Emily Rosdolsky
Emily Rosdolsky (* 2. Juni 1911 in Wien; † 3. September 2001 ebenda; geb. Meder) war eine österreichische Marxistin. Sie war in der Zwischenkriegszeit in der KPÖ aktiv und tendierte zum Trotzkismus. Ferner war sie die Verfasserin der (großteils anonymen) Vorworte in den diversen Veröffentlichungen ihres Ehemanns und Mitstreiters Roman Rosdolsky.
Emily Rosdolsky war im Widerstand gegen den Austrofaschismus und gegen den Nationalsozialismus aktiv, weshalb sie 1934 für 2 Monate und 1942 für 3 Wochen inhaftiert wurde. 1947 floh sie gemeinsam mit Roman Rosdolsky und ihrem Sohn Hans vor dem Stalinismus in die USA, wo sie bis 1971 als Gewerkschaftsberaterin tätig war. Danach lebte sie bis zu ihrem Tod in Wien, wo sie sich in der Memorial-Bewegung und im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes politisch engagierte. In Wien sympathisierte sie mit der trotzkistischen GRM und verfasste zwei Artikel über die Opfer des Stalinismus.

Jugend und politische Anfänge (1911–1933)
Emily Meder trat bereits 1925 als 14jährige Gymnasiastin dem Verband Sozialistischer Mittelschüler (VSM), der damaligen Schülerorganisation der SPÖ, bei und wechselte 1927 zum Kommunistischen Jugendverband (KJV). 1928 trat sie in die KPÖ ein. Obwohl sie in Wien Alsergrund (9. Gemeindebezirk) lebte, war sie in Brigittenau (20. Bezirk) aktiv, weil dieser „ein attraktiver proletarischer Bezirk“[1] war. Mit 16 Jahren lernte sie am 15. Juli 1927 während der Demonstrationen beim Wiener Justizpalastbrand ihren späteren Mann, den ukrainischen Marxisten Roman Rosdolsky kennen.
Nach ihrer Matura 1929 wechselte Meder in die KPÖ-Zelle im 9. Bezirk (Lichtental), wo sie mit Roman Rosdolsky zusammenarbeitete. In einem Interview mit dem Historiker Fritz Keller vom 7. Juni 1983 berichtete sie, „dass an Zellenabenden so 15 Leute [anwesend] waren“.[1] Emily Meder war damals verantwortliche Redakteurin der Betriebszeitung „Der rote Franz-Josephs-Bahner“ und kämpfte gemeinsam mit Roman Rosdolsky und anderen für eine „revolutionäre Gewerkschaftsopposition“, weshalb sie eine Vorladung bei der Polizei hatte.
In der KPÖ-Zelle im 9. Bezirk waren bekannte Oppositionelle wie „Martha Nathanson, die ganz offen als Trotzkistin aufgetreten ist“, oder „Hans Selackek, der ein Anhänger der rechten Gruppe war“, aktiv.[1] Nächte lang soll der trotzkistische Roman Rosdolsky dort mit Anhängern Heinrich Brandlers und linientreuen Stalinisten gestritten haben.[2] Meder war ebenso mit „Dr. Isidor Fassler bekannt, der einer der ganz frühen Trotzkisten war“ und „der von den Nazis übrigens umgebracht wurde“.
Roman Rosdolsky hatte großen politischen Einfluss auf Emily Meder und andere Mitglieder der KPÖ. Er hat Meder unter anderem dazu bewogen, Leo Trotzkis Schriften zum Nationalsozialismus zu lesen. Nach eigener Aussage wurde sie von Roman Rosdolsky in der Kritik an der Politik der KPD und deren Sozialfaschismusthese ebenfalls „sehr stark beeinflusst“.[1]
Bürgerkrieg und Emigration (1934–1938)
Die KPÖ wurde 1933 unter Engelbert Dollfuß verboten. Während des österreichischen Bürgerkriegs um den 12. Februar 1934 haben Emily Meder und ihre Genossen im 9. Bezirk selbst erstellte Flugblätter herausgegeben und verteilt, fühlten sich jedoch völlig von der illegalen KPÖ isoliert. Als sich Meder Anfang März mit einer Gruppe Roter Falken traf, die sich dem Kommunistischen Jugendverband anschließen wollte, wurde sie gemeinsam mit 12 Mitstreitern verhaftet und auf die Polizei gebracht. Emily Meder blieb bis zum 8. Mai 1934 in Haft. Seitdem stand sie unter Polizeiaufsicht, wodurch sie nicht mehr in der KPÖ arbeiten konnte.[1]
Nach war nach der Machtergreifung durch die Heimwehr im Februar 1934 war Roman Rosdolsky vor dem Austrofaschismus aus Wien in seine frühere Heimat Lemberg geflohen. Seitdem hatte Emily Meder mit Roman Rosdolsky einen regen Briefwechsel, der ihre politische Überzeugung ebenfalls beeinflusste. Nach den Ereignissen im Februar 1934 hatte Meder keinen Kontakt mehr zur KPÖ. Stattdessen näherte sie sich weiter der trotzkistischen Bewegung an und nahm an trotzkistischen Treffen bei Kurt Bettelheim teil, den sie noch aus der sozialistischen Mittelschüler- und Studentenbewegung kannte. Bei Bettelheim las sie auch Trotzkis Schrift „Verratene Revolution“.[1]
Emily Meder war federführend an der Gründung von „Ziel und Weg“ beteiligt, einer oppositionellen Zeitschrift im Kommunistischen Jugendverband. Die „Ziel und Weg“-Gruppe war eine Zeit lang entristisch im KJV tätig, bis deren Mitglieder ausgeschlossen und in der KJV-Zeitung „Proletarier-Jugend“ als „mögliche Heimwehrleute, Nazis oder Polizeispitzel“ diffamiert wurden. „Die Zeitung erschien trotzdem weiter“, so Meder. Einen Kontakt zu den trotzkistischen „Revolutionären Kommunisten“, einer oppositionellen Gruppe, die um 1935 ebenfalls entristisch im Kommunistischen Jugendverband arbeitete, gab es aber nicht.[1]
Die wesentliche Ausrichtung von „Ziel und Weg“, einem gemeinsamen Projekt von linken und rechten Oppositionellen, beschrieb Emily Meder folgendermaßen[1]:
„Im spanischen Bürgerkrieg haben wir mit dem POUM sympathisiert. Wir waren gegen die rot-weiß-rote Orientierung der KPÖ – wir sind der Losung einer österreichischen Nation skeptisch gegenübergestanden und waren der Ansicht, man sollte auf eine gesamtdeutsche Revolution setzen. Wir haben die Volksfrontpolitik in Frankreich für prinzipienlos gehalten. Zu den Moskauer Prozessen hat die ‚Ziel-und-Weg‘-Gruppe vorsichtig aber doch Stellung genommen.“
1937 promovierte Emily Meder in Rechtswissenschaft. Während der Moskauer Prozesse 1936–1938 schloss sie sich endgültig dem Trotzkismus an. Zur Positionierung ihrer Gruppe gegenüber dem Nationalsozialismus in Österreich vor der Machtergreifung 1938 berichtete sie[1]:
„Wir haben die Haltung der Kommunistischen Partei damals – die Einstellung auf Schuschnigg und die Kooperation mit der Vaterländischen Front – verurteilt und haben unsere eigenen Flugblätter herausgegeben.“
Noch nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 12./13. März 1938 hatte die KPÖ-Zelle des 9. Bezirks eine illegale Funktionärskonferenz im Wienerwald, an der Emily Meder teilnahm. Der spätere KPÖ-Generalsekretär Friedl Fürnberg (1902–1978), damals ZK- und Leitungsmitglied der KPÖ, vertrat die Ansicht, dass sich die Nationalsozialisten in Österreich „zwischen 6 Wochen und 6 Monaten“, keinesfalls länger, „an der Macht halten könnten“, berichtete Meder. „Roman Rosdolsky ist damals sehr entschieden gegen die Behauptung aufgetreten, das sei nur eine vorübergehende Niederlage.“[1]
Roman Rosdolsky fragte seine Genossin Emily Meder damals, ob sie „nicht einmal eine andere Luft atmen will“ und lud sie zu sich nach Lemberg ein. Als sie Rosdolsky im Dezember 1938 besuchte, wurde Meder von ihren Genossen geschrieben, sie solle wegen der starken Repression „wenn möglich nicht mehr nach Österreich zurückkehren“. Emily Meder blieb also in Lemberg und heiratete dort schließlich im Februar 1939 Roman Rosdolsky. Politisch aktiv war Emily Rosdolsky in Lemberg jedoch nicht, da sie kein Ukrainisch sprach.
Im September 1939 wurde Lemberg durch die Sowjetische Besetzung Ostpolens in Folge des Hitler-Stalin-Paktes der Ukrainischen SSR einverleibt. Als bekannt wurde, „dass die Stadt von den Russen besetzt werden wird“, flohen Emily und Roman Rosdolsky aus Angst vor dem Stalinismus zu Fuß und mit dem Zug nach Krakau, da „Roman sich in der Stadt als Trotzkist erklärt hatte“. Damals stand Krakau zwar bereits unter deutscher Besatzung, dennoch schien die Stadt den Rosdolskys sicherer zu sein als Lemberg. In Krakau arbeitete Emily Rosdolsky als Sekretärin bei der Dresdner Bank und half dabei, mit einer kleinen Werkstätte, in der Reisstroh-Bürsten produziert wurden, „einigen Leuten eine Beschäftigung zu geben.“[1]
Verfolgung durch den Nationalsozialismus und US-Exil (1939–2001)
Im September 1942 schließlich wurden beide von der Gestapo wegen „Hilfe für Juden“ verhaftet. Emily Rosdolsky, die damals hochschwanger war, wurde nach drei Wochen freigelassen. Fritz Keller vermutet, dass ihre Haftentlassung der Mithilfe „eines antinazistischen Gestapo-Mannes‘“ zu verdanken sei. Im Dezember 1942 ging Emily Rosdolsky nach Wien zurück, wo sie trotz der ständigen Gefahr von Inhaftierung während des Krieges blieb. Später ging sie wegen der Bombardierungen in Wien nach Oberösterreich. Roman Rosdolsky wurde im April 1943 – wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes Hans im Januar – aus Krakau in das KZ Auschwitz deportiert.[2]
Emily Rosdolsky war nach dem Krieg bei der Linzer Arbeiterkammer als Jugendschutzsekretärin und Bildungsreferentin tätig. Nachdem 1947 Karl Fischer, ein Mitarbeiter und Genosse Emilys, wegen seiner oppositionellen Gesinnung von russischen Agenten „aus der Arbeiterkammer in Urfahr an der Zonengrenze“ (die Zonengrenze war die Nibelungenbrücke) gekidnappt und nach Sibirien in ein Gulag verschleppt wurde[3], emigrierte die Familie Rosdolsky im Herbst in die USA.
Emily Rosdolsky war 23 Jahre lang – bis zu ihrer Rückkehr nach Wien 1971 – als Beraterin in der Forschungsabteilung der United Auto Workers – der Gewerkschaft der Automobilarbeiter in der AFL-CIO – in Detroit tätig. Ihr Mann Roman Rosdolsky hingegen fand in der McCarthy-Ära als bekannter Kommunist keine Arbeit. Ein Universitätsposten wurde ihm verweigert, weshalb er in der Folge als Privatdozent tätig war. Nach dem Tod ihres Mannes 1969 kehrte Emily Rosdolsky nach Wien zurück. Dort wirkte sie als ehrenamtliche Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes.[2]
Obwohl sie sich in Wien nicht mehr politisch betätigte, blieb sie politisch interessiert und verfolgte die Politik und die Diskussionen innerhalb der Gruppe Revolutionäre Marxisten (GRM), der österreichischen Sektion der Vierten Internationale. 1977 verfasste Emily Rosdolsky gemeinsam mit Fritz Keller in der GRM-Zeitung rotfront einen Artikel zu den Wiener Trotzkistenprozessen 1937.[4]
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks betätigte sich Emily Rosdolsky aktiv in der österreichischen Memorial-Bewegung im Gedenken an die Opfer des Stalinismus. 1990 schrieb sie in diesem Zusammenhang eine Biografie über Franz Koritschoner, 1918 Mitgründer und erster Vorsitzender der KPÖ. Koritschoner ist im KZ Buchenwald umgekommen, nachdem er im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes als deutscher Staatsbürger vom NKWD an die Gestapo ausgeliefert worden war.[5]
Emily Rosdolsky starb am 3. September 2001 im Alter von 90 Jahren in Wien. Am Ende ihres Lebens forderte sie in Gesprächen mit Fritz Keller ein Überdenken des Marxismus und bezweifelte in Anlehnung an die Wertkritik die prinzipielle Gültigkeit der Arbeitswerttheorie als Grundlage einer marxistischen Ökonomie.
Werke
- Fritz Keller, Emmy Rosdolsky: 40 Jahre Trotzkistenprozesse in Wien. In: Gruppe Revolutionäre Marxisten (Hrsg.): rotfront. Nr. 8–9. Wien 1977.
- Emily Rosdolsky: Franz Koritschoner. In: Memorial (Hrsg.): Österreichische Stalinopfer. Wien 1990, S. 69–76.
Literatur
- Fritz Keller: Alfred Klahr im KZ Auschwitz. Interview mit Emmy Rosdolsky. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Jahrbuch 1998. Selbstverlag, Wien 1998, S. 69–72.
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h i j k Interview von Fritz Keller mit Emily Rosdolsky am 7. Juni 1983.
- ↑ a b c Fritz Keller Emily Rosdolsky gestorben. In: SoZ – Sozialistische Zeitung, Nr. 22, 25. Oktober 2001, S. 15.
- ↑ Fritz Keller: In den GULAG von Ost und West. Karl Fischer, Arbeiter und Revolutionär. Internationale Sozialistische Publikationen, Frankfurt am Main 1980, S. 103 ff. (Der Teil, der im Buch die Verschleppung behandelt, ist ein autobiografisches, unvollendetes Manuskript Karl Fischers.)
- ↑ Fritz Keller, Emmy Rosdolsky: 40 Jahre Trotzkistenprozesse in Wien. In: Gruppe Revolutionäre Marxisten (Hrsg.): rotfront, Nr. 8–9, Wien 1977.
- ↑ Emily Rosdolsky: Franz Koritschoner. In: Memorial (Hrsg.): Österreichische Stalinopfer. Wien 1990, S. 69–76
Personendaten | |
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NAME | Rosdolsky, Emily |
ALTERNATIVNAMEN | Meder, Emily; Meder, Emmy; Rosdolsky, Emmy |
KURZBESCHREIBUNG | österreichische Marxistin |
GEBURTSDATUM | 2. Juni 1911 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 3. September 2001 |
STERBEORT | Wien |