Tur Abdin
Das Kalksteingebirge Tur 'Abdîn (aramäisch ܛܘܪ ܥܒܕܝܢ, Ğabal Tur oder Tur, übersetzt „Berg der Knechte [Gottes]“) liegt am Oberlauf des Tigris im Südosten der Türkei.
Lage
Im Süden, bei Mardin, fällt der Gebirgsstock steil ab. Im Südosten liegt der Vulkankegel des Elim Dağ. Der Tigrisdurchbruch bildet die östliche Grenze. Im Norden grenzt der Tur Abdin an die Ebene von Diyarbakır. Die Westgrenze ist schlecht definiert und wird durch das Vulkanmassiv des Karaça Dağ gebildet.
Der Tur Abdin ist eher hügelig denn als eigentliches Gebirge ausgebildet. Eine Ausnahme bildet der Steilabfall bei Mardin. Er wird von einigen fruchtbaren Tälern durchzogen, etwa das Tal von Gercüş. Das Gebirge war früher dicht bewaldet.
Name
Der akkadische Name des Tur Abdin lautete vermutlich Nawar. In assyrischer Zeit hieß es Ka(š)šiari (KURka-ši-a-ri, ḪUR.SAG ka-ši-ya-ra, ḪUR.SAG ga-ši-ya-ar-ri) und bildete eine eigene Provinz. Versuche, den Namen auf den Stamm der Kaška zurückzuführen[1], werden allgemein abgelehnt[2]. Der Name Kaschiari scheint auch das Gebiet westlich des eigentlichen Gebirges, also die Gegend von Harran umfaßt zu haben, zu mindest zur Zeit Adad-nirari II.. Das Gebiet um Mardin hieß auch Is.alla, der Begriff bezeichnete jedoch vermutlich vor allem den Karaça Dağ. Unter Assurnasirpal war ein Teil des Gebirges als KURNerebu bekannt, seine genaue Lage ist jedoch umstritten.
Der lateinische Name lautete Masius, vermutlich von aramäisch Masch. Das Gebiet um Mardin trug in römischer und byzantinischer Zeit den Namen Izala, vermutlich abgeleitet von der assyrischen Landschaft Is.alla, deren Zentrum jedoch weiter westlich lag.
Bewohner
Die antiken Bewohner waren Aramäer. Die aramäischen Dörfer existierten bereits vor der Zeitenwende und tragen noch heute aramäische Namen.
Geschichte
Vermutlich überschritt bereits der akkadische Herrscher Naram-Sin das Gebirge. Es wird auch angenommen, daß die altassyrischen Handelsrouten nach Anatolien über das Gebirge führten. Die älteste Erwähnung des Tur Abdin findet sich in einer Keilschrifturkunde aus Boğazköy, die von dem Verlust eines silbernen Gefäßes (a-ga-nu KÙ.Babbar) im Kaschiarigebirge handelt. Der Vertrag zwischen dem hethitischen Großkönig Šuppiluliuma I. und Tette von Nuhašše erwähnt das Gebirge (KBo I 4).
Assyrer
Das Gebirge wurde erstmals von Adad-nirari I. und Šulmanu-ašared I. erobert. Feldzugsberichte von Tukulti-Ninurta I., Tiglat-Pilesar I., Assur-bel-kala, Tukulti-Ninurta II., Adad-nirari II., Assurnasirpal II. und Šulmanu-ašared II. erwähnen eine Überschreitung. Angaben zur genauen Route fehlen meist. In der Zeit Assurbanipals II. gab es im Tur Abdin Wingerte[3], Wein gehörte auch zum Tribut an Assyrien. Wein wurde hier noch im 19. Jahrhundert angebaut. Das Gebirge war für die Assyrer vor allem von militärischer Bedeutung, sicherte seine Kontrolle doch den Zugang zu den Kupfervorkommen von Ergani und der fruchtbaren Ebene von Diyarbakir.
Römisches Reich und Byzanz
Die Bewohner vom Tur Abdin sollen bereits im 1. Jahrhundert von den Aposteln Thomas und Thaddäus zum Christentum bekehrt worden sein.
Vom 4. bis 7. Jahrhundert bildete der Tur Abdin die Grenze zwischen Byzanz und dem Reich der Sassaniden. Während die Eroberung durch die Araber nach 640 zunächst die Befreiung von der Verfolgung der byzantinischen Reichskirche zur Folge hatte, verschlechterte sich die Lage der Christen nach dem Sieg der Seldschuken in der Schlacht von Manzikert 1071. Der Tur Abdin wurde von Timur Lenk um 1400 massiv geplündert und Siedlungen zerstört.
Neuzeit

Besonders im 19. und 20. Jahrhundert kam es zu Massakern an Aramäern, durch die osmanischen/türkischen Armee und kurdischen Banden. 1915 kam es während des Völkermord an den Aramäern zu Belagerungen und zum Verteidigungskampf der christlichen Aramäer in Inwardo und Hah sowie im Kloster Mor Malke. In den 1930er-Jahren unter Atatürk wurden die meisten Ortsnamen türkisiert.
Während der letzten Jahrzehnte fand ein Exodus der Christen nach Syrien, Libanon, Irak, Nordamerika, Europa und Australien statt. Heute leben in Tur Abdin noch etwa 2000 aramäische Christen, die zum größten Teil Angehörige der Syrisch-Orthodoxen Kirche sind.
Tur Abdin heute
Die Sprache der im Tur Abdin lebenden Aramäer ist ein nord-westlicher aramäischer Dialekt, der Turoyo (Bergsprache) genannt wird.
Die Dörfer Hah, Bequsyone, Dayro da-Slibo, Kerjose (türk. Gercüs), Kfarze, Salah, Midyat, Aynwardo, Mizizah, Anhel (türk. Yemişli), Kafro Tahtayto, Arkah, Beth Sbirino, Beth Kustan, Midun und das östlich von Tur Abdin gelegene İdil (aramäisch Beth Zabdaj) werden noch von aramäischen Christen bewohnt. In Mardin, das nicht mehr zum Tur Abdin gehört, leben ebenfalls noch Aramäer.
Kirchen

Zu den ältesten noch heute bestehenden Klöstern gehört Mor Gabriel (Qartmin), eine Gründung aus dem 4. Jahrhundert, sowie das Ananiaskloster („Dayr Za'faran“) mit einer Kirche aus dem 6. Jahrhundert, das für Jahrhunderte auch Sitz des Patriarchen bzw. Gegenpatriarchen der Jakobiten war. Beide Klöster sind bis heute Bischofssitze der Syrisch-orthodoxen Kirche.
Der Bischofssitz der ersten Diözese vom Tur Abdin war Hah, damals die Metropole vom Tur Abdin und Königsstadt. .
Im Kloster Mor Gabriel residiert Mor Timotheus Samuel Aktas, der Metropolit der Syrisch-Orthodoxen Diözese von Tur Abdin und im Ananiaskloster (Dayr Za'faran) residiert Mor Philuxinus Saliba Özmen, der Metropolit von Mardin. Weitere noch genutzte Klöster sind Mor Malke, Mor Yakob in Salah, Mutter-Gottes in Hah und Mor Hananyo.
Trotz aller Massaker und Zerstörungen blieben einige wertvolle Handschriften erhalten, die sich zum Teil in west- und mitteleuropäischen Bibliotheken befinden. Der Mar-Gabriel-Verein in Reinbek und die Initiative Christlicher Orient (ICO) bemühen sich um die Erhaltung der letzten christlichen Dörfer und Klöster in der heutigen Türkei.
Siehe auch
Literatur
- Helga Anschütz: Die syrischen Christen vom Tur Abdin. Eine altchristliche Bevölkerungsgruppe zwischen Beharrung, Stagnation und Auflösung. Würzburg 1984.
- L. Dillemann, Haute Mésopotamie.
- Hans Hollerweger: Turabdin, Lebendiges Kulturerbe Linz 1999.
- Karlheinz Kessler, Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens, Wiesbaden 1980.
- Andrew Palmer: Monk and Mason on the Tigris Frontier. The Early History of Turabdin. Cambridge 1990.
Quellen
- ↑ E. von Schuler, die Kaškäer
- ↑ Karlheinz Kessler, Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens, Wiesbaden 1980, 23
- ↑ Karlheinz Kessler, Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens, Wiesbaden 1980, 24