospektive Studien, experimentelle Studien, Erkenntnistheorie, Ethik, Medizinische Wirksamkeit, Geschichte der Medizin Stage migration



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