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Erich Itor Kahn

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Erich Itor Kahn (* 23. Juli 1905 in Rimbach im Odenwald, † 5. März 1956 in New York) war ein deutscher Musiker, der als Jude und Komponist sogenannter "entarteter Musik" von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben wurde. Sein Werk steht im engen Zusammenhang mit der Schönberg-Schule und der Zwölftonmusik.

Leben

Kahn wurde am 23. Juli 1905 in Rimbach im Odenwald als Sohn eines jüdischen Kantors, der aus dem damals russischen Baltikum stammte, geboren. Seine Mutter war Deutsche. Bald nach seiner Geburt übersiedelte die Familie nach Königstein im Taunus bei Frankfurt am Main, wo der Vater eine Kantorstelle in der dortigen jüdischen Gemeinde übernahm. Kahn erhielt Klavierunterricht von seinem Vater, der die Begabung seines Sohnes sehr früh erkannte. Die Eltern verhielten sich anfangs gegenüber dem Wunsch ihres Sohnes, Berufsmusiker zu werden, ablehnend; ein Studium im nahen Frankfurt am Main bedeutete damals bei schlechter Verkehrsanbindung beschwerliche, zeitraubende Wege. Dennoch setzte der Sohn sich durch und begann seine Ausbildung am Hoch'schen Konservatorium in Frankfurt am Main. Da die Familie nicht begütert war, bedeutete dies, dass Kahn sein Studium durch Klavierstunden und Musizieren in den Kaffeehäusern verdienen musste. Nachdem er sein Examen an der Hochschule mit Auszeichnung absolviert hatte, fand er, nach kurzem Aufenthalt in Würzburg, eine Anstellung bei Radio Frankfurt, die es ihm ermöglichte sein Talent als Konzertpianist und mit ersten Kompositionen unter Beweis zu stellen.

Durch seine Tätigkeit beim Rundfunk kam Kahn mit den Vertretern zeitgenössischer Musik in Verbindung. Frankfurt bildete ein Zentrum modernen Musiklebens; erwähnt seien an dieser Stelle nur zwei bedeutende, wenn auch in unterschiedliche musikalische Richtung tendierende, Frankfurter Vertreter der neuen Musik, die mit Kahn in freundschaftlicher Beziehung standen: Paul Hindemith und Theodor W. Adorno. Kahns eigene Kompositionen waren der Zwölftonmusik der Schönberg-Schule verpflichtet, obwohl er nie direkter Schüler Schönbergs war.

In dieser überaus fruchtbaren Zeit vor der nationalsozialistischen Machtübernahme profilierte sich der junge Kahn als Konzertpianist und Interpret moderner Musik. Adorno, der damals Konzertkritiken in Frankfurt schrieb, rühmt die materialgerechte Präzision und Vertrautheit Kahns mit der Ästhetik der Avantgarde. Beide trafen sich in ihrer reflektierten Einstellung gegenüber der Schönbergschen Lehre, indem sie die Zwölftontechnik als revolutionäre Komponierweise verstanden, die aber der Steigerung des Ausdruckscharakters moderner Musik zu dienen habe. Kahn sprach in diesem Zusammenhang von der Gefahr von "Robotermusik".

Trotz seiner Erfolge machte sich Kahn wenig Illusionen über die bedrohliche politische Situation. Seine Frau Frida, die mit ihrer jüdischen Familie aus Russland zur Zeit der bolschewistischen Revolution geflohen war, bestärkte ihn darin. Bereits in den frühen Kritiken, die seine Kompositionen in Würzburg und andernorts hervorgerufen hatten, war der latente Antisemitismus der Zeit vor Hitler deutlich spürbar gewesen.

Erich Itor Kahn ging daher 1933 mit seiner Frau nach Frankreich ins Exil, wo er in Paris trotz widriger Bedingungen unbeirrt an seinen Kompositionen arbeitete. René Leibowitz gehörte dort zu seinen engen Freunden. Seine Frau, selbst eine begabte Pianistin, trug mit Klavierunterricht zum Unterhalt bei. Nach Kriegsbeginn wurden die Kahns in Frankreich in verschiedenen Lagern interniert und teilten die Lebensbedingungen vieler anderer Exilanten, darunter z.B. Künstler und Intellektuelle wie Max Ernst und Walter Benjamin. Es begann eine Odyssee durch verschiedene französischen Lager, in denen sie auf ihre Ausreise in die USA hofften.

Kahn und seiner Frau Frida gelang es schließlich, mit Hilfe des Flüchtlingskomitees des Amerikaners Varian Fry über Marseille und Casablanca 1941 in die USA zu emigrieren. Im Unterschied zu vielen europäischen Asylanten hatte Kahn das Glück, auch in den USA Karriere zu machen. Er trat als Klaviersolist auf, gründete dann mit seinen Freunden Alexander Schneider, Violine, und Ben Heifetz, Cello, das Albeneri-Trio, mit dem er erfolgreich Gastspielreisen unternahm und in New York auftrat, wo er sich niedergelassen hatte. Als Komponist gelang ihm jedoch nicht der Durchbruch. Bei einer Europareise fand er in Deutschland viel Beachtung in den Kreisen der Avantgarde. Seine Kompositionen wurden vor allem durch die Vermittlung des mit ihm befreundeten Dirigenten Hans Rosbaud und anderer aufgeführt und auch im Rundfunk gesendet.

1955 erkrankte Kahn plötzlich nach einem Konzert an den Folgen eines Hirntumors und starb, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben, am 5. März 1956 in New York.

Erst seit kurzem erinnert man sich auch in Deutschland wieder dieses bedeutenden Vertreters der neuen Musik, dessen Werke den Nazis als "entartet" galten. Kahns Frau Frida überlebte ihn um viele Jahrzehnte, in denen sie bestrebt war, das Werk ihres Mannes der Öffentlichkeit in Erinnerung zu bringen.

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Zitat

Folgendes Zitat verdeutlicht Kahns musikästhetische Position und seine Nähe zur Theorie Adornos: "Ich glaube, daß inmitten einer Zeit der Weltkrise auch die Kunst dieser Krise unterworfen ist. In einer Epoche, da es keine Stabilität der Ausdrucksmittel und des Stils gibt, da alles Vollendete kurzlebig scheint, da eine endgültige Realisation in dem Maße, wie sie sich als wahr erweist, auch als dialektische Auseinandersetzung mit dem Material auftritt, als Erschütterung, als Veränderung, als eine Art Abschied - inmitten einer solchen Zeit hat der Komponist nur einen einzigen Stützpunkt: die Rechte und Pflichten, die sich aus der ererbten historischen Lage der Musik ergeben zugleich mit der geistigen Vision ihres Ausdruckswillens. Die erste und entscheidende Frage ist diese: wie weit können wir gehen, ohne die Vergangenheit zu verraten, und was müssen wir bewahren, ohne die Zukunft zu verraten?" (Das Zitat stammt aus einer Einführung Kahns zu seinem "Actus Tragicus". Zit. n. Katharia Schmidt, Programmheft 2003, Bachchor Stuttgart, Konzert v. 18.04.03)

Werke (Auswahl)

Kompositionen:

  • Trois chansons populaires: J'ai repousse la bonne rive/D'ou vient ou le soleil s'en est allé/Dessus l'herbe
  • Ciaconna di tempi di guerra (1943)
  • Nenia Judaeis Qui Hac Aetate Peierunt (1940-41) (Kahn schrieb dieses Werk "in Erinnerung an die Juden, die im Holocaust ermordet wurden", nachdem es ihm in Frankreich die Flucht aus einem Internierungslger gelungen war)
  • Actus Tragicus für 10 Instrumente (1946)
  • Three Bagatelles: Moderato (for Erich Schmid)/Adagio-Vivo-Adagio (for René Leibowitz)/Poco allegro (for Beveridge Webster)
  • Four Pieces On Medieval German Poems: Maria ging wohl langs dem Meer/Ich wollt mich zur lieben Maria/Maria durch ein' Dornwald ging/Ave maria, ein Ros' ohn alle Dorn

Literatur

  • Juan Allende-Blin: Erich Itor Kahn
  • Juan Allende-Blin/Klaus Linder: Werkverzeichnis (Beide Aufsätze in: Musik-Konzepte Heft 85: Erich Itor Kahn. 1994)