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Dokumentarfilm

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Der Dokumentarfilm ist ein Film, in dem versucht wird, Aspekte der uns umgebenden Welt abzubilden, zu erzählen oder zu untersuchen. Im Gegensatz zum Spielfilm geschieht dies (meistens) ohne engagierte Schauspieler oder bezahlte Darsteller. An ihre Stelle treten Menschen, Orte, Situationen, die mit den erzählten Geschichten übereinstimmen.

Es gibt viel eher eine große Bandbreite von verschiedenen Dokumentarfilmarten, die sich vom Versuch, ein möglichst reines Dokument zu erschaffen, bis hin zur Doku-Soap erstreckt. Dabei spielt die Inszenierung des Filmers eine große Bedeutung: Wie geht man mit den vorgefundenen Bildern um? Was wird ergänzt, verstärkt? Ein weiterer Schritt ist das Nachspielen von Szenen, die so hätten stattfinden können, oder zum Teil auch so stattgefunden haben (Reenactment). Von den Zuschauern wiederum werden oft besonders stark inszenierte Bilder als "echt" angeschaut.

Wahrheit und Echtheit

An einen Dokumentarfilm wird der Anspruch erhoben, authentisch zu sein. Durch die Anwesenheit der Kamera und des Kamerateams wird die Situations aber immer beeinflusst, wenn auch nur geringfügig. Um dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, die Authentizität des gesehenen selbst zu beurteilen, machen seriöse Dokumentarfilme Art und Ausmaß der Beeinflussung mit geeigneten Mitteln transparent. Die Echtheit einer Dokumentation hängt aber nicht nur von Authentizität des Geschehenen ab, sondern auch von dessen Repräsentativität. Durch die Darstellung einer Szene wird bei fehlender Erläuterung implizit suggeriert, dass es sich um eine in irgend einer Weise typische Szene handelt. Auch der der "Blickwinkel" des Filmemachers und seine Kommentare werten das gezeigte. In dem Sinn gibt es keinen "echten" Dokumentarfilm.

"Für mich ist es ziemlich egal, mit welchen Mitteln ein Film arbeitet, ob er ein Schauspielerfilm ist mit inszenierten Bildern oder ein Dokumentarfilm. In einem guten Film geht es um die Wahrheit, nicht um die Wirklichkeit." Sergej Eisenstein, 1925

Bei einigen Tierdokumentationen wird mit dressierten Tieren gearbeitet. In diesem Fall liegt keine Dokumentation im eigentlichen Sinne vor. Häufig wird die Szene aber auch durch das Drehteam bewusst beeinflusst, z.B. durch Provokation der Tiere. Hier bleibt der Charakter einer Dokumentation nur gewahrt, wenn die Beeinflussung dem Zuschauer transparent gemacht wird oder zweifellos einem typischen Ereignis (Auftauchen eines Beutetiers) entspricht. In einem berüchtigten Beispiel, dem Film White Wilderness, der 1958 einen Academy Award erhielt, konstruierten Techniker der Walt Disney Company einen schneebedeckten sich drehenden Tisch, um den Eindruck von wild umherirrenden Lemmingen zu erzeugen, die sich dann über eine Klippe in das Meer stürzten. Diese Täuschung beeinflußt bis heute das populäre Verständins von Lemmingen. Tatsächlich bewegen sie sich zwar zeitweise in Schwärmen, begehen aber keinen Massenselbstmord.

Der echte Dokumentarfilm unterscheidet sich von den vielen dokumentarischen Formaten durch seine journalistisch-wissenschaftliche Recherche und die Geschichte, die zumindest versucht sich der Wahrheit anzunähern bzw. die auf einer Wahrscheinlichkeit aufbaut. Entscheidendes Merkmal ist es aber, dass ein "Zeitdokument" entsteht, d.h. eine Bilderfolge die ungespielt und einmalig ist.

Vermehrt gibt es auch TV-Sendungen, die dem Zuschauer massiv suggerieren, es würde sich um eine Dokumentation handeln, obwohl tatsächlich nach einem Drehbuch oder ähnlichem gespielt wird (siehe Pseudo-Doku).

Der experimentelle Dokumentarfilm als Untergattung des Experimentalfilms benutzt spielerisch Elemente und Konventionen des Dokumentarfilms.

Geschichte

Die ersten "bewegten Bilder" waren per Definition Dokumentarfilme. Es waren einzelne Einstellungen, die Momente aus dem Leben auf Film bannten (Der Zug, der in den Bahnhof einfährt, das andockende Boot, die Arbeiter, die die Fabrik verlassen, siehe Brüder Lumière). Im frühen Film, Ende 19. Jahrhundert dominierte immer noch die Darstellung von Ereignissen. Es wurden kaum Geschichten erzählt, dies vor allem auf Grund technischer Grenzen: Die Kameras waren groß und hatten nur Platz für wenig Filmmaterial.

Datei:Poech.jpg
Rudolf Pöch

Als Pionier des Dokumentarfilms gilt unter anderem der österreichische Ethnograph Rudolf Pöch, dem 1901-1906 sensationelle Aufnahmen der indigenen Völker Neuguineas in Bild und Ton gelangen.

Flaherty Im Jahr 1922 produzierte Robert J. Flaherty den ersten abendfüllenden Dokumentarfilm, "Nanook of the North". Schon in diesem Film verabschiedete sich der Dokumentarfilm von der "Wahrheit": Zahlreiche Inszenierungen und Anweisungen des Regisseurs wurden zur besseren Unterhaltung und zum Darstellen eines vermeintlich "stimmigeren" Bildes eingesetzt. So bestand Flaherty darauf, dass kein Gewehr im Film vorkommt, obwohl sich die Inuit schon lange an dessen Gebrauch gewöhnt hatten. An einer anderen Stelle wurde ein halber Iglu errichtet, so dass die Kamera das Leben innerhalb des Iglus filmen konnte. Die Darsteller, obwohl nicht Schauspieler, "spielten" die Handlung für die Kamera. Der Bau des Iglus ohne Dach für Innenaufnahmen war dazu bestimmt, sich dem damaligen Stand der Technik anzupassen.

Später wurden Inszenierungen, die dem Zuschauer verheimlicht werden, als unethisch und dem Wesen des Dokumentarfilms widersprechend erachtet.

Wochenschau und Propaganda Die Wochenschau-Tradition ist eine wichtige Tradition des Dokumentarfilms. Auch die für die Wochenschau gefilmten Ereignisse wurden oft nachgestellt, aber selten frei erfunden. Zum Beispiel wurden viele Kampfszenen nachgestellt, da der Kameramann gewöhnlich erst nach der Schlacht erschien. Dsiga Wertow arbeitete nach der Oktoberrevolution an der Kino-Pravda mit. Frank Capra's Why We Fight Serie war eine Wochenschau-Serie, die von der Regierung der USA in Auftrag gegeben wurde, um das heimische Publikum von der Notwendigkeit Krieg zu führen, zu überzeugen. Einer der berüchtigsten Propaganda-Filme ist Leni Riefenstahl's Film Triumph des Willens.

Thema Stadt Die europäische realistische Tradition konzentrierte sich auf städtische Umgebungen in Filmen wie Berlin - Symphonie einer Großstadt von Walter Ruttmann, Rien Que Les Heurs von Alberto Cavalcanti (1926) und Der Mann mit der Kamera von Dsiga Wertow.

Grierson In den 1930ern argumentierte der Dokumentarfilmer und Filmtheoretiker John Grierson in seinem Essay First Principles of Documentary Robert Flaherty's Film Moana habe "dokumentarischen Wert" und etablierte eine Reihe von Prinzipien für den Dokumentarfilm. Grierson zufolge konnte das Potential des Kinos, das Leben zu beobachten, zu einer neuen Kunstform führen; der 'ursprüngliche' Darsteller und die 'echte' Szene seien besser geeignet die moderne Welt zu interpretieren als die Fiktion und das roh gewonnen Material sei realer als das Gespielte. Insofern stimmt Grieserson teilweise mit Wertovs Verachtung für den 'bürgerlichen' Spielfilm überein. In seinen Essays hatte Dsiga Wertow dafür plädiert, das Leben zu zeigen "wie es ist", d.h. das unbeobachtete oder überraschte Leben.


Direct Cinema und cinema verité Die Filme Harlan County, U.S.A. (Regie: Barbara Kopple), Don't Look Back (D. A. Pennebaker), Lonely Boy (Wolf Koenig und Roman Kroitor) und Chronique d'un été (1960)(Jean Rouch) werden zum Cinema vérité bzw. Direct Cinema gezählt. Obwohl die Ausdrücke manchmal synonym gebraucht werden, gibt es wichtige Unterschiede zwischen Cinema vérité (Jean Rouch) und dem amerikanischen Direct Cinema, zu dessen Pionieren Richard Leacock, Frederick Wiseman und die Maysle Brüder zählen. Die Regisseure nehmen unterschiedliche Haltungen an, was den Grad der Intervention angeht. Kopple und Pennebaker, zum Beispiel bevorzugen ein Minmum an Einmischung - der Idealfall wäre die reine Beobachtung - während Rouch , Koenig und Kroitor bewußt intervenieren und Reaktionen provozieren.

In Deutschland wurde besonders Klaus Wildenhahn vom Direct Cinema beeinflußt.

Dokumentarfilm und Spielfilm Dem Cinema verité ist mit dem italienischen Neorealismus die Neigung gemein, Laien an Originalschauplätzen zu filmen, und die französische Nouvelle Vague machte häufig von nicht im Drehbuch stehenden Dialogen und in der Hand gehaltenen Kameras und synchronisertem Ton Gebrauch.

Dokumentarfilm und Politik In den 60er und 70er Jahren wurde der Dokumentarfilm oft als politische Waffe im Kampf gegen den Neokolonialismus bzw. den Kapitalismus im allgemeinen verstanden, besonders in Lateinamerika. La Hora de los hornos (1968) [Die Stunde der Feuer] von Octavio Getino und Fernando E. Solanas beeinflußte eine ganze Generation von Filmemachern.

Kompilationsfilm Kompilationsfilme sind nichts neues in der Geschichte des Kinos. Die Pionierin war Esther Schub mit Der Fall des Hauses Romanov (1927). Neuere Beispiele sind Point of Order (1964) von Emile de Antonio über die McCarthy- Anhörungen und The Atomic Cafe, der vollständig aus Material erstellt wurde, das die US-Regierung erstellen ließ, um die Bevölkerung über atomare Strahlung 'aufzuklären'. Den Soldaten wurde z.B. erklärt, ihnen könne nichts passieren, selbst wenn sie verstrahlt würden, solange sie die Augen und den Mund geschlossen hielten.

The Last Cigarette (1999) kombiniert Zeugenaussagen von Managern der amerikanischen Tabakindustrie mit Archivmaterial, das die Vorzüge des Rauchens anpreist.

Essayfilm Eine Grenzform des nichtfiktionalen Films ist der Essayfilm. Die im Direct Cinema verbannte Off-Stimme kehrt zurückt, verliert aber ihren offiziösen, autöritären, pseudoobjektiven Charakter. Zu den wichtigen Essayfilmachern zählen Guy Debord, Raoul Peck und Harun Farocki.

Erfolg

Michael Moores politischer Dokumentarfilm "Fahrenheit 9/11" schrieb im Juni 2004 Filmgeschichte, da es zuvor noch niemals vorkam, dass ein Dokumentarfilm an der Spitze der US-Kinocharts stand. Bereits der letzte Film Moores "Bowling for Columbine" 2002 war ein US-Einspielrekord gewesen, hatte aber nicht an einem einzigen Wochenende 21,8 Millionen Dollar eingespielt. Weltweit hat der Film Fahrenheit 9/11 bis zum 11. Dezember 2004 ganze 220,194,771 Dollar eingespielt. Somit ist er mit Abstand der erfolgreichste Dokumentarfilm aller Zeiten. Der zweit erfolgreichste Dokumentarfilm ist Michael Moores "Bowling for Columbine" mit Einnahmen von 58.008.423 Dollar.

Literatur

  • Erik Barnouw, Documentary. A History of the Non-Fiction Film, Oxford University Press 1993 - immer noch lesenwerte Einführung
  • Mo Beyerle, Christine N. Brinckmann (Hrg.), Der amerikanische Dokumentarfilm der 60er Jahre. Direct Cinema und Radical Cinema, Frankfurt am Main, New York: Campus, 1991, 527p.- Der Band enthält außer den Analysen der WissenschaftlerInnen auch Interviews mit

Richard Leacock, Ed Pincus, Emile de Antonio und David Loeb Weiss sowie ausführliche Bibliographien