Zeitdilatation
Bei der Zeitdilatation handelt es sich um ein Phänomen der Relativitätstheorie. Befindet sich ein Beobachter im Zustand der gleichförmigen Bewegung, geht nach der speziellen Relativitätstheorie jede relativ zu ihm bewegte Uhr aus seiner Sicht langsamer. Diesem Phänomen unterliegen nicht nur Uhren sondern jeder beliebige Vorgang und damit die Zeit im bewegten System selbst. Die Zeitdilatation ist umso stärker, je größer die Relativgeschwindigkeit der Uhr ist. Sie ist allerdings für Geschwindigkeiten, die im Alltag eine Rolle spielen, so gering, dass sie nicht bemerkt wird. Erst bei Geschwindigkeiten, die im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit nicht vernachlässigbar klein sind, wird sie beobachtbar.
Die Zeitdilatation wird aus jedem Inertialsystem heraus beobachtet. Damit sehen zwei mit konstanter Geschwindigkeit relativ zueinander bewegte Beobachter jeweils die Zeit des anderen langsamer verstreichen. Dies ist jedoch nur ein scheinbarer Widerspruch, der durch die Relativität der Gleichzeitigkeit aufgelöst wird (näheres siehe im Artikel spezielle Relativitätstheorie und Minkowski-Diagramm).
Bei der gravitativen Zeitdilatation handelt es sich um ein Phänomen der allgemeinen Relativitätstheorie. Mit der gravitativen Zeitdilatation bezeichnet man den Effekt, dass eine Uhr, und auch jeder physikalische Prozess, in einem Gravitationsfeld langsamer geht als außerhalb desselben. So läuft die Zeit auf der Erdoberfläche relativ um 6,95317 · 10-10 langsamer ab als im fernen Weltraum. Anders als bei der Zeitdilatation durch Bewegung ist die gravitative Zeitdilatation nicht gegenseitig: Während der im Gravitationsfeld weiter oben befindliche Beobachter die Zeit des weiter unten befindlichen Beobachters langsamer ablaufen sieht, sieht der untere Beobachter die Zeit des oberen Beobachters entsprechend schneller ablaufen.
Die gravitative Zeitdilatation wurde 1960 in dem Experiment von Robert Pound und Glen Rebka nachgewiesen.
Zeitdilatation durch relative Bewegung
Bei konstanter Geschwindigkeit
Die Zeitdilatation in einem Inertialsystem, welches sich relativ zu einem anderen Inertialsystem mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegt, ist
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wobei die Zeitdifferenz im ruhenden und die Zeitdifferenz im bewegten Inertialsystem sind. Außerdem ist mit der Lorentzfaktor. Für eine einfache Erklärung dieses Faktors kann das Konzept der Lichtuhr herangezogen werden.
Myonen in der Erdatmosphäre
Beim Auftreffen der kosmischen Strahlung auf die Moleküle der oberen Luftschichten entstehen in 9 bis 12 Kilometern Höhe Myonen. Diese bewegen sich in Richtung Erdoberfläche mit nahezu Lichtgeschwindigkeit weiter und können dort detektiert werden. In einem von B. Rossi und D. B. Hall durchgeführten Experiment wurde die Anzahl der Myonen, die in verschiedenen Höhen ankommen, gemessen. Durch eine spezielle Filteranordnung ist es möglich, die Messung auf solche Myonen zu beschränken, die sich mit 99,94 % der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Der Vergleich der gemessenen Anzahlen ermöglicht es, die Halbwertszeit der schnell bewegten Myonen zu bestimmen. Diese ist mit 1,3 · 10−5 s um ein Vielfaches höher als die Halbwertszeit von ruhenden Myonen mit 1,5 · 10−6 s. Die schnell bewegten Myonen zerfallen also langsamer als ihre unbewegten Gegenstücke.
Reise zu entfernten Sternen
Ein anderes (etwas hypothetisches) Beispiel wäre die Bewegung eines Raumschiffes, das von der Erde startet, einen entfernten Planeten ansteuert, und wieder zurückkommt. Ein Raumschiff startet von der Erde und fliegt mit der konstanten Beschleunigung von zu einem 28 Lichtjahre entfernten Stern. Die Beschleunigung von wurde gewählt, da hierdurch irdische Gravitationsverhältnisse an Bord eines Raumschiffes simuliert werden können. Leider impliziert die konstante Beschleunigung von 1 g, dass nach 1 Jahr Lichtgeschwindigkeit erreicht wird, wodurch die ganze Rechnung falsch wird. Auf halber Strecke ändert das Raumschiff das Vorzeichen der Beschleunigung und verzögert mit . Nach Abschluss einer 6-monatigen Aufenthaltsdauer kehrt das Raumschiff auf gleiche Weise zur Erde zurück. Die vergangenen Zeiten ergeben sich für den Reisenden zu 13 Jahren, 9 Monaten und 16 Tagen (Messung mit an Bord befindlicher Uhr). Auf der Erde sind bei der Rückkehr des Raumschiffes dagegen 60 Jahre, 3 Monate und 5 Stunden vergangen.
Wesentlich extremere Unterschiede bekommt man bei einem Flug zum Andromedanebel, der etwa 2 Millionen Lichtjahre entfernt ist (bei gleichen Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen). Für die Erde vergehen etwa 4 Millionen Jahre, während für den Reisenden nur ungefähr 56 Jahre vergangen sind.
Näheres hierzu siehe Artikel Zwillingsparadoxon.
Allgemeine Zeitdilatation
Das relativistische Linienelement ds ist definiert durch
Als Eigenzeitelement gilt der Quotient dieses relativistischen Linienelements oder Abstands und der Lichtgeschwindigkeit
Durch Einsetzen und Herausheben von folgt dann
Einerseits ergibt sich mit dem relativistischen Linienelement und dem Eigenzeitelement
anderseits ist eine Geschwindigkeit allgemein als Ableitung des Ortesvektors nach der Zeit definiert
Mit dem Quadrat der Geschwindigkeit
folgt schließlich für das Element der Eigenzeit
Die Eigenzeit ist diejenige Zeit, welche im bewegten Bezugssystem vergeht. Da sie langsamer als die Zeit im Ruhesystem läuft, ist sie stets kleiner als dieselbe - also . Über das Eigenzeitelement wird integriert, um die Größe zu erhalten
- .
Bei konstanter Geschwindigkeit ist der Wurzelfaktor , und es ergibt sich
- .
In Worten: Wenn im Ruhesystem die Zeit vergangen ist, ist im bewegten System erst die kleinere Zeit vergangen.
Umgekehrt gilt
In Worten: Wenn im bewegten System die Zeit vergangen ist, so im Ruhesystem die größere Zeit vergangen.
Bewegung mit konstanter Beschleunigung
Die Momentangeschwindigkeit beträgt nach einer in einem ruhenden Inertialsystem vergangenen Zeit bei der Anfangsgeschwindigkeit und konstanter Beschleunigung
Den zurückgelegten Weg erhält man durch Integration dieses Ausdrucks über die Zeit
Zur Berechnung der Eigenzeit, also der im bewegten System vergangenen Zeit, muss die Momentangeschwindigkeit in das obige Integral
eingesetzt werden. Das Ergebnis der Integration ist
Zeitdilatation durch Gravitation
Die gravitative Zeitdilatation beschreibt den relativen Zeitablauf von Systemen, die in verschiedenen Entfernungen eines Gravitationszentrums (beispielsweise eines Sterns oder Planeten) relativ zu diesem ruhen. Zu beachten ist, dass die gravitative Zeitdilatation nicht etwa durch eine mechanische Einwirkung auf die Uhren entsteht, sondern eine Eigenschaft der Raumzeit selbst darstellt. Ein Effekt, der auf der gravitativen Zeitdilatation beruht, ist die Gravitationsrotverschiebung.
Beschleunigung und Gravitation: Die rotierende Scheibe
Diese Problemstellung wird auch als Ehrenfestsches Paradoxon bezeichnet.
Nach dem Äquivalenzprinzip der allgemeinen Relativitätstheorie kann man lokal nicht zwischen einem ruhenden System in einem Gravitationsfeld und einem beschleunigten System unterscheiden. Deshalb kann man den Effekt der Gravitations-Zeitdilatation anhand der Zeitdilatation durch Bewegung erläutern.
Betrachten wir eine mit konstanter Winkelgeschwindigkeit rotierende Scheibe, so bewegt sich ein Punkt im Abstand vom Zentrum mit der Geschwindigkeit
Dementsprechend wird im Abstand vom Mittelpunkt der Scheibe die Eigenzeit
auftreten. Für hinreichend kleine Abstände () ist dieser Ausdruck näherungsweise
Ein auf der Scheibe befindliches, mitrotierendes Objekt erfährt nun die Zentrifugalkraft . Aufgrund des Äquivalenzprinzips kann man diese Kraft auch als Gravitationskraft deuten, zu der ein Gravitationspotential
gehört. Dies ist aber gerade der Term, der bei der Zeitdilatation im Zähler auftritt. Somit ergibt sich für „kleine“ Abstände:
(Hinweis: Das hier angegebene Potential entspricht nicht dem üblichen Zentrifugalpotential, da hier eine Anpassung an die lokale Drehgeschwindigkeit der Scheibe vorgenommen wird, während beim üblichen Zentrifugalpotential stattdessen Drehimpulserhaltung gilt)
Zeitdilatation im Schwerefeld der Erde
In einem schwachen Gravitationsfeld wie dem der Erde kann die Gravitation und somit die Zeitdilatation näherungsweise durch das Newtonsche Gravitationspotential beschrieben werden:
Hierbei ist die Zeit bei Potential , und das Newtonsche Gravitationspotential (Multiplikation mit der Masse eines Körpers ergibt dessen potentielle Energie an einem bestimmten Ort)
Auf der Erde kann (solange die Höhe klein ist gegen den Erdradius von ca. 6400 Kilometern) das Gravitationspotential durch genähert werden. In 300 Kilometern Höhe (das ist eine typische Höhe, in der Space Shuttles fliegen) vergehen somit in jeder „Erdbodensekunde“ , das ist etwa eine Millisekunde pro Jahr mehr. Das heißt, ein Astronaut, der in 300 Kilometern Höhe über der Erde ruhen würde (zum Beispiel mit Unterstützung eines Raketenantriebs), würde in jedem Jahr etwa eine Millisekunde schneller altern als jemand, der auf der Erde ruht. Zu beachten ist hierbei, dass diese Zahl nicht angibt, wie ein Shuttle-Astronaut altert, da das Shuttle sich zusätzlich bewegt (es kreist um die Erde), was zu einem zusätzlichen Effekt in der Zeitdilatation führt.
Wenn man die durch die Höhe verursachte Verringerung der gravitativen Zeitdilatation relativ zur Erdoberfläche, und die durch die für diese Höhe erforderliche Kreisbahngeschwindigkeit bedingte Zeitdilatation mit einander vergleicht, zeigt sich, dass sich bei einem Bahnradius vom 1,5-fachen des Erdradius, also in einer Flughöhe von einem halben Erdradius, die beiden Effekte genau aufheben, und daher die Zeit auf einer solchen Kreisbahn genau so schnell vergeht, wie auf der Erdoberfläche.
Für Berechnungen hierzu siehe hier.
Weblinks
- Beispiel-Applet, das demonstriert, dass die Uhr im Raumschiff langsamer geht als die beiden Uhren des Systems, in dem Erde und Pluto unbewegt sind.
- Videos von Vorlesungen der Universität Tübingen über die Zeitdilatation
- Video eines Vortrags aus Physikwiki, der freien Wissensdatenbank "Video Zeit, Zeitpfeile und Zeitreisen"
Literatur
- Thomas Cremer: Interpretationsprobleme der speziellen Relativitätstheorie. Verlag Harri Deutsch, 1990
- Walter Greiner, Johann Rafelski: Spezielle Relativitätstheorie. Verlag Harri Deutsch, 1989
- Harald Fritzsch: "E=mc²: Eine Formel verändert die Welt", Piper Verlag, 1990