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Heteronormativität

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Heteronormativität ist ein Konzept aus dem Bereich der Queer Studies und der Queer Theory. Der Begriff wurde zunächst nur als Kritik von Heterosexualität als Norm, und Homosexualität als (krankhafte, unnatürliche etc.) Abweichung benutzt; erst in dem Maße, wie die Queer Theorie sich auch der Gender-Problematik (siehe Transgender) annahm, wurde er auch auf diese bezogen.

Binäres Geschlechtssystem

Heteronormativität beschreibt ein binäres („zweiteiliges“) Geschlechtssystem, in welchem lediglich genau zwei Geschlechter akzeptiert sind, und das Geschlecht mit Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung gleichsetzt:

Heteronormatives Geschlechtermodell
  Geschlechtsmerkmale Geschlechtsidentität Verhalten Sexuelle Orientierung Elternschaft
Frauen weiblich weiblich weiblich begehrt männliche Partner Mutter
Männer männlich männlich männlich begehrt weibliche Partner Vater

Verhalten oder Gefühle, welche dieses System destabilisieren könnten, werden in vielen Fällen streng sanktioniert.

Außerdem beschreibt Heteronormativität das gesellschaftliche Ordnungssystem Heterosexualität. Diese Ordnung strukturiert nicht nur das Zusammenleben von Menschen, z. B. mit der Untergliederung in Kleinfamilie und der Definitionsmacht von monogamer Liebe und Begehren (Monogamie dabei nicht ausschließlich auf den Sexualakt bezogen), sondern strukturiert die gesamte Vorstellungswelt. (Beispielsweise in Form von binären Denkmodellen wie Mann/Frau, Kultur/Natur usw.)

Dieses System lässt keinen Raum für:

Integration

Es wird versucht, diese unvermeidlich auftretenden Verhaltensweisen, beziehungsweise Menschen, die diese aufweisen, wie folgt zu integrieren:

Intersexuelle

Menschen mit Intersexualität sind mit Merkmalen beider Geschlechter ausgestattet. Dies kann auf der chromosomalen, gonadalen, hormonellen oder anatomischen Ebene passieren und die vielfältigsten Ursachen und Auswirkungen haben. Allein in Deutschland gibt es schätzungsweise 100.000 Menschen mit Intersexualität. Vielen von ihnen wird und wurde bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen, wenn die Intersexualität diagnostiziert werden konnte. Daraufhin werden (häufig verstümmelnde) medizinische Eingriffe vorgenommen, um den Körper diesem zugewiesenen Geschlecht anzupassen. Starker sozialer Druck (von Eltern, Ärzten, Lehrern etc.) wird benötigt, um das Kind dazu zu bringen, sich entsprechend diesem zugewiesenen Geschlecht zu verhalten. Dies ist bis heute die Standardprozedur in Europa und Nordamerika, wobei die Kritik zunimmt.

Schwule und Lesben

Lesbisches und schwules Verhalten wird häufig noch sozial sanktioniert, wenngleich gerade in westlichen Gesellschaften ein starker Umdenkprozess im Gange ist. Wenn solches Verhalten nicht soweit unterdrückt werden kann, dass es wenigstens aus den Augen der Öffentlichkeit verschwindet, wird die Annahme ermutigt, dass schwule Männer keine wirklichen "Männer" sind, sondern eine starke weibliche Komponente haben (und umgekehrt) und/oder dass in einer lesbischen oder schwulen Partnerschaft immer eine/r der Mann (=aktiv) und eine/r die Frau (=passiv) ist. In einigen Fällen ist dies soweit gegangen, dass Schwulen und Lesben eine "Geschlechtsumwandlung" nahegelegt wurde (in Europa und Nordamerika in den 1960ern und 1970ern) oder sie sogar zu einer solchen gezwungen wurden (in Südafrika in den 1980ern und 1990ern). Mittlerweile werden in den meisten westlichen Ländern Homosexuelle juristisch nicht mehr verfolgt, in einigen wird das Zusammenleben Homosexueller vergleichbar mit der Ehe gefördert (wie z.B. in Spanien) oder wenigstens geregelt, etwa im Rahmen von eingetragenen Partnerschaften wie in Deutschland. Die Möglichkeit von Adoptionen wird lesbischen und schwulen Paaren jedoch in nahezu allen europäischen Staaten sowie in den USA verwehrt. Entgegen den auch von diesen Staaten unterzeichneten und ratifizierten Maßgaben des Europarats und der EU kann in den meisten der 2004 bzw. 2007 in die Europäische Union aufgenommenen Staaten Osteuropas von einer Gleichberechtigung Schwuler nicht die Rede sein; zum Teil findet auch von staatlicher Seite eine gezielte Diskriminierung statt, bzw. es werden rechtswidrige Übergriffe geduldet oder ignoriert (insbesondere in Polen, Rumänien und in den baltischen Staaten). Es gibt islamische und afrikanischen Länder, in denen Homosexualität noch immer massiv verfolgt wird, dies geht bis hin zur gesetzlich verankerten Todesstrafe für Homosexualität.

Transgender

Dieses Verhalten wurde und wird pathologisiert (siehe Geschlechtsidentitätsstörung), und je nach Land und Epoche auch soweit, dass Transgender routinemäßig in psychiatrischen Anstalten, seltener auch Gefängnissen, eingeliefert werden/wurden, oder ihnen wurde/wird das Lebensrecht gleich ganz abgesprochen. Letzteres geschieht, indem solches Verhalten offiziell mit dem Tode bedroht wird (heute z. B. Saudi-Arabien) oder durch die faktische Weigerung, die Mörder von Transgendern zu verfolgen oder anzuklagen. Letzteres wird meistens von einer entsprechenden Berichterstattung in den Medien begleitet (heute, in weiten Teilen der Welt). Ein spezieller Fall des Einordnens von Transgendern in ein heteronormatives System ist Transsexualität. Wenn solches Verhalten nicht unterdrückt werden kann, wird Transgendern erlaubt, das Geschlecht zu wechseln - und zwar genau in das andere Geschlecht; wodurch das binäre Geschlechtssystem wiederum bestätigt wird.
(Bitte beachten: Dies ist die Beschreibung des Umgangs des heteronormativen Systems mit "Transsexuellen", keine Beschreibung von Transsexuellen oder Transgendern als solchen.)

Begriffs-Kritik

Kritiker des Begriffs merken an, dass die Entstehung des Begriffs selbst auf ein Gedankenmodell eines patriarchalen Systems zurückgreift und dieses damit indirekt als Voraussetzung für den Begriff sogar noch stärkt. Damit wäre die Kritik an der Patriarchalität durch Verwendung der Formulierung Heteronormativität aus der LGBT-Szene in sich unschlüssig und sogar kontraproduktiv.

Heteronormativität wird häufig von der LGBT-Szene mit Patriarchalität assoziiert, manchmal sogar verwechselt. Allerdings haben nicht alle patriarchalen Systeme ein binäres Geschlechtssystem; einige haben Raum für ein drittes Geschlecht.

Einordnung

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Übersicht über Abwehrformen gegen Teilbereiche sexueller Identität

style="Vorlage:Rand" | Ideologie
Weltanschauung
style="Vorlage:Rand" |   style="Vorlage:Rand" | Abwehrform colspan="3" style="Vorlage:Rand" | Aversion bis
Feindseligkeit gegen
style="Vorlage:Rand" | Identitätsform
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style="background:#F5AAAA; color:#202122;Vorlage:Rand" | Heterosexismus colspan="2" style="background:#F5AAAA; color:#202122;Vorlage:Rand" | nicht Heteronormative style="background:#F5AAAA; color:#202122;Vorlage:Rand" |
style="background:#DBEDE1; color:#202122;Vorlage:Rand" | Soziale Norm     (Hetero)
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Praktische Auswirkungen

Die Gleichsetzung von biologischem Geschlecht, Geschlechtsidentität, Geschlechterrolle und sexueller Orientierung hat in der Praxis für jene Personen, für die eben nicht in allen diesen Kategorien Übereinstimmung besteht zum Teil erhebliche Auswirkungen.

In der Praxis geht die Gesellschaft und auch jedes Individuum davon aus, dass ein bestimmtes, nicht näher bekanntes Individuum mit einem bestimmten Geschlecht auch bestimmte Verhaltensweisen zeigen wird beziehungsweise zeigen sollte. Entsprechend wird auch die Erziehung ausgelegt.

Von Jungen wird erwartet, sich für Mädchen zu interessieren und männliche Rollenvorgaben zu übernehmen. Daher werden Jungen oft nur männliche Rollenvorbilder nahegelegt. Homosexuelle Jungen, die an Mädchen kein Interesse haben, werden oft diszipliniert oder gar angefeindet. Abweichungen, z.B. Jungen die mit Puppen spielen wollen, werden als unerwünscht und korrekturbedürftig angesehen.

Das führt dazu, dass Betroffene ihre eigenen Gefühle als von den Erwartungen der Gesellschaft abweichend erleben oft verbunden mit dem Gefühl der Andersartigkeit und der Einsamkeit. Für die Betroffenen ist ein aktiver gedanklicher Schritt notwendig, um sich von den gesellschaftlichen Erwartungen zu emanzipieren (siehe auch Coming-Out).

Siehe auch

Literatur