Singspielhalle
Die Singspielhalle ist eine Ausprägung des Varietés und die deutschsprachige Entsprechung der Music Hall und Vaudeville-Theater. Sie entstand im Zuge der Urbanisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien aus der Volkssängerszene heraus und wurden zum Aufführungsort für gemischte Unterhaltungsprogramme. Im Unterschied zum Varieté, das jedoch ebenso in Wien vertreten war, waren artistische und akrobatische Vorstellungen nicht vorgesehen.
Das Publikum der Singspielhalle war die gesellschaftliche Unterschicht, die sich weder Theater- noch Opernvorstellungen leisten konnte. So kostete beispielsweise 1867 der Eintritt in das Chantant (ein Vorgänger des Varietés in Wien) Schreindorfers-Glas-Salon 40 Kreuzer, während das Theater an der Wien vier Gulden, also das zehnfache, verlangte. Stars und häufig auch Betreiber von Singspielhallen waren die Volkssänger. Viele Singspielhallen entwickelten sich zu Kleinkunsttheatern und Kabarettbühnen und ab der Jahrhundertwende häufig zum Kino.
Die Wiener Singspielhalle verfügte vor allem bei den Komikern über einen regen Austausch mit dem zur Zeit Österreich-Ungarns noch zu über vierzig Prozent deutschsprachigen Budapest. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das 1889 gegründete Budapester Orpheum, das in Wien gegründet wurde und zunächst ausschließlich aus Budapestern bestand.
Geschichte
Die Singspielhalle war vor allem im Raum Wien, mit einem Zentrum im Prater, verbreitet. Sie diente vorerst vor allem für Volkssänger, Schauspielgruppen und Komiker als Aufführungsstätte. Viele Singspielhallen wurden auch von Volkssängern gegründet. Die Sänger gaben Solovorträge, ließen Volksstücke aufführen und gaben Singspiele zum Besten. Die Singspielhalle wurde so zur „Oper des kleinen Mannes“ – „ein Mittelding zwischen Theater und Volkssängerbühne“[1]. Sie verbreitete sich rasch in den Wiener Vorstädten (die erst einige Jahre später eingmeindet wurden) und das Programm entwickelte sich zu einer bunten Mischung der zeitgenössischen Unterhaltungskultur.
Zentrale Programmpunkte waren Gesangs-, Tanz- und Schauspieleinlagen. Es traten Volks-, Couplet- und Wienerlied-Sänger auf, es wurden Volksstücke, Possen und Burlesken aufgeführt.
Trotz des Wortes „Halle“ im Namen, war die Singspielhalle zumeist in gewöhnlichen städtischen Gebäuden untergebracht. Lediglich im Prater war die Bezeichnung „Halle“ mitunter wortwörtlich zu verstehen.
Im Unterschied zu den Londoner, Pariser und New Yorker (siehe Vaudeville) Vorbildern widmeten sie sich oft einer kleinbürgerlichen Variante der Operette, aber auch dem Kabarett und anderen Varianten der Kleinkunst wie den folkloristischen Volkssängern. Auch in anderen Städten wie München, Berlin oder Frankfurt am Main wurden Singspielhallen eröffnet. Bekannte Artisten wie Karl Valentin oder Armin Berg sind aus ihnen hervorgegangen.
Die erste Wiener Singspielhalle wurde 1860 in Hernals eröffnet („Ungers Casino“). Johann Fürsts Singspielhalle war seit 1861 eine der größten Singspielhallen im Prater. Die ebenfalls im Prater befindlich gewesene große Singspielhalle von Gustav Münstedt wurde bereits 1902 zu einem der ersten Kinos Wiens umgebaut. In den 20er-Jahren wurde daraus der Münstedt Kino Palast, aus Fürsts Singspielhalle wurde das Lustspielkino. Viele weitere Singspielhallen ereilte bis etwa 1930 dasselbe Schicksal, als das Kino zum neuen Massenunterhaltungsmedium aufstieg.
Rechtliche Einschränkungen
Um eine Singspielhalle zu führen, benötigte man in Wien eine Konzession. Eine Singspielhalle im Sinne der Konzession war allerdings keine räumliche Einrichtung, sondern ein Unternehmen, das „zur Aufführung von einaktigen, dem Volksleben der Gegenwart entnommenen Singspielen, Possen und Burlesken mit Gesang, sowie auch von einzelnen Liedervorträgen und Soloszenen“ berechtigt war.[2] Für die Aufführungen einer „Singspielhalle“ benötigte der Konzessionär eine „Restaurations oder Wirtshauslokalität“.[2] Der Singspielhallenbetreiber musste sich daher für jede Vorstellung in ein Restaurant oder Wirtshaus einmieten. Wollte der Konzessionär eine eigene Aufführungsstätte gründen, benötigte er daher eine Wirtshaus-Konzession. Viele Aufführungsstatten, die als Singspielhallen bekannt waren, waren daher gewöhnliche Restaurants, Wirtshäuser oder häufig auch Hotels, in denen mehr oder weniger regelmäßig Singspielhallen-Aufführungen statt fanden.
Die Konzession sah Einschränkungen für den Umfang der Aufführungen vor, um nicht mit dem Theater zu konkurrieren. So hätten die Schauspieler der Volksstücke und Possen keine Kostümierungen tragen dürfen, die Bühnen durften keine Versenkungen aufweisen, die Kulissen und Dekorationen während einer Vorstellung nicht gewechselt werden und keinerlei Theatermaschinerien verwendet werden.[2] Zumindest das Kostümverbot wurde jedoch nach Protesten wieder abgeschafft.
Trotz der rechtlichen Einschränkungen entwickelten sich einige Singspielhallen in ihrem Aufführungsbetrieb zu Theatern, in denen neben Gesangs- und Kabarettvorstellungen auch Volksstücke und mehraktige Stücke (rechtlich gesehen: mehrere Einakter hintereinander) aufgeführt wurden. Rechtlich gesehen waren sie dennoch keine Theater, wenngleich sich manche Bühnen dennoch so nannten: etwa das Fürst-Theater im Wiener Prater.
Literatur
- Georg Wacks: Exkurs: Die Singspielhallenkonzession. In: Georg Wacks: Die Budapester Orpheumgesellschaft. Ein Varieté in Wien 1889–1919. Verlag Holzhausen, Wien 2002, ISBN 3-85493-054-2, S. 13–15
- Das Harmonietheater (= Beiträge zur Heimatkunde des IX. Bezirks. Nr. 1), Wien 1966
- Josef Koller: Das Wiener Volkssängertum in alter und neuer Zeit, Wien: Gerlach & Wiedling 1931