Empirische Sozialforschung
Unter empirischer Sozialforschung versteht man die Erhebung und Interpretation von Daten über soziale Tatsachen. Diese erfolgt systematisch anhand von Methoden der empirischen Sozialforschung. Neben der allgemeinen Soziologie und den speziellen Soziologien kann die empirische Sozialforschung als dritter großer Bereich in der Soziologie betrachtet werden.
Geschichte
Die empirische Sozialforschung entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert aus verschiedenen Disziplinen, unter anderem der Statistik. Im 19. Jahrhundert diente sie (hauptsächlich in den USA) der Untersuchung von Integrationsproblemen und Armut. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich in den Niederlanden und im deutschen Sprachraum zunächst die Soziographie als direkter Vorläufer der empirischen Sozialforschung, während in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Meinungs- und Marktforschung in den Mittelpunkt rückte.
Ziele
Mit empirischer Sozialforschung werden
- Systematische Kategorienfelder als Arbeitshypothesen überprüft und interpretiert,
- Hypothesen und Theorien überprüft (deduktives Vorgehen),
- Hypothesen und Theorien begründet und überarbeitet (induktives Vorgehen),
- Planungs- und Entscheidungsprozesse fundiert,
- Wege aufgezeigt, praktische Probleme zu bewältigen.
Qualitative vs. quantitative Verfahren in den Sozialwissenschaften
Insbesondere in den Sozialwissenschaften gab es eine hitzige Diskussion darüber, ob es besser ist, Erhebungen mittels qualitativer Methoden oder quantitativer Methoden durchzuführen. Dieser Methodenstreit führte besonders zum Ende der 1960er-Jahre durch die gleichzeitig verlaufende Studentenbewegung dazu, dass stark weltanschaulich geprägte Haltungen die eigentlich wissenschaftlich motivierte Methodendiskussion überlagerten.
Der Vorteil quantitativer Methoden liegt darin, dass sich die Messergebnisse mit statistischen Methoden (Mittelwert, Varianz etc.) weiter verarbeiten lassen. Grundlage der quantitativ ausgerichteten empirischen Sozialforschung ist die moderne Wissenschaftstheorie. Besonders sei hier auf den Kritischen Rationalismus von Karl Popper und Hans Albert hingewiesen. Ein wichtiger Grundsatz der empirischen Sozialforschung ist, dass Forschung prinzipiell unabhängig von der Subjektivität der Forscherin/des Forschers ablaufen soll (Prinzip der Intersubjektivität). Quantitativ ausgerichtete Sozialforschung orientiert sich sowohl an der Überprüfung von Hypothesen oder Theorien als auch an der quantitativ-qualitativen Wertermittlung aus systematischen Kategorienfeldern, in denen die Kategorien als Arbeitshypothesen dienen.
Parallel zur quantitativen Sozialforschung hat sich seit den 1960er-Jahren eine qualitative Sozialforschung entwickelt. Die Vorteile der in den 1990er Jahren weiterentwickelten Verfahren der Datenerhebungen und kombinierten Techniken (z.B. Beobachtung, Interview, Fragebogen, Soziometrie, semantische Textanalyse) von tatsächlichen sozialen Phänomenen und deren Deutung ermöglichen der empirischen Forschung ganz konkrete Fragestellungen zu beantworten und Handlungsanweisungen generieren zu können. Die systematisierten und standardisierten Erhebungsmethoden und Interpretationsschritte haben folgende Vorteile:
- die Offenheit des Verfahrens bei der Auslegung der Operationalisierung,
- die Seins- bzw. Wirklichkeitsbindung der Erhebungssituation und die Sichtbarkeit sozialer Phänomene, die im standardisierten Erhebungsinstrument planbar ist,
- die Beschränkung auf die äußerliche (juridische) Lebenssphäre, abgetrennt von sozialpsychologischen Fragestellungen.
Häufig zielt qualitative Sozialforschung dabei nicht auf eine wissenschaftliche Hypothese, sondern eine Fragestellung oder ein abgegrenzter Gegenstandsbereich darauf ab, Soziales tiefgründiger zu erforschen und Sinnstrukturen sichtbar zu machen. Eine populäre qualitative Methode ist zum Beispiel die Systematische Inhaltsanalyse[1] sowie eine Hermeneutik, die aus einem gegebenen Text durch Interpretation auf die Intention der Autorin/des Autors und den Sinngehalt der Information rückschließen möchte.
siehe auch den Hauptartikel Qualitative und Quantitative Sozialforschung
Kritik
Zur sozialphilosophischen Auseinandersetzung mit der empirischen Sozialforschung siehe Zur gegenwärtigen Stellung der empirischen Sozialforschung in Deutschland und Soziologie und empirische Forschung.
Literatur
Allgemein
- Gerhard Stapelfeldt: Theorie der Gesellschaft und empirische Sozialforschung. Zur Logik der Aufklärung des Unbewußten, Freiburg: Ca Ira, 2004, ISBN 3924627134
- Peter Atteslander: "Methoden der empirischen Sozialforschung", 12. durchgesehene Aufl. Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., Berlin 2008, ISBN 9783503106905
- Albers, S.; Klapper, D.; Konradt, U.; Walter, A.; Wolf, J. (Hrsg.) (2007): Methodik der empirischen Sozialforschung, 2. überarb. und erw. Aufl., Gabler: Wiesbaden, 2007
Geschichte
- Christian Fleck: Transatlantische Bereicherungen: Zur Erfindung der empirischen Sozialforschung (suhrkamp taschenbücher wissenschaft), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007, ISBN 3518294237
Zur quantitativen Sozialforschung
- Michael Häder: Empirische Sozialforschung. Eine Einführung. VS, Wiesbaden 2006, ISBN 978-3-531-14010-0
- Hans Benninghaus: Deskriptive Statistik. 10. Auflage. VS, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14607-6
- Andreas Diekmann: Empirische Sozialforschung. 17. Aufl. Rowohlt, Reinbek 2007, ISBN 3-499-555514
- Jürgen Friedrichs: Methoden empirischer Sozialforschung. 14. Aufl. Westdeutscher Verlag, Opladen 1990, ISBN 3-531-22028-4
- Helmut Kromrey: Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung. 11. Auflage. Lucius & Lucius, Stuttgart 2006, ISBN 3828203523 (= UTB 1040) (mit Querverweisen zur qualitativen Sozialforschung)
- Elisabeth Noelle-Neumann, Thomas Petersen: Alle, nicht jeder - Einführung in die Methoden der Demoskopie. Springer, Berlin 2004, ISBN 3540674985
- Rainer Schnell, Paul B. Hill, Elke Esser: Methoden der Empirischen Sozialforschung. 7. Auflage. Oldenbourg, München 2005, ISBN 3486576844
- Nadine Schöneck, Werner Voß: Das Forschungsprojekt. VS, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14553-3
- Eckart Struck, Helmut Kromrey: PC-Tutor Empirische Sozialforschung. VS, Wiesbaden 2005, ISBN 3810035874 (Selbstlern-CD zu H. Kromrey: Empirische Sozialforschung)
- Christoph Weischer: Das Unternehmen „Empirische Sozialforschung“. Strukturen, Praktiken und Leitbilder der Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-486-56814-0 (Rezension)
Zur qualitativen Sozialforschung
- Qualitative Sozialforschung. VS Verlag, Wiesbaden 1999-2006 (über 15 Bände)
- Uwe Flick, Ernst von Kardorff, Ines Steinke (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-55628-6
- Udo Kuckartz: Einführung in die computergestützte Analyse qualitativer Daten. VS, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14247-X
- Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. 4. Auflage. Beltz; PVU, Weinheim; Basel 2005, ISBN 3-621-27544-4.
Einzelnachweise und Fußnoten
- ↑ Silbermann, Alphons 1974/1979: Systematische Inhaltsanalyse; Stuttgart
Weblinks
Nachschlagewerke
- Wolfgang Ludwig-Mayerhofer: ILMES - Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung
Wissenschaftliche Institute
- Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung
- BVM - Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher
- Deutsches Jugendinstitut e. V. (DJI), München
- Forschungsinstitut für Soziologie, Universität zu Köln
- GESIS Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen
- ZA Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung, speichert und vertreibt repräsentative Umfragedaten inkl. Dokumentation
- ZUMA Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen, spezialisiert auf Mikrodatenanalysen, Inhaltsanalyse
- HIS Hochschul-Informations-System GmbH, Hannover
- Johannes-Kepler-Universität Linz, Institut für Soziologie, Abteilung für empirische Sozialforschung
- Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
- Sozialforschungsstelle Dortmund
- Sozio-oekonomisches Panel (SOEP), repräsentative Wiederholungsbefragung von über 12.000 Privathaushalten in Deutschland.
- Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)