Werner Sellhorn

Werner "Josh" Sellhorn (* 1930 in Hamburg) ist ein deutscher Lektor und Musikwissenschaftler.

Seinen Spitznamen bekam er wegen seiner Begeisterung für den farbigen amerikanischen Bluessänger Josh White.

Leben und Schaffen

Nach dem Studium von Geschichte und Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin, mußte er sich 1958 "in der Produktion bewähren" (eine übliche Strafmaßnahme in der DDR), da fehlende Parteidisziplin und politisch abweichende Ansichten dem Jazzbegeisterten einen (SED-)Partei-Ausschluß eingebracht hatten. In dieser Zeit wurde er vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als "Gesellschaftlicher Informant" (GI) angeworben und sollte vor allem Bühnen-Auftritte verschiedener Künstler und Jazzkonzerte z.B. in West-Berlin beurteilen, was er auch schriftlich tat. Durch seine Unzuverlässigkeit, gerade in politischen Bewertungen, kamen beide Seiten überein, den Kontakt 1960 wieder abzubrechen. Ein in Aussicht gestellter Wiedereintritt in die SED fand nie statt.

So arbeitete er nach der Bewährungszeit freiberuflich als Dozent und später als Lektor beim Eulenspiegel Verlag Dann bekam er eine Stelle als Werbeleiter im Verlag Volk und Welt. 1963 rief er im Auftrag dieses Verlages die Verlagswerbeveranstaltungen „Jazz und Lyrik“ sowie später „Lyrik - Jazz - Prosa“ ins Leben, die nahezu hundertmal in vielen Städten der DDR aufgeführt wurden und riesige Publikumsresonanz fanden. Die musikalische Seite wurde vertreten durch die Berliner Amateurband Jazz-Optimisten Berlin mit ihrem swingenden Dixielandjazz und dem Jazzgesang des Schauspielers Manfred Krug. Anknüpfend an die damals große Begeisterung vieler für Lyrik wurden Gedichte - hauptsächlich heiterer und satirischer Art - aus den Büchern des Verlages ausgewählt, die auch von Krug vorgetragen wurden. Allmählich kamen auch immer mehr Prosatexte hinzu. Neben der Stammbesetzung traten weitere Solisten auf wie die Jazzsängerin Ruth Hohmann, die Schauspielerinnen und Schauspieler Eberhard Esche, Gerry Wolf, Angelika Domröse, Annekathrin Bürger, der Kabarettist Gerd E. Schäfer, der Liedermacher Wolf Biermann u.a.. Die teilnehmenden Künstler streikten 1965 in der Kongreßhalle am Berliner Alexanderplatz, indem sie die Veranstaltung nicht begannen, um der gerade erfolgten Verhaftung Wolf Biermanns entgegenzuwirken. Tatsächlich konnte Biermann so freigepresst werden, Sellhorn als Verantwortlicher wurde jedoch entlassen und mit einem Berufsverbot in belletristischen Verlagen der DDR bis zu deren Ende belegt. Freiberuflich war er dennoch als Lektor, Herausgeber und Nachwortautor tätig - z.B. der "Erzählungen" von B. Traven (Volk & Welt), dem Humor-Sammelband "Das Tier lacht nicht" (Eulenspiegel) u.v.m.. Auch schrieb er häufig die Artikel der Schallplattenrückseiten für die DDR-Lizensausgaben namhafter, meist amerikanischer Jazz-Interpreten.

Er arbeitete in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten der DDR als Manager und Ansager von Jazzgruppen wie der Klaus Lenz Band, Manfred Krug, Etta Cameron, Modern Soul Band, der Gruppe „Uschi Brüning & Co“, des Günther Fischer Quintetts u.a.. Außerdem reiste er mit Schallplattenvorträgen über Jazz und Rock durch die DDR-Bezirke. 1972 kam das MfS nocheinmal auf ihn zu und er willigte ein, kulturpolitische Probleme zu besprechen. Diesmal ohne persönliche Berichte, es existieren 2 Gesprächs-Zusammenfassungen, die allerdings zeigen, daß Sellhorn versuchte, die Künstler zu schützen, indem er sie als linientreu beschrieb. Nun war er Inoffizieller Mitarbeiter (IM), und zwar bis Ende 1976. Wieder wurde der Kontakt abgebrochen, diesmal wegen Sellhorns Unterschrift unter den "Offenen Brief der Schriftsteller und Künstler" gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. (Siehe "Meine Kontakte zur Stasi" Heft 13 / Seite 50 und Dokumententeil zum GI/IM »Zirkel« Heft 13 / Seite 53 der Zeitschrift Horch und Guck) Mit dem gemeinsamen Programm "Kurt Tucholsky & Songs von heute" schuf er eine Möglichkeit für Bettina Wegner, deren Auftritte Ende der 1970er Jahre ständig verboten wurden, noch auf Tournee zu gehen. Bis zum Ende der 1980er stellte er auch neben den Schallplattenvorträgen und den Jazz-Veranstaltungen literarische Folksong- und Liedermacher-Programme zusammen - mit Peter Bause, Mike Friedman sowie seinem Sohn Karsten Troykeu.a.. Nach dem Fall der Mauer ergaben sich wieder gemeinsame Arbeiten mit Künstlern, die schon länger im Westen waren: Lese- und Konzertabende mit Bettina Wegner, CD-Kompilationen für Manfred Krug, ein neues Projekt mit Hermann Anders (Yiddish Anders mit Karsten Troyke) u.a. Von 1992 - 1994 war er Chefredakteur der Zeitschrift Horch und Guck, die sich der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit widmet, wurde jedoch vom damaligen Vorsitzenden des Trägervereines "Bürgerkommitee 15. Januar" Hans Schwenke entlassen. (Schwenke hatte von Wolf Biermann erfahren, daß Sellhorn als IM "Zirkel" geführt worden war.)

Josh Sellhorn gibt bis heute immer wieder CDs heraus, Editionen u.a. für Buschfunk, Eulenspiegel und Amiga, schreibt Rezensionen und stellt Diskografien zusammen. Unter dem Titel "Jazz - Lyrik - Prosa" wurde im Frühjahr 1997 die Idee der 1960er Jahre wieder aufgegriffen und neue Programme mit z.T. auch einstmals Mitwirkenden (wie z.B. Ruth Hohmann) entstanden. Der Jazz-Begriff wurde erweitert, Ulrich Gumpert, Günther Sommer oder Ernst-Ludwig Petrowsky z.B. stehen für modernere Formen, Trio Scho oder Pascal von Wroblewsky für Fusion und die literarische Seite vertreten wieder namhafte Schauspieler(innen) wie Walfriede Schmitt, Günther Junghans, Ursula Karusseit u.a.. Satiriker wie Wiglaf Droste und Ernst Röhl z.B. bringen (aktuell-)Politisches. Sellhorn stellt auch heute die Programme zusammen und moderiert die Veranstaltungen. Er schreibt außerdem an einer Autobiografie.

Veröffentlichungen

• Buch: "Jazz - DDR - Fakten. Interpreten, Diskographien, Fotos, CD"; Berlin 2005; Neunplus 1 Edition Kunst; 297 Seiten; 35,80 Euro; ISBN 3-936033-19-6

Tonträger (Auswahl):

• 1995 CD "JAZZ – LYRIK – PROSA" Amiga/Hansa Musik/BMG 74321326192
• 1998 CD "JAZZ - LYRIK - PROSA II" Buschfunk 00972
• 1999 CD "LACHEN UND LACHEN LASSEN - Eulenspiegeleien 1" Eulenspiegel Verlages ISBN 3-359-01029-9
• 2000 CD "Mit Josh um halb acht" Raumer Records
• 2004 CD "JAZZ - LYRIK - PROSA III" Buschfunk 00922