Dehngymnastik
Der Begriff Dehngymnastik umfasst alle Übungen und Methoden des Beweglichkeits- und Dehntraining. Ihnen gemeinsam ist, dass sie Muskeln unter Zugspannung setzen. Im Sport erhofft man sich dadurch hauptsächlich eine Verbesserung der Beweglichkeit mit einer damit verbundenen sporttechnischen und konditionellen Optimierung [1]. Zusätzlich vermutet man eine Verminderung des Verletzungsrisikos [1] [2] , eine positiven Einfluss auf die Erholung [3] der durch Ermüdung verkürzte Muskulatur [4] und eine positive psychische Beeinflussung [3]. Im Bereich der Physiotherapie wird Dehngymnastik eingesetz um muskuläre Dysbalancen zu verringern [5] und pathologische Probleme durch Muskelverkürzungen zu beheben sowie die Wiederherstellung nach Verletzungen zu Beschleunigen [6]. Dehngymnastik, vor allem in Form von Stretching ist populär, was sich unter anderem auch an einer grossen Auswahl von entsprechender Ratgeberliteratur zeigt.
Einteilung der Dehnmethoden
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Methodenkategorien der Dehngymnastik unterscheiden. Das dynamische Dehnen, bei dem der Muskel in Bewegung gedehnt wird und das statische Dehnen, bei dem der Muskel durch ein Verharren in einer bestimmten Position gedehnt wird. Sowohl das dynamische wie auch das statische Dehnen können noch zusätzlich unterteilt werden in aktiv, dass heisst der Muskel wird durch Körperkraft (des Antagonisten) gedehnt oder passiv, das heisst der Muskel wird durch andere Kräfte (Partner, eigenes Körpergewicht etc.) gedehnt. Daraus ergibt sich nach Schnabel et al. [7] folgende Grundeinteilung:
- Dynamische Dehngymnastik
- Aktiv dynamische Dehngymnastik
- Passiv dynamische Dehngymnastik
- Statische Dehngymnastik
- Aktiv statische Dehngymnastik
- Passiv statische Dehngymnastik (Stretching)
Nebst dieser grundlegenden Einteilung in 4 Kategorien können sich die verschiedenen Dehnmethoden nach Wiemann [8] in 5 weiteren Bestandteilen unterscheiden:
- Die Dehnung wird maximal oder submaximal durchgeführt.
- Während der Dehnung entspannt man sich bewusst oder nicht.
- Vor der Dehnung wird der Zielmuskel (der gedehnt werden soll) bewusst angespannt oder nicht.
- Vor der Dehnung wird der Antagonist des Zielmuskels bewusst angespannt oder nicht.
- Zwischen der Anspannung und der Dehnung entspannt man sich bewusst oder nicht.
Zusammen ergeben sich 9 Dehnungsmodule die sich fast beliebig kombinieren lassen und durch diesen Umstand die Menge an verschiedenen Dehnmethoden erklären.[8]
Aufwärmen
Das Aufwärmen dient im Sport einerseits der Erwärmung der Muskulatur vor dem Training bzw. sportlichem Wettkampf, andererseits wird es auch vor Dehnübungen dringend empfohlen. Dabei ist es wichtig, die Muskulatur zunächst nur innerhalb ihrer ohne Mühe erreichbaren Amplitude zu belasten.
Schwunggymnastik
Die Schwunggymnastik wird auch ballistisches Dehnen genannt, da der zu dehnende Muskel kurz und wippend gedehnt wird. Diese Art der Dehnung ist nicht mit dem modernen dynamischen Dehnen zu vergleichen, bei dem die Muskeln durch kontrollierte und langsame Bewegungen an ihre Bewegungsgrenzen geführt werden.
Durch die kurzen Wippbewegungen werden die Muskeln meist überdehnt und es besteht ein hohes Verletzungsrisiko.
Diese Art der Dehnung aktiviert den Muskel und erhöht den Muskeltonus. Das heißt der Muskel wird nicht länger, sondern in seiner Verkürzungsneigung unterstützt.
Statische Dehntechniken
Diese Art des Dehnens, das Stretching, kann entweder rein passiv oder aber unter Ausnutzung neuromuskulärer Vorgänge zum vollständigen Entspannen des zu dehnenden Muskels erfolgen.
Passive statische Dehnübungen
Sie sind die bekannteste Ausführungsform des Stretchings. Beim rein passiven statischen Dehnen wird dem Muskel nach Einnehmen der Dehnstellung nur noch eine kleine Änderung der Position zum weiteren Dehnen gegeben. Durch die Änderung der Dehnstellung kommt es zur Zunahme des Widerstandes, doch nur solange es nicht schmerzhaft ist. Richtiges Dehnen muss daher erlernt werden.
Dauer der Dehnphasen
Über die Dauer der Dehnphase gibt es unterschiedliche Angaben, ausreichend ist aber eine Zeit von 15 – 30 Sekunden. Über die gesamte Zeit der Dehnphase sollte ein normaler Atemrhythmus vorhanden sein. Die Dehnung der Muskulatur kann nur dann optimal erfolgen, wenn auch der allgemeinen Entspannung genügend Beachtung geschenkt wird.
Die Dauer variiert je nach Trainingsart und Intensität und richtet sich außerdem nach Wettkampf und Wettkampftyp. Nach aktuellsten Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass Dehnen vor Wettkämpfen, die von ihrer Schnellkraft leben, eher leistungsmindernd wirkt. Demnach führt eine optimale sportartspezifische Erwärmung ohne Dehnen oder nur mit einer geringfügigen Dehnung zu einem Optimum an Leistung im Wettkampf. Sollte trotzdem eine Dehnung angewandt werden, so ist es ratsam, kurz darauf das neuromuskuläre System mit kurzen und schnellen Impulsen anzusteuern.
Eine lange und ausgiebige Dehnung, die teilweise Minuten dauern kann, dient in erster Regel der Regeneration, Flexibilität und dem Muskelzuwachs. Daher sollte eine derartige Dehnung nach dem Training oder Wettkampf durchgeführt werden.
Wirkung
Durch Aufwärmen, nicht aber durch Dehnung, erfolgt eine bessere Blutversorgung der Muskeln und somit eine erniedrigte Tendenz zu Rupturen. Schnellkraft und Maximalkraft werden durch Dehnung allerdings, entgegen der weitverbreiteten Annahme, nach einer Studie von Klee und Wiemann um bis zu 5 - 7 % vermindert. Weiterhin ist die Behauptung, Dehnung könne Muskelkater vorbeugen, falsch; im Gegenteil - intramuskuläre Verletzungen können durch intensives Dehnen sogar entstehen oder verstärkt werden. Bei Muskelkater sollte man sich nicht dehnen, da der Muskel sonst weiter verletzt werden würde.
Siehe auch: PNF-Stretching
Kritik
Es gibt bis heute keine wissenschaftlichen Studien, die ein geringeres Verletzungsrisiko beim Sport durch vorheriges Dehnen nachweisen. Aufgrund der durch das Dehnen verursachten vorübergehend verringerten Leistungsfähigkeit des Muskels (Absenkung des Tonus) und der Minderung seiner Schutzfunktion (Abklingen des Dehnreflexes) sollte Stretching vor Wettkämpfen und Krafttraining nur sparsam eingesetzt werden.
Diverses
Stretching ist keine Wettkampfdisziplin. Es ähnelt auch darin den Asanas im Yoga, die Meditation vorbereiten helfen.
Literatur
- Bob Anderson: Stretching, engl. Originalausgabe erschienen 1980, dt. Übersetzung 1991, ISBN 3-453-00385-3
- Karin Albrecht, Stephan Meyer: Stretching und Beweglichkeit. Das neue Expertenhandbuch (Taschenbuch), 2005, ISBN 3830472218
- Christoph Anrich: Supertrainer Stretching und Beweglichkeit (Taschenbuch), 2005, ISBN 3499610477
- Ludwig V. Geiger: Überlastungsschäden im Sport. BLV Verlagsgesellschaft, München 1997, ISBN 3-405-15149-X, S. 76.
- Andreas Klee, Klaus Wiemann: Zur Problematik des Dehnens in der Gymnastik - theoretische und experimentelle Überlegungen. In: Klaus-Jürgen Gutsche, Hans J. Medau: Gymnastik im neuen Jahrtausend. Hofmann, Schorndorf 2002, ISBN 978-3-7780-3472-9 (Als pdf vorhanden).
- Günther Schnabel , Dietrich Harre, Alfred Bode (Hrsg.): Trainingswissenschaft. Leistung Training Wettkampf. 2., stark überarbeitete und verbesserte Studienausgabe Auflage. Sportverlag, Berlin 1997, ISBN 3-328-00742-3.
- Sven A Sölveborn: Das Buch vom Stretching. Beweglichkeitstraining durch Dehnen und Strecken. Mosaik Verlag, München 1989, ISBN 3-570-03416-X, S. 126.
- Jürgen Weineck: Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings. 15., vollständig überarbeitete Auflage. Spitta Verlag, Balingen 2007, ISBN 978-3-938509-15-9.
Weblinks
- Praktische Tipps zum Dehnen von TricksTutorials.com (englisch, private Homepage)
- http://www.sportunterricht.de/lksport/aufab.html (Private Homepage eines Sportlehrers)
- http://www.nostretch.de/ (Private Homepage eines Physiotherapeuten)
- Überblick über neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Dehnen von Dr. Kurt A. Moosburger, Sportarzt
- "Stretching – Suche nach Erklärungen" von Fritz Zahnd, University of South Australia, Schweiz
- "philognosie.net - 13 Übungen"
Einzelnachweise
- ↑ a b Jürgen Weineck: Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings. 15., vollständig überarbeitete Auflage. Spitta Verlag, Balingen 2007, ISBN 978-3-938509-15-9, S. 739.
- ↑ Sven A Sölveborn: Das Buch vom Stretching. Beweglichkeitstraining durch Dehnen und Strecken. Mosaik Verlag, München 1989, ISBN 3-570-03416-X, S. 126.
- ↑ a b Jürgen Weineck: Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings. 15., vollständig überarbeitete Auflage. Spitta Verlag, Balingen 2007, ISBN 978-3-938509-15-9, S. 740.
- ↑ Bernhard Kolster: Medizinische Trainingstherapie. In: In: Bernhard Kolster, Gisela Ebelt-Paprotny, Martin Hirsch (Hrsg.): Leitfaden Physiotherapie. Befunde, Techniken, Behandlung, Rehabilitation. korrigierte Nachauflage Auflage. Jungjohann Verlagsgesellschaft, Neckarsulm 1995, ISBN 3-8243-1316-2, S. 618–636 (634).
- ↑ Ludwig V. Geiger: Überlastungsschäden im Sport. BLV Verlagsgesellschaft, München 1997, ISBN 3-405-15149-X, S. 76.
- ↑ Jürgen Weineck: Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings. 15., vollständig überarbeitete Auflage. Spitta Verlag, Balingen 2007, ISBN 978-3-938509-15-9, S. 741.
- ↑ Günther Schnabel , Dietrich Harre, Alfred Bode (Hrsg.): Trainingswissenschaft. Leistung Training Wettkampf. 2., stark überarbeitete und verbesserte Studienausgabe Auflage. Sportverlag, Berlin 1997, ISBN 3-328-00742-3, S. 231.
- ↑ a b Andreas Klee, Klaus Wiemann: Zur Problematik des Dehnens in der Gymnastik - theoretische und experimentelle Überlegungen. In: Klaus-Jürgen Gutsche, Hans J. Medau: Gymnastik im neuen Jahrtausend. Hofmann, Schorndorf 2002, ISBN 978-3-7780-3472-9, S. 4 im pdf (Als pdf vorhanden).