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Misburg-Anderten

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Karte
Hannover, Stadtbezirk Misburg-Anderten hervorgehoben
Basisdaten
Stadtbezirk Misburg-Anderten (5)
Einwohner 31.973
Postleitzahlen
  • 30559 Misburg (Süd) und Anderten
  • 30627 Misburg (Nord)
  • 30629 Misburg (Nord und Süd)
  • 30655 Misburg (Nord)
Stadtteile
  • Misburg Nord
  • Misburg Süd
  • Anderten
Webpräsenz hannover.de
Politik
Bezirksbürgermeister Knut Fuljahn (SPD)
Stadtbezirksrat
(19 Sitze)
SPD: 9, CDU: 8, Grüne: 1, FDP: 1

Misburg-Anderten [ˈmɪsburg] ist der 5. Stadtbezirk von Hannover, der im Osten des Stadtgebietes liegt. Er untergliedert sich in die Stadtteile Misburg-Nord, Misburg-Süd und Anderten. Entstanden ist der Stadtbezirk durch die Eingemeindung der Stadt Misburg und des Dorfes Anderten 1974 nach Hannover. Im Stadtbezirk leben 31.806 Einwohner, davon 21.576 in Misburg-Nord, 2.690 in Misburg-Süd und 7.540 in Anderten (Stand: 1. Januar 2008). Bezirksbürgermeister ist Knut Fuljahn (SPD) (Stand 1. November 2006).

Misburg Geschichte

Entstehung

Einer Legende zufolge ist Misburg nach der Burg des Ritters Miß benannt. Diese Burg soll einst an der Stelle gestanden haben, an der heute die Straße „Hinter der Alten Burg“ liegt. Bis 1947 waren dort zum Teil noch Sandwälle vorhanden. Der eigentliche Standort der Burg wird auf dem Gelände der jetztigen St.-Anna-Kirche vermutet, da bei deren Bau in den 1950er Jahren nicht nur wuchtige Grundmauerreste, sondern auch große und behauene Sandsteinquader freigelegt wurden. Wegen des schnell fortschreitenden Baus der Kirche konnte das Gelände nicht weiter untersucht werden.

Anderen Quellen zufolge entstammt das Wort „Mis“ einem inzwischen verschwundenen, durch das Hochdeutsche verdrängten, lokalen Dialekt und bedeutet schlicht „Moor“. Dadurch wird Misburg zur Burg im Moor.

Die erste Erwähnung Misburgs fand 1365 statt, als Herzog Wilhelm zu Braunschweig und Lüneburg der Stadt Hannover ein Privileg erteilt hat. Im Originalwortlaut der Urkunde wird das Altwarmbüchener Moor, das zwischen Altwarmbüchen, dem Misburger (Mudzborgher) Holz und Lahe liegt, zum Torfstechen für die Stadt Hannover und seine Bürger freigegeben.

1585 hatte das Dorf sieben Hofstellen, die sich bis 1800 auf 18 erweiterten. Ein enormer Wachstumsschub durch Industrialisierung setzte ab 1870 durch die sich ansiedelnde Zementindustrie bei Hannover ein. [1] Das machte der im Untergrund entdeckte Grundstoff Mergel möglich, der in Kalköfen gebrannt wurde. Die bereits 1843 vorbeiführende Bahnstrecke Hannover–Braunschweig erleichterte den Abtransport des Zements. Bis 1900 entstanden die vier Fabriken:

  • Hannoversche Portland Cementfabrik (1873)
  • Portland Cementfabrik Germania (1881)
  • Teutonia Zementwerk 1887
  • Norddeutsche Portland-Cementfabriken (1898) (heute Holcim).

Unternehmensverbindungen bestanden und bestehen auch zur Zementindustrie im nahe gelegenen Höver.

Am 29. Juli 1963 wurde Misburg zur Stadt erklärt. Am 1. März 1974 wurde Misburg trotz des Status „Stadt“ mit der Verwaltungsreform des Landes Niedersachsens nach Hannover eingemeindet.

Gustav Bratkes Engagement für Industrie und Politik

Misburger Wappen

Misburgs Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde entscheidend durch den Sozialdemokraten Gustav Bratke geprägt. Der gelernte Lithograph kam 1910 nach Misburg und arbeitete hier zunächst als Lagerhalter im Konsumverein („Konsum“), bald - gemeinsam mit seiner Ehefrau - als dessen Geschäftsführer. Seit 1912 gehörte er für die SPD dem Misburger Gemeinderat an, ein Ereignis, das er später mit den Worten kommentierte:

„Als ich vor 40 Jahren zum ersten Male in die Gemeindevertretung Misburgs gewählt wurde, da wusste ich nicht, daß diese Wahl mein ganzes späteres Leben beeinflussen würde.“

1919 wurde er Gemeindevorsteher (Bürgermeister) von Misburg und 1920 SPD-Abgeordneter im Provinziallandtag der preußischen Provinz Hannover; 1926 außerdem Vorsitzender der Provinzialverwaltung. Gustav Bratkes vorausschauende Kommunal- und Sozialpolitik war durch eine Verbindung von gezielter Industrieansiedlung und kommunalen Investitionen gekennzeichnet. Er ließ die Gemeinde Bauland ankaufen, so dass es ihm gelang, 1931 die Ansiedlung der „Gewerkschaft Erdöl-Raffinerie Deurag-Nerag“ in Misburg zu bewirken. Er ließ 154 gemeindeeigene Wohnhäuser sowie 250 Wohnungen in Misburg bauen und förderte den Eigenheimbau - sogar für Erwerbslose. 1925/26 folgte der Bau des eigenen Wasserwerks durch den Architekten Friedrich Fischer, der ersten Kanalisation und von zwei Kläranlagen, 1926 des Jugendheims ebenfalls durch Friedrich Fischer. Während der Weltwirtschaftskrise sorgte er auch für die Einrichtung einer Volksküche in der damaligen Turnhalle. Zu dieser Zeit waren von den damals ca. 7.000 Einwohnern Misburgs rund 2.000 Einwohner arbeitslos.

Folgenreicher Zweiter Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Misburg bei ca. 45 alliierten Bombenangriffen von ca. 40.000 Spreng- und Brandbomben getroffen, 60% der Wohnhäuser wurden vernichtet oder beschädigt. Die Angriffe galten kriegswichtigen Betrieben, wie sie die Raffinerie Deurag-Nerag und die Zementfabriken Misburgs darstellten. Nur 2 % der Bomben trafen jedoch die Raffinerie als Ziel der alliierten Luftoffensive gegen die deutsche Mineralölindustrie.

Der Schriftsteller und Weltkriegsveteran Ernst Jünger, der ab September 1944 im nahen Kirchhorst lebte, hat in seinen Tagebuchaufzeichnungen "Kirchhorster Blätter" zu den Luftangriffen auf Misburg vermerkt:

"16. September 1944. Zahlreiche Überfliegungen. Misburg, das Hauptziel in der näheren Umgebung, wurde wieder getroffen, und große Ölvorräte brannten jenseits des Moores unter bleigrauen Rauchwolken ab..."

Am 15. März 1945, dem Tag des schwersten Luftangriffs auf Misburg, notierte er:

"Abends, während dieser Eintragungen, einer der schwersten Angriffe auf Misburg. Kundschafterflugzeuge säten zuerst eine wahre Allee von orangegelben Leuchtzeichen, sodann folgten die Abwürfe."

KZ-Außenlager

Mahnmal für das frühere KZ-Außenlager von Eugène Dodeigne

Nahe dem Werkgelände der Raffinerie befand sich von Juni 1944 bis April 1945 ein Außenlager des ehemaligen KZ Neuengamme. Bei den ersten Häftlingen handelte es sich um belgische und französische Widerstandskämpfer. Sie wurden bei Aufräumarbeiten auf dem durch Bombenangriffe beschädigten Raffineriegelände der Deurag-Nerag eingesetzt. Durchschnittlich 1.000 Häftlinge waren in dem Lager untergebracht; etwa 55 sollen während seines Bestehens zu Tode gekommen sein. Gegen Ende des Krieges wurde mit den Häftlingen ein Evakuierungsmarsch nach Norden in Richtung Neuengamme durchgeführt, der am 8. April 1945 im KZ Bergen-Belsen endete. Auf dem früheren Lagergelände an der Hannoverschen Straße in Höhe des Mittellandkanals wurde 1989 als Mahnmal eine Skulptur von Eugène Dodeigne aufgestellt.

Wiedergutmachung

Nach der traurigen Historie im Zweiten Weltkrieg hat sich Misburg als eine der vorbildlichsten Gemeinden Europas dem "Europäischen Gedanken" gewidmet, wie er auch von Churchill in seiner Rede zu den "Vereinigten Staaten von Europa" beschrieben wurde. Misburg hat viele Städtepartnerschaften für die Bemühungen aufgenommen. Zum Beispiel mit Bollnäs (Schweden), Flekkefjord (Norwegen), Shepton Mallet bei Sommerset (England), Oissel-sur-Seine (Frankreich, siehe unten bei Anderten) und weiteren europäischen Städten.

1975 bekam Misburg vom Europarat als Dank für seine Bemühungen um die Völkerverständigung die Ehrenflagge verliehen, welche seitdem am Ortseingang hängt.

Streben nach Unabhängigkeit am Ende des 20. Jahrhunderts

Misburger Herz Jesu Kirche

Nachdem Misburg seine Unabhängigkeit durch die niedersächsische Gebietsreform 1974 verloren hat, keimen immer wieder Bestrebungen auf, Misburg die Stadtrechte wieder zu verschaffen. Auch wenn dieses Thema derzeit nicht Gegenstand der politischen Diskussion ist, wird die Forderung nach Selbständigkeit immer noch von vielen Bewohnern Misburgs geteilt.

Schulen

  • Kardinal-Galen-Schule (Grundschule)
  • Grundschule Mühlenweg
  • Pestalozzi Schule 1 (Grund- und Hauptschule)
  • Realschule Misburg
  • Kurt-Schwitters-Gymnasium Misburg, ehemals Gymnasium Misburg

Vereine

  • Sportgemeinschaft von 1896 Misburg e.V.
  • FC Stern Misburg von 1913 e.V.
  • 1. Deutscher Polizeihundsportverein Misburg von 1948 e.V.
  • Misburger Tennis-Club von 1965 e.V.
  • KSK Saturn Misburg von 1975 e.V.



Anderten Geschichte

Wappen Anderten
Gedenkstein zur 1000 Jahr Feier

Das Dorf Anderten wurde erstmals im Jahr 985 urkundlich erwähnt. Der Kaiser Otto III. setzte damals zwischen Ostfalen und Engern - und damit zwischen den Diözesen Hildesheim und Minden - eine Grenze. Ein gewisser „Bernhard Bidonis filius de Ondertunun“ war Zeuge dieser Gebietsregulierung. Der Name Ondertunun bezeichnete damals eine von einem Zaun geschützte Siedlung. Anderten liegt im historischen Siedlungsraum des Großen Freien

Um das Jahr 1600 bestand Anderten aus rund 60 Höfen. 1641 und 1661 wurde Anderten von großen Bränden heimgesucht, die annähernd das halbe Dorf zerstörten.

Im Jahr 1843 begann das Eisenbahnzeitalter im Königreich Hannover mit einer Zugfahrt von Hannover über Misburg nach Lehrte auf der späteren Bahnstrecke Hannover–Braunschweig, der Bahnhof Anderten-Misburg entstand aber erst 1906, als die neue Strecke Kirchrode–Lehrte zur Entlastung des Misburger Bahnhofs eröffnet wurde.

1919 begann in Anderten der Bau der größten Binnenschleuse Europas, der Hindenburgschleuse am Mittellandkanal. Am 20. Juni 1928 wurde die Schleuse Hannover-Anderten durch den damaligen Reichspräsidenten von Hindenburg ihrer Bestimmung übergeben. Die Schleuse ist seither nach ihm benannt. Zur gleichen Zeit wurde der Verkehr auf dem Mittellandkanal bis Peine und Hildesheim freigegeben, nachdem bereits 1916 der Schiffahrtsbetrieb vom Dortmund-Ems-Kanal bis Hannover-Misburg aufgenommen worden war. Seit der Fertigstellung der Schleuse werden jährlich bis zu 22.000 Schiffe durch die 225 Meter langen Schleusenkammern des mächtigen Bauwerks geführt, um die 15 Meter hohe Wasserscheide zwischen Weser und Ems zu überbrücken.

1969 begründeten Anderten und die französische Stadt Oissel-sur-Seine (bei Rouen) eine Partnerschaft. Die alte Anderter Gartenstraße wurde in Oisseler Straße umbenannt, im Gegenzug existiert in Oissel eine „Avenue d'Anderten“.

Mit der Gebietsreform des Landes Niedersachsen am 1. März 1974 wurde das bis dahin eigenständige Dorf nach Hannover und damit in den neu geschaffenen Stadtbezirk Misburg-Anderten eingemeindet. In der Bevölkerung Andertens kursierten damals viele Aufkleber mit der Beschriftung „Anderten darf nicht sterben!“, durch die der Widerwille vieler Bürger gegen die Eingemeindung des damals schuldenfreien Dorfes in die Landeshauptstadt zum Ausdruck kam.

Persönlichkeiten

Julie Gräfin von Egloffstein Selbstbildnis
  • Julie Gräfin von Egloffstein (1792–1869), Malerin, Tochter von Henriette Gräfin von Egloffstein
  • Friedrich Wilhelm Barkhausen (1831–1903), gebürtiger Misburger, Jurist, Kirchenpolitiker, Mitglied des Preußischen Herrenhauses, Kurator des Klosters Loccum
  • Hermann Manske (1839–1919), Fabrikant, 1886 Gründer der Zementfabrik „Germania“ in Misburg
  • Ernst Härke (1846–1914), gebürtiger Anderter, seit 1890 Inhaber der Privatbrauerei Härke in Peine
  • Max Kuhlemann (1857–1929), Fabrikant, Kommerzienrat, Inhaber der von seinem Vater Friedrich Kuhlemann gegründeten Portland-Zementfabrik in Misburg
  • Karl Kopp (1868–1940), erster Pfarrer der Misburger Herz-Jesu-Kirche
  • Gustav Bratke (1878–1952), 1919–1933 Gemeindedirektor von Misburg, 1946 erster, von der britischen Militärregierung eingesetzter Oberbürgermeister von Hannover, organisierte 1947 die erste Hannover-Messe, 1952 Ehrenbürger von Misburg
  • Christian Kuhlemann (1891–1964), Ingenieur, seit 1925 Direktor der von seinem Großvater Friedrich Kuhlemann gegründeten Portland-Zementfabrik in Misburg, Bundestagsabgeordneter (NLP/DP 1949–1953), Präsident der Industrie- und Handelskammer Hannover (1953–1964)
  • Anton Scholand (1890-1973), Lehrer, Heimatforscher
  • August Kleinert (1895–1966), 1945-58 Gemeindedirektor von Misburg
  • Robert Gerbrand (1903–1961), seit 1942 Pfarrer an der Misburger Herz-Jesu-Kirche
  • Friedrich Wildhagen (1908–1989) gebürtiger Anderter, Drehermeister
  • Harry Pott (1911–1985), 1936–71 bei der Deurag-Nerag (1947–65 Betriebsrat), 1948–52 Bürgermeister von Misburg, 1956–69 Ratsmitglied
  • Herta Dürrbeck (1914–1995), kommunistische Widerstandskämpferin
  • Werner Möller (1936–2003), 1973–1998 Pastor an der ev.-luth. St. Martinsgemeinde in Anderten
  • Mousse T. (Mustafa Gündogdu) (* 1966), Musikproduzent, Künstler

Literatur zum Stadtbezirk

  • Misburgs Boden und Bevölkerung im Wandel der Zeiten. [Hrsg.] von Anton Scholand. 2. Aufl. Hildesheim: Lax 1960.
  • Scholand, Anton, Anderten und die Freien vor dem Nordwalde, Buchdruckerei August Lax, Hildesheim 1970
  • Helmut Zimmermann: Von Anderten nach Stöcken. Streifzüge durch Hannovers Geschichte. Hannover: Harenberg-Labs 1987. ISBN 3-89042-023-0
  • Versteinerte Muscheln auf einer Reise nach Jerusalem. Misburg. In: Hannover zu Fuß. 18 Stadtteilrundgänge durch Geschichte und Gegenwart. Ingo Bultmann (u.a.) (Hrsg.) Hamburg: VSA-Verlag 1989, S. 237-245. ISBN 3-87975-471-3
  • 75 Jahre Hindenburgschleuse 1928 - 2003. Informationen über Entwicklung und Bedeutung der Binnenschifffahrt, des Mittellandkanals und der Hindenburgschleuse in Hannover-Anderten. Zusammengestellt von Lorenz Kurz. Hannover: Wasser- und Schiffahrtsdirektion 2003.
  • Lorenz Kurz: Anderter Brauerei-Brauerei H. Scheele 1727 - 1955. Heimatkundliche Informationsschrift über 228 Jahre gewerbliche Bierherstellung in Anderten. Selbstverlag Lorenz Kurz.
  • Lorenz Kurz: Heimatkundliche Informationsschrift über Anderter Radrennbahn und Spitznamen Anderter Bürger. Selbstverlag Lorenz Kurz.
  • Lorenz Kurz: Heimatkundliche Informationsschrift über 78 Jahre Hindenburgschleuse in Anderten Die Hindenburgschleuse - Schleuse Anderten - 1928 - 2006. Selbstverlag Lorenz Kurz
  • Lorenz Kurz: Anderten in Wort und Bild, Berichte und Abbildungen aus Vergangenheit und Gegenwart, 1985 - 184 Seiten. Selbstverlag Lorenz Kurz

Einzelnachweise

  1. Zementherstellung in Misburg und Anderten
Commons: Hl. Herz Jesu (Hannover-Misburg) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien


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