Bibliothek 2.0
Der Begriff der Bibliothek 2.0 (engl. Library 2.0) ist bislang nicht eindeutig definiert und umfasst zum Teil kontrovers diskutierte Konzepte und Vorstellungen über die zukünftige Gestaltung von Bibliotheken. Konsens herrscht weitgehend, dass die Bibliothek 2.0 grundsätzlich auf den Benutzer und seine Vorstellungen, Wünsche, Erwartungen ausgerichtet ist.
Einigkeit besteht ebenfalls überwiegend dahingehend, dass die Bibliothek 2.0 auf bestimmte, dem so genannten Web 2.0 zugeschriebene Grundprinzipien wie Partizipation, Kollaboration, Interaktion bzw. einfach Zwei-Wege-Kommunikation zurückgreift. Diese wurden durch die weite Verbreitung rückkopplungsfähiger und auf Vernetzung ausgerichteter Kommunikationstechnologien, besonders durch die so genannte Soziale Software, zu einem allgemeinen Kommunikationsphänomen im Internet.
Ein offensichtlicher Grundbestandteil der Bibliothek 2.0 ist die prinzipielle Einbindung des Bibliotheksbenutzers in die Gestaltung und Entwicklung besonders von digitalen Dienstleistungen. Das Plattformprinzip beinhaltet interaktive Nutzerschnittstellen und offene Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten.
Anhänger des Konzeptes gehen davon aus, dass mit der Bibliothek 2.0 die traditionellen Service-Angebote der Bibliotheken um neue Formen ergänzt werden.
Überblick
Die englische Bezeichnung „Library 2.0“ wurde im Jahr 2005 von Michael Casey in seinem Blog LibraryCrunch als direkter Ableger des Begriffs Web 2.0 geprägt. Casey behauptete, dass Bibliotheken, besonders öffentliche Bibliotheken, an einem Punkt sind, an der viele Elemente des Web 2.0 von Wert für das Bibliothekswesen sind. Dies gilt sowohl für die technisch basierten, als auch für die nicht technischen Dienstleistungen. Besonders beschrieb er die Notwendigkeit, an Bibliotheken eine Strategie für konstante Veränderung einzuführen, welche eine partizipative Rolle des Bibliotheksbenutzerns fördert.
Auf einer wissenschaftlichen Konferenz wurde der Begriff Library 2.0 zum ersten Mal auf der "Internet Librarian Conference" im Oktober 2005 erwähnt, als Michael Stephens von der Öffentlichen Bibliothek des Saint Joseph County die Idee in Verbindung mit typischen Bibliothekswebsites brachte.
In der Bibliothek 2.0 werden Bibliotheksdienstleistungen häufig evaluiert und aktualisiert, um die sich ändernden Bedürfnisse der Bibliotheksbenutzer zu erfüllen. Bibliothek 2.0 bedeutet auch, Benutzerbeteiligung und –feedback in die Entwicklung und die Pflege von Bibliothekdienstleitungen einfließen zu lassen. Der aktive und gestärkte Benutzer ist eine wichtige Komponente der Bibliothek 2.0. Wenn Informationen in beide Richtungen fließen – von der Bibliothek zum Nutzer und vom Nutzer zur Bibliothek – können sich Bibliotheksdienstleistungen auf einer konstanten und schnellen Basis entwickeln und verbessern. Der Benutzer ist Teilnehmer, Co-Schöpfer, Erbauer und Berater – egal ob das Produkt virtuell oder physisch ist.
Die Debatte um Bibliothek 2.0
Die angloamerikanische Debatte
Die Debatte um die Library 2.0 hat ihren Ursprung in der Biblioblogosphäre. Einige bibliothekarische Blogger argumentieren, dass die mit dem Konzept verbundenen Grundideen nicht neu sondern vielmehr bereits Bestandteil der Service-Philosophie der Bibliotheksreformer des 19. Jahrhundert sind. Andere verlangen konkrete Beispiele, wie sie von der Bibliothek zur Bibliothek 2.0 kommen können. Die bislang vermutlich ausführlichste und kritischste Analyse stammt von Walt Crawford, der anhand von „Sixtytwo Views and Seven Definitions“ dessen, was mit dem Schlagwort Library 2.0 beschrieben wird, die Schwachstellen des Konzepts herausstellt. [1]
Verfechter der Library 2.0, wie Stephen Abram[2], Michael Stephens [3], Paul Miller[4] argumentieren, dass bestimmte Aspekte der Library 2.0 nicht an sich neu sind, jedoch die Konvergenz eines erweiterten Verständnis von Service und Nutzerorientierung mit technischen und konzeptionellen Elementen aus dem Web 2.0 zu neuen Formen bibliothekarischer Dienstleistungen führt, die derart umfassend seien, dass sie im Ergebnis eine neue Qualität bibliothekarischer Tätigkeit darstellen wird. Entsprechend nennen sie dieses Phänomen in Analogie zum Web 2.0 und in Anlehnung an die Nummerierung von Software-Generationen Library 2.0.
Die Debatte im deutschen Sprachraum
Eine kritische und eigenständige Auseinandersetzung, die über den Rückgriff auf die Entwicklung im angloamerikanischen Bibliothekswesen bzw. in der dortigen Bibliothekswissenschaft hinausreicht, ist im deutschsprachigen Raum bisher kaum erkennbar. Das Phänomen wird jedoch - wenn auch nicht immer unter der Bezeichnung Bibliothek 2.0 - zunehmend rezipiert.
Die Debatte international
Das Konzept der Library 2.0 erfährt u.a. auch im skandinavischen Bibliothekssystem eine rege Rezeption. So findet beispielsweise in Stockholm der Biblioteksdagarna 2007 unter dem Motto „Bibliotek 2.0“ statt.
Quellen
- ↑ Crawford, Walt. (2006). Library 2.0 and 'Library 2.0'" Cites and Insights 6, 2. January 2006.
- ↑ Abram, S., Casey, M., Blyberg, J. u. Stephens, M. (2006). [ http://www.dynix.com/institute/seminar/index.asp?sem=20060222 Ein SirsiDynix Institut-Gespräch: Die 2.0 Meme - Netz 2.0, Bibliothek 2.0, Bibliothekar 2.0], Februar 2006.
- ↑ Casey, M. & Stephens, M. (2006). Better Library Services for More People, ALA TechSource Blog, January 2006.
- ↑ Miller, P., Tschad, K. (2005). [ http://www.talis.com/downloads/white_papers/DoLibrariesMatter.pdf Do libraries matter? - The rise of Library 2.0], Talis November 2005.
Weiterführende Literatur (englisch)
- Boog, J. (2005). Library 2.0 Movement Sees Benefits in Collaboration with Patrons, Publish (Weblog), November 2005.
- Casey, Michael. (2005). Working Towards a Definition of Library 2.0, LibraryCrunch (Weblog), 21 October 2005.
- Casey, M. & Stephens, M. (2005). Where Do We Begin? A Library 2.0 Conversation with Michael Casey, ALA TechSource Blog, December 2005.
- Casey, Michael & Savastinuk, Laura. (2006) Library 2.0: Service for the Next-generation Library In: Library Journal, September 1, 2006.
- Harris, Christopher. (2006) School Library 2.0 In: School Library Journal, May 1, 2006.
- Maness, J. (2006). Library 2.0 Theory: Web 2.0 and Its Implications for Libraries. In: Webology, 3 (2), Article 25.
- Miller, P., (2005). Web 2.0: Building the New Library. In: Ariadne, No.45 October 2005.
- Miller, P. (2006). Library 2.0: The Challenge of Disruptive Innovation, Talis February 2006.
- Stephens, Michael. (2006). Web 2.0 & Libraries: Best Practices for Social Software In: Library Technology Reports, 42:4.
Weiterführende Literatur (deutsch)
- Danowski, Patrick & Heller, Lambert (2006) Bibliothek 2.0 - Die Zukunft der Bibliothek. In Bibliotheksdienst 11/06 S. 1259 - 1271
- Figge, Friedrich and Kropf, Katrin (2007) Chancen und Risiken der Bibliothek 2.0: Vom Bestandsnutzer zum Bestandsmitgestalter. In: Bibliotheksdienst 41(2): S. 139-149.
- Herb, Ulrich (2007) Ohne Web 2.0 keine Bibliothek 2.0. In: telepolis, 13. September 2007.
- Hobohm, Hans-Christoph (2007) Bibliothek(swissenschaft) 2.0. Neue Auflage oder Wende in Forschung und Lehre? In: LIBREAS.Library Ideas 10/11 (2/2007).
- Kaden, Ben (2008) Zu eng geführt: Debatte um »Library 2.0«. Bringen uns Marketing-Slogans weiter?.Plädoyer für mehr bibliothekswissenschaftliche Trennschärfe. In: BuB - Forum für Bibliothek und Information 3/2008 S. 224-225
- Plieninger, Jürgen (2008) »Bibliothek 2.0« und digitale Spaltung / Maßgeschneiderte Informationen und individuelle Kataloge dank sozialer Software. In: BuB - Forum für Bibliothek und Information 3/2008 S. 220-223