Egoismus
Egoismus (frz.: égoïsme; zu griech.: ego = ich) bedeutet „Eigennützigkeit“. Das Duden-Fremdwörterbuch beschreibt Egoismus als „Ich-Bezogenheit“, „Ich-Sucht“, „Selbstsucht“, „Eigenliebe“. Egoismen (Plural) sind demnach Handlungsweisen, die den Handelnden selbst als einzige Bestimmung der Handlungsmaxime und zumeist uneingeschränkt seinen eigenen Vorteil zum Zweck haben, eng einhergehend mit der mangelnden Akzeptanz, dass andere Menschen die gleichen Handlungsweisen gleichfalls gegenüber dem so Handelnden ausführen dürften. Ein wesentlicher Aspekt eines unumschränkten Egoismus' ist damit auch das Verwenden von zweierlei Maß.
„Egoismus“ wird meistens abwertend als Synonym für rücksichtsloses Verhalten verwendet und als „unanständig“ beurteilt. Er beschreibt dann die Haltung, ausschließlich persönliche Interessen zu verfolgen ohne Rücksichtnahme auf die Belange oder sogar zu Lasten anderer. Egoismus wird in diesem Zusammenhang als Gegenteil von Altruismus und Solidarität kritisiert.
Umgekehrt existiert die Auffassung, dass Altruismus erst durch das Erlangen des eigenen Wohls möglich ist, etwa analog zu der Regel, die bei Rettungseinsätzen gilt, dass der Eigenschutz die erste Maßnahme der Ersten Hilfe ist.
Die negative Sicht auf den Egoismus als Egomanie steht im Kontrast zu einer positiven Wertung eines "gesunden" Egoismus, die im Ethischen Egoismus philosophisch ausgearbeitet ist. Eine wertungsfreie Auffassung ist die faktische Behauptung des Psychologischen Egoismus, dass alle Menschen de facto egoistisch handelten. Ebenfalls wertfrei ist das wirtschaftswissenschaftliche Modell des Homo oeconomicus.
Unter dem Begriff „Reziproker Altruismus“ wird versucht, das Zusammenspiel zwischen egoistischem Verhalten und Altruismus zu erörtern, wobei davon ausgegangen wird, dass egoistisches Verhalten altruistisch sein kann.
Definitionen
Egoismus ist ein heftig umstrittenes Phänomen, da er von unterschiedlichen Menschen und Gruppen unterschiedlich verstanden, bewertet oder definiert wird. Oft wird er auch interessengeleitet instrumentalisiert, um bestimmte Zwecke zu erreichen: z. B. Legitimation von Macht oder auch zur Diffamierung Anderer. Deshalb ist es sinnvoll, den Begriff mit Attributen näher zu bestimmen. Es können daher mindestens vier Formen des Egoismus unterschieden werden. Ein Versuch der Typisierung könnte so aussehen: Dem subjektiven Ansatz folgend unterscheidet man zwischen Egoismus im engeren Sinne und Egoismus im weiteren Sinne, nach dem objektiven Ansatz ist der positive vom negativen Egoismus zu trennen.
Egoismus im weiteren Sinne:
Betrachtet man Egoismus im weitesten Sinne, wird und muss jedes menschliche Verhalten als egoistisch eingestuft werden, denn jedem bewussten Tun liegt eine individuelle Abwägung des Eigennutzens der Tat zugrunde. Somit kann im weitesten Sinne selbst altruistisches Verhalten unter den Egoismusbegriff subsumiert werden, denn der altruistisch Handelnde bewertet subjektiv sein Handeln als vorteilhaft. Dies gilt auch bei allen anderen Definitionen, wird jedoch bei deren Bedeutung ausgeblendet, um eine Vereinfachung zu schaffen und den Begriff handhabbar zu machen.
Egoismus im engeren Sinne:
Im engeren Sinne ist ein Verhalten dann als egoistisch einzustufen, wenn der Handelnde bewusst einen Nachteil für einen Anderen in Kauf nimmt und alleine auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Ist ein Bewusstsein für tatsächlich entstandene Nachteile für einen Anderen als Folge des eigenen Tuns oder auch Unterlassens überhaupt nicht vorhanden, kann nicht mehr von Egoismus im engeren Sinne gesprochen werden, sondern von Egozentrismus. Unter dem Wikipedia-Lemma „Egozentrismus“ ist Egoismus als „reflektierte Selbstverliebtheit“ definiert. Der andere wird hierbei nicht als gleichberechtigtes Subjekt wahrgenommen, sondern ist nur Instrument des eigenen Lustgefühls. Dieser Egoismusbegriff ist daher negativ belegt und wird oft im Rahmen moralischer Vorwürfe benutzt.
Positiver Egoismus:
Beim objektiven Ansatz werden die Folgen menschlichen Handelns bewertet, weil man davon ausgeht, dass die wahren Intentionen menschlichen Tuns nur schwer oder gar nicht ermittelbar sind. Von positivem Egoismus spricht man daher, wenn die Konsequenzen selbstbezogenen Denkens und Verhaltens objektiv einen allgemeinen Nutzen haben und Einzelnen nicht schaden. Insbesondere dem Wettbewerbsgedanken liegt diese positive Auffassung von Egoismus zugrunde. Dieser Egoismus beschreibt die dynamisierenden, wohlstands- und damit allgemeinwohlfördernden Auswirkungen selbstbezogenen Denkens.
Ein weiteres Phänomen des positiven Egoismus ist „kooperativer Egoismus“, der vor allem in den USA zu beobachten ist: Diejenigen Personen, die sich am meisten für egoistische Werte wie Karriere und Selbstverwirklichung einsetzen sind häufig zugleich diejenigen, die kommunale Aktivitäten hoch bewerten und einen großen Teil ihrer Freizeit für andere verbringen. Der kooperative Egoismus wird auch als "altruistischer Individualismus" bezeichnet. Dies zeigt, dass positiv egoistische Motive mit altruistischen Zielen verschwimmen können.
Der objektiven Sichtweise verwandt, beschreibt der Objektivismus (in seiner Interpretation von Ayn Rand) einen sogenannten „rationalen“ Egoismus, der von seinen Vertretern als vernünftiges und produktives Handeln zum eigenen Nutzen und unter Wahrung der negativen Schutzrechte anderer Individuen dargestellt wird. Diese Rechte schützen im Wesentlichen Leben, Freiheit und Eigentum im Sinne einer Abwehr von physischer, nicht „struktureller“ Gewalt.
Negativer Egoismus:
Hierunter werden Formen selbstbezogenen Denkens subsumiert, insofern dessen Folgen dem allgemeinen Wohl abträglich sind und Einzelnen Schaden zufügt. Soziale Disparitäten, Rücksichtslosigkeit, Krieg und humanitäre Katastrophen sind objektiv erfassbare mögliche Folgen dieses Egoismusverständnisses.
Reflexion in den Religionen
Christentum
In Nachfolge des Jesus von Nazaret ist eine egoistische Grundhaltung für Christen nicht möglich. Die uneigennützige Liebe, die Tradition der Kirche verwendet den Begriff Agape, ist das Ziel des Menschen.
Römisch-Katholische Kirche
Egoismus kann sich in der Gesellschaft auf mancherlei Arten manifestieren und erfordert die Kritik des engagierten Christen. Für den heilig gesprochenen Gründer des Opus Dei ist es Egoismus, keine Kinder zu bekommen. Dem Thema Egoismus widmet sich auch die Deutsche Bischofskonferenz mit dem Katholischen Erwachsenenkatechismus aus dem Jahr 1995.
Zitate
„Die Quellen des Lebens versiegen zu lassen, ist ein Verbrechen an den Gaben, die Gott der Menschheit anvertraut hat, und ein Hinweis darauf, daß man sich vom Egoismus und nicht von der Liebe leiten läßt.“
Spieltheorie
In der Spieltheorie könnte der Versuch eines Spielers, seinen maximalen Verlust zu minimieren, als Indikator dafür dienen, dass der Spieler egoistisch handele [1].
Das Ultimatumspiel zeigt, dass Menschen auf die Entgegennahme von Geldanteilen verzichten, wenn sie den mit ihnen zu teilenden Anteil als zu klein empfinden und wenn durch ihren Verzicht auch der „zu egoistisch“ Teilende keinen Betrag erhält. Das Verhalten des verzichtenden Individuums erscheint irrational, als Verhalten in Gruppen hat sich dieser Reaktion jedoch erhalten und erweist sich damit als evolutionär bewährt. Hier wirkt auch deutlich der in der Spieltheorie wichtige Unterschied zwischen einem einmalig gespielten Spiel und einem wiederholt gespielten Spiel. Bei wiederholten Spielen wird nicht nur um eine Nutzfunktion gespielt, sondern immer auch - als Metaspiel - um die Erhaltung oder Veränderung der Spielregeln selbst. Hierbei wird nicht über Gut und Böse entschieden, sondern es werden einfach die Spielregeln evolutionär selektiert, die das Vorkommen des Spieles maximieren.
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Ein Gradmesser für die Befriedigung des Egoismus des Einzelnen ist auch der Vergleich mit anderen Personen. So konnte in einem Experiment der Universität Bonn unter anderem festgestellt werden, dass Testpersonen, welche die Anzahl von Punkten auf einem Bildschirm schätzen mussten und für ein richtiges Ergebnis mit Geld belohnt wurden, auf die Information, dass ihr Mitspieler sich verschätzt hatte, während sie richtig lagen, mit einer weitaus höheren Aktivität ihres Belohnungszentrums reagierten, als wenn beide Mitspieler das korrekte Ergebnis nennen konnten, obwohl die Aktivitäten des Mitspielers auf die eigene Entlohnung keinen Einfluß hatte. Der erlittene Nachteil des anderen wird also als positiv bewertet. Bereits die von Adam Smith entwickelte Theorie der ethischen Gefühle ging davon aus, dass die Menschen sich gegenseitig beobachten und ihr Verhalten nicht billigen, wenn es dem Beobachteten von Nutzen ist. Diese Reaktion kann möglicherweise eine bedeutende Ursache für Phänomene wie Neid und Missgunst sein; hier ist im Vorfeld ihrer Entstehung der Vergleich mit der jeweils avisierten Person oder Gruppe zu Ungunsten des den Vergleich Ziehenden ausgegangen.
Eine Erklärung für diese Reaktion könnte unter der Zugrundegung der Annahme, dass alle Menschen per se egoistisch sind, darin liegen, dass zumindest intuitiv in dem Egoismus der Anderen grundsätzlich eine "Spitze" gegen das gleichartige Streben nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse gesehen wird und dies daher die (in der Regel nur heimlich gehegte) Mißbilligung auslöst.
Altruistisches Verhalten resultiert ebenfalls aus dem Phänomen des Egoismus. So ist zumindest zu beobachten, dass ein sich generell eher großzügig verhaltender Mensch dabei auch eine deutliche positive Reaktion seines Belohnungssystems erfährt, so dass diese Menschen eher dazu neigen, sich wohlgefällig gegenüber anderen zu verhalten, als Menschen, bei denen diese Reaktion weitaus geringer ist oder ausbleibt.
Kritik
Des Öfteren wird Egoismus mit dem Begriff Ellenbogenmentalität reflektiert, um ein rücksichtsloses Verhalten von Einzelnen und Gruppen um ihre Interessen anzuprangern. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht dabei die Frage, ob rücksichtsloses Verhalten durch soziale Regulierung verhindert werden kann. Diesbezüglich gehen die Meinungen - je nach (polit-ökonomischer) Weltanschauung - stark auseinander: Während die einen Regulierung befürworten, weil sie die Meinung vertreten, dass Egoismus per se zu rücksichtslosem Verhalten führe, vertreten andere die gegenteilige Meinung: Ihrer Ansicht nach entsteht Rücksichtslosigkeit erst durch Regulierung, denn diese führe zu einer Verminderung natürlicher sozialer Kompetenzen. Entsprechend entstehe Kriminalität erst durch ihre Regulierung, diese führe zu einer Verminderung natürlicher sozialer Kompetenzen. Ein Grund für die Diskussion sind unterschiedliche Auslegungen des Begriffes „Regulierung“. Diese kann mit gesatztem Recht erfolgen aber auch durch Ausübung sozialer Kompetenz.
Literatur
- Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, §2 („Vom Egoism“ und „Über die Förmlichkeit der egoistischen Sprache“), 1798, ISBN 3-15-007541-6
- Thomas Leon Heck (Hrsg.): Das Prinzip Egoismus, Tübingen: Noûs Verlag, 1994 (Zahlreiche kleinere Aufsätze zum „Egoismus-Prinzip“, darunter die Vorstellung der Auffassungen abendländischer Geistesgrößen von Platon bis heute, und die Egoismus-Altruismus-Diskussion in den Wissenschaften)
- Miller, Dale T. (1999): The norm of selfinterest. In: The American Psychologist, Vol.54, No. 12, S.1053-1060
- Marx, Karl (1845): Zur Judenfrage (Marx über (1) Bruno Bauer: »Die Judenfrage«. Braunschweig 1843. (2) Bruno Bauer: »Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden«. »Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz«. Herausgegeben von Georg Herwegh. Zürich und Winterthur, 1843, 5.56-71.), Marx und Engels Werke (MEW) Band 1, insbesondere S.364ff Ausführungen zum egoistischen Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft.
Quellen
- ↑ Hans-Werner Bierhoff, Michael Jürgen Herner: Begriffswörterbuch Sozialpsycholologie, 2002, ISBN 3-17-016982-3
Siehe auch
- Egozentrik
- Individualismus
- Max Stirner
- Narzissmus
- Nimby
- Psychologischer Egoismus
- Quid pro quo
- Radikaler Konstruktivismus
- Selbst
- Selbstliebe
- Solipsismus
- Verteilungsgerechtigkeit
Weblinks
- Robert Shaver: Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Alexander Moseley: Eintrag in James Fieser, Bradley Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy.
- Georg Simmel, 1892, Einleitung in die Moralwissenschaft. Bd. 1, 2. Kap.: Egoismus und Altruismus